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Die Elfenprinzessin
Vor langer Zeit erhob sich auf einem kahlen Hügel eine prächtige Burg.
Altes Gemäuer umrahmt von vier wuchtigen Türmen; ein Graben, der all das Böse fernhalten soll, das im naheliegenden Wald lauert und ein König, der sein Land mit strenger Hand regierte. Seine Frau starb bei der Geburt seiner zweiten Tochter und es verging nicht ein Tag an dem er nicht liebevoll ihrer gedachte. Alles was ihm von ihr blieb, war seine Erinnerung und seine zwei Töchter, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Helena, die Erstgeborene, war von kräftiger Statur und großer Gestalt. Ihre Augen waren eisblau, was der Kälte ihres Wesens entsprach. Stets versuchte sie ihre kleine Schwester zu verdrängen. Diese wiederum störte das nicht weiter, da sie sich noch nie heimisch in der Familie gefühlt hatte und sich aus diesem Grund an die Worte der Mutter klammerte, die sie, obwohl noch ein Baby, in ihrem Herzen aufgenommen hatte. Ihre Mutter hatte kurz vor ihrem Tod nämlich folgenden Satz gesagt: „Liliana, Sternenkind, du bist etwas ganz Besonderes. Suche den Wald auf und finde deinen wahren Namen. Liebe und du wirst leben.“ Die Kette mit dem Sternenanhänger, den die Mutter früher getragen hat, glühte stets bei dieser Erinnerung auf, doch sie bemerkte es nicht. In klaren Nächten, sah sie hinauf zum Firmament und betrachtete die leuchtenden Sterne. Sie glaubte fest daran, dass sie ihr einen Wunsch erfüllen würden, wenn sie nur fest genug daran glaubte. Und so schrie sie dem Himmel täglich ihren Schmerz entgegen. „Errette mich Aria, oh du geliebter Leitstern. Schenke mir Leben!“
Liliane sah ihrer Schwester so unähnlich, dass manche Bürger hinter vorgehaltener Hand tuschelten, sie sei ein Bastard. Zierlich war sie und schlank. Ihre Augen funkelten smaragdgrün und erinnerten an blühende Wälder. Ihr Haut war sonderbar blass und ihre Ohren liefen etwas spitz zu, was ihr ein ungewöhnliches, doch zugleich bezauberndes Aussehen verlieh. Sie war von anmutiger Schönheit, die ihre Schwester zornig vor Eifersucht in den Schatten stellte. Sie war wirklich ein besonderes Kind. So verbrachte sie scheinbar den ganzen Tag damit, sich ihrer Fantasiewelt hinzugeben. Bald schon hatte der König genug von ihrer Träumerei und verbat ihr, weiterhin darüber zu sprechen. Was sollten die Anderen von ihm denken?
Am Fuße des Hügels erstreckte sich weitläufig ein dunkler Wald, der durch seine Größe und Dunkelheit ein Ort wurde, um den sich viele Sagen und Mythen rankten.
Die Sagen erzählen von schwarzen Mächten, die sich in dunklen Geschöpfen vereinen.
Schon oft wurde davon berichtet, dass schwarze Dämonen über wehrlose Bürger, die einen nächtlichen Spaziergang tätigten, herfielen. Nur wenige sind jemals zurückgekehrt. Man fand nur ihre erkalteten Körper am Waldrand. Von den Überlebenden , die den Weg zur Burg geschafft haben, wurden ausnahmslos alle irrsinnig und ihre Geschichten verbreiteten unter den restlichen Burgbewohnern soviel Furcht, dass sich nach Einbruch der Dunkelheit niemand mehr außerhalb der schützenden Festung aufhielt.
Allein der König glaubte nicht an die wundersamen und zugleich grausamen Erzählungen. Stets folgte einem solchen Bericht sein, mit einem müden Lächeln begleiteter, Satz: „Es gibt keine Dämonen und dunkle Mächte, genauso wenig wie es Wunder gibt. Es muss eine andere Erklärung geben.“ Seine Frau hatte oftmals wütend vor ihm gestanden und mit Tränen in den Augen gesagt: „Wunder gibt es doch!“ Er verstand sie nicht.
