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Deutsch-Erez-Israel
Deutsch-Erez-Israel
Der Rat der Ältesten tagte zum letzten Mal in der Berliner Synagoge.
Haim Stein, Rabbi aus Brandenburg und sein Freund Joshua Mandelbrot hatten sich in einer Pause in ein Straßencafe auf der Oranienburger Strasse zurückgezogen.
Es war ein warmer Septembernachmittag und allerlei Volk flanierte über den Prachtboulevard.
Der Rabbi, ein älterer Herr dessen Kaftanlocken bis zu den Spitzen grau waren und Joshua, kaum dreißigjährig, mit der markanten Nase saßen an einem Tisch, der auf den Gehweg gestellt worden war.
„Der Mann ist jetzt völlig verrückt geworden“, flüsterte Joshua, „wenn wir nicht bald etwas unternehmen, stürzt er uns alle noch ins Unglück!“
Der Rabbi nickte langsam.
„Es heißt, dass Juden und Deutsche künftig nur unter besonderen Bedingungen eine Ehe schließen dürfen. Rabbi, können Sie sich vorstellen, was das für unsere Gemeinden bedeutet?
Ich sehe ja ein, das wir eine Mitschuld tragen. Manchmal träume ich schon davon.“
„Wovon träumen sie?“
„Aber Rabbi, sie hören mir ja nicht zu. Von Herzl und von IHM, dem Führer natürlich.
Stellen Sie sich vor, die schicksalhafte Begegnung, damals bei Imst am Inn hätte nie stattgefunden!“
In diesem Moment traten zwei SS-Sturmbannführer an ihren Tisch.
„Rabbi Stein?“, fragte einer der jungen Männer und als Stein nickte,
„Bitte folgen Sie uns, der Führer erwartet sie.“
Joshua blieb allein am Tisch zurück und sah besorgt dem Rabbi nach, den die SS-Burschen in die Mitte genommen hatten.
Alles entwickelte sich zu schnell. Es lief, dass hatte Moses der Kopf ihrer Widerstandsgruppe ihnen deutlich gemacht, auf die Vernichtung der Juden hinaus.
Verfluchter Herzl.
Verfluchter Zufall.
Musste es ausgerechnet ein Jude sein, der dem ertrinkenden Adolf Hitler beisprang und ihn aus den Fluten des Inn zog?
Es kursierten Gerüchte, dass der spätere Führer zu jener Zeit den Juden gegenüber regelrechte Feindschaft empfand, aber das mochte glauben, wer für solche Legenden empfänglich war.
Die Realität war eben wie sie war und für solche gedanklichen Spielereien fehlte Joshua die Geduld.
Und die Realität war hart für seinesgleichen.
Adolf Hitler, das war in jedem Geschichtsbuch nachzulesen, hatte sich mit seinem Lebensretter angefreundet und Zugang zu den zionistischen Kreisen in Wien gefunden. Die Wohlhabenden unter ihnen unterstützten Hitler finanziell und ermöglichtem es ihm, die BEWEGUNG in Deutschland aufzubauen.
Hitler hat das nie vergessen.
Selbst wenn es nicht jüdische Wissenschaftler gewesen wären, die den Krieg mit der Entwicklung der Atombombe für Deutschland mitgewinnen halfen, wäre der Dank des Führers erdrückend genug geworden.
„Bekämpfe deine Feinde, aber fürchte deine Freunde“, murmelte Joshua das Losungswort, als sich Moses an seinen Tisch setzte.
„Masseltoff“, brummte Moses, ein ungeschlachter, stiernackiger Hüne aus Lemberg.
Niemand hätte einen Juden in ihm vermutet.
„Wir haben die Bombe“.
Joshua nickte.
Es war beschlossen, dass er sich über den ahnungslosen Rabbi Zugang zum Führer verschaffen sollte.
Bald schon.
Der Führer strahlte, als er durch die Flure der Reichskanzlei auf den Rabbi zustürmte.
„Rabbi Stein, mein lieber Freund“, schnarrte er in seiner bekannten Art und drückte dem Rabbi fest die Hand.
„es freut mich Sie zu sehen. Sicher wissen Sie, weshalb ich Sie herbestellt habe.“
Der Rabbi hob die Augenbrauen und ließ seinen Blick gleichgültig über die Galerie mit den Gemälden bedeutender Juden wandern.
Einstein, Heine, Mendelson-Bartholdy, Marx, Rathenau.
