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- 01.09.2005
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Die Außenseiter von Borlach
Vor Freude über den zu erwartenden Geldsegen musste ich das Haus vergessen haben, als ich mich in den Sommerferien 1992 für den Job als Prospektverteiler beworben hatte. Aber als nur noch ein Infoheft von Enners Elektroparadies („Sie glauben, der Sommer sei heiß? Warten Sie, bis unsere August-Angebote Sie ins Schwitzen bringen!!!“) auf meinem Gepäckträger klemmte, obwohl ich bereits das gesamte Dorf mit Werbung versorgt hatte, kam die Erinnerung an die letzte Station meiner Route umso furchterregender zurück.
Ich musste die Augustenstraße noch ein Stück weiter fahren. Fast einen Kilometer, bis an den Fuß des Gebirges, wo das Mertens-Anwesen einsam stand, so als hätten die anderen Häuser es aus der Gemeinschaft ausgestoßen.
Das Heim der Mertens war ein in den fünfziger Jahren errichtetes Einfamilienhaus, das im Laufe der Jahrzehnte diverse Renovierungsmaßnahmen über sich hatte ergehen lassen. Nichts schien zusammenzupassen. Man hatte das Gefühl, den Besitzern sei ein ums andere Mal mitten in der Modernisierungsphase das Geld ausgegangen, was jedoch unmöglich an etwaigen finanziellen Engpässen der Mertens liegen konnte.
Johann Mertens’ gutgehender Gebrauchtwagenhandel und Luisa Mertens Job als Abteilungsleiterin in einem Supermarkt erlaubten dem Ehepaar einen Lebensstil mit drei Autos, die allesamt mit dem unsichtbaren Etikett „Obere Mittelklasse“ versehen waren. Doch die Mertens waren eher schluderig, wenn es um ihr Haus und ihr eigenes Äußeres ging. Ihn sah man meist unrasiert und im nach Schweiß stinkenden Jogginganzug, hinter ihrem Rücken kicherten oft die Kinder, dass man in ihren Haaren Pommes brutzeln könnte.
Natürlich nur, wenn sie außer Hörweite war, denn sowohl den alten Leuten als auch den Kindern des Dorfes galten die Mertens längst nicht nur als die kuriosen aber harmlosen Exzentriker, die die nach dem Krieg geborenen Erwachsenen in ihnen sahen – Kinderlose, „im Grunde arme Schweine,“ wie mein Vater sie manchmal nannte. Der Grund dafür war eine Geschichte, die meine Großmutter mir eines Sonntagnachmittags erzählt hatte.
Willhelm Mertens, der Vater von Johann, war während der Nazidiktatur bei der SS und mitverantwortlich für die Deportation von Juden aus diversen osteuropäischen Ghettos. Willhelm verbrachte die letzten Jahre der braunen Diktatur in einer geschlossenen Anstalt, weil er einer jüdischen Familie zur Flucht verholfen hatte. Vor KZ oder Hinrichtung bewahrten ihn die Umstände seiner Verhaftung.
Mit einem Rabbi hatte Willhelm Mertens einen Pakt geschlossen. Mertens, der Zeit seines Lebens ein reges Interesse an Okkultismus gezeigt hatte, würde die Familie des Rabbis retten – Im Gegenzug sollte er eine lateinische Version des Necronomicon erhalten, eines Buches voller schwarzer Magie und Gebeten zu Göttern des Chaos, das der jüdische Geistliche einst aus einer Gruft unter einer polnischen Synagoge gestohlen hatte.
Die Abmachung flog auf. Willhelm Mertens wurde verhaftet. Nackt und über eine geschlachtete Katze gebeugt hatte er Beschwörungen aus dem Necronomicon geflüstert. Mein Großmutter sagte, die Nazis hätten das Buch genommen und das Gerücht verbreitet, es habe sich lediglich um ein Kochbuch aus einem spanischen Kloster gehandelt. Mertens, der Idiot, habe das nicht erkannt, weil er gar kein Latein konnte, sondern lediglich vorlas, was dort geschrieben stand.
Dann wurde der Blick meiner Großmutter starr, und sie sagte mehr zu sich selbst als zu mir: “Er wusste genau, was er tat. So genau wie die Nazis. Was immer sie mit dem Buch gemacht haben ... Wahrscheinlich liegt es heute irgendwo in einem Keller in Amerika oder Russland und fängt Staub.“
Ich war zu jung, um die Geschichten meiner Großmutter mit einem Lächeln abzutun und hinter ihrem Rücken mit den Augen zu rollen, wie meine Eltern es immer taten. Alle Kinder in der Gegend, oder zumindest die, die Großeltern hatten, hielten respektvollen Abstand zum Haus der Mertens. Boshaftigkeit und ein Interesse an schwarzer Magie, darauf hatte man sich unausgesprochen geeinigt, vererbten sich von einer Generation zur nächsten wie Haarfarben und Nasenformen.