„Vater, ich weiß du hattest es mir verboten, dennoch war ich im Wald und machte eine sonderbare Entdeckung.“ Mit funkelnden Augen sprach Liliana weiter: „Ich sah einen wunderschönen Schmetterling und folgte ihm. Bald darauf sah ich ein helles Licht und ich ging langsam darauf zu, doch mit jedem Schritt, den ich tat, entfernte es sich von mir. Was mag das nur gewesen sein?“
„Liliana, wie konntest du dich meinen Anordnungen so gedankenlos widersetzen?“
„Aber Vater...“
„Ich weiß nicht was du meinst gesehen zu haben, doch das ist jetzt auch nicht wichtig. Möglicherweise war es nur ein Sonnenstrahl, der durch die Zweige brach. Doch höre mir jetzt genau zu. Ich wiederhole mich nicht noch einmal. Von jetzt an wirst du den Wald nicht wieder betreten. Es ist viel zu gefährlich.“
„Vater, so hör mich doch an.“ Ihre Stimme hatte einen zittrigen Unterton, doch war es keine Wut. Sie versuchte die Tränen zu unterdrücken, die heiß in ihren Augen brannten.
Mit einer fahrigen Handbewegung die deutlich seine Ungeduld zeigte, gebot er ihr zu schweigen.
„Schweig still, ich dulde keine Widerrede. Und jetzt geh und ziehe dich in dein Gemach zurück. Ich möchte, dass du darüber nachdenkst, was du getan hast.“
Sie wusste, dass es keinen Zweck mehr hatte, weiter mit ihm zu reden. Helena stand am Rande des Saales und grinste sie hämisch an. Mit hängendem Kopf und traurigem Blick verließ sie die Kälte des Raumes. Noch während sie über die leeren Flure schritt, beschloss sie am Abend, wenn alles schlafen würde in den Wald zurückzukehren und nach dem wundersamen Licht zu suchen.
Als die Dämmerung hereinbrach und die Burg in tiefem Schlaf versank, stahl sie sich geräuschlos durch einen versteckten Gang aus der Burg hinaus und folgte dem Pfad, der sie mit einiger Mühe zum verwunschenen Wald brachte. Nervös blickte sie sich um und ging schnellen Schrittes voran. Den schwarzen Schatten, der ihr folgte, bemerkte sie nicht. Immer schneller und schneller lief sie, bis sie plötzlich ein leise Melodie vernahm, die in ihr eine Wunde aufriss und eine unerklärliche Sehnsucht zurückließ. Einem inneren Gefühl nachgebend folgte sie der sanften Melodie, die etwas Uraltes in sich barg. Der Wind schien sie zu führen und die Bäume schienen sie willkommen zu heißen. Eine plötzliche Erkenntnis raubte ihr den Atem, doch als sie den Gedanken weiter verfolgen wollte, hatte sie ihn schon wieder vergessen. Ein sanftes Licht brach durch die Bäume. Neugierig suchte sie nach dem Quell dieses warmen Lichts. Vorsichtig schlich sie sich immer näher zu der Lichtung am Wasserfall. Normalerweise toste das Wasser lautstark den Abhang hinunter, doch heute war alles still. Bis auf.... diese seltsame Melodie und einem glockenhellen Läuten, das wie fröhliches Gelächter klang. Hinter einem Gebüsch blieb sie stehen und beobachtete staunend den Anblick, der sich ihr bot. Wesen, wie sie keine schöneren je gesehen hatte, sangen im sanften Mondenlicht und gaben sich ihrem wilden Tanz hin. Die zartschimmernden Flügel bewegten sich freudig zu der Melodie und da erkannte Liliana was sie hier vor sich sah. Ein Elfenreigen. Heiße Tränen rannen über ihre Wangen und die Sehnsucht in ihr wuchs mit jedem Augenblick. Ihre Neugier trieb sie an, noch ein Stück vorzurücken um diesen Anblick genauer in sich aufzunehmen. Ein knackender Ast auf den sie unachtsam getreten war verursachte ein Geräusch, dass in dieser Situation nicht lauter hätte sein können. Stolpernd lief sie auf die Lichtung zu, doch die Elfen waren in heller Panik davongeflogen, bevor sie auch nur nah genug herankommen konnte. Alles was blieb, war ein Meer aus Lilien, die sonderbar strahlten und die Lichtung überzogen. Sie schrie ihren Verlust gen Firmament: „Habt keine Angst ihr Lichtwesen. Bei den Sternen ich tue euch nichts. Kommt zurück!“ Schluchzend wiederholte sie ihre letzten Worte, bis sie begriff, dass sie nicht wiederkehren würden. In ihr fühlte sie eine Leere, die nicht greifbar war. Sie hatte das Gefühl, als sei ein Teil ihrer Seele mit den Elfen davongeflogen. Zitternd ließ sie sich auf die Lichtung sinken und riss, ohne dass sie begriff was sie tat, die Lilien aus der Erde. Eine unheilvolle Ruhe überkam sie und so saß sie da, bis der Morgen graute.
