Was ist neu

Die Bürokraft

Seniors
Beitritt
20.11.2001
Beiträge
7.591
Zuletzt bearbeitet:

Die Bürokraft

Eines Tages war sie plötzlich da, bekam den kleinsten Schreibtisch, den ältesten Bürosessel und eine museumreife Rechenmaschine, schwer und aus schwarzem Guss. Helfen sollte sie. Wem? Was? – Niemand war überlastet. Sie war nur da, um da zu sein. Um nicht irgendwoanders zu sein. Um nicht allein zu sein. Um zu helfen. Um leben zu können: Frau Freidl. Mit unilateralem meidlinger L.

Sie war immer sehr ruhig, sprach nie viel und wenn sie sprach, dann waren es Antworten auf Fragen. So richtig registrierte ich sie, als sie in der Teeküche hinter der Sekretärin stand, die in aller Ruhe ihr Gemüse fein säuberlich zerschnitt. Sie hatte Zeit, das Wasser kochte noch nicht. Frau Freidl stand still hinter ihr.
Ich wechselte einen Blick mit der Kassierin und sie deutete mir, zu ihr zu kommen. »Die ist nicht ganz dicht«, klärte sie mich, vermutlich die Frage in meinem Gesicht lesend, auf. »Aha …«, war meine karge Antwort und ich konnte den Blick nicht von ihr lassen. Das Gemüse wurde endlich fertig, die Sekretärin bemerkte nun auch, dass Frau Freidl hinter ihr stand. Zwei erschrocken-komische Blicke wechselten und Frau Freidl deutete schüchtern auf den Kühlschrank, vor dem die Sekretärin eben noch stand. Zaghaft holte sie ihre Buttermilch heraus, bedankte sich dreimal in gebückter Haltung bei der Sekretärin und kehrte zu ihrem Platz zurück. Die Beine übereinandergeschlagen, den Blick auf das Fenster gerichtet und mit beiden Händen an der Buttermilchpackung saß sie da.

Bald wurde sie zum Lückenfüller, wenn die Stimmung absank – eine kleine Anekdote über Frau Freidl und der Tag war wieder heiter.
Auch wer sie noch nicht kannte, kannte sie bereits. Ihre Geschichte sprach sich bald herum. Und jeder nahm sie reaktionslos zur Kenntnis. Niemandem fiel ein, ein Gegenpol zu sein, auch mir nicht. Wahrscheinlich hatten wir alle keine Zeit, die Arbeit rief.

Frau Freidl wurde zum Freiwild. Als Bürokraft sollte sie ursprünglich der Sekretärin helfen, doch deren Arbeit strotzte vor Wichtigkeit, für die Frau Freidl nicht geeignet war. Alle Abteilungen durften Frau Freidl benutzen. Gab man ihr Zahlenkolonnen zum Rechnen, musste sie diese richtig in ihre Maschine hineindrücken, nicht -tippen. Auch eine mechanische Schreibmaschine hat man noch gefunden, die man ihr zur Verfügung stellte. Sie galt im Allgemeinen als sehr langsam.

Bevor sie in unser Büro kam, saß sie tagelang in der Wohnung neben ihrer toten Mutter. Sie war achtundzwanzig Jahre alt und hatte zuvor noch nie gearbeitet. Sie war es gewohnt, bei, mit und von ihrer Mutter zu leben, zu tun, was die Mutter für richtig hielt. Sie selbst war eine willenlose Hülle, die immer darauf wartete, gesagt zu bekommen, was als nächstes zu tun sei. So gesehen ersetzte die Arbeit die Mutter doch ganz gut …

Ihren Urlaub nahm sie sich immer, wenn gerade Schlussverkauf war. Trotzdem sah sie immer aus, als hätte sie das Gewand ihrer Mutter oder sogar Großmutter an. Nichts an ihr schien jung, nichts hatte Schwung, selbst, wenn es bunt war, schien es grau.