Einer der wenigen der unter Fünfzehnjährigen, die die Nähe des Mertens-Hauses zu keiner Tageszeit fürchteten, war Johannes Stahnke gewesen. Er hatte zum Beginn des neuen Schuljahres den Fußballverein gewechselt. Nach dem Training führte ihn sein Nachhauseweg nun stets am Haus der Mertens vorbei, weil alles andere einen enormen Umweg bedeutet hätte. Es wurde Herbst, es wurde Winter, und Johannes hatte begonnen, in der Schule damit aufzuschneiden, dass er auch in den stockfinsteren Novembernächten nicht einsah, warum er „drei Kilometer durch die Pampa“ fahren solle nur wegen eines „bekloppten Einsiedlers und seiner frigiden Schlampe,“ wie sein Vater die Mertens gerne nannte.
Ich war damals sehr stolz darauf, Johannes Stahnke einen meiner besten Freunde nennen zu dürfen. Außer dem mir verhassten Fußball hatten wir mit Kinofilmen und Marvel-Comics sehr viele gemeinsame Interessen, und es war nicht zuletzt ein geteilter, von Außenstehenden häufig angefeindeter primitiver Fäkalhumor, der uns fest zusammenschweißte.
Johannes hatte eine kirschrote Star Wars Schirmmütze, auf der ich einmal mit schwarzem Edding einen „Darm“ aus dem „Star“ gemacht hatte. Mein Freund war darauf in Tränen ausgebrochen. Vor Lachen. Er hatte das Ding fortan quasi nicht mehr abgenommen.
Das war gut drei Monate vor seinem Verschwinden gewesen. Johannes Stahnke kehrte eines Abends im Dezember nicht nach Hause zurück.
Wahrscheinlich hatte damals so ziemlich jede Großmutter im Dorf der Polizei den Tipp geben, man solle sich doch mal das Mertens-Anwesen vornehmen.
Eines Abends waren auch zwei Ermittler bei uns zu Hause gewesen, weil sie durch Johannes’ Eltern von unserer engen Freundschaft erfahren hatten. Im Beisein meines Vaters wurde ich gefragt, ob Johannes in letzter Zeit anders gewesen wäre und was er so erzählt hätte. Hatte es Streit mit den Eltern gegeben? Ärger in der Schule? Hatte er sich vielleicht unglücklich verliebt? Oder sonst irgendeinen Grund, von zu Hause wegzulaufen? Ich hatte jede Frage mit wortlosem Kopfschütteln beantwortet.
Dann war meine Großmutter ins Wohnzimmer eingefallen wie Hitler in Polen. Meine Mutter hatte sie zwar so schnell es ging am Ärmel zurück in die Küche gezogen, aber vorher hatte Oma es noch geschafft, den Beamten in rüdestem Vokabular Inkompetenz vorzuhalten und sie angeschrieen, wie offensichtlich doch wohl alles war: Das Mertens-Haus lag auf dem Nachhauseweg des Kindes, das Kind war verschwunden. Eindeutiger ginge es doch wohl nicht!
Als meine Großmutter fort war, entschuldigte mein Vater sich flüsternd und schenkte den Beamten einen Blick, der sagte: Alte Leute, sie verstehen. Die Polizisten hatten genickt, einer sogar gelächelt. Sie hatten verstanden.
Johannes blieb verschwunden.
Während ich mich in der schwülen Nachmittagssonne dem Mertens-Haus näherte, dachte ich an meinen Freund und wo er jetzt sein mochte. Ob er überhaupt noch lebte. Gut sieben Monate waren seit seinem Verschwinden vergangen.
Ich hielt an. Weit unter mir, im Tal, hörte ich das Rattern der Traktoren. Ein leises, unwirkliches Summen. Das Geräusch tausender von Mücken war hier oben lauter. Wie in Trance beobachtete ich das Haus und vor Schreck fast mitsamt meinem Fahrrad gestürzt, als im Graben neben mir irgendein Kleintier das Gras zum Rascheln brachte.
Ein unechtes Lachen kam über meine Lippen und ich sagte zu mir selbst, dass es Zeit war, erwachsen zu werden und die Lagerfeuergeschichten der Kindheit der nachwachsenden Generation zu überlassen. Schließlich hatte ich sie lang genug gehabt.
Ich setzte meinen Weg fort und musste dabei nicht nur gegen die zunehmende Steigung des Weges, sondern auch meine eigenen unwilligen Beine ankämpfen. Offenbar hatten sie die Lagerfeuergeschichten noch lange nicht wem anders überlassen.
Der Garten, durch den ich auf meinem Weg zur Haustür schritt, war zum Teil gepflegt wie der eines Fußballplatzes in einem Stadium von internationaler Bedeutung. Ein anderer Teil war unrettbar von Unkraut und Schlingpflanzen eingenommen worden, so dass man sich an einen Urwald erinnert fühlte. Schemenhaft konnte ich Gegenstände unter dem wuchernden Grün erkennen: Einen Grill, eine Harke, und etwas, das meine Fantasie mir einen furchtbaren Augenblick lang als blutige Kettensäge vormachte, sich bei näherem Hinsehen aber als nicht näher identifizierbares Stück rotes Plastik herausstellte.