Völlig betäubt verließ sie mit hängenden Schultern und den Lilien in der Hand den Wald und ging zielstrebig zu ihrem Vater. Er musste ihr einfach glauben, solche Blumen hatte er gewiss noch nicht gesehen.
Als sie den Saal betrat, spürte sie eine unangenehme Spannung in der Luft, die eindeutig von ihrem Vater herrührte. Er schien über irgendetwas verärgert zu sein, doch Liliana kümmerte sich nicht weiter darum. Sie ging langsam auf den Thron zu und hielt ihrem zornig dreinblickenden Vater die Lilien entgegen. Erst da bemerkte sie, dass die Blumen zu leuchten aufgehört hatten. Die Kraft in ihnen war einfach erloschen. Verwirrt schüttelte sie den Kopf und stotterte: „Vater... gerade haben.. diese Lilien noch geleuchtet.. Die.. Die Elfen....“
„Hör auf so einen Unsinn von dir zu geben“, donnerte er. „Wie kannst du es wagen, mir so unter die Augen zu treten. Ich habe dir verboten in den Wald zu gehen und du hast dich diesem Befehl erneut widersetzt. Was soll ich nur mit dir machen?“
„Wer sagte dir, dass ich im Wald war?“, flüsterte sie.
„Warum ist das von Bedeutung? Du solltest dich schämen für deine...“
„Wer?“, unterbrach sie ihn krächzend.
„Wenn du es unbedingt wissen willst; es war Helena. Sie hat sich große Sorgen um dich gemacht und hat nach dir gesehen. Wer konnte ahnen, dass du erneut so eine dumme Tat begehst?“
Liliana stand erstarrt da, während Helena lautlos eingetreten war. Während sie auf die Beiden zuging sagte sie: „Vater, sie hat dich hintergangen. Du solltest dieses ungezogene Gör in den Turm sperren.“
Wütend wirbelte Liliana herum und stürzte sich knurrend auf Helena. Erschrocken schrie Helena auf und konnte nicht mehr reagieren, als Liliana sie zu Boden riss und ihr eine schallende Ohrfeige verpasste. Sie holte gerade aus um sie erneut zu schlagen, als ihr Vater ihren Arm ergriff und sie wutentbrannt von ihrer Schwester fortzerrte.
„Bist du von Sinnen? Du wirst jetzt sofort mit deiner Kammerzofe auf dein Gemach gehen und dich ankleiden. Danach wirst du hierher kommen und dich anständig wie eine Dame benehmen, denn der Prinz von Kith hat deinetwegen den weiten Weg hierher gemacht. Und nun geh mir aus den Augen.“
„Der Prinz von Kith ist hier? Meinetwegen? Ich verstehe nicht Vater.“
Doch ihr Vater reagierte nicht mehr. Er hatte sich umgedreht und war nicht gewillt ihr Antworten auf die quälenden Fragen zu geben, die sich unaufhörlich in ihrem Kopf drehten und ihr Übelkeit bereiteten. Helena stand ihr mit geröteter Wange gegenüber und sagte mit einem bitterbösen Lächeln im Gesicht: „Ich gratuliere dir zu deiner Verlobung, Schwesterchen.“
Liliana war so schockiert, dass sie nichts erwidern konnte. Mit funkelnden Augen lief sie aus dem Saal und stieß mit Leah zusammen. Die Kammerzofe hatte nichts von dem Vorfall mitbekommen und begrüßte Liliana gewohnt fröhlich. Diese jedoch stieß sie fort und lief zu ihrem Gemach. Leah folgte ihr besorgt. Als sie in das Gemach eintrat, lag Liliane schluchzend auf dem Bett, das Gesicht im Kissen vergraben. Sanft setzte sich Leah auf das Bett und streichelte Liliana über das weiche Haar. „Mein Kind, beruhige dich. Nichts ist so schlimm, dass man gleich weinen müsste. Der Prinz wird dir sicherlich ein guter Gemahl sein, zudem verfügt er über großen Reichtum. Du kannst dich glücklich schätzen ihm als Gemahlin dienen zu dürfen. Glaube mir, es wird alles gut.“
„Ich hasse meinen Vater und Helena und den Prinz von Kith.“
„Soetwas darfst du nicht sagen, Schätzchen. Und nun, wasch dir dein Gesicht. Du willst doch nicht, dass der Prinz dich so sieht. Komm, ich helfe dir auch dabei.“
Nahezu willenlos ließ Liliana sich waschen und ankleiden. Als sie in den Spiegel sah, erblickte sie ihr Antlitz, das sich perfekt darbot. Emotionslos nahm sie wahr, dass sie hübsch aussah. Es war eine klare, kühle Feststellung.
