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Der Werbespot
Die Kulisse stand schon, als Ulrike hereinkam. Tropisch anmutende Stühle vor einem Strand-/ und Meermotiv, alles äußerst bunt und aufdringlich. Nachdem hinter ihr die schwere Eisentür wieder ins Schloss gefallen war, sah sie sich unsicher um und zupfte ihren roten Strickpullover zurecht. Niemand war da.
„Hallo?“ Keine Antwort. Sie ging ein paar Schritte und wollte sich auf einen der tropischen Urlaubsstühle setzen, als irgendwo hinten eine Tür aufflog und hektisch klackernde Schritte immer lauter wurden.
„Verschwinde, du Insekt! Was machst du in meiner Kulisse?“, sagte er mit aufgeregter, hoher Stimme. Er war offensichtlich der Regisseur des Werbespots, bei dem Ulrike mitmachen sollte: ein blumig gekleideter, geschminkter Mann mit zurückgegeltem Haar.
„Hallo, ich bin die Ulrike. Ich bin hier wegen dem Werbespot“, antwortete sie nervös auf seinen Verweis.
„Softer bunny gum?“ Seine Stimme legte noch eine halbe Oktave zu, was Ulrike aber kaum mitbekam vor lauter Aufregung. „Wegen des Werbespots… bitte?“, sagte sie verwirrt.
Eine Weile sahen sie sich einfach stumm an.
Der hektische Mann versuchte es noch einmal.„Bist du unser softer bunny gum – Girl?“
„Ich, äh, glaube schon“. Ihr letztes Wort ging in einem unerwarteten Gekreische seinerseits unter. „Ahh, sie ist da!“ Bevor Ulrike wusste, wie ihr geschah, stand er direkt vor ihr und küsste sie immerzu auf die Wangen. „Bussi, Bussi, wie schön, Schätzchen.“ Er drehte sich ruckartig um… „Hasen, wir können, Marco, Jenny-Schatz, hop hop!“, … und wieder zu ihr zurück. „So, Darling, Hase, sag mir doch erst mal deinen Namen. Bussi“. Er küsste sie noch drei weitere Male. Ulrike grinste wirr, weil sie nicht wusste, was sie sonst hätte tun sollen, und sagte „Ulrike. Sandmann, Ulrike Sandmann.“
„Ein Traum, Uli! Darling, Bussi“. Dieses Mal sagte er es zwar, küsste sie aber nicht. „Ich bin der Josef, aber nenn mich ruhig Chossè“. Offensichtlich, um sein spanisches Temperament zu betonen, schüttelte er beim letzten Wort Kopf und Oberkörper.
Im Hintergrund tauchten zwei weitere Personen auf und gingen gelangweilt zu ihren Plätzen einige Meter vor der Kulisse. Als Josef/Chossè sie bemerkte, klatschte er vor Freude in die Hände. „Das hier ist Marco, der Maskenbildner bussi Schatz und das ist die traumhafte Jenny küss die Hand. Sie macht Licht und Outfits.“
Ulrike brachte nur ein gepresstes „Tag“ hervor und nickte den beiden unsicher zu, was jedoch weder Marco noch Jenny beachtete. Dann fing der hektische Mann vor ihr wieder zu sprechen an. „Also, du weißt ja vom Casting noch, worum es geht. Wir machen hier den Spot für den softer bunny gum und brauchen das Ding heute im Kasten. Wie haben nur zehn Minuten, Termine, Schatz, Termine, so let the show begin, Darlings. Bussi“. Er drehte sich erneut ruckartig um ging affektiert zu seiner Kamera.
„Action!“
Ulrike stand unsicher in der Kulisse herum und wusste nicht, was sie tun sollte. „Ich hab den Text nicht bekommen…“
„Quel Maleur! Jenny, sag ihr den Text“. Josef/Chossè sah ungeduldig auf seine Armbanduhr.
