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Die Bäckerei

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20.10.2002
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Die Bäckerei

Sanft löste er sich aus der warmen Umarmung seiner schlafenden Freundin, atmete noch einmal tief den Duft ihres langen Haares ein. Schimmernde Rosen ... Vorsichtig setzte er sich auf, deckte sie wieder mit der flauschigen, körperwarmen Flanelldecke zu, bevor er sich leise anzog. Ein letzter zarter Blick zurück auf den vertrauten Körper, der zusammengekuschelt in den Kissen lag.

Als er die Wohnung verließ und Richtung Bäckerei losging, summte er fröhlich vor sich hin. Zwei Jahre, das ist eine lange Zeit. Zwei Jahre, in denen sie schon zusammenlebten. Zwei Jahre Verständnis und Zärtlichkeit, Zuneigung und Aufrichtigkeit. Zwei Jahre der Wärme ...

Er bog um die Ecke, ging mit großen Schritten auf die alte Bäckerei zu. In Gedanken überlegte er, was er alles für ein richtig gutes Frühstück am Bett einkaufen sollte. Die beleibte Verkäuferin, seit Jahren schon immer die selbe, hatte Verständnis und half ihm gerne weiter.

Als er den kleinen Laden betrat, das vertraute helle Klingeln der unendlichen Glöckchen über der Tür. Der Duft nach frischem Brot, kräftigen Gewürzen, süßem Backwerk und heiß dampfendem Kaffee. Wärme durchströmte ihn. Er freute sich schon auf das gemeinsame Essen, Brezen oder Semmeln und ein paar frische Vanillekipferl, die sie so liebte...

Ein junger Mann kam durch die Tür, die die Backstube mit dem Laden verband. Ein junger Mann? Panik stieg in ihm hoch. Ein junger Mann?

„Guten Morgen. Was möchten Sie, bitte?“ routiniert, aufgesetztes Lächeln.

Ein junger Mann!

„---“ Weit geöffneter Mund, starr, eine Blockade.

Irritierter Blick. Das Lächeln stirbt. „Bitte?“

„--- I --- iiich hä-hä-hä-hä-hätte gerne --- z --- zwei B ---“ Es geht nicht, verdammt, es geht nicht!

Verzweiflung, Hilflosigkeit, Enge.

Tief Luft holen.

„--- B --- Brezen ... uuuuund ---“ Der Brustkorb, die Halsmuskulatur, ein einziger Panzer, keine Kontrolle. Verkrampfte, zuckende Mimik. Der Block ist das Schlimmste.

Blick zur Wand. „Zwei Brezen?“

Aufgeben. Nicken.

Die Glöckchen klingen fröhlich Alarm, als eine ältere Dame eintritt.

Fein säuberlich werden die beiden Brezen, noch handwarm, in die rot-weiß gemusterte Papertüte eingeschlagen.

„Sonst noch einen Wunsch?“ ablehnende Stimme, Blick zu der zierlichen Dame.

„---“ Verdammt, verdammt, verdammt! Wo sind die Worte?! Vanillekipferl!

„---“ Scham und Wut steigen in ihm hoch, suchen einen Ausweg. ... Vanillekipferl ...

Ungeduldige Stille.

Still schüttelt er den Kopf, schließt den Mund.

 

Hallo Maus,

mußte zweimal lesen, bis ich verstand - aber sehr gut. etwas kurz, aber eine heftige zustandsbeschreibung. die überraschung, die alte frau nicht zu treffen, macht alles nur noch schlimmer - richtig??..

gemein: fließend, wohlig, kuschelig zu beginn..grausam, abgehackt, verzweifelnd danach...

hat mir gefallen... auch die reaktion des verkäufers..

viele grüße, streicher

 

Hi

Gute Geschichte mit schwierigen Thema. Stottern ist ein großes Problem, dass ich als leichter Stotterer sehr gut kenne. Stottern ist ein schreckliche Störung, die sehr, sehr hemmend sein kann, wenn man nicht lernt sich mit dem Problem umzugehen.