Ihr Vater und der Prinz erwarteten sie bereits, als sie eintrat. Auch Helena war anwesend, sie stand in der Nähe des Prinzen und beobachtete ihn ungeniert. Liliana senkte den Blick. Der lächelnde Fremde, mit dem sie zukünftig ihr Leben teilen sollte, war ihr schon jetzt zuwider. Sie verbeugte sich erst vor ihrem Vater und dann vor dem Prinzen.
„Tochter, das ist Jona von Kith. Er hat um deine Hand angehalten und ich sagte ihm bereits, dass ich erfreut wäre, ihn in unserer Familie willkommen zu heißen. Aber natürlich werde ich dich nicht einfach so versprechen. Ich möchte, dass du glücklich wirst und so frage ich dich. Willst du diesen Mann als deinen Gemahl anerkennen und ihm die Treue schwören?“ Ihr Vater blickte sie freundlich an, doch sie bemerkte, wie angespannt er in diesem Moment war.
„Habe ich denn eine Wahl, Vater?“ Sie presste die Worte hervor und ihr Vater sog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein.
„Ich nehme an, das ich das als ein Ja verstehen darf. Ich werde dann alles weitere mit Jona besprechen. Du bist sicher aufgeregt. Verabschiede dich für heute von deinem zukünftigen Gemahl und ziehe dich zurück. Leah wird mit dir über das Kleid reden, dass du tragen wirst.“ „Ich danke dir Vater“, sagte Liliana und verbeugte sich vor ihrem Vater.
„Ich hoffe deine Erwartungen erfüllen zu können“, sprach sie in Jonas Richtung, ohne ihn jedoch dabei anzuschauen.
Sanft antwortete er: „Mach dir keine Sorgen. Gewiss werden wir eine wunderbare Zeit miteinander haben.“
Sie nickte steif und verließ schleunigst den Saal. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie furchtbar müde war. Sofort fiel sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Als sie erwachte, stürzten all die Ereignisse unaufhaltsam auf sie ein und ihr schwindelte. Panik überrollte sie und drohte sie wahnsinnig werden zu lassen. Der Raum schien auf sie niederzustürzen und Liliana sah den einzigen Weg zur Rettung in ihrer Flucht. Ihr Geheimgang führte sie erneut in den Wald und sie atmete erleichtert auf, als sie die Bäume sah, die sich dem Himmel und den Sternen entgegenstreckten. Die Bürger waren Narren. Wie konnte man auf solch heiligem Boden nur Furcht empfinden? Aufatmend und die Stille der Nacht genießend schritt sie voran und bemerkte nicht den schwarzen Schatten, der ihr erneut folgte.
Unachtsam schritt die durch den dunklen Wald und geriet immer tiefer in die Dunkelheit. Vergeblich hielt sie nach dem wundersamen Licht Ausschau, das soviel Schönheit verhieß. Stattdessen vernahm sie ein leises Wispern, das die Stille unheimlich durchbrach. Mit zitternder Stimme rief sie laut: „Wer ist da?“ Doch als Antwort erhielt sie nur das Wispern, das nun von allen Seiten zu kommen schien. Mit vor Angst weit aufgerissenen Augen drehte Liliana sich schnell um ihre eigene Achse, um die Richtung ausfindig zu machen, aus der das Wispern kam.
