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Der Zauberer in Stockholm

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19.05.2015
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Der Zauberer in Stockholm

Sie richten mir Grüße aus. Ich kann die Tränen nicht aufhalten, weine, um zu verstehen, um den Druck zu verringern, der sich auf die Seele gelegt hat. Wer nicht weint, hat sich selbst verloren. Der Zauberer besitzt keine Tränen, ein Defekt, den er gar nicht wahrnimmt. Wenn er mich bemerkt, starrt er mich an, als würde er einen Dämon sehen. Sobald er sich gefasst hat, zeigt er das Zaubererlächeln, entrückt, nach innen gerichtet, das eine Seele zeigt, die niemand anderen braucht, als sich selbst. Er beneidet mich, ja er beneidet mich. Um ein Leben, das er gern geführt hätte, anstatt berühmt und durchschnittlich zu werden.
Manchmal hasse ich ihn, manchmal bete ich ihn an.

Nach zwei Wochen Salzgeschmack am Gaumen, Dieselgeruch in der Nase, kamen sie im Hafen von Stockholm an. Er stand mit Frau und Tochter an Deck. An der Hafenpromenade blühten die Lindenbäume. Der Zauberer trug eine gestreifte Harvard-Krawatte, hielt den Hut in der einen Hand, nahm Katia an die andere. Ihre Haare schimmerten schwarz wie poliertes Leder. Sie überquerten den Steg. Auf dem Kai lagen Fischernetze und verrostete Eisenstücke. Eine Limousine stand an der Ecke, zwei Männer in Livreen davor. Katia fuchtelte mit den Armen und winkte sie herbei.

Wann war er zuletzt hier gewesen? Als der Zauberer das Grandhotel betrat, schaute er sich um. In den Ecken und Fugen, dem Holz der Möbel, dem Gemäuer selbst, schienen sich Hoffnungen und Ängste von Menschen zu verbergen, die hier zeitweise ein Zuhause gefunden hatten. Die Suite ging zum Hafen hin. Während die Frauen auf dem Balkon plauderten, öffnete er die Schnallen des Reisekoffers. Unter dem Kleiderstapel befanden sich Kladden mit Notizen zu den literarischen Projekten, fein säuberlich getrennt, ganz unten das Tagebuch. Er stellte den Tintenbehälter auf den Schreibtisch, legte den Federhalter daneben, setzte sich, schlug das Tagebuch auf und schrieb ein paar Worte. Dann klappte er das Buch zu und verstaute es unter der Leibwäsche. Er fühlte sich leicht, voller Vorfreude auf die Heimat, den alten Kontinent.

Eri fragt mich, ob ich nach Stockholm kommen könne, um die Tour zu begleiten. Ich stelle mir vor, wie der Zauberer Vorträge hält, das Goethe-Jahr feiert, sich selbst im Licht des Dichterkönigs spiegelt, während ich danebenstehe, Hände schüttle. Ich, der Sohn, der Nachkömmling der Großschriftstellerdynastie, das Licht, das noch aufgehen könnte.
Ach, wenn ich mein Leben wie ein Schmetterling leben, sorglos von Blüte zu Blüte flattern könnte. Ich kann’s nicht, ich kann’s nicht!
Die Heimat liegt in Trümmern und die Zukunft ist ungewiss. Einige Verbrecher sind tot, andere verstecken sich, streicheln über ihre Zyankalikapseln und glauben, dass sie davonkommen werden. Was bleibt mir nun? Wenn der Sieg errungen ist, wartet die Leere. Für den Zauberer fängt das Leben erst jetzt wieder an. Er wird sich im Glanz des Ruhms sonnen.

Der Zauberer seufzte, dachte an Pagenuniformen, Lübecker Backsteinhäuser, den Bart seines Bruders Heinrich, das Grün der Wiesen am Tegernsee, Berggipfel, Frauenlachen, Felix Krull. Er schloss die Augen und versuchte die Bilder zurückzudrängen, zu einem einzigen zu verdichten, einen Traum zu erleben, in dem er glücklich war, richtig glücklich. Dann nickte er ein. Er wachte durch die Stimmen Katias und Erikas auf, öffnete die Augen, erhob sich sofort, bemerkte die Fröhlichkeit der beiden und stellte sich im Unterhemd auf den Balkon. Ein Vogel setzte sich für einen Moment auf die Brüstung, flog weg und flatterte zu den Dächern empor.
Erikas Paillettenkleid warf das Licht der Kronleuchter zurück in die Glitzerwelt des Speisesaals. Ein paar Gäste saßen verstreut an ihren Tischen.
Der Maître stellte eine Champagnerflasche auf den Tisch. Die Gläser klirrten, schienen jauchzende Töne zu erzeugen. Sie fingen an, Anekdoten zu erzählen, Lustiges über den Kaiser, Dichterkönige und den dicken Bauch des Dienstmädchens in München, der sich als Schwangerschaft entpuppte. Katia lachte am lautesten. Der Zauberer rieb sich beim Lachen die Augen. Als Kraftbrühe serviert wurde, tauchte er den Löffel in die Suppe und beugte beim Essen den Kopf.

„Ich mag die Suppe, sie schmeckt anders als in Amerika“, sagte Erika irgendwann.
„Bald sind wir wieder in Deutschland“, sagte Katia. „Ich glaube, alles, alles hat sich geändert.“
„Die Menschen sind geblieben, die Kultur, das alte Deutschland.“
„Täusch dich da mal nicht, Thommy, es ist genug Dreck übrig. Irgendwann kriechen die Bestien wieder unter den Trümmern hervor.“
„Ach, sie haben so viele mit ins Verderben gerissen, so viele“, sagte Katia.
„Deshalb bin ich hier, um das Goethe-Jahr zu feiern. Es muss schließlich einen Anfang nach dem Ende geben.“
Die Hauptspeise wurde gebracht und unter Verbeugungen auf den Tisch gestellt. Der Sommelier entkorkte eine weitere Flasche.
Sie aßen still, bis Erika das Besteck für einen Moment beiseitelegte: „Ich möchte so gern nach München fahren.“
„Eri, tut mir leid, das lässt der Zeitplan nicht zu“, sagte Katia
„Die Goethe-Reden sind doch erst im August.“
„Und bis dahin folgt ein Termin auf den anderen. Ich brauche dich, Eri“, sagte der Zauberer.
Erika schwieg und steckte sich den Bissen mit Schwung in den Mund.

Die Sonne scheint draußen so sanft, keine Gluthitze, kein Mistral, eine zärtliche Wärme, ein Strahlen, das sich über die Gemüter legt. Ich müsste mich auf die Frühlingsstimmung einlassen und kann’s doch nicht.
Das Zeug hilft nicht mehr. Ich muss die Dosis erhöhen, damit der Seelenschmerz nicht überhand nimmt. Mein Liebster meldet sich nicht. Er ist ohne Abschied gegangen. Seither suche ich nach seinen Küssen. Ich werde zum Markt gehen, sobald ich es schaffe, aufzustehen, Feigen, Aprikosen und Pfirsiche kaufen. Ich habe Hunger, so großen Hunger.

