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Der Weinberg
Die Tür fiel ins Schloss, meine Schuhe hinterließen Spuren vom hellen Sand des Weinberges auf dem senffarbenen Teppichboden. Der erste Abend, an dem ich ausgiebig lächelte. Berit hatte mich geküsst. Draußen glitt die Sonne unaufhaltsam dem Horizont entgegen. Wüste, öde Monumente aus grauem Stein mit ausladenden Sandsockeln, auf denen Gras mühsam versuchte, Fuß zu fassen.
So wie ich.
Auch ich kam mir immer noch vor wie ein gestrandeter Wal, aber als habe das Wasser ein Nachsehen mit mir und beginne langsam zu steigen. Bewegungslos starrte ich aus dem Fenster, hatte noch keinen Hunger, obwohl die Kirchturmuhr sieben Mal schlug. Das Dorf schwieg, war mit dem Abendbrot beschäftigt. Herr, sei unser Gast und beschütze uns vor den Zugereisten. Wir wissen nicht, was noch kommt. Also galt es zu bewahren. Das, was unser ist und uns gehört.
Eine Elster keckerte in der abgestorbenen Pappel vorm Haus, unten in der flachen Ebene streunten drei große Hunde.
Im September vor einem Jahr ließ ich mir meine Lebensversicherung auszahlen. Eine Versicherungsgesellschaft nach der anderen meldete Insolvenz an und bevor ich leer ausging, wollte ich wenigstens mein Angespartes in der eigenen Tasche tragen. Außerdem hatte ich die Nase voll von all der Hektik im Betrieb, räumte einige Abende später meine persönlichen Dinge zusammen. Die Entscheidung fiel nicht leicht, aber das lange Wachliegen nachts, das Festrennen der Gedanken in betrieblichen Abläufen und Problemstellungen, das Schwitzen und die Verdauungsstörungen hatten mich ausgepresst wie eine Zitrone.
Die weiße Tasse mit dem abgebrochenen Henkel, den alten Bleistiftspitzer aus Edelstahl, die kleine Murmel mit hellblauen Schlieren und roten Luftblasen. Es brannten nur noch wenige Lichter über den zahllosen Schreibtischen und ich musste lächeln, als mir einfiel, dass ich nicht einmal bis heute wusste, wie viele Schreibtische in diesem Büro standen. Nun, jetzt spielte auch das keine Rolle mehr. Die von mir eingereichte fristlose Kündigung wurde ohne Kommentar angenommen. Jedem älteren Mitarbeiter, der gehen wollte, wurden keine Steine in den Weg gelegt.
Meine Augen brannten vom langen Starren auf den Bildschirm, meine Beine gehorchten widerwillig und schwerfällig. Einige Mitarbeiter nickten wie jeden Abend; in dieser Atmosphäre war nie mehr entstanden als Höflichkeit. Für private Gespräche blieb keine Zeit, das Arbeiten in drei Schichten verhinderte Kollegialität.
Das Laute wurde hier zwangsläufig verstanden. Was sich leise bewegte, hatte etwas zu verbergen, ja, war schnell der Sündenbock. Ich konnte so einfach nicht mehr weiter machen.
Wer nicht mit den Wölfen heult. Es gibt Traditionen, deren verstaubte Logik für jeden erkennbar überholt ist. Aber das Festhalten schafft eine Wertbeständigkeit, zeigt Vertrauen in konservative Strukturen.
Diese Erkenntnis schmerzte mich und meine Enttäuschung nässte wie eine offene Wunde. Ich wollte nicht so verbogen sein, bis ich nur noch in eine Richtung sehen konnte, der Einbahnstraße folgen, der Autobahn. Bis die Kräfte erlahmten und die letzte Ausfahrt in einer Sackgasse endete. Der Arbeitsplatz war kein soziales Netz.