Den Anfang fand ich allerdings doch etwas arg kitschig, aber das ist meine persönliche Meinung.

Gruß
deMolay

 

Hallo Streicher

- richtig verstanden. Danke fürs nachdenken und zweimaliges Lesen...

"gemein: fließend, wohlig, kuschelig zu beginn..grausam, abgehackt, verzweifelnd danach"

ja, genau so wars gedacht. Es ist auch gemein. Und die Reaktion des Verkäufers ist leider, glaube ich, ziemlich der Regelfall...:rolleyes:

Hallo deMolay!

Vielen Dank auch für Deine Antwort.

"Stottern ist ein schreckliche Störung, die sehr, sehr hemmend sein kann, wenn man nicht lernt sich mit dem Problem umzugehen."

Da hast Du recht! Eine gute Bekannte von mir wollte eigentlich Psychologie studieren... aber die Angst vor dem Stottern (wirklich sehr ausgeprägt bei ihr) hat gesiegt. Sie baut jetzt Ferigteile zusammen... Der Anfang ist zu kitschig? Was ist denn genau kitschig. Ich sollte meinen Protagonisten die glücklichen Momente wegnehmen, dann währen wenigstens die Kritiker happy...;)

Schöne Grüße an Euch, Anne :)

 

Hallo Maus!

Wirklich eine sehr einfühlsame, flüssig erzählte Geschichte, die ein Problem der Stotterer glaub ich ganz deutlich aufzeigt: Unsicherheit.
Mit der Unsicherheit steigt das Stottern, soviel ich weiß, und Dein Protagonist bringt schon gar kein Wort mehr raus...

Vielleicht sind die schimmernden Rosen ein bisschen kitschig, aber nicht so sehr störend, finde ich. ;)

Eins noch:
"Die Glöckchen klingeln fröhlich"
- Glöckchen klingen, ohne l, sonst wären sie eine Klingel

Alles liebe,
Susi :)

 

Hallo Maus,
"zwei Jahre Verständnis" das ist das einzige was mich stört an Deiner story. Warum Verständnis? Ist ein unpassender Ausdruck, denke ich.
Ein Freund ist auch Stotterer. Ich war anfangs unsicher ihm gegenüber, musste mich in Geduld üben, einfach so lange zuzuhören bis er zu Ende gestottert hatte und es hat mich unendliche Geduld gekostet, ihm nicht einfach über den Mund zu fahren.
Grüße Heidi

 

Aja, hab ich ganz vergessen: Ich kenn eine Frau, die stottert und hält politische Referate! Und je mehr sie im Reden drin ist, desto weniger stottert sie...

 

Hallo Häferl!

Vielen Dank für Deine Antwort und auch das "klingeln"... Du findest aber auch echt immer was ;). Ja, Unsicherheit und die völlig unangemessene Reaktion... schade, dass viele sich einschränken deswegen...

Hey Heidi!

"Verständnis" - was stört Dich dran? gehört zu einer liebevollen Beziehung nicht auch Verständnis für den Partner? Ich rede in diesem Abschnitt allgemein über eine Partnerschaft, nicht über Stottern!
Geduld... ein wichtiger, eigendlich selbverständlicher Faktor, Du hast recht. Ich denke, man sollte mit stotternden Menschen viel natürlicher umgehen.
Vielen Dank auch für Deine Antwort!

Libe Grüße an Euch beide, Anne :)

 

Hei Maus, habe ich schon heute Nachmittag gelesen und gedacht, warum antwortet da keiner drauf. Jetzt wollte ich der ersten sein. Tja.

Da hast du Dir was nettes, soziales, tiefes ausgedacht.
Der Schreibstil ist wie immer erste Klasse.