Tagtäglich irritierten mich diese steif übereinandergeschlagenen Beine, der Schuh hing an den Zehen und meistens wippte sie verkrampft damit. Auch ihr Gesicht war meistens angespannt und wenn man mit ihr sprach, fuhren die Pupillen nervös hin und her; die Stirn lag ohnehin meistens in Falten.

Ich wollte ihr so gerne helfen und konnte es nicht. Angst überkam mich, wenn ich daran dachte, in ihr Privatleben zu schauen, wissend, sie war nur ein Extrem. Ich setzte ihre Rechenmaschine während einer einsamen Überstunde außer Betrieb, damit sie eine neue bekam. Ich kochte Tee für sie mit und versuchte, ihr möglichst interessante Arbeit zu geben.

Bis zu jenem Schlussverkauf, nach dem kein Fuß mehr wippte.
Man suchte und fand sie in ihrer Wohnung. Einige leere Tablettenschachteln lagen seit zwei Wochen neben ihr.
- Wir waren alle zu schwach.

 

Liebe Bella!

Sorry, hab Deine Kritik vorher übersehen, da ich zwischendurch draußen war und dann nicht aktualisiert habe. ;)
Danke Dir fürs Lesen und Deinen Kommentar! Ja, genau so wollte ich sie verstanden wissen. :)

Danke für Deine Bemerkung zum Stil, freut mich, daß Dir eine positive Veränderung auffällt. :)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Ja, vielleicht vertrag ich einfach deine ... Art nicht. Also zwing sie mir bitte nicht mehr auf.

 

Wo wir gerade beim Vertragen sind...

...mehr Disput in dem Rahmen verträgt der Thread nicht, also Kleingedrucktes bitte nur noch per PN.

Pack schlägt sich, pack verträgt sich...

 

Hi Häferl,

die Geschichte ist "nah dran" - auch wenn dieser Ausdruck inzwischen - wie so viele - werbeverseucht ist - dennoch. Deshalb hats mir gefallen. Ich habe die anderen Kritiken nicht gelesen, aber kritisiere, dass

Bevor sie in unser Büro kam, saß sie tagelang in der Wohnung neben ihrer toten Mutter. Sie war achtundzwanzig Jahre alt und hatte zuvor noch nie gearbeitet. Sie war es gewohnt, bei, mit und von ihrer Mutter zu leben, zu tun, was die Mutter für richtig hielt. Sie selbst war eine willenlose Hülle, die immer darauf wartete, gesagt zu bekommen, was als nächstes zu tun sei. So gesehen ersetzte die Arbeit die Mutter doch ganz gut...

ich nicht erfahre, woher du das weißt.

Hier könnte man der Frau Freidl vielleicht noch näher kommen?

Herzliche Grüße,
Flic

 

Hi Häferl!

Also so richtig überzeugt hat mich die Geschichte leider nicht.
Dafür kommt sie zu sehr mit erhobenem Zeigefinger daher.

Die arme Frau Freidl, so still und schüchtern, von allen ausgeschlossen, mit ihrer alten Schreibmaschine und ihren hässlichen Kleidern und ihrer toten Mutter, ist ein abgeschmacktes Klischee, nichts weiter.
Genauso wie der Prot, der natürlich sooo gerne helfen würde, aber zu schwach ist, und ihr deswegen heimlich Tee kocht, der armen, armen Frau Freidl.
Der Selbstmord am Ende, gefolgt von der späten Einsichts des Prots, ist schließlich der pathetische Höhepunkt in Holzhammerqualität.

Sorry, leider kann ich mich den vorangegangenen Beifallsbekundungen nicht anschließen, denn auch sprachlich fand ich die Geschichte alles andere als begeisternd.

Schöne Grüße,

Feline

 

Hallo FlicFlac!

Danke fürs Lesen und Deine lobenden Worte, ein "nah dran" hör ich besonders gern! :)

Mit der zitierten und kritisierten Stelle hast Du natürlich Recht, und ich werde die Geschichte sicher irgendwann in den nächsten Monaten bearbeiten. Aber zur Zeit habe ich mir alles Schreiben und Ändern verboten, bis ich die nächste Anna Irene fertig hab, sonst flüchte ich ständig davor.


Hallo Feline!