Genau wie am eigentlichen Mertens-Haus traf im Garten alt auf neu, edel auf schäbig, gepflegt auf verwahrlost. Der Briefkasten neben der Haustür war ein abgeblättertes stumpfes Messingding, das das Licht der Sonne schon lange nicht mehr reflektierte. Ich warf das Werbeprospekt ein und zog meine Finger hastig wieder an mich.
„Hast du Angst, er könnte dich beißen?“
Die Männerstimme sprengte die Sommernachmittagstille so unverhofft, dass ich vor Überraschung aufschrie. Ich fuhr herum und vor mir stand Johann Mertens, lächelnd. Er trug ein weißes Sweatshirt, auf dem ein gelbbrauner Kaffeefleck prangte wie eine verunglückte Version des Batman-Emblems. Mit seiner fliehenden Stirn und der schwarzen Hornbrille erinnerte er mich irgendwie mehr an meinen Sozialwissenschaftslehrer als an Leatherface, von dem ich insgeheim gefürchtet hatte, er würde die Tür aufreißen, sobald ich nah genug war.
„Guten ... äh, hallo.“
Ich glaube, es klang, als würde ich mich räuspern.
„Ja.“ Mertens musterte mich wie einen faulen Fisch. „Dir auch.“
Er nahm das Prospekt aus dem Briefkasten und blätterte es unter verächtlichem Stöhnen durch. Die Lektüre schien ihm tatsächliche, physische Schmerzen zu bereiten.
„Was für ein Quatsch,“ maulte er. „Was für ein Blödsinn! Wasserdichte Videorecorder fürs Badezimmer! Fernseher mit Bildröhrentechnologien, die dir die Netzhaut verbrennen, wenn du zu nah rangehst! Was für ein Scheiß! Und alles nur, um uns abzulenken, was?“
„Ähm, äh“, stotterte ich, während ich versuchte, Mertens körperliche Verfassung einzuschätzen, um die Wahrscheinlichkeit zu berechnen, dass er mich bei einem Sprint zu meinem Fahrrad einholen würde.
„Ich sagte ‚Und das alles nur, um uns abzulenken’, was, kleiner Mann?“
„Äh, ja, wovon ablenken denn,“ fragte ich Interesse heuchelnd.
Mertens beugte sich zu mir runter. Sein Gesicht roch nach After-Shave mit Götterspeise.
„Von den Würmern. Die in der Erde auf uns warten. Geduldig. Weil sie wissen, dass wir alle früher oder später eh’ bei ihnen landen. Alle.“ Er tippte mir auf die Brust. „Jeder ... Einzelne.“
Die Haustür wurde aufgerissen und eine Frauenstimme intonierte mit der Autorität eines Lateinlehrers: „Verdammt, jetzt reicht es aber, Johann!“
Als ich mich umdrehte, stand da Luisa Mertens, die Haare so fettig wie eh und je, aber mit einem Gesicht, dessen ungepflegter Teint nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass es hübsch war.
Für den Bruchteil einer Sekunde pochte mein Herz etwas langsamer, begann aber wieder zu rasen, als mein Blick durch die offene Küchentür einen Tisch mit karierter Tischdecke erfasste. Eine abgetrennte Hand lag darauf.
Mein Schrei wurde im Ansatz von Johann Mertens erstickt, der mich von hinten packte und ins Haus schob.
Er war stark. Ich hatte meinen linken Arm noch frei und schlug damit um mich, bis er mich eine Sekunde lang losließ, so dass er beide Arme zu fassen kriegte und sie mir auf dem Rücken verschränkte. Luisa Mertens hielt mir nun den Mund zu, und überrascht stellte ich fest, wie angenehm weiblich ihre Hände rochen, fettige Haare hin oder her.
„Wir tun dir nichts,“ sagte sie.
Da Mertens Arme sich nun auch um meinen Oberkörper gelegt hatten, konnte ich meiner Panik nur mit den Beinen physisch Ausdruck verleihen. Ich stapfte von einem Fuß auf den anderen, lief, ohne von der Stelle zu kommen, und trat Luisa Mertens schließlich in den Bauch, so dass sie mit einem überraschten „Uhuff“ von mir abließ.
Johann Mertens löste seinen Zangengriff. Mit den Worten „Schatz! Ist alles in Ordnung?“ kniete er sich neben seine Frau auf den Fußboden, wo sie sich wand und nach Luft schnappte wie ein geangelter Fisch auf einem hölzernen Pier.
Weil die Mertens den Weg zu Haustür blockierten, machte ich ein paar Schritte in ihr Wohnzimmer, nahm eine leere Weinflasche von einem Eichentisch und zerschlug sie an dessen Kante. Ich brauchte dafür vier elende Versuche. Es war vielleicht meine wichtigste Lektion, was den Unterschied zwischen Hollywood-Filmen und dem Leben anging.