„Wie findet ihr den Felix Krull, als Charakter, meine ich?“, fragte der Zauberer.
„Wie kommst du darauf?“, fragte Erika.
„Er reist ja gern. Ich schreibe am zweiten Band.“
„Der Krull hat gar nichts von dir.“
„Das finde ich nicht. Aber Krull muss ja auch nichts von mir haben.“
„Ach, du …“, mischte sich Katia ein und lachte so laut, dass die Leute am Nebentisch aufschauten. Dann nahm sie das Glas in die Hand:
„Auf die Freiheit, die Kunst und die Heimat!“

Als sie die Gläser wieder abgestellt hatten, betrat der Direktor den Saal. Der Schwalbenschwanz des Cutaways zitterte. Auf den Lackschuhen spiegelten sich Lichtblitze. Er hielt einen Umschlag in der Hand.
„Ein Telegramm, Herr Professor!“
Der Zauberer nahm den Umschlag entgegen, runzelte die Stirn, las seinen Namen, Herrn Professor Thomas Mann, Stockholm. Er beschloss, einen kurzen Blick auf den Inhalt zu werfen. Katia und Erika beugten ihre Köpfe zueinander, kicherten leise, während er das gefaltete Telegramm aufklappte. Was er las, drang langsam ins Bewusstsein. Als er verstanden hatte, welche Nachricht ihn erreicht hatte, versteckte er den Inhalt in einen Winkel des Verstandes, wo er eine Weile ausruhen konnte. Dann legte er das Blatt umgekehrt auf den Tisch, bedeckte es mit der Serviette und aß das restliche Fleisch. Als es nichts mehr zu kauen gab, legte er das Besteck beiseite und richtete den Blick auf Frau und Tochter.

Er liebte Katias Haare, so samtschwarz wie ihre Seele. Ihr Lachen, ihre Klugheit, alles liebte er. Und Eri? Die Verbindung zu Klaus war so eng. Er seufzte. Dieser eine Moment, wenn der Blitz einschlägt, die Erde bebt, die Füße zittern, die Erde nachzugeben scheint, schließlich weggleitet und das Licht erlischt, als hätte man den Schalter umgelegt, dieser eine Moment, der alles veränderte, stand jetzt bevor. Er war kein Zauberer. Warum musste er diese Last tragen?
„Schlimme Nachricht!“ Er wollte einen weiteren Satz formen, aber es gelang ihm nicht. Er reichte das Stückchen Papier Erika.
Seine Tochter hielt das Telegramm zwischen Daumen und Zeigefinger, las, verstand, streichelte über die Ränder. Jeglicher Glanz verschwand aus ihren Augen. Der Zauberer schaute weg. Erikas Blick brach. Sie wandte sich ihrer Mutter zu, flüsterte ihr ins Ohr, nahm sie in die Arme und drückte sie fest an sich. Katia klammerte sich an ihre Tochter, löste sich irgendwann, verbarg das Gesicht in den Händen, schrie auf, stieß Laute aus, die der Zauberer nie zuvor von ihr gehört hatte. Die Männer am anderen Ende des Saals schauten auf. Der Sommelier flüsterte einem der Pagen etwas ins Ohr.

Der Zauberer richtete den Blick zu einem imaginären Punkt an der Decke. Die Hände lagen auf den Knien, während er in seine eigene Welt glitt und alle Geräusche, die ihn umgaben, erstarben. Ein Bilderstrom setzte ein, Erinnerungen an Klaus, sein Kindergesicht. Vielleicht hing alles mit den Dämonen der Familie zusammen, war das Hysterische, Überspannte eine Veranlagung, der ein MANN nicht entkommen konnte. Die Schwestern waren daran zugrunde gegangen. Nur wer die Krankheit unter Kontrolle hielt, die dunklen Gedanken versteckte, entkam, auch wenn der Preis hoch war. Vor seinem inneren Auge formten sich Sätze, die er in sich drin wie ein Gebet wiederholte, um ihnen Kraft zu verleihen: Wie konnte er seiner Mutter und seiner Schwester das antun! Wie konnte er nur! Was bildete er sich ein! Warum! Warum? Warum!

Er löste sich aus der Erstarrung, als der Direktor am Tisch stand:
„Kann ich etwas für Sie tun, Herr Professor?“
„Es gab einen Trauerfall in der Familie. Wir müssen uns beraten.“
„Tut mir sehr leid. Wenn ich irgendwie behilflich sein kann …“
„Wir kommen zurecht.“
„Whiskey, bitte!“ Über Erikas Gesicht liefen Tränen, als sie aufschaute.
Der Direktor schnippte mit den Fingern, der Sommelier eilte herbei.
„Und lassen sie das Dessert servieren.“ Der Zauberer befeuchtete die Lippen, und betrachtete die Bratensoßenflecken auf der Serviette.
Der Direktor verbeugte sich: „Ich stehe zu Ihrer vollen Verfügung.“ Dann drehte er sich weg und schritt wie ein Soldat aus dem Saal.
„Wie konnte er euch das nur antun!“, murmelte der Zauberer und schüttelte den Kopf. Katia trocknete die Tränen, starrte ihn an und vergrub das Gesicht in den Händen.
„Wir reisen ab! Gleich morgen.“
Katia schwieg und weinte. Erdbeeren mit Sahne und Eis wurden serviert, eine Flasche Whiskey auf den Tisch gestellt.
„Wo kann ich hier ein Ferngespräch führen?“, fragte Erika den Kellner und stand auf. Ihre Mutter folgte ihr.

Der Zauberer starrte ihnen hinterher und murmelte: „Wie konnte er euch das nur antun!“ Er tippte mit den Fingern auf den Tisch. Die Erdbeeren strahlten so rot. Er nahm die Gabel, stach zu, führte die Frucht zum Mund. Er stellte sich die Promenade von Cannes vor, den Regen, der dort fiel, den Sohn, der ohne Schirm voranschritt, das Sakko, das an ihm festklebte. Neben ihm ging ein anderer Mann, ein junger Kerl. Klaus beschleunigte die Schritte, der andere Mann folgte, bis sie den Hauseingang erreichten. Die zwei Männer schüttelten sich und verschwanden im Hauseingang. Wie herrlich es doch wäre, die durchnässten Kleider abzustreifen und die Haut trocken zu rubbeln. Der Zauberer sehnte sich nach der Leichtigkeit der Jugend. Das Schicksal hatte ihn zum Gefangenen eines vorgefertigten Tagesablaufes verurteilt. Er steckte sich ein Stück Eis in den Mund, wartete darauf, dass es schmolz und sich der Vanillegeschmack ausbreitete. Als er die Augen öffnete, aus dem Fenster schaute, bemerkte er den Mond am Himmel, die Sichel. Die beiden blieben lange weg. Der Zauberer tippte auf den Tisch, um die Wut zu bezähmen. Ein Schatten legte sich auf seine Rückkehr nach Europa. Unverzeihbar sein Handeln, unverzeihbar! Was bildete sich Klaus ein?

