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Die alte Dame

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02.02.2005
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Die alte Dame

Die alte Dame

Fahles Mondlicht, das sich seinen Weg durch die Vorhänge des geöffneten Fensters gesucht hat, erhellt das Zimmer nur spärlich. Die nahe gelegene Kirchturmuhr schlägt die elfte Stunde. Die alte Dame liegt wach in ihrem Bett und zählt die Schläge mit. Dann dreht sie sich auf die Seite und wirft einen liebevollen Blick auf das aufgedeckte Bett zu ihrer Linken. Gefühlvoll, ja eher zärtlich streicht sie über das Kopfkissen.
„Ach ja, wenn du nur noch bei mir wärst, dann ginge es mir heute besser“, flüstert sie.
Immer noch spürt die alte Dame die Nähe ihres Gatten, der bereits vor zwei Jahren von ihr gegangen ist.
‚Nur nicht sentimental werden’, denkt sie, dreht den Kopf kurzerhand auf die andere Seite und betätigt den Lichtschalter an der Nachttischlampe. Ihr Schlafzimmer taucht in diffuses Licht ein.

Es ist wie fast jede Nacht in der letzten Zeit. Der Schlaf will sie einfach nicht einfangen. Ein Land der Träume kennt sie schon lange nicht mehr. Deshalb erhebt sie sich mühsam aus ihrem Bett und schlurft über den Flur ins Wohnzimmer.
Sie braucht keine Beleuchtung. Den Weg findet sie auch im Dunkeln. Durch das Erkerfenster fällt gelbes Licht von der Straßenlaterne in den Raum und lässt die Umrisse des Ohrensessels vor dem Fenster erkennen.
Hier lässt sich die alte Dame mit einem erleichterten Seufzer fallen. Das Gehen fällt ihr in den letzten Wochen schon recht schwer. Aber sie will es nicht zeigen. Besonders vor ihrer Tochter nicht, die hin und wieder zu ihr kommt, um das Putzen und Wäschewaschen zu übernehmen.
Erst gestern ist es wieder zu einer Auseinandersetzung zwischen ihnen gekommen. In Anwesenheit ihrer Tochter bemüht sie sich, stets den Eindruck von Schwäche und Unsicherheit nicht aufkommen zu lassen. Doch gerade diese Anstrengung macht sie umso nervöser.
Letztes Mal begannen dadurch ihre Hände zu zittern und dann war es auch schon passiert. Die Teetasse rutschte ihr aus den Händen und zerschellte mit einem lauten Knall auf den Bodenfliesen in der Küche. Wie eine Furie kam ihre Tochter hereingestürmt und schimpfte laut: „Nicht schon wieder! Dauernd fallen dir in letzter Zeit Sachen runter. Deine Schusseligkeit wird langsam zum Problem. Wenn das so weitergeht, wäre eine Unterbringung in einem Heim wirklich für beide Seiten die beste Lösung. Da wirst du rund um die Uhr betreut und ich brauche mir keine Sorgen mehr zu machen, was alles passieren kann, nachdem ich deine Wohnung verlassen habe."

"Immer muss sie mit dem Heim drohen. Ständig bohrt sie in dieser Wunde herum", murmelt die alte Dame, als sie heute Nacht wieder daran erinnert wird.
Doch wenn sie ernsthaft überlegt, muss sie sich eingestehen, dass ihr das bisschen Haushalt von Tag zu Tag schwerer fällt. Die Knochen wollen nicht mehr so wie früher und sie muss sich öfters zwischendurch ausruhen. Vielleicht hat ihre Tochter ja doch Recht. Aber nicht jetzt entscheiden.
Wie um die Gedanken wegzuwischen, fährt sie mit der Hand über das Gesicht. Dann schaut sie aus dem Fenster auf die Straße hinaus.
Hier ist um diese Zeit zwar wenig zu sehen, aber ab und zu fährt ein Auto vorbei, oder die Nachbarn kommen spät nachts von einem Theaterbesuch nach Hause.