„Bist du fertig?“ fragte Mertens mit genervter Stimme. Meine John-Wayne-Einlage hatte er mit ungeduldig fragendem Blick beobachtet.
„Den ersten ...“ keuchte ich. Das Gefühl, bewaffnet zu sein, ließ meinen Atem langsamer gehen, so dass überhaupt wieder an Sprechen zu denken war. „Den ersten von euch beiden Psychos, der mir zu nahe kommt, schlitz ich auf!“
Ich hatte keine Ahnung, ob das mit einer kaputten Flasche überhaupt möglich war. Ich bezweifelte es. Ich hatte nur etwas möglichst Aggressives sagen wollen. Für einen Augenblick fühlte ich mich an eine Wasserschlange erinnert, über die ich etwas im Biologieunterricht gehört hatte. Sie war eigentlich harm- und schutzlos, schreckte aber Fressfeinde mit dem Muster auf ihrem Körper ab, das dasselbe war wie bei einem hochgiftigen Artgenossen. War jedoch ein Greifvogel so ausgehungert, dass er es drauf ankommen ließ ...
Johann Mertens erhob sich.
„Leg’ das hin, bevor du dich schneidest, und dann hör’ mir zu.“
Ich dachte daran, dass er wahrscheinlich denselben Ton draufhatte, wenn ein Kunde seines Gebrauchtwagenhandels zwei Tage nach Vertragsabschluss plötzlich wieder schimpfend in der Tür stand, weil ihm mit siebzig auf der Landstraße unangekündigt das Lenkrad in den Schoß gefallen war.
„Sie lassen mich hier raus!“ schrie ich, und ich hasste mich dafür, dass man meiner Stimme den heraufziehenden Weinkrampf anhören konnte.
„Jetzt beruhig’ dich doch erst mal, Kleiner. Du hast etwas gesehen, aber ich verspreche dir, es ist nicht so ...“
„Ist es nicht? Da liegt also keine Hand auf ihrem Küchentisch, sie gottverdammtes Kannibalenarschloch?“
Ich zeigte in die Küche wie ein Zeuge vor Gericht auf den Angeklagten.
Die beiden Mertens sahen in die Küche. „Oh verdammt ...“ sagte Johann. Dann gingen sie auseinander.
„Ja! Ich hab’s gesehen, ihr perversen Wichser!“ schrie ich. Zu meinem Erstaunen schien keiner der Beiden länger Notiz von mir zu nehmen. Stattdessen studierten sie den Fußboden, so als hätte Luisa den Stecker einer ihrer billigen Ohrringe verloren.
Ich sah in die Küche. Die Hand war fort. „Was?“ fragte ich, ohne eine Antwort zu erwarten.
Als ich wieder zu den Mertens sah, starrten beide auf meine Füße. Johann winkte beschwichtigend, eine Geste, wie man sie vor einem knurrenden Dobermann macht während man denkt ‚Scheißescheißescheiße ...’.
„Nicht ... bewegen,“ flüsterte er. Genauso gut hätte man einen Alkoholiker in einen Raum mit einer Flasche Wodka sperren und ihn bitten können, nicht davon zu trinken.
Ich sah auf meine Nike-Turnschuhe. Zwischen ihnen lag die Hand. Aber eigentlich lag sie nicht - sie stand, auf den Fingern, so dass sie aussah wie eine Tarantel. Und mit einer ebensolchen Bewegung, dem widerlich flinken Huschen einer Spinne, krabbelte das abgetrennte Gliedmaß mit einem Übelkeit erregenden Kitzeln über meine Beine, meinen Bauch und meine Brust. Sie legte sich um meinen Hals und drückte zu, worauf mein hohes Schreien zu einem atemlosen Krächzen degenerierte.
Ich stolperte, ließ die zerbrochene Flasche fallen und krallte meine Finger fest in den Angreifer, dessen graugrünes Fleisch porös war und schnell riss, ohne das Blut geflossen wäre. In meiner Nase schwelte und ätzte ein Geruch, den ich nicht kannte und den ich doch erkannte: Die Hand war in einem fortgeschrittenen Verwesungszustand.
Johann Mertens lief auf mich zu und befreite mich nach kurzem Kampf von der körperlosen Klaue, die auf dem Eichentisch landete, wo sie verharrte und uns anzusehen schien.
Mertens schob den Ärmel seines Kaffeefleck/Batman-Sweatshirts hoch. An seinem rechten Unterarm war mit einem dicken Lederriemen eine Apparatur befestigt, die aus einem mittelalterlich anmutenden Mechanismus und vier silbernen, angespitzten Eisenbolzen bestand. Metall klickte auf Metall, dann ertönte das Surren eines Gegenstandes, der die Luft mit hoher Geschwindigkeit durchschnitt.
Der abgeschossene Bolzen bohrte sich durch den Rücken der Tarantel-Hand. Im Moment des Aufpralls traten Widerhaken aus dem oberen, stumpfen Ende heraus, die verhinderten, das er einfach durch Fleisch und Tisch durchschoss.
