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Die Entdeckung

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15.06.2005
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Die Entdeckung

Die Entdeckung

Die Marionetten des Nachmittagsprogramms hatten Ralph vollständig in ihren Bann gezogen. Das Märchen von Dornröschen war gut gespielt und die Puppen wirkten wie lebendig. Auch sein Freund Christian aus der zweiten Klasse besaß so eine Marionette, die er sogar zur Schule mitbringen durfte. Und weil er schon recht geschickt mit ihr umgehen konnte, scharten sich in den Pausen seit einiger Zeit immer mehr Kinder um ihn herum.

Ja, die Puppen im Film wirkten fast wie richtige kleine Menschen, fand Ralph. – Ein Gedanke kam ihm in den Sinn: Konnte es nicht auch umgekehrt sein? Das die Menschen am Ende vielleicht nichts anderes als Marionetten waren, die durch Fäden gelenkt werden? "Eigentlich Unsinn", sagte er sich. Ralph hatte weder an seinen Eltern, noch an seinen Mitschülern oder Lehrern jemals irgendwelche Fäden gesehen. Doch er mußte sich eingestehen, daß er bislang auch noch nicht nach ihnen gesucht hatte.

Mehr aus Spaß als aus wirklicher Neugierde strich er sich über den Kopf – und blieb mit den Händen tatsächlich an etwas Langem, Dünnen hängen! Sein Herz schlug schneller und er spürte die Trockenheit seines Mundes. Hundert Gedanken schossen ihm durch den Kopf: Stimmte es etwa wirklich? Er stand vom Sofa auf und ging ins Bad, um sich im Spiegel genauer zu betrachten.

Es war so! Sein Kopf hing an vier dünnen Fäden und auch diejenigen, welche Hände und Füße bewegten, konnte er nun deutlich erkennen. Sein Blick folgte ihnen nach oben – sie gingen direkt durch die Decke hindurch. Ralphs Augen wurden immer größer, er konnte es einfach nicht glauben! "Mama! Mama!"

Schnelle Schritte waren auf dem Flur zu hören. Die Tür ging auf und seine Mutter kam herein. "Was ist denn los?" – Ralph erschrak. Sie wirkte tapsig, sie schien fast über dem Boden zu schweben. Ihre Bewegungen wirkten ungelenk, doch das schien seiner Mutter nicht im geringsten bewusst, sie bewegte sich mit der größten Selbstverständlichkeit. – "Du siehst blaß aus. Ist dir nicht gut?" – Ein Faden führte ihre rechte Hand an seine Wange. Ralph hatte mit kaltem Holz oder Plastik gerechnet, doch sie fühlte sich noch immer weich und warm an. Er zuckte zurück! – "Nein, Mama. Es ist nur ... Ich dachte ... Nein, es ist nichts. Entschuldige bitte." – Seine Mutter sah ihn prüfend an, doch noch bevor sie etwas erwidern konnte, schob er sich an ihr vorbei, aus der Badezimmertür hinaus – darauf achtend, dieses Wesen, das er bislang für seine Mutter gehalten hatte, bloß nicht zu berühren. Sein Herz schlug schwer und das Gefühl in seinem Magen brachte ihn der Ohnmacht jede Sekunde ein Stück näher.

Er öffnete die Küchentür. Vater hatte schon Feierabend, saß wie jeden Tag gegen 16 Uhr hinter dem Tisch und aß Mittag. – "Papa!" – "Jaa," brummte er, "was ist denn?" – Ralph erkannte die Stäbe, die seine Hände und den Kopf führten. Sie verschwanden unter dem Tisch. Kermit aus der Sesamstraße wurde auf diese Weise bewegt. War das sein Vater? Beklommen ging er auf den Tisch zu. Wer mochte wohl hinter der Holzverkleidung sitzen und seinen Vater steuern? – "Was ist denn? Warum starrst du mich so an?" – Die gleißende Schwärze vor seinen Augen und das Gefühl der Ohnmacht wurde mit jedem Schritt stärker. Die Stäbe führten durch den Boden hindurch und bewegten sich in ihm, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen.

