Die Eiswolke
Ein Großes Feld, auf dem ich stehe.
Eine Beziehung aufzulösen ist immer eine schwierige Sache. Aber ich sollte mir nichts vormachen. Unser Leben hatte genug Zeit, sich ungestört auf ein unerträgliches Niveau einzupendeln. Nichts Neues, nichts Aufregendes, nichts Besonderes.
Es ist eisig kalt. Der Atem scheint noch auf dem Weg aus der Lunge zu gefrieren. Ein herrlich frisches und freies Gefühl. Seit ein paar Minuten beobachte ich eine große Wolke über mir. Die scharfe, kalte Sonne schickt ihr Licht in Splittern durch diesen schwebenden Riesen. Die Luft ist nahezu bewegungslos.
Ich schließe die Augen und sehe, wie sich die Milliarden winziger Wassertröpfchen durch hauchfeine Eisfädchen miteinander verbinden. Die Kälte lässt die Tröpfchen und Ihre Fäden zu einem einzigen Eisnetz zusammenwachsen, die Wolke wird kälter - und schwerer.
Ich öffne die Augen. Bald haben sie sich an das grelle Licht gewöhnt und ich sehe, wie dieses unbeschreiblich zarte Monstrum niedersinkt. Ich bleibe stehen und breite die Arme aus, die Berührung des Himmels erwartend. Endlich höre ich es. Der äußere Rand der Wolke berührt einen kleinen Turm und Millionen in der Kälte gewachsene Verbindungen brechen. Es ist eine solch filigrane Zerstörung, das mein Ohr nur ein leises Zischen vernimmt. Doch das Zischen wird lauter, intensiver. Ich sehe durch die Wolke, die nun meine Wolke ist, auf die Sonne, deren Licht in alle erdenklichen Farben und Formen und Bewegungen verwandelt wird. Doch nun ist die Wolke zu nah, ich muss nach vorne sehen um meine Augen zu schützen.
Endlich, endlich berührt sie mich. Zuerst ist es nur mein Haar, welches die unendlich feineren Strukturen meiner Wolke zerbricht. Dann, meine Kopfhaut wird kalt - jetzt spüre ich den sanften Druck wie von Myriaden winzigster Nadeln; doch sie dringen nicht in meinen Körper ein, nur in meine Seele. Mein Himmel ist zu mir hinuntergekommen, wohin ich auch sehe empfängt dieser funkelnde Gigant meine Blicke. Meine Stirn wird liebkost von Kälte und behutsam gleitet mein Himmel über mich. Ich kann die Augen offenhalten, kein Wind könnte Eis in meine Richtung lenken, und dennoch muss ich sie immer wieder schließen ob der überwältigenden Verzückung, die langsam meinen ganzen Körper umschließt.
Das Zischen, das leise Getöse dauert noch an, während die Wolke tiefer sinkt und meinen Kopf freigibt - nein, ich fühle mich nicht befreit, ich fühle mich, wie ein Kind sich fühlen muss, wenn es geboren wird, den Sinn nicht verstehen kann, warum es in diese Leere muss. Doch langsam sinkt mein Himmel zu Boden, vernichtet sich selbst, angezogen von der Kraft der Erde, unrettbar, da alles was ihn berührt und alles was er berührt sein Verderben sein muss. Das Tosen wird leiser. Ich sehe den Rest meines Himmels in den Boden sinken, hoffe, dass er durch die schmutzige Erde hindurchfallen möge.
Noch immer stehe ich gelähmt auf dem großen Feld. Selbst das weiße Glitzern auf dem Turm, der Erde, mir, ist verschwunden. Die letzte Träne, die der Himmel mir weinte ist getrocknet. Niemand wird mir glauben, was ich erfahren habe. Es wird auf ewig mein Erlebnis sein. Meine Wolke. Mein Himmel. Irgendwann werde ich weggehen. Meine Frau wartet auf mich.