Der Weg zum Licht
Der Weg zum Licht 24.3.2008
Ein langer schwarzer Fühler war das Erste, was man sah. Ein zweiter, und erst danach erkannte man den schwarzen Scheibenbockkäfer,der unter der Rinde hervorkrabbelte. Er setzte sich auf ein Holzscheit und sah sich neugierig um. Sein Blick blieb wie so oft am Fenster hängen, durch das helles Licht in den Keller fiel.
„Was ist los, träumst du schon wieder mal von deiner großen Freiheit?“ Ein Käfer seiner Art schob sich an ihm vorbei und stieß ihn dabei unsanft in die Seite. „Steh wenigstens den anderen nicht im Weg!“
„Willst du nicht wissen, wie das Leben außerhalb unseres Kellers ist? Wie würden wir leben, wären wir da draußen unter einer Baumrinde geschlüpft und nicht in diesem finsteren Loch?“ „Mir egal, ich bin hier und hier bin ich zufrieden. Du solltest endlich damit leben lernen!“
So kehrten sie wieder zurück, der eine zu seinen Träumereien, der andere zu seiner emsigen Nahrungssuche.
Doch der neugierige Scheibenbock, konnte sich nicht damit zufrieden geben. Zu oft hatte er den verschiedenen Käfern gelauscht, die von der großen weiten Welt erzählten, von den grünen Wiesen, Wäldern, Blumen und dem Licht.
„Heute, heute werde ich es tun“, sprach der Käfer entschlossen, „heute oder nie mehr!“
Den Plan dafür hatte er schon vor langer Zeit geboren.
Vorfreude stellte sich ein, seine Fantasien bekamen Flügel. „Kommt dieses Licht auch aus einem länglichen Ding an der Decke? Fühlt es sich auch warm an? Gibt es die riesigen Wälder wirklich, von denen der alte Hirschkäfer erzählt hat?“
Jetzt wo er beschlossen hatte, es zu wagen, fand er keine Ruhe mehr.
Wie oft war er auf dem hellen Kegel gesessen, den das Licht auf den Boden zeichnete und hatte die Wärme genossen. Sie hatte ihn durchflutet, Lust auf mehr gemacht und ihn von fernen Gegenden träumen lassen.
Die anderen Scheibenbockkäfer hatten für seine Faulheit und Trägheit nichts übrig. Sie vergeudeten ihre kostbare Zeit nicht mit solch unnützen Gedanken. Manche bedauerten ihn sogar, hielten ihn für närrisch. „Schaut er sitzt schon wieder im Licht und hofft auf Erleuchtung!“
Der Käfer krabbelte zielsicher über die Holzscheite und ließ sich ganz an deren Rand nieder. „Von hier aus sollte es möglich sein.“ Stundenlang verharrte er an der genau ausgesuchten Stelle und wartete. Wartete, dass sich endlich die Türe öffnete, das Licht an der Decke anging und die Schritte die Stiegen zum Erzittern brachten.
Er achtete nicht auf die bissigen Bemerkungen der Kollegen, überhörte ihren Hohn, missachtete die Warnungen. Sein Ziel hatte er klar vor Augen und nichts hätte ihn mehr davon abgebracht.
Endlich öffnete sich die Tür, Licht durchflutete den Raum, die Stiege begann zu zittern und die Frau durchquerte den Keller.
Sein Herz verdoppelte die Schlaggeschwindigkeit. Er rief sich zur Ordnung, versuchte Ruhe zu bewahren. Der Käfer wusste genau, dass er warten musste. Lange genug hatte er schon dasselbe Schauspiel beobachtet.
Fünf Mal würde sie Holz zu dem Ding tragen und in eine große Öffnung werfen. Erst dann sich wieder auf den Weg nach oben machen. Bis dahin musste er Geduld beweisen.
Vorsichtig platzierte er sich möglichst nahe am Gang. Er trat unruhig von einem Bein auf das andere. Zweimal, dreimal, viermal,…
Jetzt waren es nur noch Augenblicke, die ihn von der erhofften Freiheit trennten.
Schon trat sie den Rückweg an.
Eins, zwei, er beugte seine Füße, setzte sich weit nach hinten, um dann blitzartig hochzuschnellen und zu springen.
Er sprang und landete auf ihrem Rücken. Mit den Spornen am Ende seiner Beine krallte er sich am Stoff fest. „Ich habe es geschafft. Nur nicht loslassen! Freiheit ich komme!“
Die anderen Käfer schauten ihm besorgt aber teilweise auch neidig nach. Er drehte sich noch einmal zu ihnen um, winkte und schon war er aus dem Keller verschwunden.
Er konnte sein Glück kaum fassen, sah sich schon die Wälder suchen und im Licht wärmen.
Ups, fast hätte er den Halt verloren. Ihre Schritte waren groß und es schaukelte fürchterlich. „Ich muss besser aufpassen, muss mich zusammenreißen. Später kann ich alles genießen“, ermahnte er sich.
Sie durchquerten einen Raum, abgeschlossen wie der Keller, nur viel heller. Verschiedenste Dinge standen in der Gegend herum. Er hätte sie gern noch bestaunt, doch zügig schritt sie in einen weiteren Raum.