Doch heute scheint es ruhig zu bleiben. Kein Mensch ist unterwegs. Bei den Maiers gegenüber sind die Rollos heruntergelassen und kein Lichtschein dringt nach draußen. Ob sie alle schon schlafen?
‚Na ja, vielleicht kann ich auch ein bisschen schlummern’, denkt sie, nimmt eine Decke, die immer in Reichweite liegt und kuschelt sich gemütlich in ihren Sessel.

Sie will gerade ihre Augen schließen, als sie auf der gegenüberliegenden Straßenseite zwei Schatten wahrnimmt. Sofort ist die alte Dame hellwach und richtet sich auf, um besser auf die Straße sehen zu können.
„Das gibt es doch nicht“, sagt sie laut in den Raum hinein. „Da drüben machen sich dunkle Gesellen zu schaffen. Da, jetzt steigen die beiden über den Zaun.“
Vor lauter Aufregung rutscht sie unruhig hin und her. Was haben die beiden nur vor?

Plötzlich geht das Licht der Straßenlampen aus, wie jede Nacht um diese Zeit. Die alte Dame kneift die Augen zusammen, um in der nun herrschenden Dunkelheit noch etwas erkennen zu können. Doch sie braucht sich nicht lange anzustrengen. Im selben Moment flammt das Licht einer Taschenlampe im Vorgarten der Maiers auf.
„Ha, die haben auch an alles gedacht“, knurrt sie. „Nur nicht daran, dass sie von mir beobachtet werden könnten.“ Sie lacht spitzbübisch auf.
Jetzt sind die beiden Schatten an der Terrassentür angelangt und versuchen sie aufzuhebeln.
„Jetzt ist klar was die vorhaben! Die Meiers wollen sie ausrauben. Dass diese aber auch nichts hören.“ Die alte Frau schüttelt ungläubig den Kopf. „Ach du meine Güte!“, ruft sie laut in die Dunkelheit. „Die sind ja dieses Wochenende alle zusammen zu einer Hochzeitsfeier aufs Land gefahren! Ich muss die Polizei anrufen.“

Langsam erhebt sie sich, zögert aber einen Moment lang, wirft noch einmal einen Blick aus dem Fenster. Nachdenklich dreht sie sich um und schlurft in den Flur hinaus. Als sie nach dem Telefonhörer greifen will, nimmt sie eine innere Stimme wahr: „Halt, meine Liebe. Mach jetzt nichts Falsches. Willst du wirklich die Polizei alarmieren? Denk dran. Du hast vor vier Monaten schon einmal dort angerufen.“
Die alte Dame hält mitten in der Bewegung inne. Sie erinnert sich sogleich an diese Nacht.
Auch damals saß sie am Fenster und starrte auf die Straße. Dabei waren ihr zwei Gestalten aufgefallen, die sich im Garten der Maiers zu schaffen machten. Kurz entschlossen rief sie die Polizei. Doch die stellten fest, dass es lediglich die Kinder der Familie waren, die nach einem Diskobesuch spät abends über das Rosengitter nach oben zur offenen Balkontür geklettert waren, da sie den Schüssel vergessen hatten.
Ihre Tochter, die von der Polizei benachrichtigt wurde, schaute sie mit einem vorwurfsvollen Blick an, der die alte Dame erschauern ließ. Auch ohne Worte konnte sie die Gedanken ihrer Tochter erahnen. 'Du musst in ein Heim und zwar bald', las sie in ihren Augen.

Und nun steht sie wieder vor so einer schwierigen Wahl. Ihr Tun könnte über ihre eigene Zukunft und auch über die der Einbrecher, wenn es wirklich welche sind, entscheiden.

Ratlos steht die alte Dame im Flur, in der einen Hand den Hörer, die andere über der Wählscheibe schwebend. Gespenstisch wird die Szene von schummrigem Licht beleuchtet, das durch die offene Schlafzimmertüre fällt.

