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Die Existenz, die in den Schacht fällt

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20.10.2024
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Die Existenz, die in den Schacht fällt

Das Leben lastet schwer auf mir. Es drückt mich nieder. Seit zwanzig Jahren ist das so. Vielleicht sogar seit fünfundzwanzig Jahren oder noch länger. Kann ich nicht sagen, denn anfangs gab es dafür kein Wort. Heute gibt es ein Wort, doch es ist längst hohl geworden. Was sagen schon Worte über Gefühle aus? Wenn ich nachts auf dem Sofa liege oder am frühen Nachmittag über die herbstliche Allee spaziere, wühle ich in den Windungen meines Hirns nach Worten, id est nach Gründen, nach Erklärungen, nach Zeichen, die erklären, die für Klärung sorgen. Für Klarheit. Dabei weiß ich längst, dass auf dem Grund des Brunnenschachts nichts liegt. Nichts als harter, staubiger Boden ist dort zu finden. Harter, staubiger Boden und vielleicht die Überreste eines Rattenskeletts. Aber ein Rattenskelett ist ja nicht brauchbar. Was soll ein Rattenskelett schon erklären? Wie sollen ein paar Knochen für Klarheit sorgen? Das geht ja gar nicht. Im Gegenteil: Wenn man Knochen zermalmt, zerreibt, zermahlt und in ein Glas reines Wasser streut, so wird das reine Wasser trübe. Knochen trüben das Wasser, und Trübheit ist das Gegenteil von Klarheit. Es ist also vollkommen verrückt, von der Allee aus in den Brunnenschaft zu steigen und Erwartungen zu haben, etwas herbeizuwarten, das Abhilfe schafft. Und doch führt die Allee nur in den Brunnenschacht hinein und sonst nirgendwohin. Das ist es ja. Und auch vom Sofa in der Nacht kommt man nur in den Brunnenschacht und schon gar nicht ins Reich der Träume. Auch Träume sind nicht klar. Aber immerhin sind sie schön. Manchmal. Das wäre doch schon mal was. Aber nein, von schönen Träumen ist nicht schön zu träumen. Also wird man hart. Unweigerlich wird man hart. Und da liegt es doch nahe, aus der Not eine Tugend zu machen, und wirklich hart zu werden. So in etwa muss ich mir das gedacht haben, damals, als ich das erste Mal nach dem Eisen griff, das ich seitdem nie wieder losgelassen habe. Weil es mir erlaubt hat, wenigstens für ein, zwei Stunden das so schwer auf meiner Brust liegende Gewicht der Welt zu lupfen und mich leicht zu fühlen.

Wenn ich die Hantel aus der Halterung hebe, kommt der Moment der Entscheidung: Habe ich die Kraft? Oder habe ich sie nicht? Wenn ich sie nicht habe, aber denke, sie zu haben, werde ich begraben werden. Das Gewicht wird auf mir lasten bleiben und mir die Luft nehmen. Und am Ende wird nichts als Scham stehen: Ich werde um Hilfe bitten müssen, werde “Hilfe! – Hilfe!” schreien müssen. Oder ich werde mich unwürdig unter dem Gewicht hervorwinden müssen, werde mit letzter Kraft an der Stange rütteln müssen wie an einem blockierten Ruder, in der Hoffnung, dass die Last so doch noch von mir abfällt. Mit einem lauten Knall. Und alle werden dann sehen, dass ich versagt habe. Sie werden mich auslachen und sich denken, dass ich zu schwach bin, mich selbst überschätzt habe. Ein Versager da auf der Anklagebank. Gibt es etwas Schlimmeres als Scham? Als öffentlich sichtbare Charakterschwäche? Nein, die Hantel darf nicht zu schwer sein und mich erschlagen. Aber schwer muss sie sein, sehr schwer sogar. Sie darf keinesfalls zu leicht sein. Ein leichtes Gewicht ist für die Katz, widerlegt sich selbst, so wie zu einer Transe mit kleinem Schwanz zu gehen. Wenn schon, denn schon! Nur zu schwer darf das Gewicht um Gottes Willen nicht sein. Eine ewige Rückgratwanderung. Und manchmal, an guten Tagen, soll die Hantel genau so schwer sein, dass sie nicht zu schwer ist. Das One Rep Max, die eine Wiederholung, der ultimative Kampf zwischen Ego und Extro, zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Nichts gibt dir so viel Kraft wie nackte Angst. Es gibt diesen einen Moment, wenn sich das Gewicht scheinbar übermächtig und steinern auf deine Brust legt. Das ist ein Moment der reinen Angst. Werde ich mich für immer selbst begraben haben? Nein, das darf nicht sein! Jetzt, wo es spürbar droht, begreife ich das. Und genau diese Angst gibt dir die Kraft, dich und das tote, unbeugsame Gewicht doch zu überwinden und dich zu befreien. Der Triumph, immer nur der Schatten des Scheiterns.

