- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 10
Die alte Schlampe kriegt auf’s Maul
(überarbeitete Fassung)
Familienzusammenführung
Gedanken verloren schritt sie über den Rasen, ihr Blick streifte über die Oberfläche des Sees wie eine gemächliche Brise. Pablo, der Gärtner, hatte soeben die Rasenflächen gestutzt und kam nun auf sie zu.
„Senora Susan, alles erledigt mit dem Rasen. Soll ich noch das Bootshaus ausräumen?“
Ihr Blick driftete melancholisch auf die kleine Holzhütte direkt am Ufer. Tom hatte da ein altes Boot zurechtflicken wollen, der modrige Schuppen war so etwas wie sein Heiligtum gewesen. Aber obwohl er mit seinem besten Freund John dort oft gearbeitet hatte, war das Boot nie fertig geworden. Und jetzt war Tom tot.
„Lass uns das nächste Woche angehen, Pablo. Ich muss noch einmal nach dem Schlüssel suchen.“ Sie schaute den kleinwüchsigen Mexicano mit traurigen Augen an. „Ich habe mich darum noch nicht kümmern können.“
„Pero Senora, no problema. Nach allem, was passiert ist in den letzten Wochen. Zuerst ihr Mann, nun ihr Sohn.“ Tränen kullerten über seine Wangen. Sie war gerührt.
Er verabschiedete sich mit einem bedeutungsvoll kräftigen Händedruck. „Ah Senora, el Senor John ist gerade gekommen und wollte mit ihnen sprechen. Soll ich ihn hereinlassen?“
„El Senor John?“ Ihre Miene verzog sich, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. „Ich denke, es ist besser, ich komme mit nach vorn.“
Sie ging mit Pablo über die Terrasse ins Haus, verabschiedete sich von ihm an der Tür – und da wartete auch schon Toms bester Freund John, ein Spätpubertierender mit fettig glänzender Haut und langen ungepflegten Haaren. Er wirkte ungesund blass, aschfahl war sein Gesicht, und die Augen wirkten erweitert und waren von dunklen Ringen eingerahmt. Susan erschien er wie eine Eule. Eine gemütskranke Eule auf Koks.
„Hallo John“, zwang sie sich wenig erfolgreich zu einem Lächeln. „Du schon wieder.“
„Susan, Du musst mir zuhören! Ich weiß, es klingt wahnsinnig, aber Du bist in großer Gefahr!“
Sie wirkte fast gelangweilt, schon zum dritten Mal diese Woche musste sie sich diese Litanei anhören. John war von Toms Unfall offenbar noch stärker traumatisiert als sie selbst. Ob die beiden vielleicht ein Liebespaar gewesen waren? Vielleicht war es im Bootshaus gar nicht in erster Linie um das Boot gegangen?
„Tom hat sich auf satanische Praktiken eingelassen, er wird zurückkommen!“ Johns Pupillen schienen aus den Höhlen hervorzutreten, sie konnte die roten Äderchen sehen. Es sah ganz und gar ungesund aus.
„John, das ist doch barer Unsinn“, versuchte sie den Jungen zu beruhigen. „Wir stehen alle unter Schock nach Toms Unfall. Aber er ist jetzt tot, er kann nicht mehr zurückkommen.“ Voller Mitgefühl strich sie ihm über den Arm. „Es ist ein schwerer Verlust, aber wir müssen das jetzt akzeptieren.“ Sie warf ihm einen aufmunternden Blick zu: „Erinnere Dich an die schöne Zeit, die ihr gemeinsam hattet.“
John starrte sie irritiert an und fuchtelte wild mit den Armen: „Du verstehst nicht, das war kein Unfall – er hat das alles geplant! Er hat es mir doch gesagt. Es tut mir so leid, Susan, denn ich habe am Anfang nichts darauf gegeben.“
Sie nickte verständnisvoll. Wovon redete der Junge eigentlich?
Johns Stimme wurde hysterischer und überschlug sich: „Er kommt zurück und wird dich töten! Verdammt, er glaubt doch, dass du seinen Vater auf dem Gewissen hast!“
Susan schreckte zurück, als hätte er ihr einen Faustschlag versetzt. „Was redest Du da? Ich soll meinen eigenen Mann umgebracht haben? Bist Du völlig um den Verstand gekommen?“
„Wir müssen ihn aufhalten!“ Johns Kopf zuckte, und er fixierte den Türrahmen, als finde er dort eine wirkungsvolle Lösung für ihr Problem. Mit einem Mal tauchte ein schwaches Lächeln aus den Untiefen seines Verstandes auf: „Wir müssen ihn ausgraben und ihm den Kopf abschlagen! Damit er nicht wiederkommen kann!“
„Ich rufe jetzt die Polizei!“ Susan griff zu ihrem Mobiltelefon und wählte mit ausladender Gestik die Nummer. „Verschwinde von hier, für immer. Ich kann Dir nicht helfen, und ich möchte mit diesem Wahnsinn nicht behelligt werden.“
„Aber Du bist in Gefahr, Susan!“ Er schaute treuherzig zu ihr auf. Offenbar konnte er wirklich nicht verstehen, weshalb sie so abweisend reagierte. „Ich will dir doch nur helfen!“
Fassungslos hörte er zu, wie Susan darum bat, einen Beamten vorbeizuschicken. „Du verstehst nicht, in welcher Gefahr Du bist“, stotterte er, und endlich ging er einige Schritte rückwärts, schüttelte verwirrt den Kopf, und als der Streifenwagen heranfuhr, rannte er schließlich in entgegengesetzter Richtung davon.