„Ja und ich muss sagen, ich bin besorgt. Es spaltet schon jetzt die Ältesten und was werden erst die...“
„Aber Steinchen“, unterbrach der Führer ihn,
„selbst wenn ich wollte, könnte ich es nicht verhindern. Ich habe es Herzl versprochen und mein Wort halte ich. Die Regierung hat keine Einwände erhoben und zum Jahreswechsel tritt das Gesetz in Kraft. Was die Hauptstadtfrage betrifft steht es ihnen frei, zwischen Warschau, Krakau und Lemberg zu wählen.“
„Und die Polen?“ warf der Rabbi ein.
Der Führer lächelte.
Dieses Lächeln, grausam bis zum Wahnsinn, ließ dem Rabbi das Blut in den Adern gefrieren.
„Welche Polen?“ fragte der Führer schließlich.
„Brüder sagt mir, können wir mit polnischem Blut erkauft, Erez Israel auferstehen lassen?“.
Der Saal war überfüllt, die Stimmung aufgeheizt.
Der Redner legte nach.
„Die Deutschen hassen uns. Weil wir nur den halben Steuersatz bezahlen. Weil wir, wenn wir den jüdischen Ehrenstern tragen, in jedem Geschäft, in jedem Restaurant bevorzugt behandelt werden müssen. Aber ich frage Euch, wollen wir diese SONDERBEHANDLUNG?“
„Nein, nein, nein“, brüllte die Menge tausendkehlig und die Kronleuchter wackelten.
„Deshalb“, die Rednerstimme überschlug sich jetzt,
„bleiben wir hier in Deutschland. Und jeder der in dieses..., dieses Gebilde übersiedelt ist ein Verräter.“
„Deutschland, Deutschland über alles...“ hub die Menge an zu singen.
Der Redner ging ab und Rabbi Stein trat ans Rednerpult. Leise sprach er.
„Erez Israel ist ein Gedanke, ein Versprechen, eine Religion.
Die Deutschen hassen uns, so wie der Führer uns liebt. Nein, weil er uns mehr liebt, als Auserwählte. Was wenn er stürbe? Wir wären schutzlos. Dem Mob ausgeliefert müssten wir das Schlimmste fürchten.
Deshalb will uns der Führer aus der tausendjährigen Shoa führen - in ein neues, ein deutsches Israel.
Erez Israel“, er lies die Wörter auf der Zunge zergehen,
„ist kein Ort - es ist dort, wo wir, wo der jüdische Glaube, zu Hause sind. Bedenkt das.“
Er trat zurück und nachdenkliches Schweigen legte sich auf die Gesichter.
Ein Jahr später
Joshua wartete auf dem Heinrich-Heine-Platz vor der Reichskanzlei. Sein väterlicher Freund Stern, nunmehr Verwaltungsobmann des freien Reichsgebietes Deutsch-Erez-Israel war vor einer Stunde mit der Linienmaschine aus Neu-Jerusalem angekommen.
Für Joshua hieß die Stadt insgeheim noch Warschau, aber er hütete sich, dies Stern gegenüber zu erwähnen.
Der Rabbi hatte ihm eine Audienz beim Führer verschafft, im Anschluss an dessen Rede zum 10. Jahrestages der Kapitulation der vereinigten Staaten von Amerika.
Joshua grinste.
Er kannte die Führerreden und wusste, dass nach kurzer, themenbezogener Einleitung, der Führer endlos die Leistungen der Juden aufzählen würde.
Im Geist ging er die entscheidenden Absätze des programmatischen Werkes „Unser Kampf“ durch.
Da war die Rede von der Parallele des jüdischen und des deutschen Volkes:
Die Sprachen ähnelten sich, womit der Führer auf das Jiddische anspielte und den Schluss zog, dass dies mit einer Seelenverwandtschaft der Völker zu begründen sei.
Beide sehnten sich Jahrhunderte lang nach einem eigenen Staat, die Deutschen eher weltlich, die Juden mehr geistig.
Dann die Stelle, mit der Behauptung, dass die Deutschen das Volk der Dichter und Denker, die Juden des Wortes und des Buches seien und sich so optimal ergänzten.
Joshua schüttelte den Kopf.
Wahnsinn.
Für ihn waren Deutsche und Juden eher wie Teilchen und Antiteilchen: Sie ziehen sich unwiderstehlich an, aber wenn sie sich berühren...
Deutschland als das wahrhaft gelobte Land der Juden zu sehen, war ihm zuwider.
Ihn selbst prägte eine symbiotische Hassliebe und deshalb, um wieder Gleicher unter Gleichen zu werden, musste der Führer sterben.