Schade, daß bei Dir die Geschichte so holzhammermäßig und klischeebeladen rüberkommt.

Die arme Frau Freidl ... ist ein abgeschmacktes Klischee, nichts weiter.
Ich könnte ihr das ja so graffitimäßig auf den Grabstein sprühen. Aber sie hat nicht einmal einen...

Übrigens steht nirgends etwas von "heimlich" gekochtem Tee. Vielleicht kommt die Geschichte ja nur bei oberflächlichem Lesen so an, wie bei Dir? :susp:

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo nochmal!

Mit dem "heimlich gekochten Tee" meinte ich diese Stelle:

Ich setzte ihre Rechenmaschine während einer einsamen Überstunde außer Betrieb, damit sie eine neue bekam. Ich kochte Tee für sie mit und versuchte, ihr möglichst interessante Arbeit zu geben.
Das soll doch heißen, dass er der einzige ist, der ihr ein bisschen Freundlichkeit entgegen bringt - allerdings nur im Geheimen -, oder etwa nicht? Zumindest kam es bei mir so an...

Vielleicht kommt die Geschichte ja nur bei oberflächlichem Lesen so an, wie bei Dir?
Das finde ich jetzt ganz schön unfair. Ich habe die Geschichte insgesamt drei mal gelesen und mir eine Menge Zeit dafür genommen. Ich wollte dir mit meiner Kritik nicht auf den Schlips treten, aber ich dachte, meine Meinung (die ja immerhin doch sehr von denen der anderen Kritiker abweicht) könnte für dich von Interesse sein.

Nichts für ungut,

Feline

 

Hallo nochmal, Feline!

Das soll doch heißen, dass er der einzige ist, der ihr ein bisschen Freundlichkeit entgegen bringt - allerdings nur im Geheimen -, oder etwa nicht?
Nein, nur die Rechenmaschine, die gußeiserne, kann man halt schlecht außer Betrieb setzen, wenn alle anderen anwesend sind. Die Protagonistin konnte es nicht mehr sehen, daß Frau Freidl damit arbeiten mußte.
Die einsame Überstunde gehört natürlich nur zu dem einen Satz, sonst hieße es ja: In einer einsamen Überstunde setzte ich ihre Rechenmaschine außer Betrieb, kochte Tee für sie mit und gab ihr möglichst interessante Arbeit. So steht es aber nicht da, womit sich die einsame Überstunde natürlich nicht auf das Teekochen und Arbeitgeben bezieht.

Das finde ich jetzt ganz schön unfair.
Tut mir leid, es ging mir auch nicht darum, Dir auf den Schlips zu treten, aber wenn Deine Kritik auf Dingen aufbaut, die so gar nicht in der Geschichte stehen, was sollte ich dann dazu sagen?

Ich weiß auch nicht, was Du so klischeehaft findest. Es geht darum, daß Frau Freidl keinen eigenen Willen hatte, und wie man dem im Büroalltag hilflos gegenübersteht und nicht weiß, was man tun könnte. Der Schluß zeigt dann noch die Schuldgefühle, die man sich macht, wenn sich jemand wie Frau Freidl tatsächlich umbringt und man draufkommt, daß man zu schwach war, ihr zu helfen. - Wie viele Geschichten zu dem Thema kennst Du denn, daß Du das als klischeehaft einstufst?

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hi wieder!

Die einsame Überstunde gehört natürlich nur zu dem einen Satz, sonst hieße es ja: In einer einsamen Überstunde setzte ich ihre Rechenmaschine außer Betrieb, kochte Tee für sie mit und gab ihr möglichst interessante Arbeit.

mm... Ich glaube, wir haben uns da einfach nur missverstanden.
Mit "heimlich" meinte ich die gesamte Haltung deines Prots, einerseits im Stillen nett zur Frau Freidl zu sein, und andererseits doch niemals wirklich für sie einzustehen.


Wie viele Geschichten zu dem Thema kennst Du denn, daß Du das als klischeehaft einstufst?