Am nächsten Tag steht auf der Titelseite der Tageszeitung: „Lang gesuchtes Einbrecherduo gefasst. Couragierte alte Dame gab Polizei den entscheidenden Hinweis.“


ALTE FASSUNG

Die alte Dame

Es ist dunkel im Zimmer. Die nahe gelegene Kirchturmuhr schlägt die elfte Stunde. Mühsam dreht sich die alte Dame Hermine in ihrem Bett auf die Seite und tastet nach dem Lichtschalter an ihrer Nachttischlampe.
Es ist, wie so oft in der letzten Zeit. Hermine findet nachts kaum noch Schlaf. Ständig grübelt sie nach über Gott und die Welt. Meistens über Sachen, die sie gar nichts angehen, wie ihre Tochter immer betont.
Endlich hat sie den Einschalter gefunden und ihr Schlafzimmer taucht in ein diffuses Licht. Mit einem liebevollen Blick sieht sie auf das aufgedeckte Bett neben dem ihren.
„Ach ja, wenn du nur noch bei mir wärst, dann ginge es mir besser“, flüstert sie.
Dann wendet sie sich abrupt auf die andere Seite und erhebt sich langsam. Dabei stöhnt sie ab und zu, denn ihre alten Knochen gehorchen nicht mehr so wie früher. Aber laut Tochter Gabi geht es ihr doch gut. Sie kann noch alleine in der Wohnung leben und den Haushalt führen. Nur das Putzen und Wäschewachen nimmt ihr dankenswerter Weise die Tochter ab.

Inzwischen hat die alte Dame das Wohnzimmer erreicht. Sie braucht keine Beleuchtung. Sie findet ihren Weg auch im Dunkeln. Durch das Erkerfenster fällt gelbliches Licht von der Straßenlaterne in den Raum und lässt die Konturen des Ohrensessels am Fenster erahnen.
Schnurstracks geht Hermine auf den alten Sessel zu und lässt sich darauf mit einem erleichterten Seufzer fallen. Hier sitzt sie nun im Dustern, wie jedes Mal, wenn sie nicht schlafen kann.
Auf der Straße ist um diese Zeit zwar wenig zu sehen, aber ab und zu fährt ein Auto vorbei, oder die Nachbarn kommen spät nachts von einem Theaterbesuch nach Hause.

Doch heute scheint es ruhig zu bleiben. Kein Mensch ist unterwegs. Bei den Maiers gegenüber sind die Rollos heruntergelassen und kein Lichtschein dringt nach draußen. Ob sie alle schon schlafen?
‚Na ja, vielleicht kann ich auch ein bisschen schlummern’, denkt Hermine, nimmt eine Decke, die immer in Reichweite liegt und kuschelt sich gemütlich in ihren Sessel.

Zufrieden will sie gerade ihre Augen schließen, als sie auf der gegenüberliegenden Straßenseite zwei Schatten wahrnimmt. Sofort ist die alte Dame hell wach und setzt sich auf, um besser auf die Straße sehen zu können.
„Das gibt es doch nicht“, sagt sie laut in den Raum hinein. „Da drüben machen sich Einbrecher zu schaffen. Da, jetzt steigen die beiden über den Zaun.“
Hermine rutscht unruhig hin und her. Ganz aufgeregt ist sie. Was haben die beiden nur vor.

Plötzlich geht das Licht der Straßenlampen aus, wie jede Nacht um diese Zeit. Hermine kneift die Augen zusammen, um in der nun herrschenden Dunkelheit noch etwas erkennen zu können. Doch sie braucht sich nicht lange anzustrengen. Im selben Moment flammt das Licht einer Taschenlampe im Vorgarten der Maiers auf.
„Ha, die haben auch an alles gedacht“, knurrt Hermine. „Nur nicht daran, dass sie von mir beobachtet werden könnten.“ Sie lacht spitzbübisch auf.
Jetzt sind die beiden Schatten an der Terrassentür angelangt und versuchen sie aufzuhebeln.
„Dass Maiers sie aber auch nicht hören.“ Die alte Dame schüttelt ungläubig den Kopf. „Auch du meine Güte!“, ruft sie laut in die Dunkelheit. „Die sind ja dieses Wochenende alle zusammen zu einer Hochzeitsfeier aufs Land gefahren! Ich glaube, ich rufe lieber die Polizei an.“