Leise, und schließlich immer lauter begann sie zu singen, um ihre Angst zu kontrollieren, doch es gelang ihr nicht.
Plötzlich sah sie aus dem Augenwinkel eine in schwarz gehüllte Gestalt auf sich zukommen. Die Bedrohung dieser Situation nahm weiter zu, als sie die Gegenwart einer weiteren Gestalt wahrnahm.
Als sie begriff, dass sie in großer Gefahr schwebte, war es zu spät um davonzulaufen und so versuchte sie mit fester, trotziger Stimme zu reagieren, doch sie konnte ihre Furcht nicht verbergen. „Verschwindet von hier und lasst mich ziehen oder euch blüht kein schönes Schicksal. Mein Vater ist der König dieser Lande und er wird euch eigenhändig köpfen, falls mir etwas passieren sollte.“ Sie wusste selbst wie lächerlich diese Worte klangen.
Alles was sie zur Antwort erhielt war ein erneutes unheimliches Wispern, das ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Und dann griffen sie an. Scharfe Klauen, wo Hände hätten sein sollen, glühend rote Augen, die sie durchdringend und gierig anstarrten, spitze Zähne, die den Stoff ihres kostbaren Kleides zerrissen und ihre Haut verletzten. Sie schrie aus Leibeskräften, bat die Elfen und Sterne um Hilfe, doch alles schwieg. Nach kurzer Zeit wurde sie ohnmächtig und bemerkte dementsprechend nicht, wie der Sternenanhänger an ihrer Kette ein helles Licht ausstrahlte. Es breitete sich schnell aus und die seltsamen Wesen schienen das gleißende Licht nicht ertragen zu können. Das Wispern wurde zu einem enttäuschten Zischen, als die Dämonen sich um ihre Beute betrogen sahen. Sie verschwanden so schnell wie sie gekommen waren. Langsam erwachte Liliana und stöhnte vor Schmerzen laut auf. Der schwarze Schatten, der Liliana zu Beginn ihrer Reise gefolgt war, löste sich aus dem Dunkel und kam langsam auf sie zu. Liliana erkannte sie nach einer kurzen Musterung als ihre Schwester Helena und war sichtlich erleichtert.
„Du bist es Helena. Bitte, ich brauche deine Hilfe. Ist Vater unterwegs hierher?“
„Nein, Vater wird nicht kommen. Und auch ich werde dir nicht helfen. Du hast ihn verhext.“
„Wovon sprichst du, Helena? Wen soll ich verhext haben? Ich bin verletzt. Bitte hilf mir.“
„Wen hat die kleine Liliana nur verhext? Lass mich überlegen. Wie wäre es mit Jona. Die Ehe mit ihm steht mir zu und nicht dir. Er hätte mich gewählt, hättest du ihn nicht verhext.“, bitter kamen diese Worte über Helenas Lippen.
„Das ist nicht wahr, Helena und das weißt du auch. Ich habe diese Verlobung nie gewollt. Helena, so hilf mir doch.“
„Tut mir leid Schwesterherz. Ich muss mich um deinen Gemahl kümmern. Jemand muss ihn schließlich trösten, wenn er erfährt, dass du vor der Hochzeit geflohen bist.“ Lachend entfernte sie sich und zurück blieb eine aus Verzweiflung und Todesangst weinende Liliana.
Nach scheinbar endlosen Stunden verlor sie die Hoffnung auf Hilfe und schlief unter Schmerzen ein.
Als sie erwachte fand sie sich in einem warmen Bett vor. Ihr Wunden waren verbunden. Vorsichtig setzte sie sich auf und erschrak über die Hand, die sich auf ihre Schulter legte und sie sanft aber entschlossen zurück in die Kissen drückte.
„Beweg dich nicht. Du hast schwere Verletzungen. Ruh dich aus.“
„Wo bin ich? Und wer bist du?“, fragte sie benommen. Als sie das Antlitz des Elfen erblickte, stockte ihr der Atem. Er war wunderschön und anmutig. Sie wünschte sich nichts sehnlicher als mit ihrer Hand über seine Wange zu streicheln. Sie bemerkte, dass sie leicht errötete.