Ich finde, darauf kommt es nicht an.
Eine Figur wird in meinen Augen dann zum Klischee, wenn sie so wie deine Frau Freidl auf einen einzigen, überzogenen Charakterzug reduziert wird.

In manchen Geschichten kann so etwas funktionieren, nämlich dann, wenn der Protagonist eine oberflächliche Sichtweise an den Tag legt und alle anderen agierenden Personen nur durch seine Augen geschildert werden.
Deine Geschichte aber erwähnt Hintergründe, von denen der Prot nichts wissen kann. Ich glaube, die Stelle wurde schon ein paar mal in den Kritiken erwähnt:

Bevor sie in unser Büro kam, saß sie tagelang in der Wohnung neben ihrer toten Mutter. Sie war achtundzwanzig Jahre alt und hatte zuvor noch nie gearbeitet. Sie war es gewohnt, bei, mit und von ihrer Mutter zu leben, zu tun, was die Mutter für richtig hielt.
usw.

Wir sehen also als Leser, dass Frau Freidl eine schwache Fassade ist, und hinter dieser Fassade finden wir wieder nur Schwäche. Sonst nichts.

Niemand käme beispielsweise auf die Idee, eine (ernst gemeinte) Geschichte über eine dumme Blondine zu schreiben, die nachher an ihrer eigenen Blödheit scheitert. Solche reduzierten Charaktere wirken wie lebendig gewordene Comicfiguren.

Okay, die Blondine war ein schlechtes Beispiel, aber verstehst du, was ich meine?

Ich erwarte ja nicht, dass Frau Freidl in ihrer Freizeit zum Kickboxen geht, aber diese von vorne bis hinten mit exzessiver Konsequzenz durchgezogene Linie aus Buttermilch und gebückter Haltung und steif übereinander geschlagenen Beinen und Willenlosigkeit raubt mir schier den Verstand.


(Ist ja auch nicht weiter schlimm. Ich bin mit meiner Meinung ein verschwindend geringer Prozentsatz im einem Meer begeisterten Kritiken.)


Ach ja, noch eine Kleinigkeit:

„Die ist nicht ganz dicht.“, klärte sie mich, vermutlich die Frage in meinem Gesicht lesend, auf.

Ich glaube, hinter "dicht" kommt kein Punkt.

Ich wechselte einen Blick mit der Kassierin

Das heißt Kassiererin, oder?
Das hatte aber schon mal irgendwer angemerkt.
Ich weiß nicht, ob du überhaupt noch wert drauf legst, solche Details zu verbessern. Ist ja schon ein relativ alter Text von dir, nicht wahr?


Mm, gut. Ich glaube, jetzt bin ich alles losgeworden, was ich loswerden wollte. Es ist spät und ich bin gerade aus München zurück - bitte verzeih mir Rechtschreibfehler, wirren Satzbau und Zusammenhanglosigkeiten.

Schöne Grüße

Feline

 

Hallo Feline!

Mit "heimlich" meinte ich die gesamte Haltung deines Prots, einerseits im Stillen nett zur Frau Freidl zu sein, und andererseits doch niemals wirklich für sie einzustehen.
Woraus schließt Du, daß das alles nur im Stillen geschieht?

diese von vorne bis hinten mit exzessiver Konsequzenz durchgezogene Linie aus Buttermilch und gebückter Haltung und steif übereinander geschlagenen Beinen und Willenlosigkeit raubt mir schier den Verstand.
Genau das wollte ich unter anderem in der Geschichte darstellen, und offensichtlich ist es mir ja gelungen. Ich glaube, Du suchst etwas anderes in der Geschichte, als ich schreiben wollte, wenn Du das, was ich bezwecken wollte, kritisierst. ;)

Wir sehen also als Leser, dass Frau Freidl eine schwache Fassade ist, und hinter dieser Fassade finden wir wieder nur Schwäche. Sonst nichts.
Richtig, das war Frau Freidl. Deshalb hat sie sich ja dann auch umgebracht. Körperlich umgebracht, denn seelisch war sie schon lange tot.

Ich glaube, hinter "dicht" kommt kein Punkt.
Richtig. Etwas weiter oben, nämlich hier, habe ich bereits gesagt, daß ich die Geschichte überarbeiten werde. Aber nicht heute und nicht morgen.