Freundschaften entstanden zu Hause am PC; ich pflegte Beziehungen zu Personen, die ebenfalls allein durch das Dasein ruderten, auf der Suche nach einem Ankerplatz. Wir tauschten den Schmerz aus, der beim Denken entsteht. Wir wussten sehr genau, was wir nicht wollten, leisteten aber auch keinen Beitrag, um das Zusammenleben nachhaltig zu verbessern. Eine soziale Verwahrlosung kam in Gang, der wir mühsam versuchten, mit unseren Handys Paroli zu bieten. Wir hatten kein Motiv für die Zukunft. In einer Welt, von anderen gedacht, die immer stärkeren Einfluss nahm auf die intimsten Bedürfnisse eines jeden, verlor der Schwache schnell die Orientierung. Wir bekamen gesagt, was in sei, was out, was Trend, was Nogo. Anpassung total. Den Widerstand kotzten wir ins Netz, hier heulten wir den Mond an, aber was war wirklich in der virtuellen Welt? Schnell sprach sich herum, dass selbst hier Übergewichtige nur Traummaße besaßen. Deren Beitrag zur großen Notlüge rechtfertigte unser Dasein. Schizophren.
Selbst in den Fitnesscentern hatte die Kontaktarmut Einzug gehalten. Schlussendlich galt es doch nur, hier seine Muskeln soweit zu fordern, dass sie den völligen Zerfall unseres Skelettes verhinderten. Aber der Körper war nur noch zur Anschauung degradiert. Geschaffen für körperliche Arbeit dämmerte er seiner Nutzlosigkeit entgegen. Für junge Menschen mochte das erstrebenswert sein, sich als eine optische Augenweide zu züchten, aber um die 50 wirkten die Bemühungen vergeblich. Zumal künstliche Körperpartien wesentlich günstiger und weniger aufwendig erreichbar waren. Ihre Lieferanten warben über den Fußgängerzonen in großen Leuchtreklamen.
Die 28 qm Vollmöbliert hatte ich fristgerecht gekündigt, meine kleine Sporttasche und der Rucksack enthielten die wenigen Habseligkeiten.
Die Tür fiel ins Schloss, die Karte schob ich in den Briefkasten. Auf dem Weg zum Bahnhof warf ich eine Münze in die Mütze des Gitarristen, der seit Tagen auf nur fünf Saiten spielte. Ich ertrug seine unmusikalische Aufdringlichkeit zum letzten Mal.
Viele der großen Uhren auf den Bahnsteigen waren unbeleuchtet, zeigten keine Zeit mehr an. Taubenkot klebte in Streifen auf fast allen Flächen. Nur die bunten Werbeplakate versprachen noch eine saubere und intakte Welt. Längst war jedem klar, dass diese Abbildungen eine Illusion zauberten, aber ohne Illusionen gab es keine Zukunft. Es gab eine Zukunft – nur keine natürliche mehr, sondern nur noch ein digitales Versprechen. Wie die Freundschaften. Mein Bauch schmerzte und die Nerven sehnten sich nach Ruhe. Schutz vor den suggerierten Hoffnungen, vor den sanften, versteckten Zwängen. Stille für meine Augen, meine Ohren.
Im Zug randalierten drei Jugendliche, verhöhnten eine ältere Frau. Sie solle ihre hässlichen Titten verstecken. Zwei von ihnen konnten kaum noch stehen, ihre Aussprache klang verwaschen und unzusammenhängend. Ängstlich sah sie zu uns herüber, ein Flehen im Blick.
Auch ich sah weg, schritt nicht ein, schämte mich nicht. Es war längst Tagesordnung geworden. Draußen schossen die Fassaden von vergitterten Schaufenstern vorbei. Manchmal klafften für den Bruchteil einer Sekunde die Wände auf, dann fiel ein Blick in die unzähligen Straßenschluchten mit ihren Lichtern, ihrem Wimmeln, ihrem Puls. Beliebig austauschbar, erschreckend und ermüdend zugleich.
Irgendwann erreichte die S-Bahn ihre letzte Station. Ein Gerippe aus verrosteten Stahlträgern trug ein baufälliges Dach, die Glasscheiben fehlten. Erschöpfte Menschen mit gesenkten Köpfen huschten über den staubigen Platz, steuerten zielsicher in abgehende Straßen, verschwanden in Hauseingängen, Toreinfahrten. Die Sonne stand tief, als ich den Bus raus nach Bergingen bestieg. Dem Fahrer wuchs ein Furunkel auf der Stirn – hässlich und rot. Drei Fahrgäste verteilten sich über die abgewetzten Doppelsitze, keiner nahm Notiz von mir, sie sahen gelangweilt aus den Fenstern. Keine Ahnung, warum ich jetzt hier eingestiegen war. Ich ließ mich einfach treiben, horchte auf meinen wunden Bauch, meine Sehnsucht.