Ich weiß, dass das alles nicht gesund ist, denn ich kann spüren, wie die Lasten an meinen Sehnen zerren, an meinem zu schwach ausgeprägten Bandapparat, meinen viel zu laxen passiven Strukturen, wie es anatomisch korrekt heißt. Jede einzelne Wiederholung sorgt für einen kaum merklichen Abrieb. Verschleiß. Über die Jahre verschleißt man. Man löst sich regelrecht auf, zerreibt sich bei vollem Bewusstsein selbst. Und in dieser selbstverschuldeten Abnutzung liegt der ganze Genuss. Das versteht man irgendwann, nachdem man Jahre lang versucht hat, es richtig zu machen, keine Schmerzen zu haben, sich schonend zu bewegen. Man hat an den Techniken gefeilt, sich selbst beobachtet, in Spiegeln oder als kleine, tanzende Figur in den eigenen Händen. Alles für die Katz. Es gibt kein Richtig. Es gibt nur ein selbstgewähltes Tun mit aller Konsequenz. Zerreib das Rattenskelett und zerreib dich selbst, trüb dein eigenes Leben ein, weil du es eh nicht aufklären kannst. Kennen Sie Ronny Coleman? Kennen Sie den König, King Ronny? Der König hat die Welt gehoben und währenddessen mit heller Stimme gekreischt: Light weight, Baby! Während er sich buchstäblich seine eigenen Glieder abgerissen hat, schrie er der Welt entgegen: Du kriegst mich nicht klein mit deinen Popelsgewichten. Das hat die Welt nicht auf sich sitzen lassen. Sie hat ihm knirschend die Wirbel zerrieben und ihn zum Krüppel geschlagen. Aber was macht der König? Er humpelt am Gehstock noch immer auf die Gewichte zu und schreit: Light way, Baby! Habe Mut, dich deines eigenen Wahnsinns ohne Anleitung eines anderen zu bedienen. Das ist die Aufklärung der Abnutzung, des Zerriebenswerdens, die Dialektik der Eintrübung.

Die Helden, die Titanen, die Götter, sie waren lakonische Besessene, haben sich in feuchten Kellern selbst verschlissen, stöhnend, leidend, eine Kakophonie des selbst zugeführten Schmerzes, das ganze Leben ein Ächzen, ein Brennen, ein Ziehen und ein Ausstrahlen bis in die Weichteile. Sie haben sich durch einen Berg aus Pudding gefressen, gefressen bis zum Kotzen, bis zum Platzen, nur um direkt danach ewig durch die Wüste zu wandern, abzumagern, auszutrocknen, zusammenzubrechen. Alles für den einen Moment, die eine Stunde im hellen Licht, in der all das Leid vergessen war. Light weight, Baby, das Leben ist so leicht, wenn man es sich schwer macht!

In der heutigen Welt ist das kalte Eisen ein Ding, das durchs Raster fällt, zumindest für manche. Für die Ehrlichen ist es das, für die, die wissen, dass der nebendran stärker ist und weniger Fett unter seiner Haut trägt, aber dass das keine Rolle spielt. Denn der nebendran existiert überhaupt nicht. Es existiert nur das ewige Eisen, das dir die nächste schmerzende Wiederholung abverlangt, das nächste mühsame Schwungholen, während die Sonne über dem Brunnenschacht verschwindet und sich langsam die Nacht über die Welt senkt. Wie viele Wiederholungen bleiben dir, bis du nichts mehr siehst, bis dein letzter Wirbel von dir selbst aufgelöst wurde? Eine Million? Eintausend? Oder nur noch eine, weil du nicht auf sie hören wolltest, weil du dich für schlauer gehalten hast als sie? Suicide Grip! Es geht so lange gut, bis es nicht mehr gut geht. Die Hantel rutscht dir irgendwann doch aus den Fingern und zerquetscht dir den Hals, den Adamsapfel, die Luftröhre, eine fein geriffelte Guillotine, deren Seil du selbst gekappt hast. Alles, was dir bleibt, ist ein kurzes Röcheln. Wolltest du es? Oder wolltest du es nicht? Niemand wird es wissen und neben dem Rattenskelett liegen bald weitere Knochen.