Sie kamen zurück, Katia gebeugt, eine alte Frau, Erika aufrecht, ein Feuerschwert.
„Ich habe mit André gesprochen. Es stimmt!“
„Wie konnte er nur?“ Der Zauberer schüttelte den Kopf. „Setzt euch! Wir müssen uns etwas einfallen lassen.“
Erika schaute ihren Vater an, öffnete den Mund, brachte keinen Ton heraus. Katia lehnte sich an sie. Erika füllte die Whiskeygläser bis obenhin.
„Wir müssen die nächsten Schritte planen. Er hat sich gerichtet, wie seine Tanten, ein Familienfluch, der Überschwang, das Extreme. Ich weiß nur eins: wir können nicht nach Frankreich fahren. Nicht jetzt“, sagte er.
„Gerichtet? Er hat gelitten! Gegen Dich kam er nicht an. Niemals!“, sagte Erika.
„Er hätte einer schöneren Berufung folgen müssen, Arzt, Architekt, von mir aus Schauspieler oder wenn schon künstlerisch, dann Regisseur“, sagte der Zauberer.
„Klaus hatte Begabung.“
„Du weißt sehr gut, was ich meine. Man kommt nicht dagegen an.“
„Du warst eifersüchtig auf ihn?“
„Aufhören, bitte!“, zischte Katia. „Wir müssen einen Entschluss fassen, das ist alles. Und wir müssen uns einig sein. Trotz des Schocks. Trotz des Schmerzes. Er ist nun mal tot.“
„Und die Beerdigung?“, fragte Erika.
„Findet ohne uns statt. Leider. Es geht nicht. Wir müssten alle anderen Verpflichtungen absagen“, sagte Katia mit fester Stimme.
Der Zauberer schenkte Whiskey ein: „Wir können dem Eisi nicht mehr helfen.“ Er sprach leise, trank das Glas auf einen Zug.
„Ich kann nichts mehr denken“, sagte Erika.

Der Zauberer wird wüten, wenn er erfährt, dass ich mich endgültig zugrunde gerichtet habe. Aber das ist mir egal. Ich begebe mich in die Nebelwelt, hoffe auf Liebe, um zum Kern zu gelangen, zu erfahren, wer ich bin, ich ganz alleine, ohne Namen, ohne Familie, ich als Konzentrat meiner eigenen Persönlichkeit, ich am Ende meiner Möglichkeiten, ein Egoist vielleicht, aber einer, der keine andere Wahl mehr hat. Um die Schatten zu überwinden, trinke ich das Glas des Lebens bis zur Neige, schlürfe den letzten Rest aus.

In der Suite ließ der Zauberer sich in den Sessel sinken und schloss die Augen. Er glitt in das Traumreich, das er sich seit der Kindheit gebastelt hatte, um zu überleben. Er blieb nicht lange dort, es gab kein Entrinnen. Die Welt der klaren Konturen wartete, die Vernunft. Klaus, Klaus. Er hätte ihn warnen müssen. Die Dämonen waren zu mächtig. Er konnte nichts dafür. Einen Augenblick lang überlegte er, wie es wäre, alles abzubrechen, nach Amerika zurückzufahren. Aber das war eine Illusion, unmöglich. Er musste Haltung bewahren. Wer, wenn nicht er?
Er nahm die Kladde zur Hand, den Federhalter, wollte ungefiltert schreiben, was ihm durch den Kopf ging, ordnen, was durcheinandergeraten war. Trotzdem schreckte er davor zurück, die Sätze zu formen, die hinterher endgültig, wie gemeißelt schienen, etwas beschreiben sollten, für das die Worte gewogen werden mussten.

Er seufzte und fing an zu schreiben:
„Bei Ankunft im Hotel schwerster Chock. Telegramm…Mitteilung seines Todes. Langes Beisammensein in bitterem Leid. Mein Mitleid innerlich mit dem Mutterherzen und E. Er hätte es ihnen nicht antun dürfen. Die Handlung selbst offenbar von ihm selbst unerwartet geschehen, mit Schlafkapseln, die er aus einer New Yorker Drogerie bezog. Sein Aufenthalt in Paris verhängnisvoll (Morphium). Viel über ihn und über den von langer Hand unwiderstehlich wirkenden Todeszwang. Das Kränkende, Unschöne, Grausame, Rücksichts- und Verantwortungslose. Beratung auch über unsere Reisezukunft, ob alles abzubrechen und direkte Heimkehr geboten. In völliger Erschöpfung gegen 2 zu Bett.“ (Tagebucheintrag Thomas Mann vom 21. Mai 1949)

Während er schrieb, rann eine einzelne Träne über die Wange des Zauberers. Er spürte den Windhauch, der beim Zuklappen des Buches entstand, öffnete den Koffer und legte die Kladde dorthin, wo er sie immer verstaute, zwischen die Bücher, weit unten.

 

Ich hatte den ursprünglichen Text vor einer Weile gelöscht, weil ich ihn überarbeiten und vor allem kürzen wollte. Die erste Version war viermal so lang.

 

Lieber @Isegrims

ich habe Deine Geschichte sehr gerne gelesen. Sie ist flüssig geschrieben, hat etwas Mysthisches und erzeugt wunderbares Kopfkino. Einige Dinge habe ich nicht verstanden, obwohl ich teilweise dann nochmal drüber gelesen haben.

Hier ein paar Anmerkungen:

Um ein Leben, das er gern geführt hätte, anstatt berühmt und durchschnittlich zu werden.

Wie kann man berühmt und doch durchschnittlich sein? Ist das nicht ein Widerspruch in sich?

Nach zwei Wochen Salzgeschmack am Gaumen, Dieselgeruch in der Nase. kamen sie im Hafen von Stockholm an.

Da ist ein Punkt zu viel.

Die Hauptspeise wurde gebracht und unter Verbeugungen auf den Tisch gestellt. Der Sommelier brachte eine weitere Flasche.

Wortwiederholung

Der Schwalbenschwanz des Cutaways zitterte. Auf den Lackschuhen spiegelten sich Lichtblitze.

Das Wort passt nicht recht in den "alten" Text. Hat man das damals wirklich so gesagt?

Der Zauberer nahm den Umschlag entgegen, runzelte die Stirn, las seinen Namen, Herrn Professor Thomas Mann, Stockholm.

Vorschlag:
Der Zauberer nahm den Umschlag entgegen, runzelte die Stirn, las seinen Namen: Herrn Professor Thomas Mann, Stockholm.

Das mit dem Zauberer ist im übertragenen Sinn gemeint, oder?

„Wie konnte er euch das nur antun!“ murmelte der Zauberer und schüttelte den Kopf.

Warum hast Du hier ein Ausrufe- statt ein Fragezeichen?

Katia wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, starrte ihn an und vergrub das Gesicht in den Händen.

Wortwiederholung

Katia schwieg, während Tränen über ihre Wangen liefen.

Das mit den Tränen hattest Du oben schon.