Vaters anfänglicher Unmut über Ralphs eigenartiges Verhalten wandelte sich zusehends in Wut. Auch in der Arbeit war ihm schon einiges sauer aufgestoßen. Überhaupt verlor er schnell die Geduld und hatte immer eine lockere Hand. Das kannte Ralph nur zu gut – doch Vater war schneller. "Was glotzt du so blöd?", schrie er ihn an. "Laß mich endlich in Ruhe!" Der Stab seiner linken Hand ließ ihn das auf dem Tisch liegende Küchenmesser greifen und als wenn er eine Sense führte durchschnitt er Ralphs Schnüre.

Er sackte zusammen und unter seinen Füßen tat sich ein großes dunkles Loch auf, durch das er in einen langen schwarzen Tunnel gezogen wurde. Alles drehte sich um ihn, er wußte nicht mehr, wo oben und unten ist. Er hatte entsetzliche Angst. Warum hatte Vater das getan? Am Ende des Tunnels erblickte er ein helles Licht, auf das er zustürzte. Je größer es wurde, desto deutlicher konnte Ralph erkennen, daß sich irgendetwas in ihm bewegte: Dann sah er Dornröschen, den Prinzen und die böse Fee.

Ja, die Puppen im Film wirkten fast wie richtige kleine Menschen, fand Ralph. – Ein Gedanke kam ihm in den Sinn: Konnte es nicht auch umgekehrt sein? Das die Menschen am Ende vielleicht nichts anderes als Marionetten waren, die durch Fäden gelenkt werden? "Eigentlich Unsinn", sagte er sich. Ralph hatte weder an seinen Eltern, noch an seinen Mitschülern oder Lehrern jemals irgendwelche Fäden gesehen. Doch er mußte sich eingestehen, daß er bislang auch noch nicht nach ihnen gesucht hatte.

Mehr aus Spaß als aus wirklicher Neugierde strich er sich über den Kopf – und blieb mit den Händen tatsächlich an etwas Langem, Dünnen hängen! Sein Herz schlug schneller und er spürte die Trockenheit seines Mundes. Hundert Gedanken schossen ihm durch den Kopf: Stimmte es etwa wirklich? Er stand vom Sofa auf und ging ins Bad, um sich im Spiegel genauer zu betrachten ...

 

Hallo Sandmann

Konnte es nicht auch umgekehrt sein? Das die Menschen am Ende vielleicht nichts anderes als Marionetten waren Mit dieser Aussage hast du auf jeden Fall sofort mein Interesse an der Geschichte geweckt.
Früher hab ich mir diese Frage nämlich auch immer gestellt. Sind wir nicht alle Marionetten?

Es war so! Sein Kopf hing an vier dünnen Fäden Zum Glück hast du die Geschichte unter Seltsam gepostet. Sonst hätte ich sofort was zu meckern gehabt, da er all die Jahre zuvor nichts davon bemerkt hatte.

Nein, es ist nichts. Entschuldige bitte." – Auch hier war ich wieder froh, dass ich mir keine Gedanken machen muss, weshalb er sich nicht der Mutter gegenüber, zu der Situation äußert.
Jedoch irritieren mich die Bindestriche, welche du hier und da verwendest. Mich stören sie beim lesen. Welchen Sinn bezweckst du damit?

und das Gefühl in seinem Magen brachte ihn der Ohnmacht jede Sekunde ein Stück näher. Hier musste ich dann doch kurz zweimal drüber lesen.
Normalerweise bringen ich mit „einem Gefühl im Magen“ eher das Wort „kotz ...“ sorry, „übergeben“ in Verbindung.
Du hast mir jedoch gerade eine neue Sichtweise erläutert, wie man, ohne viel Drumrum, ein Gefühl beschreiben kann. Denn letztendlich heißt es ja so oft „das Bauchgefühl“.
Von daher, Kompliment wie du eine lange Erklärung erspart hast.