Ich setzte mich zwei Reihen hinter eine ältere Frau. Kaum hatte der Bus die letzten vergammelten Industrieansiedlungen passiert und den vierspurigen Zubringer verlassen, als ich sie ansprach. Leise. Ob sie aus Bergingen sei, ob sie wisse, wo eine Wohnung leer stünde.
Schwerfällig drehte sie ihren Oberkörper, misstrauisch fixierte sie meine Augen. Ich wich nicht aus, hielt stand. Ich solle mit aussteigen, jetzt sei es zu laut für Erklärungen, sagte sie in breitem Dialekt und drehte sich wieder in Fahrtrichtung.
Was ich hier wolle – der Lärm des abfahrenden Busses verschwand hinter der Dorfkirche. Was blieb, waren die kreischenden Schreie der Mauersegler.
Ich suche eine Wohnung für unbestimmte Zeit. Ein möbliertes Zimmer mit Dusche und Kochgelegenheit sei vollkommen ausreichend.
Sie sah erst nachdenklich in die Richtung, aus der wir gekommen waren; dann in die andere Richtung, wo sich die Straße verzweigte. Die Hauptstraße führte um das nackte Backsteingebäude der Basilika, die abgehende Straße verengte sich, führte einen kleinen Hügel hinauf und verlor sich nach einigen zufällig arrangierten Häusern in den Weinreben.
Dort oben, das vierte Haus mit dem Balkon, mit der weißen Fernsehschüssel. Da sei im Dachstuhl eine kleine Wohnung frei. Der Lehrer habe hier gewohnt, als es noch eine Schule gab. Ich solle bei Weber klingeln. Die Witwe wohne dort allein, seit sich ihr Mann vor drei Jahren vor den Zug geworfen hatte.
Sagen sie, die alte Pochinski habe sie geschickt.
Was mich bewegt habe, hier heraus zu ziehen. Jeder, der Arbeit suche, zöge von hier fort. Es lebten fast nur noch die Alten hier. Ihre traurigen Augen musterten meine Kleidung, meine Schuhe, meinen Rucksack. Ich bedankte mich, fragte sie, ob ich noch etwas für sie tun könne. Sie schüttelte den Kopf, wünschte mir Glück und als sie sich abwendete, verschwand die Sonne hinter den wuchtigen Kegeln am Horizont. Ich war so müde und meine Augen brannten. Jede Sehne im Körper schien expandieren zu wollen, mir war, als quollen die Füße aus den Schuhen. Mit weichen Knien schritt ich den Weg hinan, im Garten des ersten Hauses stand eine verwitterte Holzbank. Ein alter Mann in grober Cordhose hatte seinen Kopf gegen die rückwärtige Hauswand gelegt, seine weißen Haare spielten im Wind, die Augen geschlossen, mit offenem Mund.
Es gab nur eine Klingel. Kein Namensschild. Noch bevor ich den abgegriffenen Messingknopf drücken konnte, öffnete sich die Tür einen Spalt breit. Das nackt wirkende Gesicht einer Frau mittleren Alters spähte aus der Dunkelheit, die schwarzen Haare unter einem gelben Tuch streng aus der Stirn gezogen. Sehr dünne Brauen und blasse Wimpern unterstrichen die auffällige Größe ihrer Augen.
Zu wem ich wolle.
Ich sei gerade mit dem Bus, die alte Pochinski habe mir, ob sie mir nicht, wenigstens für eine Nacht, es gäbe hier ja sicher kein Hotel.
Vielleicht half mir ein kleiner Scherz weiter, aber kein Lächeln veränderte ihre Mundwinkel.
Warum ich nicht einfach mit dem Bus weitergefahren sei. Hier steige nur aus, wer im Dorf wohne oder etwas im Schilde führe.
Oben zwischen den ungepflegten Reben kroch die Nacht aus den Schatten der Blätter, auf dem staubigen Platz vor der Kirche flammten drei gelbe Straßenlampen auf.
Ich sei müde, führe nur im Schilde, hier eine Bleibe zu finden. Bitte.