 
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Hallo @H. Kopper,

Das Leben lastet schwer auf mir. Es drückt mich nieder. Seit zwanzig Jahren ist das so. Vielleicht sogar seit fünfundzwanzig Jahren oder noch länger. Kann ich nicht sagen, denn anfangs gab es dafür kein Wort. Heute gibt es ein Wort, doch es ist längst hohl geworden. Was sagen schon Worte über Gefühle aus? Wenn ich nachts auf dem Sofa liege oder am frühen Nachmittag über die herbstliche Allee spaziere, wühle ich in den Windungen meines Hirns nach Worten, id est nach Gründen, nach Erklärungen, nach Zeichen, die erklären, die für Klärung sorgen. Für Klarheit.
Ein depressiver Text … so war mein erster Gedanke
Nichts als harter, staubiger Boden ist dort zu finden
Fehlt hier ein s!
Nein, die Hantel darf nicht zu schwer sein und mich erschlagen. Aber schwer muss sie sein, sehr schwer sogar. Sie darf keinesfalls zu leicht sein.
Für jene, die das Schwanken zwischen Abgrund und Erkenntnis aushalten können.“
Ich werde um Hilfe bitten müssen, werde “Hilfe! – Hilfe!” schreien müssen. Oder ich werde mich unwürdig unter dem Gewicht hervorwinden müssen, werde mit letzter Kraft an der Stange rütteln müssen wie an einem blockierten Ruder, in der Hoffnung, dass die Last so doch noch von mir abfällt
Einer der alles alleine hinbekommen will
Wenn ich die Hantel aus der Halterung hebe, kommt der Moment der Entscheidung: Habe ich die Kraft?
ich spüre seine Angst und selbst Zweifel.
Und alle werden dann sehen, dass ich versagt habe. Sie werden mich auslachen und sich denken, dass ich zu schwach bin, mich selbst überschätzt habe. Ein Versager da auf der Anklagebank. Gibt es etwas Schlimmeres als Scham? Als öffentlich sichtbare Charakterschwäche? Nein, die Hantel darf nicht zu schwer sein und mich erschlagen.
Warum nur diese Zweifel dieses fehlende Selbstbewusstsein?
leichtes Gewicht ist für die Katz, widerlegt sich selbst, so wie eine Transe mit kleinem Schwanz. Wenn schon, denn schon! Nur zu schwer darf das Gewicht um Gottes Willen nicht sein. Eine ewige Rückgratwanderung. Und manchmal, an guten Tagen, soll die Hantel genau so schwer sein, dass sie nicht zu schwer ist
Ist mir zu provokativ.
Der Triumph, immer nur der Schatten des Scheiterns.
Traurig, der Gedanke an die Hürden. Einer meiner Lieblingssätze.
Man löst sich regelrecht auf, zerreibt sich bei vollem Bewusstsein selbst. Und in dieser selbstverschuldeten Abnutzung liegt der ganze Genuss.
Wie unendlich schwer sind diese Gedanken. Selbstzerstörerisch.
. Es existiert nur das ewige Eisen, das dir die nächste schmerzende Wiederholung abverlangt, das nächste mühsame Schwungholen, während die Sonne über dem Brunnenschacht verschwindet und sich langsam die Nacht über die Welt senkt. Wie viele Wiederholungen bleiben dir, bis du nichts mehr siehst, bis dein letzter Wirbel von dir selbst aufgelöst wurde? Eine Million? Eintausend
Hat ihn das h(L)eben der Gewichte nicht stark gemacht.
Da kommt mir Nietzsche in den Sinn: Nur wenn du Hart bist, bist du frei.

Meiner Ansicht nach beherrschst du die Kunst des Schreibens; es ist ein Text von philosophischer Tiefe. Für meinen Geschmack ist diese Art von Literatur jedoch zu düster.

Wünsche dir eine schöne Woche
CoK

 

Hallo @H. Kopper ,

ganz ehrlich, ich mag Texte von dir lieber, die eine Geschichte erzählen, mit Handlung und so. Dort finde ich so ein Ringen um Ehrlichkeit, auch das Zeigen von gesellschaftlich eher unbeliebten schambesetzten Charakterzügen, was ich immer interessant und mutig finde. Da kann ich dem Protagonisten beim Kämpfen und Scheitern zugucken.

