Mitglied
- Beitritt
- 04.07.2006
- Beiträge
- 6
Die Erstkommunion
„Du machst doch mit?“ fragte meine Schwägerin mit vollem Mund. „Wobei?“ Ich war nicht ganz bei der Sache, weil ich gerade verzweifelt versuchte, einen Sahnefleck aus meiner Seidenbluse zu entfernen. „Na, bei der Erstkommunion von Julia und Florian, “ sagte sie. Welche Erstkommunion? Waren wir nicht gerade auf einer zu Gast? Saßen wir nicht in einem Wohnzimmer, das zu normalen Zeiten für 5 Personen ausgelegt war, und in dem sich jetzt ca. 30 Frauen aller Altersgruppen drängten, um laut schnatternd ca. 60 verschiedene Torten mit Hektolitern Kaffee hinunter zu spülen.
„Wir machen nichts Großartiges“; beruhigte mich meine Schwägerin. Nichts Großartiges, also keine komplizierten Speisefolgen, keine bombastischen Tischdekorationen, keinen nach Drehbuch festgelegten Gottesdienst und keine der vielen Möglichkeiten, aus einem harmlosen Familienfest eine Großveranstaltung zu machen.
Frohen Herzens stimmte ich zu. Hätte ich auch nur geahnt, das ich in den nächsten 11 Monaten einen Marathonlauf der besonderen Art hinlegen würde, der die physische Belastbarkeit eines Space Shuttle Kommandanten, gepaart mit der Fitness eines Mount Everest Bezwingers verlangt, ich wäre nach Neuseeland ausgewandert, hätte mich dort einbürgern lassen, um für den Rest meines Lebens Schafe zu züchten.
Es hätte mich stutzig machen sollen, dass sie von nun an fast jeden Morgen noch vor dem ersten Hahnenschrei an meinem Küchentisch saß, einen blauen Ordner vor sich, der die Dicke einer Familienbibel hatte und mit Stichworten gefüllt war: von A wie Abendmahl bis Z wie Zierpflanzen.
Unter K z. B. befanden sich Kaffee und Kuchen. Als Teetrinker erfuhr ich viele interessante Dinge über Kaffee: Der Kaffeepreis am Weltmarkt, Bohne oder Pulver, Kaffeemaschine oder Wasserkocher, Gas oder Elektroherd, Anbaugebiete (Kolumbien oder doch lieber Brasilien)? Auf keinen Fall von Kindern gepflückt!
Zum Thema Kuchen wälzte ich monatelang Backbücher und mich im Bett herum. Mit oder ohne Alkohol, Schokolade drinnen oder draußen, rund oder kastenförmig? Oder wie verhalten sich Gummibärchen bei 220° Grad? Mein Mann behauptete, ich wäre mit dem Bestseller „Andere Länder, anderes Backen“ über dem Gesicht einfach eingeschlafen. Als wir zu T wie Torten kamen, nahm ich mir einen Nervenzusammenbruch.
Bei B wie Blumen wurde ich zum Floristikfachmann. Ich hetzte durch Treibhäuser, Gärtnereien und Gartenfachmärkte, entwickelte den perfekten Geruchssinn und konnte schließlich mit verbundenen Augen eine tasmanische Tulpe von einem kenianischen Gänseblümchen unterscheiden. „Wir nehmen natürlich Teerosen“, entschied meine Schwägerin kategorisch. Mein Einwand, die seien aber ziemlich teuer im April, wischte sie mit einer energischen Handbewegung beiseite. „Die sind wichtig!“ „Für wen?“ fragte ich begriffsstutzig. „Na, für die Kinder“; sagte sie nachsichtig mit dem Kopf wiegend. Sie hatte ja sooo Recht! Die Kleinen würden ihre Händchen vor ihre errötenden Gesichtchen schlagen und erschütternd stammeln: Mein Gott, sieh nur, sie haben Teerosen genommen!