Das heißt Kassiererin, oder?
Das hatte aber schon mal irgendwer angemerkt.
Dann hast Du ja sicher auch meine Antwort darauf gelesen, in der ich bereits gesagt habe, daß das in Österreich Kassierin heißt.

Deine Geschichte aber erwähnt Hintergründe, von denen der Prot nichts wissen kann. Ich glaube, die Stelle wurde schon ein paar mal in den Kritiken erwähnt:
Auch auf diese Kommentare habe ich bereits gesagt, daß das in der Überarbeitung berücksichtigt wird. – Solange das Editierdatum kein neues ist, gilt das auch weiterhin.

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Servas und Grüß Gott, Häferl!

Vielleicht bin ich zu schwach, aber ich versteh nicht, weshalb Frau Freidl sich mit einer Überdosis an Tabletten tötete-tetete. Weil sie zu dumm dafür war? Weil sie den Kummer wegen des Verlustes ihrer Mutter nicht mehr ertrug oder einfach nicht mehr ohne Mutter konnte? Oder weil sie die Arbeit und ihr Umfeld nicht mehr aushielt? Das hätte mich schon interessiert. Sie hätte zumindest für mich einen Abschiedsbrief mit "mäh und muh" hinterlassen können. Nur weil´s nicht darum geht, kannst du mir doch nicht ein tragisches Selbstmordmotiv vorenthalten ;) .

Des weiteren erinnert mich die Freidl an Mirko C. aus der Schachnovelle von Zweig. Ebenso unrealistisch extremst-stumpf, nur hatte der zumindest eine eingleisige Begabung.
Aber das bemängle ich eigentlich gar nicht. Ich denke, dass es als Übertreibungsstilmittel gedacht ist, was?

Jedenfalls schreibst du mMn in feinster Prosa :thumbsup: , sodass ich meiner guten "Landsfrau" beinahe neidig bin.

Lg vom kleinen Ösi-Rasta-Narren

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo kleiner Rasta-Narr!

Servas …, Häferl!
Griaß’di!

und Grüß Gott
Wenn ich dann mal oben bin … ;)

Vielleicht bin ich zu schwach, aber ich versteh nicht, weshalb Frau Freidl sich mit einer Überdosis an Tabletten tötete-tetete. Weil sie zu dumm dafür war? Weil sie den Kummer wegen des Verlustes ihrer Mutter nicht mehr ertrug oder einfach nicht mehr ohne Mutter konnte? Oder weil sie die Arbeit und ihr Umfeld nicht mehr aushielt?
Sie hat eigentlich nur ihren äußeren Zustand dem inneren angeglichen … Sie hat nicht gelernt, zu leben, die Mutter hat alles für sie gemacht, sie war immer zuhause. Wie sie etwa hinter der Sekretärin wartet, um ihre Buttermilch aus dem Kühlschrank zu nehmen – jeder andere hätte gefragt, sie aber hatte nicht den Mut dazu, weil sie nie gelernt hat, ihre Wünsche vorzubringen bzw. für sich selbst zu sprechen. Als die Mutter starb, war sie hilflos. Ich will es nicht als dumm bezeichnen, aber als leer.
Es bleibt offen, was sie bei ihrer Mutter so erlebt hat, weil sie auch nie darüber sprach. Aber an ihrem Verhalten kann man meiner Meinung nach schon so manches ablesen. Auch die karge Mahlzeit, die sie sich »gönnt«, spricht ja für sich, während die Sekretärin sich Gutes tut und – für Büroverhältnisse – aufwendig kocht.
Die Verkrampftheit und die nervösen Augen deuten auf Unsicherheit hin – sie war sich unsicher in allem, was sie tat, was wiederum darauf schließen läßt, daß sie bei der Mutter kein Selbstbewußtsein bekommen konnte, daß sie der Mutter vermutlich auch nichts recht machen konnte. Hinter den nervösen Augen kann aber auch Angst stecken, vielleicht Angst vor Gewalt, wenn sie etwas falsch gemacht hat. Die Mutter hat sie innerlich getötet, und es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis sie diesen Zustand auch äußerlich herbeiführt.
Ich habe auch geschrieben, daß sie die schlechtestmögliche Büroausstattung bekommen hat, und im Nachsatz, daß sie als sehr langsam galt. Vielleicht wäre sie mit einer elektrischen Schreibmaschine schneller gesesen und mit einer Rechenmaschine, bei der man nicht die Tasten mit Kraft versenken muß – sie hat überhaupt keine Chance bekommen, schneller zu arbeiten, sie konnte gar nicht anders, als die langsame Frau Freidl zu sein. Sie kam dadurch nie aus ihrer anerzogenen Rolle heraus.