Im Hausgang roch es nach gelagerten Kartoffeln. Muffig, abgestanden und ein wenig nach Essig. Vergorenem Wein. Auf der knarrenden Treppe in den Wohnbereich hinauf lief sie vor mir her mit ihrer breiten Hüfte; verhornte, weiße Fersen in ausgelatschten Birkenstocks.
Ein Jahr war um, die Dinge entwickelten sich langsam. Stand wieder hier am Fenster und beobachtete das Abendrot. Ich war nicht mehr so erschöpft, so ausgebrannt.
Die ersten Tage schlief ich durch, trank das Wasser aus der Leitung, hatte keinen Hunger. Manchmal schreckte ich hoch, wischte mit der Bettdecke den Schweiß von meiner Brust. Am dritten Tag hörte ich Schritte auf der Treppe, klopfte Frau Weber leise an die provisorische Tür. Ob mir was fehle, ob ich Hilfe brauche.
Ich stieg in meine Hose, zog rasch ein sauberes Shirt über den Kopf. Strich mit den Händen die abstehenden Haare glatt, öffnete.
Wenn ich was zu essen bräuchte – hier käme nur einmal die Woche ein fahrbares Kaufhaus, aber es sei unverschämt teuer. Heute Mittag auf dem Dorfplatz, um 14 Uhr. Ihr Haar fiel in einem dichten Busch bis auf die Schulter, ein weites Hemd kaschierte das breite Becken.
Fünf alte Frauen standen vor mir. Zählten Kleingeld, ihre Leggins am Knie ausgebeult und mit nackten Füßen in flachen, festen Hausschuhen. Weiße Locken wehten in der Brise, die Schatten kleiner Wolken huschten über die Szene. Ab und zu raste ein Auto durch die Häuser, obwohl ich auf den Schildern die Zahl 30 las.
Ob ich Brot für nächste Woche bestellen wolle. Ob ich Gemüse möge, wenn ich Kleidung, Schuhe bräuchte, er könne mir alles besorgen. Nur geringfügig teurer als in den Supermärkten. Er habe Beziehungen und zwinkerte verschmitzt. Er brachte mich auf eine Idee.
Viele Tage später saßen wir an ihrem Küchentisch. Ich kehrte gerade von einem Spaziergang durch die Reben zurück und traf sie zufällig auf der Treppe. Wir kamen ins Gespräch, dann, ob ich einen Kaffee wolle. Sie war umgänglicher als sonst und erzählte von ihrem Mann, der bei der Bahn gearbeitet habe, der an Depressionen gelitten hatte.
Als die großen Streckenstilllegungen und Privatisierungen umgesetzt wurden, warf er sich zwischen die Waggons eines Güterzugs. Als Rangiermeister konnte ihm das ja jeden Tag passieren. In einem Abschiedsbrief bat er seine Frau, seinen Vorgesetzten, den Herrn Bargel, aufzusuchen. Der solle es als Betriebsunfall bescheinigen, so dass seine Versicherungen ausgezahlt werden könnten. Das geschah auch so, bis wenige Wochen nach der Beerdigung der Bargel hier vor der Tür stand. Im Dorf hieß man das gut, dass sich die Bahn auch noch nach dem Ableben um die Angehörigen kümmere.
Ich habe ihm immer schon gefallen, er wolle mich ... sie kämpfte um Worte. Ja, ich sage es, wie er es gesagt hatte. Er wolle mich in den Arsch ficken.
Mein gerötetes Gesicht war dem Fenster zugewandt, ich wollte sie jetzt nicht ansehen müssen.
Es sei schon in Ordnung. Er kam nie wieder. Ich bin nicht daran zerbrochen – mein Mann war auch nicht gerade zart besaitet. Aber ich wollte das Geld behalten, von was hätte ich leben sollen? Die Rente ist nicht gerade üppig.
Wir sahen uns an und mir war, als müsse sie endlich ihre Abneigung auf fruchtbaren Boden werfen. Ich konnte nicht ausweichen, mußte nur schlucken.
Es war eklig, so männlich eklig. Müssen Männer das tun? Ist das der Wunsch in euch Männern? So kalt, so lieblos, so – sie rang nach einem noch aussagekräftigerem Wort – so ohne Würde und Respekt?
In einem Sonnenstrahl tanzte Staub durch die Küche, Spatzen tschilpten hinterm Haus und mir lag die Schuld wie Blei in den Gliedern.
