Der Wettkampf
Ein beißender Chlorgeruch liegt in der Luft, wie es nur in Hallenbädern ist. Trainer brüllen unverständliche Sachen, Organisatoren laufen umher und versuchen Ordnung in das Chaos zu bringen, Mädchen und Jungen in Badeklamotten wärmen sich auf. In mitten diesem Chaos stehe ich und schaue nur zu. Aufgewärmt bin ich längst schon. Bei diesem Schwimmwettkampf soll ich als letzte in der Staffel starten. Ich kann die eifersüchtigen und wütenden Blicke der anderen förmlich spüren. Irgendwie bin ich stolz, dass ich so eine Aufgabe zugeteilt bekommen habe. Und gleichzeitig ist da diese unfassbaren Angst. Die Angst zu versagen. Nicht schnell genug zu sein. Zu verlieren. Ein riesengroßer Druck lastet auf mir, der mir die Luft zum Atmen nimmt. Ein Organisator schiebt mich zu meinem Team, das sich schon bei der Bahn versammelt hat. Mein Trainer ruft allen ermutigende Sprüche zu, doch ich kann sie kaum verstehen. Da ist nur das Rauschen in meinen Ohren. „Was ist heute eigentlich mit mir los? Reiß dich mal zusammen!“, schimpfe ich mich. Klar bei den letzten Wettkämpfen in den Wochen davor war ich auch nervös, aber es war noch nie so wie heute.
Dann geht es los. Die ersten beiden aus unserem Team starten, ohne dass ich es mit bekomme. Auf einmal schwimmt das Mädchen vor mir los und reißt mich aus meiner Trance. Benommen steige ich auf den Startblock. Mein Team liegt etwas vorne, eigentlich werden wir gewinnen wenn ich auch nur so gut schwimme wie die anderen. Doch plötzlich ist wieder diese Angst da. Ich bekomme keine Luft mehr. Meine Muskel verkrampfen sich in der Haltung. Mein Sichtfeld verschwimmt, alles verschwimmt vor mir. Nur noch mein lautes, viel zu schnell pochendes Herz nehme ich wahr. Ich bemerke nicht, wie das Mädchen vor mir anschlägt. Nichts nehme ich wahr, bis der Trainer mich plötzlich anbrüllt, dass ich endlich losschwimmen soll. Meine Muskel spannen sich an, reflexartig springe ich ins Wasser. Die anderen Teams sind schon viel weiter vorne als ich. Ich habe so viel Zeit verloren! Ein leises Schluchzen steigt in mir auf. Schneller, schneller, SCHNELLER!!! Sporne ich mich an! Da, sie erste überhole ich, dann die zweite und die dritte. Doch dann geht es nicht mehr. Die Ende scheint mir unerreichbar, meine Muskel zu schwach. Ich versuche alle aus mir rauszuholen, doch es reicht nicht. Schnell hole ich Luft, doch ich verschlucke mich halb und versuche ein Husten zu unterdrücken. Die erste schlägt an, die zweite. Endlich habe auch ich das Ende der Bahn erreicht. Mit letzter Kraft schlage ich an. Halb hustend klettere ich nach einer gefühlten Ewigkeit mit zitternden Muskeln aus dem Becken. Alle schauen mich böse an. Eine meint in einem beißendem Ton: „Wegen dir haben wir verloren! Unser ganzes Team ist wegen dir DRITTER geworden! Wir lagen ganz vorne und du musstest nur das Tempo halten! Aber nein, das war zu viel für dich! Du hast einfach den Start verpasst!“ Alle wenden sich vor mir ab, nur noch mein Trainer mustert mich mit seinen kalten blauen Augen. Alles wird auf einmal zu viel für mich. Ich renne aufs Klo und sperre mich da in der Kabine ein. Ich bin total verwirrt. Eigentlich hätte ich erwartet, dass ich nur noch enttäuscht und wütend auf mich bin. Und das stimmt auch, zum einen bin ich frustriert und traurig, ja, schrecklich traurig. Doch zum anderen bin ich auch irgendwie….erleichtert. Ich werde nie mehr als Letzte schwimmen dürfen, aber das heißt auch, dass ich nie wieder diesen Druck, diese Angst spüren muss! Die Last, die vorher so erdrückend auf meinen Schultern lag, ist verschwunden.
Vielleicht, denkt einen leise Stimme in mir, war es einfach an der Zeit zu erkennen, dass man nicht jedes Wochenende auf fünf Wettkämpfen sein muss. Dieser Druck, den ich immer bei Wettkämpfen gespürt habe, ist auf einmal weg. Ich glaube, ich habe gerade einfach erkannt, dass ich nicht die ganze Zeit versuchen muss die Beste zu sein. Es ist auch okay, wenn man mal nicht die Erste oder die beste wurde.
Nach dem verlorenen Wettkampf geht es mir seltsamerweise auf einmal viel besser als davor.