Das hier ist es mir zu sehr "tell". Und auch zu sehr auf einer Ebene, ohne Höhen, eher ein Kreisen, so Tagebuch, späte Adoleszenz, vielleicht. Und es wirkt auch wenig überarbeitet.
Jemand leidet an sich selbst, am Leben, er weiß nicht warum, eine Antwort findet er auch nicht, wenn er tief in sich, "in den Brunnen" geht, findet dort nur Leere und Totes, er sucht im gym dann nach Grenzerfahrungen, nimmt schwere Gewichte, phantasiert beschämende Situationen von Scheitern herbei, etwas lustvoll - Selbstzerfleischendes hat das. Und endet dann mit Selbstzerstörung, weil das viele Trainieren auf Dauer die Knochen kaputt macht, sicherlich eine Metapher, aber die Metaphern reihen sich hier sehr dicht aneinander und zwischendurch bekomme ich ja auch noch genau erklärt, was mit dem Protagonisten los ist. Bleibt mein Gefühl, dass eine Depression furchtbar ist, aber nicht unbedingt interessant zu lesen.

Das Leben lastet schwer auf mir. Es drückt mich nieder.
Du beginnst gleich mit zwei sehr abgegriffenen Formulierungen. Warum?
Heute gibt es ein Wort, doch es ist längst hohl geworden.
Ich vermute, das Wort "Depression"?
Wenn ich nachts auf dem Sofa liege oder am frühen Nachmittag über die herbstliche Allee spaziere, wühle ich in den Windungen meines Hirns nach Worten, id est nach Gründen, nach Erklärungen, nach Zeichen, die erklären, die für Klärung sorgen.
id est? "Das heißt" auf lateinisch? Seltsam, dass du das verwendest.
Dabei weiß ich längst, dass auf dem Grund des Brunnenschachts nichts liegt. Nichts als harter, staubiger Boden ist dort zu finden. Harter, staubiger Boden und vielleicht die Überreste eines Rattenskeletts.
vom Gewicht des Lebens, in die Allee, in den Brunnenschacht, die Ratte, hm, ein Bild nach dem anderen.
Ein leichtes Gewicht ist für die Katz, widerlegt sich selbst, so wie zu einer Transe mit kleinem Schwanz zu gehen.
Ja, ich empfinde das auch als bemüht provokativ.
Auch Träume sind nicht klar. Aber immerhin sind sie schön. Manchmal. Das wäre doch schon mal was. Aber nein, von schönen Träumen ist nicht schön zu träumen. Also wird man hart.
Das Fette kommt mir nicht sinnvoll vor. Und die Logik, dass man also hart wird, irgendwie auch nicht.
Und am Ende wird nichts als Scham stehen: Ich werde um Hilfe bitten müssen, werde “Hilfe! – Hilfe!” schreien müssen. Oder ich werde mich unwürdig unter dem Gewicht hervorwinden müssen, werde mit letzter Kraft an der Stange rütteln müssen wie an einem blockierten Ruder, in der Hoffnung, dass die Last so doch noch von mir abfällt. Mit einem lauten Knall. Und alle werden dann sehen, dass ich versagt habe.
Das wäre nun eine Geschichte gewesen, die mich durchaus interessiert hätte. wie jemand krampfhaft über seine Kräfte geht und dann Hilfe benötigt. Da wäre noch jemand anderes ins Spiel gekommen, was der Geschichte vielleicht ganz gut getan hätte. Diesen Abschnitt mag ich, wahrscheinlich, weil er so konkret und nachfühlbar ist und auch sprachlich Schwung hat.

Nichts gibt dir so viel Kraft wie nackte Angst. Es gibt diesen einen Moment, wenn sich das Gewicht scheinbar übermächtig und steinern auf deine Brust legt. Das ist ein Moment der reinen Angst. Werde ich mich für immer selbst begraben haben? Nein, das darf nicht sein! Jetzt, wo es spürbar droht, begreife ich das. Und genau diese Angst gibt dir die Kraft, dich und das tote, unbeugsame Gewicht doch zu überwinden und dich zu befreien. Der Triumph, immer nur der Schatten des Scheiterns.
Ein Kampf, eine Überwindung, eine Befreiung immerhin. Auch wenn der Triumph dann relativiert wird, der letzte Satz gefällt mir irgendwie, da ist was dran.
Die Helden, die Titanen, die Götter, sie waren lakonische Besessene, haben sich in feuchten Kellern selbst verschlissen, stöhnend, leidend, eine Kakophonie des selbst zugeführten Schmerzes, das ganze Leben ein Ächzen, ein Brennen, ein Ziehen und ein Ausstrahlen bis in die Weichteile.
Es geht um Selbstwert denke ich, und hier gibt es einen Versuch, das eigene Leiden mythologisch zu überhöhen und vielleicht auch sich weniger einsam zu fühlen.
In der heutigen Welt ist das kalte Eisen ein Ding, das durchs Raster fällt, zumindest für manche. Für die Ehrlichen ist es das, für die, die wissen, dass der nebendran stärker ist und weniger Fett unter seiner Haut trägt, aber dass das keine Rolle spielt. Denn der nebendran existiert überhaupt nicht.
Hm, macht auch wieder nicht soviel Sinn.