Die Fingernägel der Hand kratzten über den Tisch. Zwei von ihnen brachen dabei ab. Sie war gefangen.
Einige Sekunden war es still. Als Johann Mertens sich mir schließlich zuwandte, war ich einen furchtbaren Augenblick lang sicher, er würde seinen Arm heben, um mich mit Eisenbolzen an den Fußboden zu nageln, wie er die Hand an den Tisch genagelt hatte. Aber er lächelte und die Bolzen blieben, wo sie waren.
„Ist alles o.k.?“ fragte er und half mir hoch. Als ich stand, griff er mir einige Sekunden unter die Achseln. Offenbar hatte er bemerkt, dass meine Beine zitterten wie die eines Gewichthebers, der sich überschätzt hat.
Ich schluckte und konnte meine Augen nicht von der Hand nehmen, die immer kämpferischer versuchte, sich zu befreien, wobei die Spitzen der Widerhaken sich tiefer in das faule Fleisch gruben.
Aus dem Nichts kam plötzlich ein Handtuch geflogen und verdeckte die Sicht auf den furchtbaren Anblick. Ich sah auf. Luisa Mertens hatte es geworfen. Auch sie lächelte mich an.
„Blödes Ding, was?“ sagte sie und lachte dabei. „Ich werd’ uns erst mal was zu trinken machen. Johann, warum ... zeigst du unserem Gast nicht das Haus?“
„Hältst du das für eine gute Idee?“
„Glaubst du, es ist besser, ihn ohne jede Erklärung nach Hause zu schicken, nach dem, was er gesehen hat?“
Johann Mertens ließ seine merkwürdige Waffe wieder unter seinem Sweatshirtärmel verschwinden und spielte kurz mit Daumen und Zeigefinger an seiner Nase herum.
„Na dann.“ Er legte seine Hand auf meinen Rücken. „Der Weg zur Erkenntnis führt in den Keller.“
Mein Gesicht schien nicht wirklich Begeisterung zu spiegeln. Mertens ließ ein paar erklärende Worte folgen: „Junge,“ er ließ das verdeckte Bolzenschussgerät vor meinen Augen tanzen, „wenn wir dir irgendwas wollten, glaubst du nicht, dass du schon ... na ja ... “
Kein bisschen beruhigt folgte ich Mertens in den Keller. Ich fühlte mich hypnotisiert wie ein Reh, das im Angesicht von Autoscheinwerfern erstarrt war, unfähig, dem Verhängnis auszuweichen, obwohl es sich überdeutlich näherte.
Im Keller roch es nach Parfüm, Benzin, den Unmengen von Duftbäumen, die von der Decke hingen wie die hässlichste Partydekoration aller Zeiten und einem penetranten, gemeinen Gestank – den die anderen Odeurs offenbar verdecken sollten. Sie machten ihren Job schlecht.
„Entschuldige den Geruch. Unser Business ist alles andere als ... sauber, wie du dir vielleicht denken kannst.“
„Ja, ich ...,“ meine Stimme war weit entfernt, „... das weiß ich. Mein Onkel Rudi hat mal gesagt, Gebrauchtwagenhändler sind noch viel, viel schlimmer als Politiker, und wenn sie Onkel Rudi mal über Politiker reden gehört hätten, wüssten sie ...“
Mertens grinste mich an. Das grelle, weiße Kellerlicht ließ ihn aussehen wie ... Ich hatte arge Mühe, ein gutes Dutzend entsetzlicher Assoziationen zu verdrängen.
„Du bist pfiffig. Versuch nicht, mir was anderes vorzumachen. Ich bin so sehr Gebrauchtwagenhändler wie Clark Kent Journalist ist.“
Ich sah ihn fragend an.
„Verstehst du nicht? Superman. Eigentlich ist Clark Kent Superman. Aber damit ihn niemand ...“
Von oben drang Luisa Mertens Stimme durch die offene Kellertür: „Und Sternchen, vergleich dich bitte nicht wieder mit Superman.“
„Wieso nicht?“ Sternchen klang aufgebracht. „Er ist ein kleiner Junge und es ist eine Spitzenmetapher für das, was wir ...“
„Schatz bitte, es ist sooo peinlich!“
Mertens gab mir den internationalen Männer-Geheimaugenaufschlag für „Weiber, pah!“ und setzte sich auf eine Kiste, die aussah, als würde Long John Silver nach ihr suchen.
„O.k.. Kurz und schmerzlos. Meine Frau und ich stammen beide jeweils aus einem Geschlecht von Hexenjägern. Die Geschichten, die du über meinen Vater kennst, sind wahr. Er war abtrünnig ... Ja, das ist wohl das richtige Wort. Ein ...“
„Hexer?“ fuhr ich Mertens in den Satz. Es war interessant zu sehen, wie schnell man bereit ist, ungefragt die irrwitzigsten Dinge zu glauben, wenn man erst mal von einer abgehackten, halbverwesten Hand angegriffen worden ist.