Tja, das Probelm der Stotterer besteht auch darin, dass sie die Zeit vor ihrem "Auftritt" soviel Angst haben, dass sie erst recht stottern. Meistens ein psychisches Problem. Wenn der in einer Gefahrensituation oder Extemsituation wäre, dann würde sich sein Stottern, wohl mit Sicherheit reduzieren. Denn dann denkt er nicht nach.

Heute gibt es weniger Stotterer als vor Jahren, denn es gibt mehr Logotherapeuten, gäbe es mehr Stotterer, tja...hätten wohl wieder viele Spiessbürger ein Probelem!

bis dann, liebe grüsse Stefan

 

Hallo Stefan!

Danke Dir für Dein Lob, macht mich richtig happy.:)

Ja, Logopäden und Sprachtherapeuten können bei bis zu 80% der stotternden Menschen helfen, die Symptome zu reduzieren. Es gibt noch zu wenige. :)

Allerdings glaube ich nicht, dass Stottern in erster Linie ein psychisches Problem ist, es gibt auch neuere Studien dazu, dass neurologische Veränderungen, andere Verarbeitungen und Weiterleitungen mit ursächlich sind, neben genetischen Dispositionen und allen möglichen anderen Faktoren... aber verstärkend sind die psychischen Umstände allemal, da hast Du recht!

Danke für Deine Antwort, liebe Grüße, Anne :)

 

Maus, Maus,

sehr einfühlsam und mit ausgesuchten Worten erzählte Geschichte. Du hast sehr gut die Verblüffung beschrieben, die plötzlich auftretende Unsicherheit des Protagonosten. Musste auch zweimal lesen, hab dann aber begriffen.

Toll gemacht. Regt sehr zum Nachdenken an.

Liebe Grüße - Aqua

 

Liebe Maus,
was mich an Verständnis stört? Wie soll ich es auf den Punkt bringen. Wenn ich mit jemandem zusammenlebe, ist er so wie er ist, mit Stottern,im Rolli oder sonstwie anders. Das gehört zu dem Menschen wie meine großen Ohren zu mir gehören.
Bei "Verständnis" denke ich, stellt man den Menschen, der etwas schief im Rahmen hängt -wie der größte Teil der Menschheit- in so eine Art "Demutshaltung".
ich weiß nich, ob Du meine Zeilen verstehst. Ich lebe seit 15 Jahren mit einem Mann im Rollstuhl und habe daher vielleicht eine andere Sichtweise.
Dir einen schönen Tag
Grüße Heidi

 

Hallo Aqualung,

Danke Dir fürs Lesen und Verstehen.:) Danke fürs NAchdenken.

Hey Heidi!

Ich denke, ich verstehe, was Du meinst. Aber ich wollte nicht ausdrücken, dass sie "gnädigerweise" Verständnis für sein Stottern zeigt. Du hast recht, das wäre überheblich!!
Nein, alles was ich ausdrücken wollte ist, dass sie für ihn als Menschen Veständnis hat. Wie oben schon gesagt, ich stottere selbst nicht, sitzte auch nicht im Rollstuhl, trotzdem brauche ich Verständnis. Für mich, meine Person, meine Handlung. Und ich bemühe mich, verständnisvoll zu sein - zu jedem. Einfach weil wir es brauche, verstanden zu werden...verstehst Du?

Liebe Grüße an Euch beide, Anne :)

 

Na klar Anne, das möchte ich Dir auch nicht absprechen.
Ich denke wir wissen, was wir meinen.
Grüße Heidi

 
Zuletzt bearbeitet:

hi maus,
ich kann nichts neues dazugeben.
also meinen lieblingssatz, der aus dem kontext der geschichte kommt:

"Die beleibte Verkäuferin, seit Jahren schon immer die selbe, hatte Verständnis und half ihm gerne weiter. "

*hach* - ah, jetzt, ja! ich mag es, wenn fragliche sätze am schluss ihre klarheit finden!

gut gemacht :)

barde

p.s. @ häferl. bald singen wir wieder: "kling glöckchen klingelingeling" *höhö*, eine irre vorstellung, dass wir türschellen am weihnachtsbaum hängen haben. aber - wer kann dieses lied leiden?! *smile*

 

Hallo Maus,

eine schöne und tiefsinnige Geschichte! Abgesehen davon kann ich kein Fünkchen Kitsch herauslesen.