Also, nee, ehrlich gesagt, so richtig finde ich dich da nicht wieder als Autor in dem Text. Aber möglicherweise fehlt mir auch der Zugang zu dieser Art Philosophie. Ich schau mal, wie sich das weiterentwickelt. Auf jeden Fall schön, dass du wieder dabei bist.

Liebe Grüße von Chutney

 
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Hallo @CoK und @Chutney,

ich antworte euch mal gemeinsam, weil ich eher allgemein bleiben werde. Zunächst einmal vielen Dank für eure Kommentare! Natürlich war ich im ersten Moment etwas enttäuscht, sie zu lesen. Aber heute, mit ein wenig Abstand, sehe ich das anders. In gewisser Weise denke ich, dass eure Reaktionen zwangsläufig sind und eigentlich auch vom Text gewollt. Er soll abstoßen. Es wäre schlimm, wenn er nicht abstoßen würde.

Ich habe ein wenig darüber nachgedacht, wie ich mein Experiment erklären kann, ohne es zu verraten und in Logik aufzulösen. Denn es gibt meiner Meinung nach einen Schlüssel zu eurer Reaktion:

Der Text ist bildlich gesprochen eine Collage, die zu einem Großteil aus Fotos besteht. Aber ihr zweifelt an der Echtheit der Fotos. Doch, so viel kann ich garantieren, es sind tatsächlich echte Fotos, die hier durchschimmern, Aufnahmen einer Welt, Abbilder der Realität. Diese Fotos habe ich verfremdet, überzeichnet, aber sie bleiben die realistische Unterströmung des Textes ... Allein, ohne diese abgebildete Welt je betreten zu haben, glaubt man das wohl nicht.

Das klingt jetzt, als ginge es mir um die Erzählerfigur. Aber genau darum geht es nicht. Es geht um das, was sie hier verwurstet, nämlich Sub-Sub-Kulturen des Kraftsports (und in mancher Hinsicht des Kampfsportes). Nicht ohne Grund spricht man von "Hardcore Bodybuilding", "One Percenter" (wie bei Outlaw-Motorrad-Clubs), "Freaks unter Freaks" usw. (oder "Ultimate Fighting", "Arm Wars", "King of the Ring" ..., wenn es in Richtung Kampfsport geht). Und auch die mythische Dimension ist hier tief eingeschrieben ("Mister Olympia", "Mister Universe" ...).

Dank des lieben Algorithmus bin ich über die Jahre wirklich tief in diesen Kaninchenbau vorgedrungen und ich kann euch sagen: Dort gibt es Menschen, die es gar nicht geben dürfte – sowohl physisch, als auch psychisch. Das ist der Nährboden der Story: Eine Welt, die völlig aus dem Rahmen fällt, die sich eigentlich gar nicht mit Worten fassen lässt, weil sie so extrem ist.

Wenn ihr an einer Spritztour in diese Welt interessiert seid (was ich bezweifle), liste ich gerne einmal ein paar Highlights auf, Dokus, Videos, Interviews – und ich bin sicher: Es sprengt die Grenzen eurer Welt, pathetisch gesagt. Da seht ihr Dinge, die im Alltag der allermeisten Menschen nicht existieren – mit gutem Grund. Sie sind meistens bat shit crazy, völlig jenseits. (Wahrscheinlich ist es aber auch – statistisch betrachtet! – überhaupt kein Frauenstoff.)

So, das ist meine erste Antwort. Noch mal kurz: Der Text verhandelt eine Welt, die etwa 9.999 von 10.000 Menschen weder kennen werden, noch kennenlernen wollen – und das mit gutem Grund. Insofern ist es fast ein Privattext, gespeist aus meinem persönlichen Algorithmus. Ich erkenne jetzt, dass er vielleicht weniger erzählt über physische Extremisten, als über die Kluft zwischen dieser Welt und der restlichen.