Wobei wir bei F wie Farben wären. Bei unserem Kommunionsmotto „Jesus, Sonne unseres Lebens“ stand Gott sei Dank eine Farbe schon fest: Gelb, wie die Sonne. Bei der Suche nach der zweiten Farbe, zerbrach fast unsere kleine Familie. Rot wurde sofort abgeschmettert. Zu aggressiv! Grün erinnere so an Weihnachten, schwarz (Wir sind hier ja nicht auf einer Beerdigung) und weiß fielen völlig durch den Rost. Blieb blau. Kaum zu glauben wie viele Blauschattierungen es gibt und wie lange man darüber diskutieren kann. Letztendlich gefiel nur meinem Schwager die Farbkombination nicht so recht. Sie erinnerte ihn so an die FDP.
Wochenlange Albträume bereitete mir das Essen. Oft fuhr ich schweißgebadet aus dem Schlaf, weil in meinen Träumen der Metzger meines Vertrauens, kein Schweinefleisch mehr hatte und ich Rind mit BSE nehmen musste, nach dessen Verzehr die Familie samt und sonders an Kreuzfeld Jakob das Zeitliche segnete. Noch schlimmer war eigentlich nur der Traum, in dem der voll gepackte Wagen von Bofrost vor unserer Tür Station machte und ein schleimig grinsender Verkäufer für tausende von Euro unsere Tiefkühltruhen füllte. Unmittelbar danach kam es zu einem wochenlangen Stromausfall. Meine Schwägerin brach urplötzlich in Tränen aus, wenn sie an geronnene Majonäse im Kartoffelsalat dachte, oder die Entscheidung treffen musste, ob nun Steinpilze oder Pfifferlinge in die Suppe kommen. Es kam der Zeitpunkt, an dem ich mit den Lemmingen über die Klippen springen wollte. Mein Mann schlug vor, die Nachbarn kochen zu lassen. Das konnte heiter werden! Unser Nachbar zur Linken war Junggeselle, und ernährte sich in der Hauptsache von Hamburgern, Pommes Frites und Cola aus Pappbechern. Bei der Nachbarin zu rechten, hielt sich hartnäckig das Gerücht, ihr Mann wäre nur deshalb zu seiner Mutter zurückgegangen um sich den Rest seiner Magenschleimhaut und der Geschmacksnerven zu erhalten. Da zog mein Schwager die Notbremse, und bestellte einen Partyservice.
Unter T fand ich den Begriff Tischmutter. Damit konnte ich nichts anfangen. Ich war zwar Mutter und einen Tisch hatte ich auch, aber beides in Kombination sagte mir nichts. Bei einem Besuch im Nachbardorf wurde ich aufgeklärt! Eine hagere Blondine mit zwei Semestern Sozialpädagogik vor der Ehe, hatte zum Tischmutternachmittag geladen. Wir wollten ein bisschen in uns gehen, Lieder aus dem Gotteslob zweistimmig singen und uns gegenseitig aus der Bibel vorlesen. Doch zunächst wurden Fotos herumgereicht, die mich blass werden ließen. Kommunionkleider aus Brüsseler Spitzen mit gewaltigen Reifröcken, kunstvoll frisierte Kinderköpfe. Im Haar, wie im Kleid echte Perlen aus der Südsee! Das war Müllers Sabine vor zwei Jahren, wurde andachtsvoll geflüstert. Ich stellte mir meine kleine, pummelige Jule in einer Creation aus Paris vor. Das Preisschild hing noch dran! Unsere Gastgeberin hatte extra eine Ananasbowle angesetzt, die großzügig mit Kirschwasser versetzt war. Ich erinnere mich noch schwach daran, das ich Weintrauben mit dem Nussknacker geöffnet habe und die verhinderte Sozialpädagogin „Smoke on the Water“ auf der Gitarre intonierte.
Die monatelangen knochenharten Proben für die Messe nahmen mich seelisch ziemlich mit. Kollegen beschwören noch heute, ich hätte gedankenverloren die Kundschaft gesegnet und dem Chef die Absulotion erteilt. Ich ertappte mich dabei, wie ich einer Kundin, die ein einfaches weißes Kaffeeservice kaufen wollte, eins mit gelb-blauen Blümchen aufschwatzen wollte. Natürlich mit passenden Servietten!