Dein Protagonist braucht seine gewohnte Umgebung um sich wohl fühlen zu können und wird – als er mit einer neuen unerwarteten Person konfrontiert wird – aus der Bahn geworfen.

Ich hatte mal mit einem Techniker zu tun, der wahnsinnig gestottert hat. Nach einer halben Stunde quatschen war das Stottern fast völlig weg. Dann ist ein Arbeitskollege dazugekommen, und es hat wieder voll angefangen. Der Kollege hat nicht gerade zu den einfühlsamsten Menschen gehört, weil er seine Ungeduld nicht verbergen konnte – das war für den Techniker glaub ich die Hölle auf Erden, zu merken, dass jemand ungeduldig wird – so eine Reaktion der Mitmenschen verstärkt es natürlich noch.

Liebe Grüße
Liz

 

Hey Maus,
hat mich ziemlich beeindruckt die Geschichte. Aus einem bestimmten Grund.
Vor ein paar Tagen habe ich bei uns in dre Organisation an der Pforte gesessen.
Irgendwann kam ein Mann, der jemanden sprechen wollte. Und ganz plötzlich fing er an unheimlich stark zu stottern, hat fast kein Wort mehr heraus gebracht, immer wieder abgebrochen.
Zwischendurch immer wieder "Ach scheiße." oder "Verdammt", der tat mir so schlimm leid. Ich habe dann ruhig gewartet und ihm gesagt, dass das kein Problem sei, erstens hätte ich genug Zeit und zweitens hätte ich früher auch mal gestottert, stimmte zwar nicht aber es hat ihm geholfen, ist ganz ruhig geworden und konnte dann langsam sagen zu wem er wollte.
Hat mich ziemlich beeindruckt, das ganze. Irgendwie habe ich noch den ganzen Rest des Tages an den Mann denken müssen.
Schreckliche Vorstellung nicht ohne Schwierigkeiten reden zu können, vielleicht die Schrecklichste überhaupt.

Die Geschichte hat den Nerv ziemlich gut getroffen.

Großes Lob.
Gruß
Roman

 

Hallo Liz, Hallo Prodi,

vielen Dank für Eure Antworten.:)
Ich hatte gar nicht mit so starker Resonanz gerechnet... und es freut mich! Danke.

Liebe Grüße an Euch beide, Anne

 
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Hallo Anne!

Ich habe den Text auch erst beim zweiten Lesen verstanden, als mir auch eingefallen ist, dass du ja unter Umständen Logopädin werden willst.
Vielleicht solltest du aber den Text ein bisschen verständlicher machen (die meisten lesen eben nicht zweimal) indem du am Anfang der Geschichte eine unmissverständlichere Andeutung seiner Sprachbehinderung "einbaust". Das "...hatte Verständnis und half ihm gerne weiter" überliest man zu leicht.
Ansonsten finde ich den Text wirklich sehr gut.

Liebe Grüße
Klaus

 

Hey Klaus!

Vielen Dank fürs Lesen und Deine Antwort. Ja, manches muss man 2 Mal lesen und aufmerksam, nicht zwischen Tür und Angel mal schnell... danke für Deine Zeit. Wer nicht versteht, wer sich die Zeit nicht nimmt, für den ist es ein zugegebenermaßen sinnloser Text, nehm ich an... aber ich möchte, dass er verstanden wird, dass man hinschauen muss. Ich mag Texte, die man intensiv lesen muss. Ich will dem Leser nicht immer alles vorkauen... ich geb zu, es ist ein bisserl fies :p , aber ich glaube nicht, dass ich noch was ändern werde in dieser Hinsicht.

Dank Dir für Dein Lob, es freut mich! :)

Liebe Grüße, Klaus, Anne :)

 

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