Freundliche Grüsse

Henry

 

Hey @H. Kopper,

Wenn man Knochen zermalmt, zerreibt, zermahlt und in ein Glas reines Wasser streut, so wird das reine Wasser trübe. Knochen trüben das Wasser, und Trübheit ist das Gegenteil von Klarheit. Es ist also vollkommen verrückt, von der Allee aus in den Brunnenschaft zu steigen und Erwartungen zu haben, etwas herbeizuwarten, das Abhilfe schafft. Und doch führt die Allee nur in den Brunnenschacht hinein und sonst nirgendwohin. Das ist es ja.

Der Text erscheint mir ausweglos. Du sagst:

In gewisser Weise denke ich, dass eure Reaktionen zwangsläufig sind und eigentlich auch vom Text gewollt. Er soll abstoßen. Es wäre schlimm, wenn er nicht abstoßen würde.
Ja, das trifft es ganz gut. Er ist vielleicht zu ehrlich, wenn es das gibt, zumindest, wenn man die für-wen-schreib-ich-Thematik wieder aufmachen möchte. Denn wer will so etwas lesen? Wer hat Spaß daran, ausweglose Gedanken zu hören? Aus dem Schacht gibt es keinen Ausweg. Ja aber, will man als Gesprächspartner dann einwerfen, du könntest ja ... also mit einer Leiter ... Aber ich habe keine Leiter, sagt der andere dann wieder. Und dann sitzt man da und weiß nicht, was man noch sagen soll.

In dem Zusammenhang sehe ich auch das Zitat zu Beginn als sehr sinnbildlich für den Rest des Textes. Liest man den ersten Satz daraus, denkt man, okay, verstehe ich. Beim zweiten denkt man, okay, ich hab's verstanden, jetzt lass uns aber mal wieder über was anderes sprechen. Aber für den Erzähler ist dieser Zustand ja absolut, er sitzt im Schacht, Punkt, deshalb redet er nicht über Leitern, sondern über den Schacht, mehr ist da nicht (mehr).

Die eine extreme Denkweise führt beim Erzähler zur nächsten und da machst du ein spannendes Thema auf, das mir persönlich auch nicht ganz fremd ist (mehr vom Miterleben als vom Selbsterleben) und das du auf die einzig sinnvolle Weise schilderst: Absolut, ausweglos, da geht keiner ins Gym, um sich seine schwarzen Gedanken wegzuschwitzen, da liegt einer auf der Hantelbank und drückt tonnenschwere, schwarze Gedanken, die ihn zu begraben drohen, deshalb ist das genauso unangenehm zu lesen, deshalb denkt man auch hier, aber du könntest ja ... also mit einem Spotter ... Aber ich habe keinen Spotter, sagt der andere dann wieder.

Kennen Sie Ronny Coleman?

Hier driftet der Text für meinen Geschmack ab. Und das ist erst mal gar kein Urteil, ich denke, das ist so weit stimmig, das ist immer noch derselbe Kerl in seinem Schacht ohne Leiter, das sind immer noch seine Schachtgedanken, auch wenn er sie jetzt direkt an wen auch immer richtet. Aber mich reißt es trotzdem ein bisschen raus, klar, der Text liest sich wie ein Manifest, an irgendwen gerichtet, schau her, so bin ich, aber ... Bis zu dem Punkt hatte ich den Eindruck, er befindet sich in erster Linie auf eine innere Reise. Jetzt richtet er sich da sehr nach außen und eigentlich sehe ich das gar nicht (mehr) in ihm, darüber ist er schon hinweg, dachte ich. Ist das also eine Funken Hoffnung? Wie davor seine Einsicht, als er sagt

Ich weiß, dass das alles nicht gesund ist,
ist er doch nicht nur dieser Extreme, Absolute, Ausweglose?

Oder hast du als Autor hier schlappgemacht, warst du der Ausweglosigkeit selbst überdrüssig und hast doch noch das Verlangen bekommen, die schwarzen Gedanken zu erklären, hast du doch noch eine faltbare Leiter zwischen dem Rattenskelett versteckt, steigst jetzt doch noch mal drauf und reckst den Kopf aus dem Brunnen, um mir zu sagen, guck mal, es gibt noch andere von der Sorte, es geht jetzt nicht mehr um dieses Individuum, das ist eine ganze Szene!

So hat es sich für mich jedenfalls angefühlt, fast ein bisschen wie ein Betrug, überspitzt ausgedrückt. Ich muss allerdings dazusagen, dass ich hier wirklich bewusst versucht habe, jede noch so minimale Schwingung wahrzunehmen und je sensibler so ein Schwingungsmesser ist, desto anfälliger für Fehleinschätzungen, könnte ich mir vorstellen :shy: Vielleicht wäre dieser Eindruck unter anderen Umständen also nicht entstanden. Vielleicht willst du aber doch selbst noch mal nachhorchen, ob da etwas dran sein könnte.

