Mitglied
- Beitritt
- 12.03.2020
- Beiträge
- 525
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 8
Die Chroniken von Solikstatt - Senator Marcellus
Am Abend des siebzehnten Loras im Jahr des Nald betrat ich das Schiff am Pier von Solikstatt. Mir wehte ein Geruch von Kardamom entgegen, meine Hand hörte auf, sich zu verkrampfen, und ich wartete darauf, dem Kapitän das Schreiben zu übergeben. Er war ein aufgedunsener Mann mit weißen Haaren und auf seiner Uniform, die um den Bauch spannte, war das Wappen von Solikstatt mit dem Äquadukt in der aufgehenden Sonne eingenäht. Dieser verdammte Heuchler.
Er knurrte. „Was will einer wie du hier.”
Ich hielt meinen Mund wie immer geschlossen und überreichte ihm das Schreiben.
„Lesen ist was für Landratten. Rede gefälligst.”
Ich schüttelte den Kopf.
„Bist einer von diesen feinen Regierungspinkeln, was? Zu arrogant zum Scheißen. Spuck’s aus, was willste hier?”
Seine Augen waren kastanienbraun, standen zu nah beieinander.
„Zynx, wo bist du verdammt?!”, brüllte der Kapitän. „Warum hast du den hier draufgelassen. Schmeiß ihn gefälligst wieder runter, wo kommen wir denn sonst hin. Zu arrogant zum - -”
An diesem Punkt wurde es mir zu viel. Ich öffnete den Mund. Der Kapitän verstummte abrupt. Ich raschelte mit dem Schreiben und tippte darauf.
„Zynx verdammt, was ist das hier”, sagte der Kapitän, als der Matrose, der mich an Bord gelassen hatte, endlich herangekommen war. „Was’n das für einer?”
Der Matrose verneigte sich vor mir, entschuldigte sich, wobei er mir unauffällig zuzwinkerte und flüsterte dem Kapitän ins Ohr. Es erstaunte mich, das ein Mensch, der zuvor so selbstsicher gewesen war, zu einer so intensiven Rötung des Gesichts im Stande war. Fast war mir, als handele es sich um eine unechte Reaktion. Er stammelte: „Senator … Senator Marcellus … ich wusste nicht … ich … verzeihen Sie mir, Ser, es … es tut mir leid … ja lassen Sie mich sehen … das Schreiben. Zynx du verdammte Ratte, hol mir den Pfaffen her!”
Der Matrose lief los und kam mit einem Geistlichen zurück. Es dauerte etwas bis der Kapitän verstand, was ich wollte und sie meine Worte entziffert hatten. Nichts geht über gute Leute. Währenddessen schrieb ich folgende Worte auf meine Schreibtafel: Eine scharfe Klinge ist viel wert.
Ich zeigte dem Geistlichen meine Tafel.
„Was steht’n da?”, fragte der Kapitän.
„Der Senator bedankt sich bei Ihnen”, antwortete der Pfaffe.
„Also, wenn das so ist”, sagte er, brummte und stapfte los. Bevor ich dem Kapitän in seine Kajüte folgte, blickte ich dem Geistlichen in die Augen und nickte. Es konnte losgehen.
Als wir in der Kapitänskajüte ankamen, ließ der Kapitän seinen Gehilfen Truhen wegräumen und bot mir die besten Speisen an, während ich auf meine Gäste wartete. Dann ließ er mich alleine. Ich rührte das Essen nicht an.
Während ich das Muster des Teppichs betrachtete, dachte ich nach. Ist es nicht sonderbar, wie leichtgläubig der Kapitän war? Oder hat er meinen Plan durchschaut? Seiner Reaktion nach zu schließen, wäre es möglich. Ich muss vorsichtig bleiben. Ob die Falle wohl zuschlagen wird?
Es klopfte an der Tür und der vom Kapitän bezeichnete Pfaffe, der eigentlich Agent Rufus hieß, betrat in Begleitung mit einem weiteren meiner Agenten den Raum. Ich lächelte ihnen zu und Rufus überbrachte mir die ersehnte Nachricht.
„Unser feiner Kapitän ließ verlauten, noch mal los zu müssen. Der Plan hat funktioniert, Ser.”