Wem die Reben gehören, versuchte ich sie abzulenken. Das sei das Erbe ihrer Eltern, aber sie waren wertlos. Wein verkaufe sich nicht mehr und das Land könne als Bauland nicht verkauft werden. Der Hang sei zu instabil.
Ob sie keine Lust habe, den Winzerbetrieb wieder aufzunehmen.
Eine lange Pause entstand – ich ließ Wasser aus dem Hahn in die Kaffeetasse laufen, ging zum Fenster und trank in kleinen Schlucken. Sie starrte auf die leere Tasse in ihren Händen, scharrte mehrmals mit ihren Schuhen. Nach einer ganzen Weile verließ ich ihre Wohnung – wortlos und sie sah mir auch nicht nach, so tief schien sie in Gedanken versunken gewesen zu sein.
Schon am nächsten Tag klopfte sie an meine Tür, ich hatte gerade gefrühstückt und den Laptop eingeschalten. Ja, sie könne ruhig eintreten.
Ob mir nicht kalt sei bei offenem Fenster – jetzt sei es morgens schon wieder recht kühl. Sie habe sich das überlegt mit dem Weinbau. Wie ich mir das denn vorstelle.
Ich schilderte ihr meine Situation, meine Idee.
Mittlerweile saßen wir wieder in ihrer Küche, Kaffeetassen vor uns und Blätter voller Notizen.
Ja, dafür würde ich mein Geld ausgeben. Ich wollte Claude anrufen, mit dem ich in Jugendzeiten eine Weile zusammen in einer Wohngemeinschaft gehaust hatte. Er würde mir sicher helfen. Im Internet fand ich die Adresse des Weingutes seiner Eltern. Es klingelte zwei Mal, eine weibliche Stimme auf französisch Guten Tag, ja, bitte. Ob ich Claude sprechen könne. Nicht möglich, er sei vor 13 Jahren verstorben, was ich wolle. Ich bedankte mich, es sei schon in Ordnung, hängte ein.
Ob hier im Ort nicht noch ein alter Winzer wohne. Doch, der alte Berthold im ersten Haus hier in der Straße. Er habe bei ihren Eltern gearbeitet, aber er sei zu alt. Ein bisschen Ahnung habe sie ja auch noch.
Wir sprachen mit Berthold. Er war erst unwillig, kam aber dann wieder in die Gänge. Die verwilderten Stöcke trugen kaum Frucht, viele der Fässer waren defekt und die Kolben und Glasgefäße unbrauchbar. Es war mühsam, die Trauben zu treten, die Maische von Hand zu pressen. Wir reinigten, wuschen, lasen von früh bis spät, bis uns die Rücken schmerzten und nach dem Essen die Augen zufielen. Die Idee sei mir reichlich spät gekommen und manches Mal, wenn es regnete, stellte mir Berit die Frage wiederholt, was es für einen Sinn mache. Den Wein wolle doch keiner trinken.
Es sei doch egal, sagte ich, ohne es selbst richtig zu glauben. Wir müssen nicht verdienen, um zu überleben. Nach ein paar Jahren hätten wir sicherlich auch den Bogen raus, wie man die Abläufe optimal koordiniert, was wir an Hefe zusetzen können und dann würde die erste Flasche auch verkauft werden. Und – wie ein Mantra leierte ich mittlerweile den Satz in ihre Richtung – sei es wichtig, dass wir wieder einer Arbeit nachgingen, die uns Spaß mache, die einen Sinn habe, die uns eine Zukunft gebe. Natürlich ist es schwer, aber es ginge um uns. Ausschließlich um uns.
Oft nickte sie nur, lächelte aber immer häufiger.
Im November, der Himmel war grau und es roch nach Schnee, fuhren wir mit einem Nachbarn in die Stadt, um noch die notwendigen Anmeldungen vorzunehmen und das Gewerbe einzutragen. An jenem Abend saßen wir wieder in ihrer Küche, redeten, beratschlagten und träumten zum ersten Mal von einem eigenen Weinetikett. Berit lachte und ihre Wangen röteten sich.
Wo ich denn meinen Optimismus wieder gefunden habe. Hier, am Küchentisch. Bevor ich in meine Dachwohnung verschwand, legte sie kurz ihre Hände über meine, drückte sie und flüsterte ein Danke.