Fazit: Nicht gerne gelesen! Was du ja so wolltest. Aber gestaunt habe ich, mich unwohl gefühlt = gefühlt habe ich, und das möchte ich, wenn ich lese. Deshalb vielen Dank fürs Teilen!

Bas

 

Hallo @H. Kopper

Ich bin etwas zwiegespalten. Einerseits hast du hier einen recht starken, literarisch wirkenden Text abgeliefert.

Du hast dem Tell bewusst den Vorzug gegeben. Das passt hier für meinen Geschmack auch gut. Distanzierter Blick von außen verstärkt die Stimmung hier sogar.

Auf der anderen Seite finde ich, dass man stellenweise kürzen und verdichten könnte. Das größte Problem habe ich aber mit der, ich nenne es mal ,,Selbstzerstörungsromantik‘‘.

Du hast in deinem Kommentar schon ausführlich deine Intention formuliert. Mit dieser Erklärung kann ich den Text auch etwas besser annehmen. Trotzdem bin ich mir nicht sicher, ob es der (für mich) richtige Weg zur Darstellung dieses Themas ist. Mehr dazu nochmal am Ende.

Das Leben lastet schwer auf mir. Es drückt mich nieder.

Guter Einstieg, vor allem mit der Metapher des Gewichts.

wühle ich in den Windungen meines Hirns nach Worten, id est nach Gründen

Für was benötigst du den lateinischen Einschub? Ehrlich gemeinte Frage. Weil es in dem bisherigen Tonfall auf einmal als Fremdkörper heraus sticht.

nach Zeichen, die erklären, die für Klärung sorgen. Für Klarheit.

Das ist eine dieser Stellen, die man straffen kann. -nach Zeichen, die für Klärung sorgen-
würde meiner Meinung nach völlig reichen.

Und doch führt die Allee nur in den Brunnenschacht hinein und sonst nirgendwohin.

Gefällt mir sehr gut, diese Metapher. Dass ,,hinein‘‘ könnte vielleicht auch raus, aber das ist Geschmacksache.

Kennen Sie Ronny Coleman? Kennen Sie den König, King Ronny?

Das hat mir mit am besten gefallen. Wie du den inneren Monolog hier aufbrichst und einen Namen rein wirfst, mit dem das Thema verortet wird.
Ich zumindest musste den Bodybuilder erstmal googeln. Aber auch das hat funktioniert. Man bekommt ja dann sofort ein Bild, dass in Kombination mit deinen Worten ein Eigenleben entwickelt.

Sehr gut gemacht!

Wie viele Wiederholungen bleiben dir, bis du nichts mehr siehst, bis dein letzter Wirbel von dir selbst aufgelöst wurde?

Das geht auch deutlich kürzer.
-Wieviele Wiederholungen, bis dein letzter Wirbel aufgelöst wurde?-
Generell verwendest du oft das ein oder andere Wort Zuviel.
Schneller und abgehakter würde aber gut zum Thema passen.

Ich verstehe das Bodybuilding hier als Versuch, die Leere durch Schmerz zu füllen. Der Erzähler weiß, dass er sich dabei zerstört, aber das ist ihm lieber als Bedeutungslosigkeit.

Wirklich harter Stoff. Und ich verstehe, dass du hier wenig Raum für Zwischentöne und Hoffnung lassen willst und kannst.
Mir ist das aber viel zu negativ.

Wenn ich jetzt mal Schwarzenegger als einzigen (ehemaligen) Bodybuilder den auch der Normalo kennt, nehme: Ich kann mir schon vorstellen, dass der im privaten Umfeld ein ziemlich unangenehmer Kerl sein könnte.

Aber durch seine Filmauftritte haftet ihm auch etwas cooles, überlebensgroßes an. Ob man das nun gut findet oder nicht.

Worauf ich hinaus will: Du musst die Erzählerstimme nicht nett machen. Aber gib mir als Leser einen zusätzlichen Zug. Etwas, damit ich irgendwie, zumindest in Ansätzen diesen Wahn nachvollziehen kann.

Zum Beispiel hier:

Der Triumph, immer nur der Schatten des Scheiterns.

Warum gleich relativieren? Beschreibe doch den Moment des Triumphs. Diesen Moment, wenn man glaubt, der größte, beste zu sein. Das macht den geschilderten Zwang nachvollziehbarer.

Soweit meine Gedanken!