Sie hätte zumindest für mich einen Abschiedsbrief mit "mäh und muh" hinterlassen können.
Sie nahm sich wohl gar nicht so wichtig, daß sie angenommen hätte, es würde irgendjemanden interessieren.
Nur weil´s nicht darum geht, kannst du mir doch nicht ein tragisches Selbstmordmotiv vorenthalten ;).
Wie oben verdeutlicht, steht es schon in der Geschichte. ;) Es gab bloß nicht ein Motiv, sondern es ist die Leere irgendwann an einem Punkt angekommen, wo sie keinen Sinn mehr sah.

Des weiteren erinnert mich die Freidl an Mirko C. aus der Schachnovelle von Zweig. Ebenso unrealistisch extremst-stumpf, nur hatte der zumindest eine eingleisige Begabung.
Aber das bemängle ich eigentlich gar nicht. Ich denke, dass es als Übertreibungsstilmittel gedacht ist, was?
Nein, ich habe die Schachnovelle noch nie gelesen, werde es aber wohl noch nachholen, denn was Du schreibst, klingt interessant. Ich verwende eigentlich auch nie bewußt irgendwelche Stilmittel, außer es ist beim Challenge gefordert, sondern ich schreibe immer so, wie mein Gefühl sagt, daß die Geschichte es braucht. Diese hier hab ich mir so richtig von der Seele geschrieben, weil sie, wie einige meiner Geschichten, real ist und mich nie losließ. Seit ich Frau Freidl Gehör verschafft habe, geht es mir damit besser.

Jedenfalls schreibst du mMn in feinster Prosa :thumbsup: , sodass ich meiner guten "Landsfrau" beinahe neidig bin.
Danke, das freut mich. Und Du wirst sicher auch immer besser, wenn Du länger hier bist, dann brauchst Du nicht mehr neidig sein. :)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Knapp, präzise, ...Häferl!
Man kann nicht IMMER für ALLE stark sein...
Gut geschrieben...
Lord

 

hi Susi

hast du mir nicht gesagt, ein Leerzeichen vor den ... zu machen?

aber egal. ansonsten gefällts mir gut. schön geschrieben und eine stereotype Person haargenau beschrieben.
wurde das mit dem L im tread schon erklärt?
erklär es mir doch noch mal. erster Absatz: mit einem blabal l. das Freidl.
schöner NAme auch, den du dir da ausgedacht hast.

GRuß

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Lord Arion und Aris!

Freut mich, daß Euch beiden die Geschichte gefallen hat, auch, wenn sie schon ein älteres Modell ist. :)

hast du mir nicht gesagt, ein Leerzeichen vor den ... zu machen?
Richtig. 2002 kannte ich die Regel auch noch nicht. Überhaupt war die Geschichte bis vor wenigen Minuten ja noch in alter Rechtschreibung. ;)

wurde das mit dem L im tread schon erklärt?
Das unilaterale meidlinger L? Ist es nicht durch "unilateral" bereits erklärt? ;)
Das ist eigentlich Faulheit beim Sprechen: Die Zunge bleibt dabei auf einer Seite liegen, es formt also nur eine Seite der Zunge das L. (Deshalb haben die Wiener in der Gegend um Meidling alle so schiefe Gesichter. :D)

Danke Euch beiden fürs Lesen,
liebe Grüße,
Susi :)

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom