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Der Verkäufer

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08.04.2007
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Der Verkäufer

Länger ertrage ich den Lärm da oben nicht mehr. Vor drei Monaten sind über mir drei Studenten-Fuzzis eingezogen und veranstalten seitdem eine einzige Party. Oder eine nach der anderen. Keine Ahnung, ist doch alles einerlei. Ich bin nicht in Rente gegangen, um schon wieder jeden Tag genervt zu sein. Nach 35 Jahren Kundenkontakt habe ich mir meine Ruhe verdient.
Ich war Vertreter und habe in dieser Zeit so einige Klinken geputzt. Die Produkte waren egal, da sind über die Jahre so einige zusammengekommen. Von Blechdosen über Versicherungen bis hin zu Windeln war eigentlich alles dabei. Nur verkaufen musste man es können. Und das war mein Job. Ich habe da so einige Tricks und Kniffe, die man höchstens aus dem Psychologie-Selbststudium oder meinem Job lernen kann.

Wie man einer alten Frau Kondome verkauft, weiß ich nicht. Aber wie sie sich einen mehrere Tausend Mark teuren Staubsauger kauft, das kann ich bewerkstelligen. Man muss nur die Asche ihres Verblichenen auf den Teppich kippen und sie bitten, das doch aufzusaugen. Mit ihrem alten Vorwerk. Natürlich habe ich die Asche genommen, als sie nicht im Zimmer war. Wäre ja sonst doch zum Eklat gekommen. Dann habe ich die Asche mit Spucke vermischt und nur darauf gewartet, dass ihre Vorwerk-Bürsten diese in den Teppich rieben. Und die Alte leistete ganze Arbeit. Nach einem lauten Murmeln ihrerseits und ein paar ziemlich dunklen Flecken im Teppich bot ich ihr dann endlich die Erlösung an. Mein Wundermittel: eine billige Bleichpaste, die ätzend, weil mit ein bisschen Rohrreiniger gemischt, aber zuverlässig war. Und ein Nasstaubsauger, den man für ein paar hundert Mark im Großhandel erwerben kann. Ein paar bauliche Veränderungen und das Ding sieht nach etwas Neuem aus. Und kostet dementsprechend auch direkt das Zehnfache. Naja, jedenfalls waren der Teppich und meine Weste hinterher so rein wie mein Gewissen. Wiedergesehen habe ich die Frau nicht mehr, sie hatte ja auch keine Adresse geschweige denn meinen richtigen Namen. Schade nur, dass ich nach jedem erfolgreichen Verkauf die Stadt schnellstmöglich verlassen musste. Hätte ja sein können, dass jemand etwas hätte umtauschen wollen oder der Teppich nach zwölf Stunden ein Loch hat. Oder der Staubsauger Stromschläge absondert. Oder so.

Das Schöne an alten Menschen ist, dass sie einem schnell vertrauen. Vor allem im Osten, da habe ich nach dem Mauerfall eine Menge Rente verdient. Die kannten das ja alles noch nicht. Denen habe ich doch tatsächlich noch das verkaufen können, was bei mir im Lager seit Jahren auf Halde lag. Wie den perfekten Gurkenschneider, der ein paar Tage lang hervorragend funktioniert. Danach löst sich leider der Griff und man verliert im besten Fall nur ein paar Finger. Da habe ich doch glatt die letzten Hundert auf einem Markt in einer Kleinstadt in Thüringen verramschen können. Sogar der örtliche Polizeichef war mit seiner Frau gekommen. Gut, seitdem darf ich mich in Thüringen nicht mehr blicken lassen, aber es hat sich gelohnt. Kleine Dörfer wie dieses haben nämlich den Vorteil, dass man nach erfolgreichem Verkauf eines Artikels noch schnell zehn weitere nachschieben kann, da die Leute einem dann vertrauen. Und man weiter empfohlen wird. Ich hatte nach diesem einen Tag mit der billigen Vorführ-Show auf dem Markt das halbe Dorf als potentiellen Kunden. Da musste doch glatt ein Kollege mit einem VW-Bus voller großartiger Artikel nachreisen, um die Nachfrage zu befriedigen. Kaum kamen wir aus einem Haus raus, öffnete sich quasi schon die nächste Haustür. Schade, dass ich damals noch nicht den Staubsauger im Sortiment hatte. Damit hätte ich es vom Osten bis auf die Bahamas geschafft. Was soll's. Das Kleinvieh hat auch viel Mist gemacht. Für eine Großstadtwohnung in einem ehemals guten Viertel hat es schließlich gereicht. Denn den alten Bewohner kannte ja auch kaum einer und vermisst hat man ihn auch nicht. Der alte Gartenschredder ist dafür jetzt kaputt und steht im Keller neben dem undichten Gasherd.