„Ich bin Elias, der Prinz der Waldelfen und habe dich verletzt aufgefunden. Ich habe dich hierher gebracht und deine Wunden versorgt.“
„Oh nein, welcher Tag ist heute? Ich muss zurück zur Burg. Mein Vater wird sich große Sorgen machen.“
„Dein Vater ist der König dieser Lande?“
„Ja, was ist daran so verwunderlich?“
„Dein Aussehen... ich meine... wer ist deine Mutter?“
„Ich wüsste nicht was euch das angeht“, fuhr sie ihn gereizt an. „und nun lasst mich bitte gehen.“
„Es tut mir leid, aber das wird nicht möglich sein. Mit diesen Verletzungen kann ich dich nicht gehen lassen. Das wäre viel zu gefährlich.“
Eigentlich sollte sie sich gegen diesen ihr auferlegten Arrest wehren, doch sie tat es nicht. Ein Zauber hatte von ihr Besitz ergriffen. Ob er bedrohlich war? Nein, pures Glück empfunden in jedem Winkel der Seele ist sicherlich nicht bedrohlich.
Tage später
„Mir scheint du bist der Teil meiner Seele, den ich nie besaß. Du gibst mir ein Gefühl der Vollkommenheit und ich schaue dich an und weiß das ich zu Hause bin. Ich würde alles für dich tun. Die Sterne haben mir den Weg gewiesen.. zu dir... zu der Liebe meines Lebens.
Ich bin Tage hier und es kommt mir vor als wären es Jahre.“
„Du weißt, dass du zurückkehren musst“, sagte er, das Antlitz abgewandt, damit sie seinen Schmerz nicht sah.
„Sag das nicht. Ich bleibe hier.. für immer.“
„Bitte Nienna, geh. Du weißt, dass es nicht möglich ist. Ich habe deinem Vater eine Botschaft zukommen lassen.“
Still nahm sie die Worte in sich auf und begriff die Tragweite der Botschaft noch immer nicht.
„Wie hast du mich soeben genannt?“
„Liliana, so ist doch dein Name.“
„Nein“, sie schüttelte heftig den Kopf. „Du sagtest Nienna zu mir. Ich kenne diesen Namen, doch weiß ich nicht, wo ich ihn schon einmal gehört habe. Er rührt tief in mir etwas an, das ich nicht verstehe.“
Elias schwieg. „Du möchtest, dass ich noch heute gehe.“
„Ja“
Unendlich langsam nahm sie ihre Sachen und ging wortlos zur Tür immer in der Hoffnung, dass er noch etwas sagen würde.
„Lili?“
„Ja?“, voller Freude wandte sie sich ihm zu.
„Ich begleite dich noch bis zum Waldrand, damit dir nichts zustößt.“
Die Enttäuschung, die diese Worte hervorrief, ließ sich nicht verbergen. Zu groß war der Schmerz des Verlustes. Still weinte sie den ganzen langen Weg durch den Wald, doch er beachtete sie nicht. Als sie am Rande des Waldes ankamen blieb sie nicht stehen, um sich von ihm zu verabschieden. Verzweifelt und weinend setzte sie einen Fuß vor den anderen und achtete nicht darauf, dass Elias hinter ihr zurückblieb. Dieser Schmerz war ihr Schmerz. Es war kein Platz für andere Dinge.
„Verzeih mir Nienna“, sagte Elias, während er ihr lange Zeit nachblickte.
Von der ihr innewohnenden Leere völlig betäubt, ging sie langsam auf die Burg zu. Die aufgeregten Stimmen, die lautstark nach ihr riefen, beachtete sie nicht weiter. Ohne sich ein einziges Mal umzublicken, schritt sie auf den Saal zu, in dem sie ihren Vater vermutete. Er hatte schon von ihrer Ankunft gehört und erwartete sie bereits. Mit angehaltenem Atem trat sie ein und stellte überrascht fest, dass ihr Vater nicht einmal aufblickte.
„Warum bist du zurückgekehrt?“
„Ich wurde angegriffen. Ich lag verletzt im Wald. Der Prinz der Elfen hat mich gerettet und bei sich aufgenommen. Ich bin gekommen um zu heiraten, so wie du es von mir verlangst.“ Kälte lag in ihrem Blick und ihre Stimme hatte einen eisigen Ton angenommen.“
„Und selbst jetzt lügst du mich noch an. Läufst vor deiner eigenen Hochzeit davon und erzählst mir, du wärest bei Elfen gewesen. Wen glaubst du vor dir zu haben? Ich bin dein Vater und König dieses Landes. Du hast den Prinzen von Kith beleidigt und erwartest, dass er dich noch heiraten will?“
Trotzig schaute sie zu Boden.