„Bunny gum, mmh, bunny gum, der dopeste stuff in town. Jetzt noch softer“, schmatzte Jenny gelangweilt durch die gelipglossten und gebotoxten Lippen.
„Gut, hast du es, Schatz?“, fragte Josef/Chossè. „Wie heißt du überhaupt, Hase?“
„Sandmann, Ulrike“, antwortete Ulrike noch einmal.
„Ein Traum… Fertig? Action!“ Das rote Licht ging an und die Kamera fing Ulrike ein, die noch immer in Alltagskleidung ratlos in der Kulisse herumstand. „Ähm, Bunny gum, mmh,… softer, genau, jetzt noch softer…“ Plötzlich dröhnte ein ohrenbetäubendes Jingle („BUNNY GUM LECKER LECKEEER“) aus irgendwelchen Lautsprechern und Ulrike erschrak.
„Klasse, Daarling, das war spitze. Wir machen’s gleich noch einmal. Noch mal Text? Marco…?“
„Bunny gum, mmh, bunny gum, der dopeste stuff in town. Jetzt noch softer.“
Ulrike fand, es sei höchste Zeit, etwas wichtiges anzumerken. „Ich kann kein Englisch“, sagte sie, worauf Josef/Chossè mit einem schmissigen „Und Action!“ antwortete und das rote Licht erneut aufleuchtete.
Ulrike wünschte sich, sie wäre ganz weit weg. „Bunny gum, mmmh, bunny gum, der… was? Der doofste Stoff in Taun!“
„Jetzt noch softer, Darling“, warf Josef/Chossè ein. Das Jingle ertöne wieder.
„Dopeste…“, kommentierte Jenny gelangweilter denn je. Auf seine spanisch temperamentvolle Art wirbelte der hektische Regisseur herum und schoss im klarsten Falsett ein scharfes „Was?!“ in ihre Richtung.
„Na, sie hat doofste gesagt. Es muss aber dopeste heißen.“
„Das ist jetzt in“, bestätigte Marco.
„Dope ist das neue cool…“ Damit war die Diskussion für Jenny erledigt.
Josef/Chossè wandte sich wieder in die Richtung der Hauptakteurin. „Ja, das weiß unsere…“, er hielt kurz inne, „Wie heißt du eigentlich, Darling?“
„Sandmann! Ulrike Sandmann, aber das habe ich Ihnen…“ Weiter kam sie nicht.
„Ein Traum! Das weiß unsere Uli auch, nicht wahr, Hase? Bussi!“
„Ich sagte doch, dass ich kein Englisch kann. In der Annonce stand auch, dass…“
„Du musst ein bisschen mehr posieren, Schatz! Das war schon ganz prima, aber guck dir die Kulisse an. Du musst ein bisschen mehr spanisches Feuer zeigen“, rief er zu ihr hinüber, während er sich ein weiteres Mal schüttelte. „Alles klar?“
„Ähm, noch nicht so g…“
„Und Action!“
Ulrike setzte wieder ihr wirres Grinsen auf und versuchte es auf gut Glück „Bunny gum… mmh, Bunny gum, der dopeste Stoff in Taun, jetzt noch softer?“, fragte sie mehr als das sie es sagte und machte dabei gelegentlich ruckartige Bewegungen, die davon zeugten, dass sie mit spanischem Feuer nicht viel anzufangen wusste. Wieder der Jingle.
„HASE! Das war göttlich… Bussi! Aber noch ein bisschen mehr Bewegung. Wie wär’s, wenn du dich auf den Boden kniest? Da könntest du im Sand wühlen…“
Sie sah sich um. „Hier ist kein Sand“, stellte sie fest.
Von hinten meldete sich Marco zu Wort: „Wird alles rein montiert.“
„Sag mal, soll die Alte nicht noch ein bisschen geschminkt werden?“, maulte Jenny, die offensichtlich genug vom Rumsitzen hatte.