Ich hatte alles vorbereitet und mich interessierte keineswegs der Kapitän, sondern vielmehr seine Mitgliedschaft bei den Schwarzen Raben. Sie waren mir schon immer ein Dorn im Auge gewesen und als sie ein Handelsschiff unter solikstatter Flagge kaperten, befahl mir Kaiser Leopold III. die Eliminierung dieser Seilschaft. Ich lieferte immer. Doch bislang entzogen sie sich meinen Agenten, daher war ein indirektes Vorgehen erforderlich.
Ich zückte meine Schreibutensilien: Alles vorbereitet, Rufus?
„Wir sind ihm auf der Spur. Das Schwarzpulver ist an Ort und Stelle. Das Ruderboot liegt bereit zu Ihrer Verwendung, Ser. ”
Was ist mit der Mannschaft?
„Sie werden nie mehr respektlos sein.”
Lassen wir unsere Gäste nicht warten.
Als ich das Deck betrat, schrubbte Zynx noch und mir fielen die roten Schlieren auf. Außer ihm waren noch weitere Agenten an Board, die unter falschen Namen als Matrosen angemustert hatten. Ihre Arbeit war sauber verrichtet.
Wie kann ein Kapitän, der Verbindungen zu den schwarzen Raben hat, so unvorsichtig sein? Machte er es uns nicht zu leicht? Das bereitete mir Sorgen, doch wie ein guter Schachspieler, hatte ich mir auch hier eine Alternative überlegt.
Ich schrieb weitere Befehle auf meine Schreibtafel, zog einen Matrosenanzug an, stieg dann mit einigen Agenten und mit Rufus in das Boot und wir fuhren zurück zu unserem Aussichtspunkt am Hafen. Ein Gebäude der kaiserlichen Handelsgesellschaft. Es war an der Zeit zu warten.
Wann erwarten wir die Nachricht?, schrieb ich.
„Unser Agent hat von etwa einer Stunde gesprochen. Kann allerdings auch länger dauern, wir wissen nicht genau, wo die Lagerhalle ist.”
Das war der Moment, an dem ich Bescheid wusste. Er hätte es besser wissen müssen.
Weißt du, woran mich wichtige Nachrichten erinnern?
„Woran, Ser?”
An schwarze Schwingen, die scharf vom Himmel herabstoßen. Während Agent Rufus meine Worte laß, stach ich mit meinem verborgenen Stiletto zu. Zwei präzise Stöße. Er röchelte, brach zusammen und es bildete sich eine Blutlache. Die übrigen Agenten zuckten zusammen.
Ich schrieb: Verrat. Schafft das Schwarzpulver unverzüglich her.
Meine Agenten ruderten in Eile zurück zum Schiff, luden das Schwarzpulver um und ich stand in meinem Matrosenanzug und mit Fernglas an der Reling. Dabei ließ ich meine Gedanken schweifen.
Wie konnte ich so blind sein? Und warum hatte Rufus mich nicht angegriffen, als wir in der Kajüte des Kapitäns waren? Weil noch ein anderer Agent dabei war. Die Vorsichtsmaßnahmen zahlten sich aus: Lasse niemals einen Agenten alleine operieren. Rufus ein Verräter. Offensichtlich war, dass niemals eine Lagerhalle erwähnt worden war, in keinem einzigen Bericht und da noch keine neue Nachricht eingegangen war, hätte er das nicht wissen dürfen. Was hatten die schwarzen Raben also vor? Wenn Rufus mich verraten hatte, dann kannten sie den Aussichtspunkt am Hafen und sie würden meine Agenten, die den Kapitän verfolgten, ans Messer liefern. Ob sie danach einen Anschlag auf den Aussichtspunkt verüben würden? Davon ging ich aus und freute mich, als nach einer kurzen Weile einer der Agenten sagte, dass sie so weit wären und auf mein Zeichen warteten.
Meine Überlegungen stellten sich als richtig heraus, nachdem ich durch das Fernglas den Kapitän mit etwa ein Dutzend weiteren Gestalten in das Gebäude der kaiserlichen Handelsgesellschaft eindringen sah. Ich wartete, bis der letzte Mann den Aussichtspunkt betreten hatte. Dann hob ich den Arm. Ein Signalhorn erklang, das Schwarzpulver zündete und die schwarzen Federn der Raben brannten. Die Eröffnung war vorüber und auch wenn sie mir einen Läufer vom Brett genommen hatten, so hatte ich einen Turm erobert.