„Wie konnte er euch das nur antun!

Hier auch wieder Ausrufe- statt Fragezeichen.
Und ich frage, mich, warum er sagt "euch" - schließlich hat Klaus es auch ihm angetan.

„Gerichtet? Er hat gelitten! Gegen Dich kam er nicht an. Niemals!“, sagte Erika.

... dich

„Bei Ankunft im Hotel schwerster Chock.

Meinst Du Schock?

Sobald er sich gefasst hat, zeigt er das Zaubererlächeln, entrückt, nach innen gerichtet, das eine Seele zeigt, die niemand anderen braucht, als sich selbst.

Den Eindruck erweckt er bei mir gar nicht. Ich habe das Gefühl, dass ihm Frau und Tochter sehr wichtig sind. Über die Beziehung zum Sohn wird nicht so viel klar. Er hasst ihn, weil er schwul ist?

Es tut mir leid, dass ich manches nicht verstanden oder gar fehlinterpretiert habe.
Die Geschichte hat mir dennoch gut gefallen.

Liebe Grüße,
Silvita

 

Hallo @Isegrims,

deine Geschichte lässt mich bedrückt zurück. Ich habe sie in einem Zug gelesen, konnte und wollte nicht aufhören. Mir bleibt der Eindruck, dass ich so etwas bislang noch nicht häufig gelesen habe. Die gesamte Geschichte erfordert von mir als Leser höchste Konzentration, die Anspielung mit dem Zauberer und Thomas Mann, die kursiven Sätze, die erst am Ende als Telegramm aufgelöst werden und Dialoge, die nicht für den Leser, sondern für die Rollen der Geschichte geschrieben sind. Ich habe im Jubelthread gelesen, dass du die Geschichte stark gekürzt hast. Ehrlich gesagt, hätte ich gerne mehr gelesen. Diese bedrückende Stimmung und die Anspielungen, die in mir Erwartungen auslösen (auch wenn ich längst nicht alle verstehe, weil es mir da noch an Bildung fehlt) haben es mir angetan.

Ich wünsche dir jedenfalls viel Erfolg, drücke die Daumen und bin froh, dass du die Geschichte noch mal hochgeladen hast.


Beste Grüße
MRG

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Isegrims,
die gelöschte Langfassung deiner Geschichte habe ich vor Monaten leider nicht gelesen, aber der vorliegende gekürzte Text hat mich in seinen Bann gezogen.
Die erfundene, aber realistisch wirkende Handlung setzt bei der Ankunft der Familie Mann in Stockholm an und endet mit der Reaktion auf den Suizid des Klaus Mann.
Diese fabulierten Handlungssequenzen zwischen authentischen Notizen der Protagonisten zeigen bedrückend und berührend die Diskrepanz zwischen den Seelennöten des Sohnes und dem empathielosen Gehabe des Vaters.
"Wie konnte er euch das nur antun!"
Er selber nimmt sich aus, lässt den Tod seines Sohnes nicht an sich heran.

Es ist dir gelungen, die Notizen so mit fiktiver Handlung zu verquicken, dass das Fabulierte den „Menschen Thomas Mann“ hinter der Fassade seiner Berühmtheit hervorlockt und das Image des vielfach als Literaturgott Gepriesenen entzaubert.
Du zeigst seine Eitelkeit, die Egozentrik, die aufgesetzte Disziplin, die Unfähigkeit, sich eine Schuld am Versagen und am Freitod des Sohnes einzugestehen.

Vielleicht hing alles mit den Dämonen der Familie zusammen, war das Hysterische, Überspannte eine Veranlagung, der ein MANN nicht entkommen konnte. Die Schwestern waren daran zugrunde gegangen. Nur wer die Krankheit unter Kontrolle hielt, die dunklen Gedanken versteckte, entkam, auch wenn der Preis hoch war.

Der Zauberer verliert in deiner Geschichte die schillernde Aura.
Sein Sohn Klaus hatte das richtig erkannt, wenn er schreibt:

Er beneidet mich, ja er beneidet mich. Um ein Leben, das er gern geführt hätte, anstatt berühmt und durchschnittlich zu werden.

Da entlarvt ein Zauderer den Zauberer.
Als Mensch war der berühmte Thomas ein durchschnittlicher MANN,
ein hypochondrischer Pedant, der täglich seine Verdauungserfolge oder auch
Verdauungsschwierigkeiten als Tagebucheintrag festhielt.
(Einen solchen Eintrag, lieber @Isegrims, vermisse ich übrigens bei deinem Mann-Zitat. Eine entsprechende Ergänzung nach Erhalt der Nachricht vom Suizid seines Sohnes hätte noch deutlicher die egomanische Struktur des „Zauberers“ gezeichnet.)

Wenn ich mich recht erinnere, hatte Th. Mann auch einen latenten Hang zur Homoerotik, die er aber nicht auszuleben wagte.
Du erwähnst diese Neigung ganz diskret, wie es sich gehört:
Der Zauberer seufzte, dachte an Pagenuniformen …
Wie verlogen ist es dann, dem homosexuellen und künstlerisch begabten Sohn väterliche Zuwendung, Anerkennung und Akzeptanz zu versagen!

Ha, doch eine Gefühlsregung gönnst du ihm!
Während er schrieb, rann eine einzelne Träne über die Wangen des Zauberers.
Wobei ich mich frage, wie eine einzene Träne über beide Wangen rinnen kann. Das geht nur, wenn er dabei tüchtig mit dem Kopf schüttelt.

Danke fürs Hochladen.
Ich habe deine Geschichte sehr gerne gelesen und wünsche dir Erfolg damit beim Wettbewerb. (Die MANN-Verehrer werden dich „steinigen“.)

Lieben Gruß

kathso60

 

Guten Morgen @Silvita

und vielen Dank für deinen Kommentar und die Arbeit am Text. Ich habe einige deiner Änderungsvorschläge übernommen. (Verflucht noch mal, warum gelingt einfach nie ein perfekter Text!)

ich habe Deine Geschichte sehr gerne gelesen. Sie ist flüssig geschrieben, hat etwas Mysthisches und erzeugt wunderbares Kopfkino.
das ist gut und zeigt mir, dass der Text funktioniert, in der kürzeren Version vielleicht noch besser als in der längeren.

Wie kann man berühmt und doch durchschnittlich sein? Ist das nicht ein Widerspruch in sich?
O, ich glaube dafür gibt es viele Beispiele, zumal hier durchschnittlich als Mensch gemeint ist.

Das mit dem Zauberer ist im übertragenen Sinn gemeint, oder?
Nein, die Bezeichnung Zauberer kann man zwar als Metapher auffassen, ist aber in der Familiengeschichte der Manns verankert: seine Kinder haben ihn Zauberer genannt, nachdem sie ihm ein Faschingskostüm als Zauberer verpasst haben. So zumindest die Legende, die Erika Mann verbreitet.

Warum hast Du hier ein Ausrufe- statt ein Fragezeichen?
weil er das als Vorwurf meint.

Meinst Du Schock?
das ist ein Originalzitat aus TMs Tagebuch, die Rechtschreibung habe ich beibehalten.

Den Eindruck erweckt er bei mir gar nicht. Ich habe das Gefühl, dass ihm Frau und Tochter sehr wichtig sind. Über die Beziehung zum Sohn wird nicht so viel klar. Er hasst ihn, weil er schwul ist?
Er hasst und er liebt ihn, da ist beides vorhanden.

liebe Grüße
Isegrims

Hallo @MRG

Ich habe den Text vor allem deshalb hochgeladen, weil du danach gefragt hast, umso mehr freut es mich, was du schreibst:

deine Geschichte lässt mich bedrückt zurück. Ich habe sie in einem Zug gelesen, konnte und wollte nicht aufhören. Mir bleibt der Eindruck, dass ich so etwas bislang noch nicht häufig gelesen habe.
Dialoge, die nicht für den Leser, sondern für die Rollen der Geschichte geschrieben sind.
Na ja, die Geschichte spielt 1949, da darf der Dialog nicht modern klingen und die Personen sprechen immer auch aus ihren Rollen heraus.

Ehrlich gesagt, hätte ich gerne mehr gelesen. Diese bedrückende Stimmung und die Anspielungen, die in mir Erwartungen auslösen
Das ist gut, wenn ich mal viel Zeit habe und nicht mit anderen umfangreicheren Schreibprojekten beschäftigt bin, denke ich über eine Romanfassung nach. Von Thomas Mann gibt es übrigens eine Erzählung, die ähnlich strukturiert ist: Lotte in Weimar.

Ich wünsche dir jedenfalls viel Erfolg, drücke die Daumen und bin froh, dass du die Geschichte noch mal hochgeladen hast.
dankeschön

Hallo @kathso60

Die Familiengeschichte der Manns steht irgendwie auch exemplarisch für das vergangene Jahrhundert und es finden sich eine Menge tragische Schicksale darin.

aber der vorliegende gekürzte Text hat mich in seinen Bann gezogen.
das freut mich sehr
Die erfundene, aber realistisch wirkende Handlung
Die Beschreibungen, die Rollenbilder sind erfunden, die Rahmenhandlung hat aber so stattgefunden. TM plus Frau und Tochter sitzen beim Abendessen im Stockholmer Grandhotel, erhalten ein Telegramm mit der Nachricht über den Selbstmord von Klaus, essen weiter und beschließen, nicht zur Beerdigung zu fahren. Das ist historisch.

zeigen bedrückend und berührend die Diskrepanz zwischen den Seelennöten des Sohnes und dem empathielosen Gehabe des Vaters.
"Wie konnte er euch das nur antun!"
Er selber nimmt sich aus, lässt den Tod seines Sohnes nicht an sich heran.
Der Zauberer hat Gefühle konsequent unterdrückt und war mit dieser Haltung auch Kind seiner Zeit. Empathilos würde ich das nicht nennen, befremdlich schon.

dass das Fabulierte den „Menschen Thomas Mann“ hinter der Fassade seiner Berühmtheit hervorlockt und das Image des vielfach als Literaturgott Gepriesenen entzaubert.
Du zeigst seine Eitelkeit, die Egozentrik, die aufgesetzte Disziplin, die Unfähigkeit, sich eine Schuld am Versagen und am Freitod des Sohnes einzugestehen.
Auch das mit der Disziplin: darunter hat seine Umwelt gelitten, aber auch er selbst. TM war ein Mensch, na klar.

Da entlarvt ein Zauderer den Zauberer.
schön gesagt

Als Mensch war der berühmte Thomas ein durchschnittlicher MANN,
In der längeren Version habe ich eine Betrachtung über seinen Bruder Heinrich drin, der wahrscheinlich weniger durchschnittlich war, besser französisch als Deutsch sprach, linksliberal eingestellt war, lange im Streit mit TM war und mindestens ebenso sehr den Nobelpreis verdient gehabt hätte wie TM

ein hypochondrischer Pedant, der täglich seine Verdauungserfolge oder auch
Verdauungsschwierigkeiten als Tagebucheintrag festhielt.
O nein, über Verdauung mag ich nicht schreiben

Wenn ich mich recht erinnere, hatte Th. Mann auch einen latenten Hang zur Homoerotik, die er aber nicht auszuleben wagte.
lies: Der Tod in Venedig. TMs homoerotische Fantasien drehten sich um Knaben.

Ich habe deine Geschichte sehr gerne gelesen und wünsche dir Erfolg damit beim Wettbewerb. (Die MANN-Verehrer werden dich „steinigen“.)
dankeschön; ach nein, steinigen bestimmt nicht, weil das alles bekannt ist und am Ende eben auch den Menschen zeigt.

Liebe Grüße und einen schönen Pre-Lockdown-Tag
Schätze, ich geh heute essen ...
Isegrims

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Isegrims

Mir hat deine Geschichte sehr gut gefallen.
Die kursiv geschriebenen Gedanken von Klaus binden mich emotional an deine Geschichte.

Leider bin ich nicht so belesen, wie die meisten hier. Doch den Zauberberg von Thomas Mann habe ich gelesen. Deshalb verband ich diesen Roman sofort mit deiner Bezeichnung : „den Zauberer". ( Erziehung, Liebe und Tod)

Er beneidet mich, ja er beneidet mich. Um ein Leben, das er gern geführt hätte, anstatt berühmt und durchschnittlich zu werden.
Ich denke, durchschnittlich waren die jenigen, die ihre Homosexualität nicht auslebten, darum hat er ihn auch beneidet.

Das waren unter anderem meine Gedanken

Ich wünsche dir einen schönen Tag
CoK

 

Hallo @CoK

schön, dass du reinschaust und deine Gedanken zu dem Text hinterlässt.

Mir hat deine Geschichte sehr gut gefallen.
Die kursiv geschriebenen Gedanken von Klaus binden mich emotional an deine Geschichte.
Ohne die fiktiven Gedankenfetzen von Klaus würde die Geschichte nicht funktionieren, davon bin ich überzeugt. So treffen zwei Perspektiven aufeinander und sollen ein Fluidum schaffen, das den Leser trägt. Umso besser, wenn das Konstrukt funktioniert.

Deshalb verband ich diesen Roman sofort mit deiner Bezeichnung : „den Zauberer". ( Erziehung, Liebe und Tod)
Dabei entsteht die Bezeichnung Zauberer für TM nicht im Zusammenhang mit dem Zauberberg.

Ich denke, durchschnittlich waren die jenigen, die ihre Homosexualität nicht auslebten, darum hat er ihn auch beneidet.
Es gibt viel Durchschnittlichkeit auf dieser Welt, gerade unter Berühmtheiten.

Lieber Grüße aus dem Taunushotspot
Isegrims

 

Guten Morgen lieber @Isegrims

und vielen Dank für deinen Kommentar und die Arbeit am Text. Ich habe einige deiner Änderungsvorschläge übernommen. (Verflucht noch mal, warum gelingt einfach nie ein perfekter Text!)

Gern geschehen.
Ich glaub das gelingt keinem Autor.
Selbst die Bestsellerautoren haben Lektoren und Korrektoren :)

das ist gut und zeigt mir, dass der Text funktioniert, in der kürzeren Version vielleicht noch besser als in der längeren.

Das ist schön :thumbsup:

O, ich glaube dafür gibt es viele Beispiele, zumal hier durchschnittlich als Mensch gemeint ist.

Okay. Vielen Dank für die Erläuterung

Nein, die Bezeichnung Zauberer kann man zwar als Metapher auffassen, ist aber in der Familiengeschichte der Manns verankert: seine Kinder haben ihn Zauberer genannt, nachdem sie ihm ein Faschingskostüm als Zauberer verpasst haben. So zumindest die Legende, die Erika Mann verbreitet.

Und auch hier vielen Dank für die Erklärung.

das ist ein Originalzitat aus TMs Tagebuch, die Rechtschreibung habe ich beibehalten.

Gut

Er hasst und er liebt ihn, da ist beides vorhanden.

Ich danke Dir für die Infos und wünsche Dir einen angenehmen Tag.

LG Silvita

 

Ach, wenn ich mein Leben wie ein Schmetterling leben, sorglos von Blüte zu Blüte flattern könnte. Ich kann’s nicht, ich kann’s nicht!
...
„Deshalb bin ich hier, um das Goethe-Jahr zu feiern. Es muss schließlich einen Anfang nach dem Ende geben.“
...
Was bildete sich Klaus ein?
...
„Wie konnte er nur?“

„Findet ohne uns statt. Leider. Es geht nicht. Wir müssten alle anderen Verpflichtungen absagen“, sagte Katia mit fester Stimme.

Hatt‘ ich schon zur längeren Fassung gestanden, seit der „Tonio-Kröger“-Lektüre (Tanzflächen und -vergnügungen sind mir heute noch ein Gräuel, wobei das Discotheken-Gezappele und elektronisches Gepiepe noch eins draufsetzt (da lob ich mir John Cages “Organ As Slow & Soft As Possible“, nicht der einzige Grund, immer wieder mal in den Harz zu kommen). Natürlich kenn ich einiges von ihm, aber Bruder Heinrich steht mir näher, nicht nur weil ich ein Hugenottenabkömmling bin, der sich hinter einem niederrheinischen Hausnamen verbirgt, dem im Holländischen noch eins draufgesattelt wird … Eine gelungene Skizze – wie ich finde, die mich auch aus einem anderen Grund an Dein Goethe/Schiller(-Schädel-)Projekt irgendwie erinnert - angestoßen durch den Satz
Sie fingen an, sich Anekdoten zu erzählen, Lustiges über den Kaiser, Dichterkönige …
erinnert, wenn Goethe die Uraufführung des „zerbrochenen Krugs“ übernimmt und Kleist scheitern lässt.

Das Reflexivpronomen im Zitat, keineswegs „falsch“, ist aber m. E. entbehrlich – wem sollten sie sonst Anekdoten erzählen?

Mein J, ich spring wieder von Höcksken auf Stöcksken.

Paar Flusen

Ein paar wenige Gäste saßen verstreut an ihren Tischen.
Ja, so sagt man wohl, aber „ein paar“ sind schon wenig genug, dass es in der Doppelung inhaltlich gleicher Adjektive schon fast auf ein Duo, pardon, „Paar“ reduziert wird.

Katia lachte am Lautesten.
an dem Lautesten? Nee, ne. Schlichter Superlativ, laut, lauter, am ...

„Tut mir sehr leid. Wenn ich irgendwie behilflich sein kann … “
(auslaufendes Gänsefüßchen direkt an die Punkte...

„Wie konnte er euch das nur antun!“ murmelte der Zauberer …
Da fehlt ein Komma, um den Redebegleitsatz mit Minuskel anfangen zu lassen ...

Wie dem auch wird,

nicht ungern gelesen (hinsichtlich des betroffen-machenden Themas empfiehlt sich die gedoppelte Umschreibung).

Tschüss

FRiedel

 

Lieber FRiedel,

vielen Dank für den Besuch, obwohl der Text

Natürlich kenn ich einiges von ihm, aber Bruder Heinrich steht mir näher, nicht nur weil ich ein Hugenottenabkömmling bin, der sich hinter einem niederrheinischen Hausnamen verbirgt, dem im Holländischen noch eins draufgesattelt wird …
Heinrich nicht angemessen erwähnt. (die Passage, die vom Verhältnis zwischen den Brüdern berichtet, musste ich streichen, um den Volumenvorgaben entsprechen zu können. Da gab's nämlich viel zu sagen: über den Streit der beiden, weil TM Kriegsanleihen gezeichnet hat, über das Album, das die beiden als Kinder angefertigt und mit expressionistischen Zeichnungen versehen haben, über das unterschiedliche Leben, den welt- und sinnesfreundeggwandten Heinrich, der den Krieg in der USA schließlich mit Unterstützung TMs überstand und zu früh starb zum Beispiel.
Eine gelungene Skizze – wie ich finde, die mich auch aus einem anderen Grund an Dein Goethe/Schiller(-Schädel-)Projekt irgendwie erinnert - angestoßen durch den Satz
wobei in diesem Text kein Schrumpfschädel auftaucht...
nicht ungern gelesen (hinsichtlich des betroffen-machenden Themas empfiehlt sich die gedoppelte Umschreibung).
:D feines Wortspiel
Paar Flusen
auweia, aber viele sind's ja nicht.
an dem Lautesten? Nee, ne. Schlichter Superlativ, laut, lauter, am ...
nur diesen Einwand kapiere ich nicht, ich könnte auch schreiben: lauter als die anderen.

So und jetzt schlägt es gleich zwölf und die Zeit der freiwilligen Kontaktarmut kann beginnen, Papier ist genug vorhanden, nebst Bier, Wein und Spirit.

Liebe Grüße
Isegrims

 

nur diesen Einwand kapiere ich nicht, ich könnte auch schreiben: lauter als die anderen.
beklagstu,

lieber Isegrims,

was sich im Text auf die Stelle

Der Maître stellte eine Champagnerflasche auf den Tisch. Die Gläser klirrten, schienen jauchzende Töne zu erzeugen. Sie fingen an, Anekdoten zu erzählen, Lustiges über den Kaiser, Dichterkönige und den dicken Bauch des Dienstmädchens in München, der sich als Schwangerschaft entpuppte. Katia lachte am Lautesten. Der Zauberer rieb sich beim Lachen die Augen. Als Kraftbrühe serviert wurde, tauchte er den Löffel in die Suppe und beugte beim Essen den Kopf.
bezieht und ich monierte schlicht die Substantivierung des Superlativs „am lautesten“.

K. lacht laut / K. lacht lauter (als alle andern, zitier ich mal, um es dann zusammenzufassen:) „Katia lacht am lautesten“ - da gibt‘s nix zu substantivieren, wie "beim Lachen" oder später "beim Essen", da ist es die Zusammenziehung bei + dem, die Du beim "Lautesten" zu einem unzulässigen "an + dem" verkürzt.

Manchmal fällt halt der Groschen in Pfennigen ...

Tschüss

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Die Lesung naht und wird aller Voraussicht nach nicht dem Lockdown zum Opfer fallen, da online. Deshalb habe ich den Text noch mal gelesen. Und dann auch verstanden, auf was du hinaus wolltest, lieber Friedel (entschuldige übrigens, dass ich so spät antworte)

bezieht und ich monierte schlicht die Substantivierung des Superlativs „am lautesten“.
habe ich korrigiert, tja, wann kommt jemals ein fehlerfreier Text?
K. lacht laut / K. lacht lauter (als alle andern, zitier ich mal, um es dann zusammenzufassen:) „Katia lacht am lautesten“ - da gibt‘s nix zu substantivieren, wie "beim Lachen" oder später "beim Essen", da ist es die Zusammenziehung bei + dem, die Du beim "Lautesten" zu einem unzulässigen "an + dem" verkürzt.

viele Grüße und dir und uns allen eine bessere Woche, als wir vermuten
Isegrims

 

Oh, wat waa ich da ma widda kluch –

aba wennet nachwirkt, isset auch janz schön.
[’fi:l ’erfolk unt in ’bældə,

’fri:dl]

 

Sobald ich die Aufzeichnung der Lesung habe, werde ich die Video/Audio-Datei einstellen.

Der Text plus die 32 Texte der Endrunde (auch der von @zigga) kann über die Story-App und die Seite des Veranstalters brennt gelesen werden. Zudem gibt es noch ein Abstimmung zum Net-Lit-Preis online. (Dazu muss man sich aber akkreditieren)

 

Hallo @Isegrims,

nach dem zweiten Absatz habe ich vermutet, dass es um Thomas Mann geht. Nach dem Dritten wusste ich es. Das liegt daran, dass ich vor nicht allzu langer Zeit das erste Mal Die Buddenbrooks gelesen habe und mich daraufhin ein wenig mit dem Zauberer beschäftigt habe. Was war das für ein Mann, wollte ich wissen? Aber das verrät einen natürlich das Internet nicht, da muss man sich sein eigenes Bild machen. Das hast Du sicherlich getan und deshalb diesen Text verfasst. Den ich übrigens recht gut finde. Leider habe ich nicht das Gefühl dem Zauberer damit ein bisschen näher zu kommen. Vielleicht ist es die relativ schnörkellose Präsentation, vielleicht die Erzählstimme, ich weiß es nicht. Ich wünschte, ich könnte etwas mehr Mann in den Sätzen wiederfinden, oder dazwischen. So wie es ist, wirkt es alles ein wenig kühl auf mich.
Im Grundsatz habe ich am Bericht selbst nichts auszusetzen. Die Beschreibungen sind bildlich, klar, verständlich. Die Dialoge aber etwas stockig, wie in einem schlechten Theaterstück. A interessantesten fand ich:

„Und lassen sie das Dessert servieren.“
Wegen der Sinnhaftigkeit, nachdem erhalt des Telegramms.
Ich frage mich, wie sehr Deine Geschichte auf Recherche beruht und wie sehr auf Fiktion? Wenn Du dass in einem anderen Kommentar schon beantwortet hast, weiße mich gerne darauf hin. Das macht einen entscheidenden Anteil in der Bewertung Deines Textes aus.
Würdest Du sagen, dass Du dich so intensiv mit der Familie befasst hast, dass Du einigermaßen den echten Personen nahegekommen bist, so wie Du sie geschrieben hast, oder beruhen sie zum allergrößten Teil auf Deiner Vorstellung?

Schöne Grüße
Ebbe Flut

 

Eben angefügt: die Aufzeichnung der Lesung: so so stark von Mascha Müller gelesen.
Über die musikalische Untermalung lässt sich streiten und die kulinarische Interpretation hat mir sehr geschmeckt.

 

Hallo @Ebbe Flut

tja: Thomas Mann, der Zauberer, an ihm kommt man kaum vorbei. Frag irgendjemanden nach den wichtigsten deutschen Schriftstellern, den bedeutendsten deutschen Werken des 20. Jahrhunderts (vor allem, was die Wirkung anbetrifft), wird TM genannt werden, von seinen Werken vor allem die Buddenbrooks, was auch sonst. Verdient oder unverdient, die Frage stellt sich gar nicht.
Viele werden außerdem die Blechtrommel von Günter Grass (auch so ein Sonderling) erwähnen.

Aber zu deinem Kommentar:

und mich daraufhin ein wenig mit dem Zauberer beschäftigt habe. Was war das für ein Mann, wollte ich wissen? Aber das verrät einen natürlich das Internet nicht, da muss man sich sein eigenes Bild machen.
Meistens finde ich es überhaupt nicht interessant, welcher Mensch hinter dem Werk steckt. Wozu auch? Es gibt den Text. Der funktioniert oder funktioniert nicht. Was auch vom Leser abhängt.

Du schreibst, bzw. fragst, ob ich mich mit dem Zauberer befasst habe:

Das hast Du sicherlich getan und deshalb diesen Text verfasst. Den ich übrigens recht gut finde.
Ja, antworte ich, wahrscheinlich sogar umfassend, detailgenau.
Denn die Idee zu dem Text entstand durch eine Info, die ich irgendwann aufgeschnappt habe. Thomas Mann sitzt im Stockholmer Grand Hotel beim Abendessen, erhält ein Telegramm mit der Nachricht des Selbstmordes seines Sohnes Klaus Mann. Die Familie beschließt, nicht zur Beerdigung zu fahren. Ich fand das ziemlich erschreckend. Es hat mich berührt, schockiert, rein menschlich. Da spielte der Schriftsteller keine Rolle, die öffentliche Person.
Leider habe ich nicht das Gefühl dem Zauberer damit ein bisschen näher zu kommen. Vielleicht ist es die relativ schnörkellose Präsentation, vielleicht die Erzählstimme, ich weiß es nicht. Ich wünschte, ich könnte etwas mehr Mann in den Sätzen wiederfinden, oder dazwischen. So wie es ist, wirkt es alles ein wenig kühl auf mich.
Haust du jetzt so raus: ohne Textbeispiel, ohne Begründung. Ich meine, in dem Text steckt eine Art Essenz der Person Thomas Mann. Nichts von dem, was vom Zauberer handelt, ist rein fiktiv. Bis hin zu Einzelheiten, die man nur am Rande wahrnimmt, welche Kosenamen verwendet werden. Selbst den Koffer, den mit sich führte, habe ich mir angeschaut.
Oder das:
Der Zauberer seufzte, dachte an Pagenuniformen, Lübecker Backsteinhäuser, den Bart seines Bruders Heinrich, das Grün der Wiesen am Tegernsee, Berggipfel, Frauenlachen, Felix Krull.
Ich glaube nicht, dass man einen Text über eine historische Person ohne gründliche Recherche machen kann.