Es roch anders als im Keller. Er konnte nicht sagen ob besser oder schlechter, nur anders.
Sie trat an einen Topf. So einen kannte er. Im Keller stand ein ähnlicher. Dieser hier strahlte aber silbern. Der andere hatte bräunliche Flecken an vielen Stellen. Man schenkte ihm auch keine Beachtung mehr, hatte ihn irgendwie vergessen.
Rauch stieg aus dem Topf auf. Er konnte aber nicht erkennen, was sich darin befand. Neugierig, wie er war, setzte er vorsichtig einen Schritt vor den anderen. Möglichst leise bewegte er sich. „Nur nicht zu laut sein! Sie darf mich nicht entdecken.“ Keinesfalls wollte er ihre Aufmerksamkeit erregen. Erst vor Kurzem hatte er mit eigenen Augen gesehen, was sie mit Kreaturen seiner Art zu machen pflegte. Bis dahin hatte er es für ein Ammenmärchen gehalten. Nie hätte er ihr diese Brutalität zugetraut. Doch das hatte sich schlagartig geändert.
Noch immer hörte er das Knacken des Panzers, wenn er sich daran erinnert.
Vor wenigen Tagen erst hatte sein Freund pfeifend und nichts Böses denkend, ihren Weg gequert. Als sie ihn erblickte, stieß sie einen gellenden Schrei aus, tanzte hüpfend durch die Gegend, was irgendwie amüsant aussah. Sein Freund aber stand vor lauter Schreck wie versteinert, konnte sich nicht mehr bewegen. Nachdem ihr Schrei verstummt und ihr Blick ruhiger geworden war, hob sie ohne mit der Wimper zu zucken ihren Fuß und stellte ihn auf seinen Freund. Und das war kein Versehen gewesen. Er wusste, sie hatte ihm dabei in die Augen geschaut.
Der Käfer war sich sicher, dass er genauso enden würde, sollte sie ihn entdecken.
Seine Fühler schoben sich weiter vor, er versuchte in den Topf zu blicken, saß nun auf ihrer Schulter, knapp über dem Schlüsselbein.
Wasser, er sah blubberndes Wasser. In diesem schwammen lange, flache, ja was war das nur? So etwas hatte er noch nie gesehen. Ihre beige Farbe wirkte eher unspektakulär. Sie bewegten sich auch nicht selbständig im Wasser, das Wasser bewegte sie und das nur sehr wenig. Mit einem Stock rührte sie die Dinger um.
„Nur noch ein kleiner Schritt.“ Seine Neugierde trieb ihn vorwärts. Die Hinterbeine krallten sich fester in den Stoff und hielten nun den ganzen restlichen Köper. „Da muss doch noch etwas anderes sein, außer dieser langweiligen Dinger.“ In letzter Sekunde zog er den linken Fühler zurück, fast hätte er ihr Gesicht berührt. Ein erleichterter Seufzer stieß aus seinem Körper hervor.
Erstmals hatte er genug von der Aufregung und machte einige Schritte zurück, wo er sich gleich wieder sicherer fühlte. Er schnaufte tief durch und begann zu überlegen:“ Wie komme ich von hier nur weg und endlich in das Licht, in die Wälder, auf die Wiesen?“ Der Scheibenbock begann einen ersten Plan zu entwickeln um dies zu verwirklichen.
„Hallo Mama! Na was gibt’s feines zu essen?“ Der Bursche schlug seiner Mutter freundschaftlich auf die Schulter.
Er hatte keine Chance sich festzuhalten. Die Beine ruderten in der Luft, versuchten das Unaufhaltsame abzuwenden. Seine Augen suchten nach Rettung. Die Fühler bogen sich zurück um nicht die ersten zu sein, die die Wasseroberfläche berührten. Sein Mund öffnete sich zu einem Schrei, den niemand je hören sollte. Er stemmte die Beinen gegen das, auf ihn zukommende, Wasser, als wollte er es abwehren. Die Sporen waren gespreizt. Sein ganzer Körper schien in der Luft bremsen zu wollen.
Eine Hand schoss nach vorne, versuchte ihn zu erwischen, zu greifen. Aber sie griff ins Leere, verpasste ihn.
„Meine Nudeln, nein. Wo kommt dieser Käfer nur her? Igitt.“
Nur vom Wasser bewegt, schwamm der Scheibenbock mitten unter den Nudeln, stach heraus mit seiner schwarzen Farbe, seinen langen Fühlern.
Ein greller Lichtstrahl durchflutete den Raum. Heller als alles andere, was er zuvor gesehen hatte. Er nahm ihn gefangen, zog ihn magisch an.
Der Scheibenbockkäfer warf einen letzten Blick auf seine, im Wasser schwimmende, Hülle und ließ es geschehen. Er vergaß alles um sich, blickte direkt in den Strahl und spürte die heißersehnte Wärme.
Glücklich und sich am Ziel seiner Träume wähnend, verschwand er im Licht und das Licht mit ihm.
© Kröte