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Der Weg nach Hause
Boron stand unschlüssig vor der Einmündung. Dann setzte er sich doch langsam in Bewegung und betrat die Straße. Vorsichtig, auf jeden Schritt achtend, schlich er vorwärts, den Blick immer nach vorne gerichtet. Er versuchte, nicht auf die Bäume zu blicken, die die Allee auf beiden Seiten säumten. In regelmäßigen Abständen, wohl um die 15 Schritte, ragte einer dieser Bäume in den schwarzen Himmel hinauf, die Äste vom Gewicht der Blätter nach unten hängend, so dass man sie fassen konnte, wenn man aufrecht unter ihnen stand. Zwischen den Bäumen, immer parallel zur Straße waren dicht an dicht kleine Sträucher angepflanzt worden, so dicht aneinander, dass sie eine Hecke bildeten, aus verschiedenen Sträuchern, die zu einer Einheit verschmolzen. Keiner dieser Sträucher war höher als ein Meter, so konnte auch Boron darüber blicken, und die dahinter liegende, dunkle Landschaft betrachten, die Felder auf beiden Seiten, die erst nach etwa hundert Schritten von Wald abgelöst wurden. Auf der linken Seite, so wusste Boron, befand sich auch der Fluss, der bis zu dem Hof seiner Eltern neben der Straße floß. Es war kein breiter oder tiefer Fluss, trotzdem existierten etliche Geschichten über Kinder, die darin ertrunken waren. Wie in allen Dörfern verbreiteten sich eben auch in Winshill Gerüchte schneller als die Pest.
Boron blickte hinter sich. Verschlafen lag das Dörfchen in der Abenddämmerung. Obwohl die Sonne erst vor wenigen Minuten untergegangen war, herrschte in Winshill schon Totenstille. Kein Mensch befand sich auf der Straße und auch in den Häusern waren die Lichter schon gelöscht. Außer dem fernen rufen eines Uhus war kein Geräusch zu hören. Auch im Haus seines Lehrers, bei dem er bis vor einem Moment noch gelernt hatte, wurde es in diesem Moment dunkel. Seufzend drehte sich Boron wieder um und starrte auf den Weg den er beschreiten musste. Langsam, sich selbst immer wieder zur Ruhe ermahnend, zwang er sich, seinen zitternden Fuß auf den weißen Schotter der Allee zu setzen, um dann den Schwung dieses ersten Schrittes auszunutzen und auch den anderen nachzuziehen. Nun ging es besser. Zwar noch immer langsam, aber zielstrebig und sicherer folgte er nun dem Weg. Im hellen Licht des Mondes, in zwei oder drei Tagen dürfte es Vollmond sein, schritt er vorwärts. Sein Blick streifte ständig über den Horizont links und rechts von ihm, die schmalen Waldstreifen, die sich dunkel vor dem sternenübersähten Himmel abzeichneten. Es ging eine dunkle Verlockung von ihnen aus, sie weckten ein Verlangen in Boron, das ihn fort ziehen wollte, über die Felder, hinein in den Wald, in die Finsternis. Boron kannte dieses Gefühl bereits und verzweifelt schloss er die Augen, um sich seinem Bann zu entziehen, senkte seinen Blick und schaute starr auf seine Zehenspitzen, verfolgte aufmerksam jeden seiner Schritte. Doch der Drang blieb bestehen. Er schaffte es nicht, sich gegen ihn zu wehren, sein Blick glitt wieder nach oben, über die Hecke hinweg, die ihn umzingelte und gefangen hielt, seine Flucht verhinderte. Tränen stiegen Boron in die Augen, als er schließlich das Haus seiner Eltern erreichte.