„Keine Zeit. Termine, Schatz, Termine. Fertig? Und Action!“
Ulrike kniete sich auf den Boden und griff mit den Händen im Leeren zu ihren Beinen herum, als wühlte sie im Sand. „Mmh, lecker, Bunny gum, der dopeste Stoff in…“
„Ne, Freunde, so geht’s nicht. Du warst ganz prima… ähm, wie ist eigentlich dein Name, Hase?“
Ulrike atmete tief ein. „Mein Gott, das hab ich doch jetzt schon… Sandmann!“ Und noch einmal extra langsam und deutlich: „Ulrike Sandmann!“
„Darling, ein Traum, also, du warst ganz prima, Uli!“
„Ulrike!“
„Aber du musst kauen, Schatz! Es geht ja hier um Kaugummi. Bunny gum“ Der Jingle ertönte erneut ohrenbetäubend laut. „Huch? Leute, Konzentration. Also Darling, alles wie besprochen. Und Action…!“
Ulrike kaute. „Bunny gum… mmh…“
„Ne, aus! Kauen war ganz prima, Hase, aber gebt ihr doch noch den Tischtennisball. Dann sieht’s noch echter aus.“
Langsam schälte sich Jenny aus ihrem Stuhl und brachte Ulrike den Ball. „In den Mund stecken“, murmelte sie und war schon wieder auf dem Rückweg.
„So, Freunde, Action!“
Ulrike steckte sich den Tischtennisball in den Mund, was ihre Sprechfähigkeit extrem einschränkte. „Bunny gum, mmmh, bunny gum…“
„Graben, Hase, graben!“
Sie begann wild in der Gegend im Nichts zu graben, kaute und nuschelte: „der dopeste Stoff in Taun. Äh, mmmh…“ („BUNNY GUM, LECKER LECKEEER“)
Josef/Chossè sprang in die Luft. „Klasse, Hase! Ja! Wir machen noch ein letztes Mal und dann sitzt es.“
Nun stand Marco plötzlich auf und ging auf Ulrike zu. Von irgendwoher hatte er ein Hawaii-Kette gezaubert, die er ihr galant über den roten Strickpulli warf.
„Und einfach vom Stuhl rutschen und dich räkeln… wie besprochen, Darling!“, sang der Regisseur fast.
„Vom Stuhl?“
„Action!“
Ulrike blickte hinter sich, zuckte mit den Schultern und setzte sich dann auf einen der beiden Stühle. Währenddessen grub sie bereits vergeblich im Nichts und sprach noch immer mit dem Tischtennisball im Mund: „Mmh, bunnygum, lecker!“ Das Jingle platze hinein „Mmmmh…“, schmatzte sie, rutschte unbeholfen vom Stuhl und wälzte sich grabend und nuschelnd auf dem Boden. Alles geriet ihr durcheinander.
„Ja, wälz dich, ganz prima“, rief der glückliche Josef/Chossè ihr glucksend zu.
„Ähm, Bunnygum, der dopeste stuff in town, jetzt noch softer! Mmh“ („BUNNY GUM, LECKER, LECKEEER“)
Nun gab es kein Halten mehr für den Regisseur. Begleitet von „Hase!“ und „Bussi!“ stürmte er auf sie zu, küsste sie und nahm ihr Gesicht in beide Hände, wobei ihr der Tischtennisball aus dem Mund fiel. „Grandios, was meint ihr? Jenny? Marco?“
Die beiden kamen langsam nach vorne gelaufen.
„Hab ich schon besser gesehen“, murmelte Jenny gleichgültig.
„Wird alles reinmontiert“, erklärte Marco.
Josef/Chossè nickte zustimmend „Auf jeden Fall, du wirst ein großer Star,… wie heißt du eigentlich?“
Sehr laut und langsam antwortete Ulrike Sandmann: „Ulrike Sandmann.“
„Klar“, meinte Josef/Chossè, „bleibt sofort hängen… ein Traum!“