Officer Hall stieg aus dem Wagen, sah dem Jungen nach und wandte sich Susan zu: „Wieder sein Freund?“
Susan nickte. „Er verkraftet das noch weniger als ich. Er hat offenbar Wahnvorstellungen, redet von Satanskulten und dergleichen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich mag gar nicht alles wiedergeben, was er gesagt hat. Ich möchte auch nicht, dass er deswegen Schwierigkeiten bekommt. Aber ich habe keine Kraft, mir das jeden Abend anzuhören.“
Der Wachtmeister nickte. „Ich werde mit seinen Eltern reden.“ Er legte beruhigend die Hand auf ihre Schulter. „Es tut mir leid. Eine schlimme Zeit für Sie. Ich habe alle Hochachtung, wie Sie das wegstecken.“ Er wandte sich zum Gehen. „Ich mache mich gleich auf den Weg zu seinen Eltern. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Kommen Sie zur Ruhe.“
Ihr Kopf war leicht, ein wenig schwindelig. Sie konnte kaum etwas in der Dämmerung des Zimmers erkennen. Ein Schleier auf ihren Augen? Sie rieb sich über die Lider. Nein, kein Schleier - Nebelschwaden zogen träge durch das Zimmer, das sich in die Dunkelheit erweitert hatte. Sie sah sich um, konnte aber nirgendwo eine Begrenzung wahrnehmen. Sie fühlte sich auf ihrem Bett wie eine Gestrandete auf einer einsamen Insel. Völlig isoliert schwebte sie durch ein dunkles Universum. Kein Halt, nirgendwo.
Plötzlich eine Gestalt, die aus dem Nichts auftauchte.
„Susan“, rief die raue Stimme fast zärtlich.
Sie schreckte auf.
„Ich wollte Dir helfen, aber es war schon zu spät.“
John lächelte sie mitleidig an.
„Er war schon auf dem Weg zu Dir und als ich ihn aufhalten wollte, hat er mir alles erklärt.“
Sie hörte, wie das Schwert die Luft zerteilte, bevor sie es überhaupt sehen konnte. Wie ein Silberstreif flog es direkt auf ihren Hals zu.
Das Telefon schrillte. Schweißnass schreckte sie aus dem Schlaf auf. Sie griff neben das Bett, schaltete das Licht an. Ihr Atem überschlug sich. Sie richtete sich auf und griff zum Hörer.
Sie erkannte die Stimme von Officer Hall. „Es tut mir leid, Sie zu dieser Stunde zu stören, aber ich war bei Johns Eltern und er ist offenbar nicht nach Hause gekommen, nachdem er bei Ihnen war.“ Er räusperte sich. „Seinen Eltern gegenüber muss er ähnlich wirre Dinge erzählt haben wie Ihnen… ich bin schließlich zum Friedhof gefahren.“
„Zum Friedhof?“
„Er muss eine Wahnvorstellung entwickelt haben – offenbar hat er das Grab ihres Sohnes ausgehoben.“
Nur ein Keuchen entrang sie ihrer Kehle.
„Als ich dort ankam, war der Sarg bereits freigelegt. Er muss den ganzen Abend damit verbracht haben.“
Ihre Stimme war ein tonloses Schwarz. „War Toms Leichnam – unversehrt?“
„Ja, das war er. Ich denke, ich bin noch rechtzeitig gekommen. Jemand von der Wache ist jetzt auf dem Friedhof, und ich werde schauen, ob ich John hier in der Nähe finden kann. Es tut mir unendlich leid, dass…“
Aber sie hatte schon aufgelegt.
Sie schaute sich im Zimmer um, wie zur Orientierung. Allein. Draußen war es dunkel. Alles still. Ihr Herz raste.
Sie stand auf und ging in Toms Zimmer. Sollte doch etwas dran sein an dem, was John gesagt hatte? Ihr Traum beunruhigte sie mehr als sein Gerede.
Es war nicht klar, wonach genau sie überhaupt suchte. Sie begann mit seinem Schrank, durchkramte die Fächer seiner Kommode, überflog seine Zeichenblöcke, räumte die Kisten mit den Sportgeräten aus. Nach ein paar Minuten hatte sie das ganze Zimmer auf den Kopf gestellt.
