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Desdemona
Desdemona. Sie hatte grüne Augen und rote Haare. Grün wie die Tiefsee und rot wie Kirschen, saftige, dunkle, sonnengereifte Kirschen. Da sie ihr Haar stets streng hochgesteckt trug, war die Länge nur zu schätzen, aber es muss sehr langes, volles Haar gewesen sein. Manchmal wenn es regnete und man genau hinsah, konnte man kleine, sich kräuselnde Löckchen um ihre blasse Stirn erkennen.
Als sie nach den Ferien neu auf unser Gymnasium kam, fiel sie mir sofort auf. Wie jeden Morgen stand ich vor Schulbeginn mit ein paar Kumpels auf dem Hof, belanglos flaxend wie immer. Außer dass wir mal wieder eine weitere Klasse höher waren, hatte sich nichts verändert. Dieselben Leute, dieselben Lehrer, dasselbe Programm. Gähn. Nicht, dass ich nicht gern zur Schule gegangen wäre, nein, das Lernen machte mir nie Probleme, aber manchmal hätte man sich eben Aufregenderes vorstellen können. Langsam schlenderten wir also gemeinsam in unseren altbekannten Klassenraum, da stand sie auf einmal, grazil an die Wand gelehnt. Und mit ihr kam mehr Aufregung in mein Leben, als ich mir je gewünscht hatte...
Sie war anders als die übrigen Mädchen hier. Ich hatte noch nicht allzu viele Beziehungen gehabt, ab und zu mal eine Partybekanntschaft, nie was ernsteres, und meistens war mein Verhältnis zu Mädchen eher freundschaftlich locker gewesen.
Nicht bei Desdemona. Sie war von einer kühlen, unnahbaren Schönheit und wirkte sehr anmutig, irgendwie – göttlich auf mich. Ja, göttlich ist das richtige Wort. Ich erfuhr, dass sie aus Hamburg kam und es ging das Gerücht um, dass sie wegen skandalösem Benehmens die Schule wechseln musste und ihre Eltern sie nun zu ihrer Oma in die Kleinstadt geschickt hatten. Genaueres wusste niemand und sie machte auch keine Anstalten, sich hier mit irgendjemandem anzufreunden. Bald war sie allgemein als seltsam abgetan. Ihrer Außenseiterrolle war sie sich sehr wohl bewusst, sie hatte diese Rolle gezielt gewählt, denn es war nicht so, dass keiner von uns etwas mit ihr zu tun haben wollte, sondern eher umgekehrt, dass sie mit uns nichts anfangen konnte. Ich glaube, insgeheim haben sie viele bewundert. Seitdem sie in meiner Klasse war, hatte ich jeden Morgen dieses nervöse Kribbeln im Bauch und stundenlang verbrachte ich damit, sie im Unterricht aus den Augenwinkeln zu beobachten. Oft wirkte sie abwesend und teilnahmslos, weswegen ich dachte, sie hat bestimmt mit Schule nicht viel im Sinn. Aber nach den ersten Klassenarbeiten stellte sich raus, dass sie offensichtlich eine ausgezeichnete Schülerin war. Vor allem in Physik ein As. Während die anderen immer weniger von ihr Notiz nahmen, wuchs mein Interesse an ihr. Nach ungefähr zwei Monaten nahm ich all meinen Mut zusammen und fragte sie, warum sie denn die Schule gewechselt habe. Verständnislos antwortete sie: „Ich wüsste nicht, was dich das angeht.“ Vollkommen aus der Fassung gebracht wusste ich nicht, was ich erwidern sollte und muss wohl knallrot angelaufen sein, da lächelte sie plötzlich und sagte smart: „ Hey, du gefällst mir irgendwie.“ Das konnte ich nun noch weniger fassen. Anfangs dachte ich, sie nimmt mich nicht ernst, doch anscheinend gefiel ich ihr wirklich, denn es war der Anfang einer Beziehung.
Erst viel später habe ich gemerkt, dass sie mich tatsächlich nicht ernst genommen hat.
Mit der Zeit erzählte sie mir von sich, wobei ich mir heute nicht mehr sicher bin, ob es die Wahrheit war. Auf jeden Fall habe ich mich wahnsinnig verliebt. Und das wusste sie, sie wusste es ganz genau. Wir telefonierten stundenlang, wir gingen zusammen essen und bei allem was sie tat, übte sie eine enorme Anziehungskraft auf mich aus. In der Öffentlichkeit blieb sie sehr distanziert, auch wollte sie nicht, dass andere von uns erfahren, was mir sehr weh getan hat, aber ich sagte nie etwas, aus Angst sie zu verlieren. Ich sagte überhaupt nie etwas, denn sie war schließlich Desdemona, meine Göttin. Und ich war blind.