„Nein.“ Mertens schüttelte den Kopf und unterstützte diese Geste mit einem Wackeln seines Zeigefingers. „Es gibt keine Hexer. Nur um Märchen.“
Ich zog die Augenbrauen hoch.
„Ja, ja, ich weiß, wie sich das gerade angehört hat. Aber ... Hexen sind ausschließlich Frauen. Männer können ihnen höchstens ... helfen. Eine Art Herrin und Diener Verhältnis eingehen. Die Belohnung ist dann meistens materieller Natur, aber natürlich kann es sich um alles Mögliche handeln, dichteres Haar, lebenslange Immunität gegen Prostatakrebs, ein längerer ... Du verstehst.“
Mertens erzählte weiter, irgendwas über die Jahrtausende, den wahren Kern von Schneewittchen und warum zur Zeit der Hexenverfolgungen nicht eine einzige wirkliche Hexe hingerichtet worden war. Ich versuchte, aufmerksam zuzuhören, verstand aber nicht alles. Meine Umgebung lenkte mich ab.
Zum Teil beherbergte der Keller den üblichen Inventar leerer Kartons, ausgedienter Elektrogeräte und Mineralwasserkisten, wie man ihn in jedem Ottonormalverbraucherhaushalt findet. Aber dann waren da die anderen Dinge, von denen die meisten an der Wand hingen wie Gemälde, ausgestopfte Hirschköpfe - oder auch Flinten und Säbel. Was vermutlich der beste Vergleich war, denn bei vielen der anderen Dinge schien es sich tatsächlich um Waffen zu handeln.
Ich sah scharfe Kanten, eiserne Spitzen, Klingen, Pfähle und Kruzifixe, an denen die Querbalken des Kreuzes wie eine Axt geformt waren. Die Abschuss-, Schlag- und Stoßmechanismen schienen mir größtenteils noch um ein vielfaches befremdlicher als die Funktionsweise des Bolzenschussgerätes an Mertens Arm.
Da war eine eiserne Maske, wie ich sie ich in ähnlicher Form mal in einem Film mit Richard Chamberlain gesehen hatte. Dieses Exemplar war zur zusätzlichen Folter des Trägers so geformt, dass ihm ein eiserner Zylinder in den Mund gestoßen wurde, an dessen Ende eine kleine Büste, die einen schlafenden Dämon darstellte, befestigt war. In einer Hand hielt die Kreatur eine Sichel, nicht größer als eine Rasierklinge. Jemand schien einen Kübel Eiswasser in meinen Nacken zu schütten, als ich erkannte, dass der Brustkorb der Dämonenfigur sich gleichmäßig hob und senkte.
Mertens folgte meinem Blick und atmete aus. Er klang erschöpft.
„Harte Bandagen.“
„Huh?“ fragte ich, als habe mein Wecker mich gerade mitten aus einem besonders verwirrenden Traum geholt.
Mertens nickte in Richtung der furchtbaren Maske.
„Keine Regeln. Auf beiden Seiten. Krieg bringt das Schlechteste in jedem von uns hervor. Und wir befinden uns im Krieg.“
Das Lachen hatte mich zu überraschend und gewaltig überkommen, als das ich es hätte unterdrücken können.
„Hier?“ prustete ich. „In Borlach? Hier herrscht Krieg? Zwischen Hexen und euch? Böse und gut?“
„Ist das lustig?“
„Es ist ... Ich meine ... Es ist fast eine Stunde mit dem Auto bis zum nächsten Aldi, am Wochenende fährt hier kein Bus ... Aber hier passiert ... so was?“
„Seit Jahrhunderten. Vielleicht seit Jahrtausenden. Die Geschichte meiner Familie,“ er stand von der Kiste auf, „lässt sich weit zurückverfolgen, sehr weit. Allerdings nicht so weit, dass nicht einige Fragen unbeantwortet blieben.
Borlach ist tatsächlich eine Art ... Zentrum. Viele der Frauen hier sind Hexen. Das Dorf wurde vor mehr als tausendzweihundert Jahren auf einer ihrer Opferstätten errichtet. Viele-“
„Die alte Frauen?“ unterbrach ich Mertens.
„Einige von ihnen, ja.“
Über uns hörte man leise das grässliche Scharren der festgenagelten Hand auf dem Wohnzimmertisch. Mertens ging zu einer eisernen Tür und öffnete sie. Dahinter war kein Raum, sondern lediglich eine Nische, groß genug für vielleicht vier erwachsene Personen. Im Zentrum der Nische stand auf einem mit Kreide gemalten Pentagramm die vermodernde Leiche einer alten Frau. Hals, Beine und Arme – am rechten fehlte die Hand – lagen in Ketten, die die Extremitäten mit den Wänden, der Decke und dem Fußboden verbanden, so dass sie die Gefesselte zu absoluter Bewegungslosigkeit verdammten.
Ich erkannte Martha Schneider an ihrer Swatch-Uhr, die mir mal aufgefallen war, als sie sich im Bus in die Stadt dreist neben mich gesetzt und angesprochen hatte. Diese Uhr passte an ihr Handgelenk wie ein Düsenjäger in einen Piratenfilm, weshalb sich mir der Anblick eingebrannt hatte.