Aber nichts.
Verwirrt stand sie am Fenster und ließ ihren Blick nach draußen schweifen.
Eine sternenklare Nacht, das Mondlicht reflektierte silbrig auf dem See, das Bootshaus hob sich als dunkle Silhouette davor ab.
Das Bootshaus!
Es schien mit einem Male fast zu offensichtlich! Wie viel Zeit er dort verbracht hatte, und trotzdem war das Scheiß-Boot nie fertig geworden. Und obwohl es dort seit zwei Jahren in marodem Zustand vor sich hin gammelte, hatte er immer darauf geachtet, den Schuppen sicher abzuschließen.
Sie überlegte, wo er den Schlüssel aufbewahrt haben könnte, durchwühlte den Schreibtisch, suchte am Schlüsselbord.
Irgendwann ging sie entnervt in den Werkstattkeller, griff zur Axt und rannte damit durch den Garten.
Mit drei Schlägen brach sie das Schloß auf.
Die Tür öffnete sich unter lautem Knarren nach innen, sie tastete nach einem Lichtschalter, fand aber keinen. Doch was sie im fahlen Licht sehen konnte, verschaffte ihr die Gewissheit: eine Art Altar an der Wand, darüber ein umgekehrt hängendes Kreuz. Fliegen stoben aus einem unförmigen Haufen, es roch nach Verwesung – Tieropfer?
Im Zwielicht regte sich etwas.
„Sieh an“, erhob sich eine tiefe Stimme aus dem Dunkel, „die Schlampe kommt ja ganz von selbst.“
Susan stolperte fast über ihre eigenen Füße vor Schreck. „Wer ist da?“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Hecheln.
„Hier ist Papas Liebling.“ Die Gestalt im Dunkel regte sich. „Du dachtest wohl, Du kommst mit Deiner billigen Giftnummer durch, du abgetakelte alte Hexe?“
„Was reden Sie da? Wer sind Sie?“
Ein Streichholz wurde entzündet, eine Fackel leuchtete auf.
Wenige Meter vor ihr stand Tom. Oder etwas, das ihm sehr ähnlich sah. Sie konnte die Gestalt kaum fokussieren – war das ein Gespenst, eine Wahnvorstellung? Es schien keine feste Materie zu haben.
„Hallo Mami. Überraschung!“ Er lächelte böse. „Die Begeisterung für die schwarzen Künste liegt wohl in der Familie.“ Dann hob er den Arm, eine riesige Sichel glitzerte metallisch. „Zeit für Deinen Abgang!“ Mit einem gewaltigen Ruck, der seinen ganzen Körper erfasste, zog er die Klinge durch die Luft.
Susan hob mit einem Schrei die Axt schützend vor ihr Gesicht, die Sichel donnerte wuchtig gegen den Stahl, Funken sprühten. Dann riss sie die Axt nach oben und ließ sie mit aller Kraft auf die stinkende Nebelgestalt vor sich nieder krachen. Der Stahl fuhr durch den Körper wie durch Butter und teilte die diffuse Gestalt vom Kopf bis zum Becken entzwei. Das Wesen schrie, die beiden getrennten Hälften waberten zur Seite, schienen den Halt zu verlieren. Doch dann reichten sie sich die Hände, kamen wieder zusammen, waren im Begriff, sich zu einem Körper zu vereinigen. Susan riss die Axt erneut empor und trennte mit einem weiteren gezielten Hieb den Kopf vom Rumpf.
„Du widerlicher Punk“ spuckte sie ihm entgegen. „Das hast Du jetzt davon, dass Du Mami böse gemacht hast.“
Toms Kopf rollte über den Plankenboden und kam dann an der Wand mit einem dumpfen Laut zur Ruhe. Ein Geräusch, als würde Luft aus einem Sack entweichen. Sowohl der Schädel als auch der zusammengesackte Körper verloren an Dichte, schienen sich aufzulösen. Susan legte die Axt zur Seite und beugte sich vor die Grimasse von Schmerz und Angst. Sie lächelte.
„Und jetzt wird Mami Deine Seele in sich aufnehmen, mein Schatz. So wie sie es auch mit Papi gemacht hat. Dann sind wir alle wieder vereint.“ Mit einer schlürfenden Bewegung saugte sie den Nebel langsam in sich ein, die Fratze verlor ihre Form und verschwand schließlich in ihr.
Mit den Fingern wischte sie sich über die Mundwinkel. „So ist es brav, mein Schatz.“
Als sie aufstand, knallte die Axt wuchtig in ihre Wirbelsäule. Die Luft entwich durch ihre geteilte Lunge, nur ein Zischen war zu hören. Ihre Augen geweitet vor Überraschung, sackte sie zusammen.
Dann holte John ein zweites Mal aus und hackte ihr den Kopf ab.
„Heimtückische Schlampe.“ John grinste debil auf sie herab.