Vor der, nunmehr zum deutsch-jüdischem Zentrum umfunktionierten Berliner Synagoge, flatterten die Hakenkreuzfahnen. Die Tribünen umrahmten den Platz vor dem Gebäude und waren voll besetzt. Hinsichtlich des Anlasses waren erstaunlich wenige Uniformträger zu besichtigen, hauptsächlich Veteranen der einstmals bis nach Peking vorgestoßenen Truppen.
Auf der Zentraltribüne plauderten die Staatsgäste der Europäischen Union mit den Gesandten des Kaiserreiches Japan. Nur die Italiener, die zum Feind übergelaufen und deshalb nicht in das Europa unter deutscher Vorherrschaft aufgenommen worden waren, schnitt man allgemein.
Gequält lächelnd mühte sich der italienische Gesandte dem, aus befremdlicher Auffassung dessen was Deutsch sei entsprungenem Kauderwelsch des Botschafters der Republik Andorra zu folgen.
Eine Englische Band, die sich die PILZKÖPFE nannte, sorgte mit ihren Hits „Komm gib mir deine Hand“ und „Hallo Jude“, für Furore.
Dann zeigte sich unter frenetischem Applaus der Führer.
Gezeichnet von einem Schlaganfall schob er sich in seinen elektrischen Rollstuhl die Rampe zum Rednerpult empor.
Er räusperte sich, ließ den Blick über die Menge schleifen.
„Liebe Volksgenossen und liebe jüdischen Gäste...“
Er war brillant.
Nun, der Altersweisheit anteilig, bar des barbarischen Gehabes erkannte man sein Genie.
Er schmeichelte sich in die Seelen, dort wo sich früher hineingebrüllt hatte.
Er schlängelte sich, einer giftigen Natter gleich durch die Sprache die abstarb und aus diesem Giftsumach wuchsen die Blüten der Pestilenz.
Er machte, dass man ihn aufrichtig liebte, wie einen Henker, der den Qualen der Folter ein Ende setzt.
Kurz, er war brillant.
Und nachdem er still, aber dräuend wie das Auge ein Tornados über die verbliebenden Feinde hergezogen war, seinen obligaten Witz über die Italiener zum Besten gegeben hatte, schwenkte er auf das Thema seines Lebens: den Juden.
Oh, Zahlen, oh, Fakten, die auf die Zuhörer prasselten.
Die Besten dort, die Stärksten hier, die Gebildetsten überall.
Wer noch hinhören konnte, und selbst die jüdischen Gäste wanden sich peinlich berührt, erfuhr von der Rührung, die den Führer überkommen war, als Deutsch-Erez-Israel beschloss das Deutsche, vor dem Jiddischen und dem Hebräischen als erste Amtssprache auszurufen.
Als er endlich endete, dankten Katholiken, Muslime und Juden dem Allmächtigen insgeheim und gemeinsam, wie für die Erlösung.
Auch Rabbi Stein, der mit eiserner Miene zugehört hatte, war nicht unglücklich als der Rollstuhl die Rampe herunterglitt.
Neben ihm stand Joshua und Stein hoffte, dass dieser dem Führer fürs Erste seine jüdische Herkunft verschwieg.
Schließlich erkundigte sich der Führer für gewöhnlich, wo sich sein jüdischer Gesprächspartner angesiedelt hatte.
Das Joshua immer noch in Berlin lebte, kam einem Affront gleich.
Langsam schob sich der Rollstuhl durch die Menge.
Joshua zappelte aufgeregt an der Seite des Rabbi hin und her, was dieser auf dessen Nervosität schob.
Schließlich hatte sich der Junge zaghaft, fast devot mit der Bitte, dem Führer vorgestellt zu werden, an ihn gewand.
Der Rollstuhl kam vor ihnen zu stehen.
Gestapo-Männer postierten sich wallartig um das Gefährt.
Blicke flogen hin und her.
Ein Mund öffnete sich, ein Wort war halb herausgezwängt.
Unter einem grellen Blitz verdampfte das Wort, ein Rad mit einem Elektromotor stieg, einer ballistischen V4 gleich empor und schlug ein Loch in die Kuppel der Synagoge.
Jahre spaeter
Hitlers Nachfolger, Generalfeldmarschall Erich Honecker war pragmatisch veranlagt.
Da der Lebensstandard in Deutsch-Erez-Israel unvergleichlich schneller anstieg, als im übrigen Deutschland und immer mehr Deutsche illegal dort einreisten, ließ er am 13. August 1961 zwischen der deutschen Provinz Brandenburg und Deutsch-Erez-Israel eine Mauer errichten.