Die Elfe auf dem Berg
Die Elfe auf dem Berg
Wenn uns die Menschen, die wir lieben genommen werden, dann können wir sie trotzdem behalten, indem wir nie aufhören an sie zu denken.
Es war dunkel. Der Mond schien kalt und mit seiner ganzen Kraft vom Himmel herab. Voll war er und hatte ein sanftes Licht. Sanfter als das der Sonne. Er prangte am Himmelszelt zwischen einem Meer aus Sternen. Kaum ein Laut war zu vernehmen. Lediglich ein leichtes Rauschen der Blätter, wenn der Wind ein wenig mit ihnen spielte oder ein Rascheln im Gebüsch, wenn ein Hase oder eine Maus sich darin verirrte. Ansonsten war es still. Doch wenn man genau hinhörte, so hörte man ein gelegentliches Schluchzen. Kaum zu hören. Und dennoch...
Es war eine wunderschöne Landschaft und wenn die Sonne geschienen hätte, so wäre sie wohl noch viel schöner und herrlicher anzusehen. Eine große Bergkette zur rechten und ein Teich zur linken. Der Teich war mit einigen Büschen umrahmt und große Bäume wuchsen auf der Wiese rundherum. Ein schmaler Sandweg schlängelte sich durch das Grün und ein paar weiße Blüten von Gänseblümchen verteilten sich auf dem Gras. Der Mond schien seine wahre Freude daran zu haben sich auf der Oberfläche des Sees zu spiegeln und das Wasser mit einer glitzernden Oberfläche erscheinen zu lassen.
Das sanfte Schluchzen kam von der Bergkette. Auf einem der Hügel konnte man ganz klar und deutlich, wenn man denn seinen Blick dorthin sandte, eine Frau ausmachen. Sie trug schneeweißes langes Haar und ein Kleid in einem hellen blau. Ich näherte mich ihr und als ich fast an ihr stand erkannte ich ihre spitzen Ohren, die durch das Haar lugten. Es war eine Elfe. Ohne Zweifel. Als sie ihren Kopf nicht erhob, da setzte ich mich neben sie und wartete und irgendwann schaute sie auf. Sie schaute mir direkt in die Augen und ich sah in ihren nicht mein Gesicht, sondern ich sah einen Fremden. Einen Mann, der stolz auf einem Ross saß. Ich konnte nicht anders, als ihr weiter in die Augen zu sehen. Ein Schwall von Liebe durchfuhr mich. Ich sah eine Geschichte in Sekunden, die von Liebe, von Zuneigung, von Zeitlosigkeit sprach, die etwas zeigte, was man mit Worten nicht sagen kann, die direkt aus dem Herzen sprach. Ich fühlte Schmerz und sah Trennung, sah Fremde, die Schmerzen sendeten. Und ich fühlte Unendlichkeit und Seelenverwandtschaft. Dann sah die Frau zu Boden und eine Träne rann ihr über die zarte weiße Haut. Sie fiel zu Boden und teilte sich auf dem Stein. Für einen Moment fehlten mir die Worte und dann fragte ich: „Was ist es, was euch so traurig macht?“ Es dauerte eine Weile, bis sie antwortete und ihre Stimme klang in der Nacht hell und glockenklar: „Ein Stück meiner Seele ist von mir gegangen.“ Ich überlegte, ob ich sie weiterfragen sollte, denn ich hatte gesehen, was sie erlebt hat, ich hatte gesehen, was sie fühlt und was sie denkt, doch der Kummer war zu groß, als dass ich ihn hätte einfach ertragen können. „Er wird wiederkommen.“ Sie weinte nicht mehr: „Bis dahin werde ich warten.“ Ihr Blick richtete sich in die Ferne. Ich erhob mich und beschloss sie mit dem Mond und den Sternen alleine zu lassen.
Am nächsten Morgen kam ich wieder und keiner saß mehr auf dem Berg. Die Sonne hatte den Mond abgelöst. Reges Treiben war auf den Straßen und ich ging meinen Tätigkeiten nach. Am Abend beschloss ich wieder diese Stelle aufzusuchen und so tat ich es auch.
Die Elfe saß wieder auf dem Berg und diesmal weinte sie nicht. Der Mond hatte einen angenehmen warmen Schein in die Dunkelheit geschickt. Die Elfe saß stolz und aufrecht dort und blickte mich an. Klar und direkt war ihr Blick. Mir war es fast schwer ihn zu erwidern, so durchdringend ehrlich und tief ging er auf mich ein. Dennoch hielt ich ihm stand. Ich kam näher und sie schaute nicht weg und ich sah wieder etwas in ihren Augen. Es war Hoffnung, unendliche Liebe und Kraft. Mein Herz wurde trotz der bitteren Kälte der Nacht warm. Ich fühlte mich geborgen und als ich direkt vor ihr stand und in die schwarzen Augen blickte spürte ich, dass dieser Mensch, auf den sie wartete zu ihr kommen würde. Ich spürte es nicht nur, ich wusste es. Und diesmal war ich es, der weinte.
Und ich wusste, selbst wenn er nie wiederkommen würde, so wäre das Stück ihrer Seele was sie verschenkt hatte stark genug um für die Ewigkeit zu halten...