Einmal stand sie mitten in der Nacht vor meinem Fenster, sagte nicht woher sie kam und wie lange sie bleiben wollte, sondern nur, dass sie mit mir schlafen will. Ich hatte keine Ahnung von Sex. Lust schon, oh ja, spätestens seit ich vierzehn war, aber es war nie dazu gekommen, zum einen weil ich mit keinem Mädchen länger als 6 Wochen zusammen war und zum anderen weil ich zugegebenermaßen Angst davor hatte. Da stand sie also in meinem Zimmer. Ich war völlig überrumpelt und erklärte, dass meine Eltern zwei Etagen höher schlafen würden. „Na und?!“ flüsterte sie und küsste meinen Hals. „Ich, ich... weiß nicht....“ stammelte ich, da schob sie langsam ihre Hand zwischen meine Beine und sagte: „Das fühlt sich aber an, als würdest du sehr wohl wissen!“ Natürlich hatte sie recht. Und widerstehen hätte ihr sowieso nicht können. Ich hatte sie noch niemals nackt gesehen, sie trug stets enge, aber hochgeschlossene Kleidung, durch ihren Pullover zeichneten sich manchmal ihre Brustwarzen ab, was meine Phantasie schon oft angeregt hatte. Sie hatte keinen BH an. Zögernd zog ich ihr den Pullover aus und streichelte ihre nackte Brust. Mittelgroß und wunderschön, mir wurde schwindelig vor Erregung. Sie merkte das und stieß mich sanft aufs Bett. Dann zog sie mir das Shirt aus und öffnete geschickt meinen Gürtel und Hose. An ihren geübten Händen war offensichtlich, dass ich nicht ihr erster Mann war und auch wohl nicht ihr zweiter, was mir missfiel, aber außer leisem Seufzen brachte ich nichts mehr heraus. Als wir beide nackt waren, nahm sie meine Hand und führte sie zwischen ihre Schenkel. Warm und feucht, ich stöhnte leise auf. Ich fühlte mich wie auf Drogen. Dann ging alles recht schnell. Sie setzte sich auf mich und half mir, in sie einzudringen. Es dauerte ein wenig, bis ich richtig drin war, dafür kam ich umso schneller. Sie rieb ihren Unterleib weiter an meinem, bis sie ebenfalls kam. Ich sah in ihre Augen und es war, als befände ich mich mitten darin, in der grünen Tiefsee. Und tausend schillernde Farben, die sich im geheimnisvollen Licht spiegelten. Es war Wahnsinn. Sie sank neben mich und wir blieben regungslos liegen. Ihre Haare, immer noch in der silbernen Spange, glänzten im Mondlicht, das fahl in mein Zimmer schien. Und ein kleines bisschen waren ihre sonst so blassen Wangen gerötet. Ich war völlig atemlos und – sehr glücklich. Ich hoffte, dass sie ähnlich fühlen würde und überlegte fieberhaft, was ich jetzt passendes sagen könnte, doch ehe mir etwas eingefallen war, war sie auch schon aufgestanden und zog sich hastig an. „Hey, warum willst du denn jetzt einfach gehen?“ fragte ich erschrocken. „Ich muss heim. Wir sehn uns.“
Ich weinte bitterlich.
Den Grund kenne ich bis heute nicht, aber sie hat mich seitdem keines Blickes mehr gewürdigt. Wenn ich es mir Recht überlege, hatte sie das auch vorher nicht. Ich bin ihr über den Weg gelaufen und sie hat mich mal eben mitgenommen. Mehr war da nicht. Ich weiß nicht warum und ich weiß nicht wozu, ich weiß genaugenommen noch weniger über sie als vorher.
Das ist nun bald zwei Jahre her, und trotzdem denke ich jeden Tag an sie. Mit Gefühlen von solcher Intensität, wie ich sie vielleicht nie mehr für eine andere Frau empfinden werde. Ob das Liebe ist, weiß ich nicht mal, eher so eine Art Magie. Was auch immer, es lässt mich nicht los. Desdemona.
Ach übrigens, sie ist vor einem knappen Vierteljahr der Schule verwiesen worden. Wegen einer Affäre mit dem Lateinlehrer. Frau und Kinder sind ausgezogen, er selbst ist suspendiert worden.
That’s life.