Hermine tastet sich langsam durchs Zimmer hinaus in den Flur und greift zum Telefon.
„Halt! Willst du dich schon wieder zum Affen machen!“, ruft eine innere Stimme ihr zu. „Weißt du nicht mehr, was vor vier Monaten geschah, als du auch die Polizei angerufen hast?“
Mitten in der Bewegung hält die alte Dame inne. „Oh Gott, ja“, sagt sie zu der inneren Warnung. „Damals hatte ich mich wirklich blamiert. Da dachte ich auch es seien Einbrecher, dabei waren es die Kinder von den Maiers. Sie kamen nachts aus der Disko und hatten ihren Schlüssel vergessen. Deshalb waren sie am Rosengitter nach oben geklettert, um durch die offene Balkontür ins Haus zu gelangen.“
„Siehst du“, antwortet die Stimme „und den selben Fehler willst du heute wieder machen? Die stecken dich dieses Mal bestimmt in ein Seniorenheim. Das muss dir klar sein.“
Verwirrt steht Hermine im Flur. Gespenstisch fällt Licht aus der Schlafzimmertür in die Diele und beleuchtet die Szene. In der einen Hand hält Hermine den Hörer und die andere schwebt über der Wählscheibe.
Soll sie nun, oder soll sie nicht?
„Denk daran, du kommst ins Heim, wenn du das tust“, meldet sich schon wieder das kleine Teufelchen in ihr.
„Und wenn ich’s nicht tue, dann räumen die Diebe die ganze Wohnung der Maiers aus“, entgegnet die Frau.
„Na und, was geht es dich an“. Schelmisches Lachen ertönt in ihrem Innern.

Ein kurzes Zögern, dann kommt Bewegung in die alte Dame.

Am nächsten Tag steht auf der Titelseite der Tageszeitung: „Lang gesuchtes Einbrecherduo gefasst. Alte Dame gab Polizei den entscheidenden Hinweis.“

 

Hallo Bambu,

eine nette Geschichte, zu meiner Erleichterung auch mit positivem Ende, aber etwas distanziert geschrieben. Die Beschreibung "alte Dame" schafft eben Abstand. Ich habe den Thread nur überflogen und finde es schade, dass "Hermine" rausgeflogen ist. Und in der Zeitung würde höchstens "ältere Dame" oder "Seniorin" stehen.

Insgesamt hat mich die Story an meine Hilfe-Geschichte erinnert, wobei du die Angst vor dem Heim und die Macht der Tochter (spannendes Thema!) als Schwerpunkt nimmst.

Schade, dass du dich sonst wenig in "Alltag" tummelst. ;)

Gruß, Elisha

 

Hallo Elisha,

habe gar nicht mehr mit gerechnet, auf meine alte Geschichte noch Kritiken zu bekommen und jetzt gleich zwei hintereinander.

Freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat. Vielleicht hätte ich es doch ein bisschen gefühlvoller schreiben sollen. Du hast Recht, in dem Moment, wo die Protagonistin keinen Namen mehr hatte, gewinnt auch der Leser mehr Abstand zu ihr. Eigentlich komisch, dass man mit Menschen, die einen Namen haben, besser mitfühlen kann, als mit anonymen Personen.

Besonders habe ich mich über deinen letzten Satz gefreut, woraus ich lesen kann, dass du gerne Geschichten von mir liest. Vielen Dank für das Lob!
Momentan habe ich mich ein bisschen in der Rubrik "Kinder" niedergelassen, obwohl ich merke, dass da auch mal wieder ein Text fällig wäre.
Alltagsmäßig habe ich zur Zeit keine so guten Ideen, die sich lohnen würden, um daraus eine Story zu machen.

Nochmals vielen Dank für deine Kritik und
liebe Grüße
bambu

 

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