„Das ist Martha Schneider, die vor drei Monaten verschwunden ist!“ rief ich. „Was haben sie mit ihr gemacht? Sie ... “
Die Leiche hob den Kopf und öffnete die Augen. Eines stierte mich an, das andere war bereits größtenteils aufgefressen worden von einigen träge durcheinander wuselnden Maden – den Nachmietern des Auges.
„Wir haben sie eines Sonntagnachmittags im Wald dabei erwischt, wie sie versucht hat, mit einem Zauber ihre Seele in den Körper ihres fünfjährigen Enkelkindes zu transferieren. Wir mussten das Kind, äh, manipulieren, damit es sich an nichts erinnern kann ... “
„Daria Schneider sitzt in der Klapse, starrt die Wand an und spricht kein Wort!“ rief ich, beeindruckt vom empört erwachsenen Klang meiner eigenen Stimme. Das ständige Geschirrgeklapper aus der Küche über uns wurde für einen Moment unterbrochen.
„Das wird aufhören,“ antwortete Mertens ruhig. „Manchmal kann es etwas dauern, aber sie wird wieder völlig normal werden. Sie wird sich an nichts erinnern können. Und vor allem wird sie sie selbst sein. Sie wird sich nicht in einem achtzig Jahre alten Körper gefangen finden und dann als senil in ein Heim abgeschoben werden, wenn sie versucht, jemandem zu sagen: ‚Hey, Ich bin’s!’“
Marthas Auge rotierte in seiner Höhle. Ihr Blick kroch zwischen Mertens und mir hin und her. Sie war geknebelt – mit einer Eisenplatte, die mit Schrauben befestigt war, die jemand durch ihren Kiefer gebohrt hatte. Die Unmengen von getrocknetem Blut auf ihrem beigefarbenen Rollkragenpullover ließen erahnen, dass man den Maulkorb angebracht hatte, bevor sie gestorben und ausgetrocknet war. Denn tot war sie ja offenbar. Irgendwie.
„Für Cruella de Ville hier ging der Zauber durch unsere Unterbrechung voll nach hinten los. Ist bestimmt ’n ärgerliches Gefühl, wenn der Körper bei der Unsterblichkeitssache nicht mitzieht. Wir halten sie gefangen, damit sie uns mehr über die anderen Hexen im Dorf verrät. Wen wir im Auge behalten müssen. Wie mächtig sie sind. Da gibt es ... so was wie Gewichtsklassen.“
Auf einem Fass draußen vor der Eisentür lagen ein Zettel und ein Stift. Mertens reichte mir das Papier. „Bisher war Frau Schneider nicht sehr kooperativ.“
Ich las den Zettel: "Es gibt einen Zauber, der euch für den Rest eures Lebens glauben lässt, ihr hättet es eurer Mutter mit der Zunge besorgt."
„Wenn wir ihr den Maulkorb nicht verpasst hätten, ginge das die ganze Zeit so. Große Klappe und nichts dahinter. Ihre magischen Kräfte sind quasi nicht mehr vorhanden. Dafür ist sie jetzt so ’ne Art Zombie.“
Mertens legte den Kopf schief und lächelte Martha Schneider an. „Mann, selbst mit Dolph Lundgrens Karriere ging es weniger steil bergab. Wie genau ist das, wenn das Ungeziefer, dass du ein Leben lang achtlos zertreten hast, dich plötzlich als Mahlzeit begreift?“
Der fröhliche Unterton in Mertens Stimme ließ mich Mitleid für das Martha-Schneider-Ding empfinden. Mein Wunsch, dass Mertens-Haus zu verlassen, kehrte übermächtig zurück, nachdem die Faszination am gehörten und gesehenen Grauen ihn längere Zeit erfolgreich unterdrückt hatte.
„Ihr ... foltert sie?“ fragte ich und fühlte mich dabei, als würde ich die McDonald’s-Bedienung fragen, ob man denn auch Hamburger im Angebot führe.
Mertens sah mich nachdenklich an.
„Wie gesagt: Keine Regeln, harte Bandagen.“
Er nahm eine Armbrust von der Wand.
„Außerdem kriegt sie den Gnadenstoß, sobald sie uns Namen gibt. Treffpunkte. Pläne. Und so weiter.“
Schon seit längerer Zeit ruhte jetzt Marthas Auge ausschließlich auf mir. Als Mertens es bemerkte, grinste er.
„Wahrscheinlich denkt sie darüber nach, was sie alles mit dir anstellen könnte. Hexen lieben Kinder. Junge Körper sind perfekt für ihre Salben, Elixiere oder einfach nur getrocknet, als Rohmaterial für Dekorationsgegenstände.“
Mein Magen war eine Waschtrommel, die ohne Anlaufzeit begonnen hatte, sich auf voller Geschwindigkeit zu drehen.