„Aber du hast Gück. Jona hat ein Nachsehen mit dir und deinem unreifen Verhalten und möchte dich dennoch zur Frau nehmen. Die Vorbereitungen sind fast abgeschlossen. Warte in deinem Gemach. Leah wird mit dem Kleid kommen, dass Helena für dich ausgesucht hat.“ In seiner Stimme lag etwas Entschlossenes, Endgültiges.
Liliana hatte nicht die Kraft sich auf weitere Diskussionen einzulassen. Und so verließ sie den Saal, ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren. Doch sie ging nicht wie befohlen, sondern in entgegengesetzter Richtung zum Wald. In ihrem Kopf hallten die Worte ihrer Mutter. Sie wollte Elias. Sie wollte leben...
Währenddessen betrat Leah das Gemach und stellte erschrocken fest, dass sich Liliana nicht dort befand. Als sie aus dem Fenster blickte, sah sie diese gerade noch, bevor sie weinend im Wald verschwand. Geschwind lief Leah zum Königssaal und berichtete von ihren Beobachtungen. Unverzüglich ließ Lilianas Vater ihren Verlobten und Helena herbeirufen und machte sich sogleich mit ihnen auf, Liliana in den Wald zu folgen.
Nach einiger Zeit kamen sie durch Helenas Hilfe zu der Lichtung am Wasserfall, auf der Liliana in den Armen des Elfenprinzen lag und verzweifelt schluchzte. Ungläubig starrte der König die im Sonnenlicht glitzernden Flügel des Elfen an. Jona stand mit Pfeil und Bogen bewaffnet wenige Meter von Liliana entfernt.
„Was geht hier vor, Liliana? Was ist das für ein Wesen an deiner Seite?“
Liliana antwortete nicht. Sie wandte sich mit Tränen in den Augen ab.
„Lasst sie gehen, geflügeltes Wesen und ich werde euch nichts tun. Sie ist meine Verlobte und die Hochzeit steht kurz bevor. Ihr habt kein Recht sie festzuhalten.“
Mit fester Stimme antwortete Elias: „Deine Verlobte? Du kennst nicht einmal ihren wahren Namen und erhebst Anspruch auf dieses wunderschöne Geschöpf? Ich halte sie keineswegs fest.“ Elias hob demonstrativ die Arme in die Höhe.
Jona sprach laut: „Schnell Liliana, lauf.“
Doch sie rührte sich nicht. Einzig ein Blick gönnte sie ihm, der ihre Abweisung verriet. „Verzeih, doch ich werde hier bleiben.. Bei ihm..“
Jona und der König schnappten hörbar nach Luft.
Helena schrie hysterisch: „Sie ist mit dem Dämon im Bunde! Tötet sie!“ Sie sprang mit einem Satz zu Jona und riss den Bogen in die Höhe. Blitzschnell und unaufhaltsam schnellte der Pfeil von der Sehne in Richtung des Elfenprinzen. Liliana zuckte merklich zusammen und sah diese Entwicklung mit Schrecken.
Vor Verzweiflung schreiend warf sie sich, in der Hoffnung ihren Geliebten zu retten, vor Elias. Der Pfeil traf sie mitten ins Herz, doch sie spürte keinen Schmerz. Alles was sie fühlte war Erleichterung. Elias fing sie voller Schrecken auf und erbleichte. Langsam sank er mit ihr zu Boden und der Schmerz schien ihm den Atem zu rauben. Sie sah ihm in die Augen und sprach mit zitternder Stimme: „Dein soll meine Liebe auf ewig sein. Auch wenn ich gehe, meine Seele wird dich immer begleiten.“
Noch bevor er seine Liebe beteuern konnte, starb sie in seinen Armen.
Während Helena unter der Last ihrer Tat erstarrte, liefen der König und Jona auf Lilianas Körper zu.
„Haltet ein ihr Narren.“ Elias hob den Kopf. Mitten in der Bewegung erstarrten die Beiden und rührten sich nicht mehr.