Die Dialoge aber etwas stockig, wie in einem schlechten Theaterstück. A interessantesten fand ich:
mm, sehe ich nicht: wir befinden uns im Jahr 1949, da wurden keine coolen Dialoge geführt. Für dir Tondokumente an, gibts einiges von Thomas Mann und seiner Familie.

Ich frage mich, wie sehr Deine Geschichte auf Recherche beruht und wie sehr auf Fiktion? Wenn Du dass in einem anderen Kommentar schon beantwortet hast, weiße mich gerne darauf hin. Das macht einen entscheidenden Anteil in der Bewertung Deines Textes aus.
Fiktiv ist die eingeschobene Stimme von Klaus Mann.
Würdest Du sagen, dass Du dich so intensiv mit der Familie befasst hast, dass Du einigermaßen den echten Personen nahegekommen bist, so wie Du sie geschrieben hast, oder beruhen sie zum allergrößten Teil auf Deiner Vorstellung?
Eher zu akribisch, weil ich eben finde, dass in dem Sujet, in der Person des Zauberers eine Menge Fallhöhe steckt. Nach dem Streaming des Wettbewerbsfinales gab es ein Interview mit dem Initiator. Er sagte: Nach Lektüre der Geschichte habe er sofort gegoogelt, ob stimmt, was er das liest. Und er erwähnte noch, dass er von TM nur die Buddenbrooks gelesen habe.

Vielleicht ist es die relativ schnörkellose Präsentation, vielleicht die Erzählstimme, ich weiß es nicht. Ich wünschte, ich könnte etwas mehr Mann in den Sätzen wiederfinden, oder dazwischen. So wie es ist, wirkt es alles ein wenig kühl auf mich.
Die erste Fassung war viermal so lang, hatte Schnörkel und Verzierungen, Abzweigungen und Fallen, dieses Version ist die Essenz. Und wenn du dir die Lesung (siehe Link) anhörst, glaube ich nicht, dass du den Begriff kühl aufrechterhältst, probiere es aus und gib mir Feedback.

vielen Dank für den Besuch und herzliche Grüße
Isegrims

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Isegrims,

Ein toller Text. Er liest sich flüssig, klar, mit teilweise wunderschönen Details und sehr schnell habe ich an Thomas Mann denken müssen und bin in diese besondere Atmosphäre eingetaucht, die auch Deine Geschichte hat. Bei TM mochte ich am meisten die Stimmung, die Bilder, auch einzelne Formulierungen, seinen Zwiespalt zwischen vordergründiger Sachlichkeit und heimlicher, verhaltener Homoerotik, sonst gar nicht mein Thema, aber bei ihm teilweise sehr eindrücklich umgesetzt, seinen Tadzio sehe ich immer noch vor mir, selbst die Sätze dazu, überlagert vom Film mit den Strand- und Friseurszenen. Auch der Zauberberg hat etwas Magisches ... Und auch in Deiner Geschichte spüre ich etwas davon. Du hast die besondere Stimmung dieser Zeit sehr stimmig eingefangen, dieses leicht Spröde, Glanz und Härte. Auch Deine Darstellung von der Persönlichkeit TMs deckt sich mit meinen - lückenhaften - Eindrücken, die ich von ihm habe. Diese ewig kritische Haltung, diese teilweise schockierende, besonders aus heutiger Sicht kaum verstehbare Härte, die er gegen sich und andere an den Tag legte und doch ist er mir nah, allein, dadurch, wie er die Welt sah, als stiller Beobachter, seine Aufzeichnungen, seine großartigen Geschichten, voller merkwürdiger Details, die seine Texte auch heute noch sehr spannend machen, auch wenn ich sie nur gut "portioniert" lesen kann und nicht in größeren Mengen.

Deine Geschichte ist wie ein Destillat dieser Mann-Welt.

Sätze, die mir besonders gefallen haben:

Nach zwei Wochen Salzgeschmack am Gaumen, Dieselgeruch in der Nase, kamen sie im Hafen von Stockholm an.

Ihre Haare schimmerten schwarz wie poliertes Leder.

ie Suite ging zum Hafen hin. Während die Frauen auf dem Balkon plauderten, öffnete er die Schnallen des Reisekoffers. Unter dem Kleiderstapel befanden sich Kladden mit Notizen zu den literarischen Projekten, fein säuberlich getrennt, ganz unten das Tagebuch.
>> Da ist kein Wort zu viel. Dieser klare Stil gefällt mir sehr. Auch die Position der Wörter innerhalb des Satzes: ganz unten das Tagebuch.

Erikas Paillettenkleid warf das Licht der Kronleuchter zurück in die Glitzerwelt des Speisesaals. Ein paar Gäste saßen verstreut an ihren Tischen.
ein Satz voller Glitzer und Funkeln. Gefällt mir sehr.
ie Erdbeeren strahlten so rot. Er nahm die Gabel, stach zu, führte die Frucht zum Mund. Er stellte sich die Promenade von Cannes vor, den Regen, der dort fiel, den Sohn, der ohne Schirm voranschritt, das Sakko, das an ihm festklebte

viele Grüße und einen guten Rutsch! Petdays

 

Guten Abend @petdays

herzlichen Dank für den Kommentar. Wenn der Text das bewirkt hat, was du beschreibst, dann bin ich sehr glücklich.
Wer Lust hat, kann sich auch die wunderbare Lesung von Mascha Müller anhören, die ich oben verlinkt habe. (im Video bisschen vorspulen, die Lesung beginnt mit einem musikalischen Intro)

Ein toller Text. Er liest sich flüssig, klar, mit teilweise wunderschönen Details und sehr schnell habe ich an Thomas Mann denken müssen und bin in diese besondere Atmosphäre eingetaucht, die auch Deine Geschichte hat.
Ich habe nach der Recherche versucht, die Blase, in der TM gelebt hat, auch die Zeit kurz nach dem großen Krieg, zu zeigen, dazu bedurfte es Details.
Auch der Zauberberg hat etwas Magisches ... Und auch in Deiner Geschichte spüre ich etwas davon. Du hast die besondere Stimmung dieser Zeit sehr stimmig eingefangen, dieses leicht Spröde, Glanz und Härte.
wow, freut mich sehr
auch wenn ich sie nur gut "portioniert" lesen kann und nicht in größeren Mengen.
Ja, ist so mit Texten von Thomas Mann, geht mir ähnlich, aber man wird dann doch reich belohnt für geduldiges Lesen.

Deine Geschichte ist wie ein Destillat dieser Mann-Welt.

>> Da ist kein Wort zu viel. Dieser klare Stil gefällt mir sehr. Auch die Position der Wörter innerhalb des Satzes: ganz unten das Tagebuch.
Ich glaube, dass ich es bereits erwähnt habe: die erste Version war fast viermal so lang.
viele Grüße und einen guten Rutsch! Petdays
Dir auch ein Jahr, das bringt, was wir uns alle wünschen, viel Sonne vor allem, im Herzen und am Himmel
Isegrims

 

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