„Auch die Degradierung von Hänsel zum Feiertagsbraten in diesem Märchen ist nicht rein metaphorisch zu begreifen.“
Ich schluckte.
„Zitronenlimo ist fertig!“ rief Luisa Mertens.
Johannes schloss Martha Schneider – was von ihr übrig war – wieder in die Schwärze ihres engen Verlieses ein. „O.k., trinken wir also erst mal was!“
Ich hatte mir danach größte Mühe gegeben, den Nachmittag bei den Mertens zu vergessen. Natürlich war ich ein wenig überrascht, dass sie mich einfach so gehen ließen. Aber wem hätte ich das Erlebte auch schon erzählen sollen? Für die Erwachsenen im Dorf waren die Mertens zwei Freaks, die man lieber für sich ließ. Aber zwei Hexenjäger, die im Keller ein Martha-Schneider-Zombie-Ding verhörten, um die Namen von im Dorf lebenden Hexen zu erfahren? Spätfilmverbot bis ins nächste Jahrtausend, mehr wäre nicht dabei rumgekommen, hätte ich irgendwas erzählt.
Tatsächlich schaffte ich es, die Ereignisse im Mertens-Haus und das, was Johann Mertens mir erzählt hatte, aus meinen Tagen weitestgehend in die Albträume der Nacht zu verbannen. Bis zum Tod meiner Großmutter.
Bereits einige Tage nach der Beerdigung räumte ich zusammen mit meinem Vater die nun leerstehende Wohnung im ersten Stock unseres Hauses aus. Wie unsensibel den Nachbarn dieses Verhalten erscheinen mochte, war meinen Eltern relativ egal. Mein Vater hatte zwei Monate vor Omas Tod seinen Job verloren und die Möglichkeit, das Obergeschoss zu vermieten, bot nun einen finanziellen Fallschirm, um den sozialen Absturz etwas zu bremsen.
Wir wollten gerade anfangen, das Schlafzimmer, in dem Uringeruch uns fast den Atem raubte, auszuräumen, als meine Mutter von unten meinen Vater ans Telefon rief. Papa legte seine Hand auf meine Schulter, um mit mir nach unten zu gehen. Er ging wohl davon aus, dass ich kein Interesse daran hätte, alleine in dem Zimmer zu bleiben, in dem wir vor nicht allzu langer Zeit den leblosen Körper seiner Mutter entdeckt hatten – Auf dem Rücken liegend, die Hände gefaltet, die Augen geschlossen, der Mund ein emotionsloser Strich. Der tote Körper war zu einem stummen, unbeweglichen Teil der Einrichtung geworden.
Ich sagte nein, es wäre schon o.k., ich würde bleiben und kurz auf ihn warten. Als ich die Stimme meine Vaters im Erdgeschoss Gerd Sieler von nebenan begrüßen hörte, setzte ich mich. Mit den Hacken stieß ich gegen etwas unter etwas Bett.
Ich kniete mich hin, zog die Decke wie einen Vorhang hoch und entdeckte ein tönernes Gefäß. Der Deckel hatte die Form eines Gesichts. Um ihn abzunehmen, musste man Zeige- und Mittelfinger in die Augenhöhlen und den Daumen in den Mund stecken. Ich dachte an Bowling.
Sirup. Das war meine erste Vermutung. Die Flüssigkeit in dem Gefäß sah aus wie ein dunkelbrauner Sirup. Ich nahm meinen Haustürschlüssel aus der Hosentasche und ließ ihn vorsichtig die Oberfläche durchstoßen. Kreise bildeten sich, genau wie in bei einem See, in den man einen Stein wirft. Also war was immer es war zu flüssig für Sirup.
Eine Fliege setzte sich auf das offene Gefäß und krabbelte die Innenwand entlang der Flüssigkeit entgegen. Sie ließ ihren Rüssel eintauchen. Dann summte sie davon, schwirrte über dem Bett auf und ab und flog schließlich dem geschlossenen Fenster entgegen, wobei das Geräusch ihrer Flügel um einige Tonlagen nach oben schnellte wie das Fauchen eines Formel-Eins-Motors beim Überholmanöver.
Die Fliege zerplatzte an der Scheibe und hinterließ einen schmutzig rotgelben Fleck.
Vorsichtig wich ich von dem Gefäß zurück. Etwas wurde aus der Tiefe emporgetrieben. Ich ballte eine Hand zur Faust, als die schwarze Flüssigkeit Blasen schlug.
Das Ding, das darin schwamm, gelangte schließlich so unmittelbar unter die Oberfläche, dass ich es erkennen konnte. Ich schrie, rannte aus dem Zimmer und stürzte auf der Treppe, so dass ich mir den Arm brach.
Zuerst hatte ich nur etwas Rotes erkennen können. Dann sah ich, dass es sich um ein Stück Stoff handelte. Schließlich hatte ich Buchstaben lesen können. Sie waren vergilbt und lückenhaft, aber es hatte meinem Verstand ausgereicht, um sie zu Worten zusammenzusetzen.
Da stand „Da m W rs“.