Eine einzelne kristallene Träne rann über Elias Wange und fiel scheinbar in Zeitlupe zu Boden. Dort, wo sie den Boden nässte, wuchs eine leuchtende Lilie, aus deren Blüte ein rosafarbener Schmetterling entstieg. Gleich Phoenix aus der Asche erhob er sich leicht in die Lüfte und verweilte vor dem Antlitz des Elfenprinzen. Dieser ließ den Schmetterling auf seiner Hand landen und nickte ihm unmerklich zu. Er führte ihn zu Lilianas erstarrtem Körper und ließ ihn auf ihre Lippen nieder. Dort begann er, sanft in einem gleichmäßigen Takt mit den Flügeln zu schlagen. Verwundert fragten sich die Anwesenden, was hier vor sich ginge. Goldstaub benetzte Lilianas Lippen. Eine liebliche Stimme erklang, die vom Schmetterling herzurühren schien.
„Nienna, erwache! Ich sagte dir, dass du leben wirst, wenn du liebst. Hier gebe ich dir die Liebe zurück, an die du ohne Zweifel und reinen Herzens glaubtest. Möge Elias deine Seele vollkommen machen.“
Elias beugte sich über Liliana und zog vorsichtig den Pfeil aus ihrer Brust. Die Wunde erstrahlte hell und schloss sich kurz darauf.
Liliana erwachte und flüsterte benommen: „Mutter?“
Jona eilte zu ihr und wollte sie von Elias und diesem Ort der Magie forttragen. „Alles wird gut werden Liliana. Ich bin bei dir. Ich hatte solche Angst um dich.“
Der Schmetterling drehte in wildem Flug seine Runden um Jona, der ängstlich versuchte, ihn von Liliana fernzuhalten.
„Lasst sie los, Fremder! Sie ist nicht die, die ihr sucht.“ Scheinbar willenlos ließ Jona Liliana zu Boden sinken.
Helena schaute dem Schmetterling, der sich nun ihr näherte, mit angstvollem Blick entgegen. Sie duckte sich, als der seltsame Schmetterling über ihrem Haupt innehielt und schwarzen Staub auf sie niederregnen ließ. Die Lieblichkeit in der Stimme des Shmetterlings war gänzlich verflogen als er sprach: „Siehe, wohin dich dein Neid und Egoismus getrieben haben. Deine eigene Schwester wolltest du töten. Niemals mehr sollst du lieben können und erfahren dürfen, was Leben bedeutet.“
Etwas erstarb in Helena, das sie später ihr Leben lang vergeblich suchen würde.
Als der Schmetterling dem König entgegenflog, erschrak er sehr. In Erwartung einer schrecklichen Offenbarung schloss er die Augen, doch ein sanft gesprochener Satz ließ ihn erleichtert aufatmen.
„Sieh doch Liebster. Täglich hattest du Wunder vor dir, doch du erkanntest mich nicht. Ich sage dir: Wunder gibt es doch. Willst du mir nun glauben?“ Ein zarter Flügelschlag streifte seine Wange und er erkannte die Wahrheit. Sanft flüsterte er: „Ich vermisse dich.“
„Mutter?“ Lilianas Stimme zitterte.
„Ja, mein Kind. Ich bin es. Höre mich an Nienna. Blicke in dich und erkenne die Wahrheit.“
„Nienna?“ Als Liliana in diesem Moment den Namen aussprach, erkannte sie ihre wahre Bedeutung. Es war ihr wahrer Name, ihr Name aus der Elfenwelt. „Ich bin eine Elfe.“ Mit dieser Erkenntnis blühte sie auf. Flügel schmückten ihren Körper und das Licht, dass sie stets gesucht hatte, umgarnte sie liebevoll wie ein heller Strahlenkranz.
„Vater..“ setzte sie sanft an, doch ihr Vater unterbrach sie.
„Schweig mein Kind. Folge dem Pfad der Liebe, doch vergiss mich niemals. Auch ich habe dich geliebt.“
Nienna warf sich ihm in die geöffneten Arme. Tränen des Glücks benetzten ihre weiche Haut.
Elias streckte ihr die Hand entgegen und sie löste sich von ihrem Vater. Sie warf ihm einen letzten Blick zu, als sie mit Elias an der Hand in die Tiefe des Waldes lief.
Und über allem lagen die Sterne, die heller strahlten als je zuvor.