Und jetzt muss ich mich von den Studenten-Fuzzis da oben als Altnazi beschimpfen lassen. Bloß, weil ich da schon dreimal vor der Tür stand. Die Bullen rufe ich aus Prinzip nicht. Nachher nehmen die noch mich mit. Muss ja nicht sein. Hat ja bis jetzt immer alles doch noch geklappt. Zum Beispiel, als bei einer Vorführung plötzlich der Fernseher in Flammen stand. Ich hätte das Reinigungsmittel eben nicht ausgerechnet daran ausprobieren sollen. Oder den Fernseher wenigstens ausschalten sollen. Aber mit einer Decke war das schnell gelöscht und die Alte bekam gottlob 'nen Infarkt. Da konnte ich in aller Ruhe zusammenpacken und hatte meine Lektion gelernt.

Richtig schlimm war damals nur diese Sache mit dem Kinderspielzeug. Das habe ich dann ruckzuck zu Dumping-Preisen verkauft und ab dafür. Wer wusste denn damals schon was von giftigem Plastik aus Taiwan, das zu Ausschlag oder Kindstod führen kann. Also ich hatte drei Wochen lang Ausschlag.

P.S.: Habe mich mit den Studenten inzwischen versöhnt. Ich ziehe nächste Woche wieder mal um und bin dafür den kaputten Gasherd los...

 

First time in kg.de

Bereits auf ciao.de veröffentlicht, suche neues Publikum und freue mich über Kommentare. Euch einen schönen Tag. Geh jetzt arbeiten.

 

Servus ehrenfelder,

und herzlich Willkommen auf kurzgeschichten.de.

Ist ja fast mehr eine Satire denn eine Alltagsgeschichte, der skrupellose Handelsvertreter, für den Einstieg jedenfalls gelungen. Im ersten Absatz würden ein paar zusätzliche Absätze die Lesbarkeit erhöhen, zudem würde der Wechsel in das Wohnzimmer zu der Asche des Göttergattens auch optisch abgesetzt sein.
Dabei zeichnest Du ihn spitz, hoffentlich überspitzt (doch ich vermute, so unalltäglich sind Vertreter wie er nicht), manchmal wirkt Deine Sprache dabei nicht dem zu vermittelnden Alter Deines Prot angemessen, insgesamt erliest er sich nicht wie ein Mittsechziger. Was dem Lesefluss keinen Abbruch tat, doch was zumindest das Bild Deines Prot nicht vollkommen rund macht.
Doch insgesamt hat sie mich gut unterhalten. Weiter so, und diesmal direkt zur Erstkritik auf kg.de :)

Natürlich habe die Asche genommen, als sie nicht im Zimmer war.
hier fehlt vermutlich ein "ich"
Und jetzt muss ich mich von den Studis da oben zum Altnazi stempeln lassen.
erstmal glaube ich Deinem Prot bei der Betonung seines Alters nicht, daß er Studenten "Studis" nennt. Und daß er sich stempeln lässt ist unglücklich formuliert, vielleicht : als Altnazi beschimpfen/bezeichnen lassen.

Grüße,
C. Seltsem

 

Dankeschön. Absätze und Zitate werden berücksichtigt. Die Sprache eines Mittsechzigers, ja, das ist so eine Sache...

 

hallo ehrenfelder,

ich fand deine Geschichte auch recht amüsant und so gesehen haben die Leute bei deinem Prot ja noch den Vorteil gehabt, dass er den Service bot zu beraten und direkt ins Haus zu liefern. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass für manch einsamen alten Menschen der Besuch eines Handelsvetreters im grauen Alltag eine willkommene Abwechslung war.
Dank emsigen Verbraucherschützern sterben diese bösen Handelsvertreter aus und jeder in Deutschland weiß mittlerweile, alles hat gefälligst billig zu sein, denn schließlich ist Geiz geil.
Und wenn einem der Hammer aus dem 1-Euro-Shop (der im Fachhandel unverschämt teuer ist)um die Ohren fliegt, dann ist man betrogen worden, denn schließlich vetraut man (gefälschten) GS/TÜV-Siegeln.
Schuld sind immer die andern, denn wer sagt einem denn, dass man einfach nur den Verstand beim Kauf einschalten kann, der würde einem schon sagen, die Gurke läßt sich auch prima mit dem Messer schneiden und Qualität hat ihren Preis.

Gerne gelesen!

LG
Katinka

 

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