Ralph erkannte die Stäbe, die seine Hände und den Kopf führten. Sie verschwanden unter dem Tisch. Kermit aus der Sesamstraße wurde auf diese Weise bewegt. Zuerst war es super irritierend für mich, weil die Stäbe nun plötzlich nicht mehr nach oben, sondern nach unten gingen. Aber dein Einfallsreichtum, nicht alle Marionetten gleich zu gestalten, ist wirklich beeindruckend.
Jedoch sind die „Stäbe“ ja nicht sichtbar. Wie konnte er sie also erkennen? Die Fäden verlieren sich ja, wie du kurz darauf erklärst, im Boden (was auch logisch erscheint, da es ja merkwürdig wäre, wenn die Stäbe alleine für sich da rumliegen würden).
Bestimmt hast du versuchst das Wort „Fäden“ nicht ständig zu verwenden. Aber bei deinem Schreibstil und Fantasie glaube ich schon, dass dir da was einfällt.

Wer mochte wohl hinter der Holzverkleidung sitzen Schreib „unter“ statt „hinter“. Schließlich gehen die Fäden ja nach untern, und nicht hinter eine Wand.

Ich mag offene Enden dieser Art.
Anfang und Ende runden sich fabelhaft ab.
Auch wenn ich zuvor erwähnte „bei deinem Schreibstil“, muss ich trotzdem sagen, irgendwas hat mir bei der ganzen Geschichte gefehlt. Sollte ich drauf kommen, werde ich mich nochmals äußern.

Gruß
LoC

P.S.: Irgendwo hab ich deinen Namen schon mal vernommen im Zusammenhang mit Kurzgeschichten. Nur woher?
Vielleicht purer Zufall? Zwei Leuts, ein Nickname? :confused:

 

Hy Sandmann

Die Idee finde ich gut,... aber
(ja, immer dieses dumme aber) ich muss der Lady o.C. leider widersprechen:

Man versteht zwar, dass du eine Endlosschleife bezweckst, doch der Übergang kam mir etwas zu holprig vor. Beim Sturz durch das Loch hat Ralph noch panische Angst, doch trotzdem betrachtet er im nächsten Abschnitt wieder völlig gelassen und fasziniert das Puppenspiel.
Ein bisschen konntest du es retten, weil du zu Beginn schreibst, dass er die Puppen gebannt betrachtet.
Ich würde aber zum flüssigeren Lesen einfach empfehlen, dass du beim Sturz noch kurz hinzufügst, dass ihn das Geschehen um die Märchengestalten in den Bann zieht.
Dann wäre die Schleife weitaus deutlicher und abgerundeter.

Da wären noch einige Kleinigkeiten:

Konnte es nicht auch umgekehrt sein? Dass die Menschen am Ende vielleicht nichts anderes als Marionetten waren, die durch Fäden gelenkt wurden?
und als wenn er eine Sense führte, durchschnitt er Ralphs Schnüre.
Alles drehte sich um ihn, er wußte nicht mehr, wo oben und unten war.

:) Bei der Vorstellung, wie die Schnüre/Stäbe im Raum verschwinden, musste ich gleich an Gott - den allmächtigen Puppenspieler - denken. Und da mir die Vorstellung von einem Gott, der unser aller Schicksal lenkt, eh einen Schauer über den Rücken jagt, macht es deine Story für mich besonders interessant.

Schöne Idee - schön umgesetzt.

Gruß, Reddayk :smokin:

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Martin,

hab' grad mal zwei Geschichte gelesen und mich sofort etwas gewundert: zwei Kindertaugliche Stories? Wenn mir das nicht mal zu denken gibt :Pfeif: ... :D

Alle drei haben mir gut gefallen, nur bei dieser ging es mir am Ende so wie Deinem letzten Kritiker. Du erzwingst ganz unmotiviert eine Endlosschleife. Von dieser könntest Du meineserachtens eineinhalb Absätze streichen und mit ... nach: " "eigentlich Unsinn", sagte er sich ..." abbrechen. Davor solltest Du aber noch die Ängste und die Gedankenwelt deines Protagonisten etwas durchleuchten, d.h. den drittletzten Absatz noch deutlich erweitern.
Außerdem: Dornröschen, der Prinz und die Fee werden zu Beginn der Geschichte nicht erwähnt, der Bezug zum Nachmittagsprogramm ist so nicht klar.

Ansonsten: Gefällt mir. Ich werde ja sicherlich noch mehr von Dir zu hören bekommen.

Michael

 

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