Unter H wie Holz war in Stichworten die dramatische Geschichte einer Frau aus dem Nachbarort vermerkt, die es mit der Tischdekoration derbe übertrieben hatte. Sie war jetzt mit dem Schreiner liiert. Völlig daneben, meinte meine Schwägerin. Ich erwischte sie dabei, wie sie nachts um 1°° Uhr mit einem Herrgottsschnitzer aus Oberammergau telefonierte.
Bei P wie putzen sehe ich mich noch auf den Knien rutschend den Parkettboden polieren, während meine Schwägerin bei einem Fläschchen Bier Buchsbaumkränzchen zusammensteckte.
Das Wetter wurde nicht dem Zufall überlassen. Wir hingen an den Lippen der Meteorologen im Fernsehen, hatten eine Standleitung zur örtlichen Wetterwarte und ließen die Kinder Laubfrösche fangen, die mit einem Leiterchen in ein Weckglas gesetzt wurden, um sie genau zu beobachten.
Weihnachten fiel aus, weil das erste Abendmahl geprobt werden musste. Leider lehnten die Kinder Backoblaten ab. (Die kleben so unterm Gaumen). In unserer Verzweiflung griffen wir zu türkischem Fladenbrot, das sie aber erst schluckten, nachdem wir sie dick mit Nutella bestrichen hatten.
Nach Neujahr kam die Hiobsbotschaft! Die Kirche musste renoviert werden und wurde bis zur Kommunion nicht fertig! Das kam einem Supergau gleich! Wir mussten mit der Schützenhalle vorlieb nehmen. Ein wackeliger Tisch wurde zum Altar. Statt auf unbequemen Kirchenbänken saßen wir nun auf unbequemen Biergartenbänken. Ich durfte das Altartuch bügeln. Die ca. 100 Meter lange Damastdecke passte so schlecht auf mein handelsübliches Bügelbrett. Gegen Mitternacht brach ich erschöpft zusammen und musste an den Veltinstropf.
Je näher der große Tag kam, umso mehr hatte ich das Gefühl, etwas vergessen zu haben. Fast alle Punkte waren abgehakt, aber irgendetwas fehlte…..Zwei Tage vorher fiel es mir siedendheiß ein: Meine Tochter brauchte noch ein Kleid! Wir erstanden auf die Schnelle etwas Schlichtes dafür aber sündhaft Teures im ersten Geschäft am Platze. Wir hatten Glück, es war das Letzte!
Samstagabend war der Tisch mit geborgtem Geschirr gedeckt, mit selbst gehäkelten Tischbändern verziert und mit Teerosen und Freesien festlich geschmückt. Die Sitzordnung, lange ausdiskutiert, war durch Tischkärtchen gesichert. Leider haben die Kinder die Kärtchen vertauscht, aber es bei der ersten Beichte dem Pfarrer anvertraut. Er soll herzhaft gelacht haben. Anscheinend kannte er unsere Verwandtschaft.
Endlich war er da! Der weiße Sonntag.
Die Sonne lachte mit den Kommunionskindern um die Wette. Die heilige Messe verlief ohne Pannen. Fotos wurden geknipst. Es wurde gelacht und geweint und hinter vorgehaltener Hand getuschelt. Wir haben viel gegessen und noch mehr getrunken und waren ausnahmsweise mal alle einer Meinung: Dat war ne tolle Kommunion!
Nur meine Schwägerin war nicht ganz zufrieden. „Die Vorhänge haben so gar nicht zu den Servietten gepasst!“
Übrigens, ich sitze gerade in einem Wohnzimmer. Mit mir sitzen hier noch ungefähr 30-40 andere Frauen, die lautstark Kuchen essen und Kaffee trinken. Die Bilder an der Wand kommen mir irgendwie bekannt vor. Hier standen früher einmal Möbel. Jetzt fällt es mir wieder ein: Es ist mein Wohnzimmer! Aber keine Panik, heute ist Krümelvisite. Meine Schwägerin hatte es unter K römisch eins vermerkt.