Liebe Grüße
Rainbow Runner

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Bas und @Rainbow Runner,

ich danke euch sehr für eure sehr ernsthaften und tiefgehenden Kommentare. Ich könnte zu allen Aspekten etwas sagen, aber irgendwie habe ich bei diesem Text das Gefühl, das würde ihm nicht gerecht werden. Es ist auch ein Text, den ich selbst erst nach und nach entdecke, was mir große Freude bereitet – vieles kann ich also gar nicht nach dem Motto beantworten: Das habe ich gemacht, weil ... Ich kann nur sagen, was ich mir selbst jetzt dazu denke, wo die Worte schon da stehen. Vielleicht wisst ihr, was ich meine.

Eine Sache kommt mir aber in den Sinn, die euch vielleicht hilft, meinen Blickwinkel zumindest etwas nachzuspüren. Es gibt da eine kurze Filmszene, die mir nicht mehr aus dem Kopf geht, seit ich ein Kind bin. Jetzt würde wahrscheinlich jeder etwas Wuchtiges erwarten, oder zumindest irgendeine Szene aus einem gelobten, großen Film. Aber das ist völlig falsch.

Die Szene stammt tatsächlich aus dem Film "Hot Shots II" – eine Verballhornung von "Rambo" und "Apocalypse now". Charly Sheen ist in der Szene mit ein paar Kameraden auf einem Kanonenboot, das über irgendeinen südostasiatischen Fluss fährt. Es ist nichts los, die Soldaten lungern auf Deck herum und unterhalten sich. In der Manier klassischer Kriegsfilme, die ja hier durch den Kakao gezogen werden, berichtet einer von seinem Mädchen zu Hause in irgendeinem Fly-Over-State, Kansas oder Ohio oder so was. Dann entwirft er sein Traumbild von einer Zukunft, so sinngemäß: Einen Job in der örtlichen Fabrik annehmen, sein Mädchen heiraten, Kinder kriegen, ein Haus bauen, so ein typisches, weiß getünchtes Holzhaus mit Veranda. Sheen nickt, versteht diesen Traum genau. Und dann sagt der Typ so etwas wie: "Und in 30 Jahren, wenn der Kredit abbezahlt ist, dann nehme ich einen Packen Dynamit und jage alles in die Luft." Und wieder nickt Sheen so, als würde er genau wissen, was der Typ meint.

Bei manchen Texten ist diese Szene meine Poetik. Ist schwer in Worte zu fassen, was genau hier das stilistische Kernelement ist, wie diese Technik aussieht. Ich denke, Begriffe wie Absurdität, Bedeutungsverschiebung, Ironie, schwarzer Humor, Unzuverlässigkeit des Erzählers oder sogar des Mediums und Ähnliches spielen hier eine Rolle. Für mich erzeugen solche Momente Tiefe.

Viele Leute würden sagen: Hier wird nur mit billigen Mitteln Quatsch erzeugt. Man lacht, löst die Spannung auf, guckt weiter. Aber ich mache das nicht. Ich denke mich in das Szenario rein, frage mich: Ok, ist das ein valider Ansatz? Und muss dann zu meiner eigenen Überraschung feststellen: Hmmm, eigentlich gar nicht so jenseits, wie mir die Gesellschaft aufdrücken will. Im Gegenteil, es erscheint mir sogar ziemlich stimmig, erst ein Haus zu bauen – und es dann in die Luft zu sprengen, wenn es mal abbezahlt ist. Warum, kann ich nicht sagen. Darum geht es auch gar nicht. Entscheidend ist, dass sich der Narr als zumindest halbwegs verlässliche Figur entpuppt hat – was unweigerlich dazu führt, dem konventionellen Weg, also dem Rest des Publikums, id est ;-) der Gesellschaft zu misstrauen.

Man kann also sagen: Oft mache ich gewissen Annahmen, stelle ich Hypothesen auf, die den meisten wohl fremd sind, und leite dann weitere Dinge ab, die natürlich immer seltsamer rüberkommen müssen, wenn man die Prämissen nicht kennt oder anerkennt.

Das ist auch die Mechanik dieses Textes. Zum Beispiel, so viel verrate ich mal, habe ich eigentlich gar kein so extremes Szenario erschaffen, wie die Leserschaft meint. Ich habe viele Dinge einfach wörtlich beschrieben, die normalerweise unter Abstraktion oder Fachbegriffen versteckt werden, wie etwa, wenn es um Sehnen oder Knochen geht. Das sind realistische Passagen; das sind eigentlich nüchterne Worte. Und nur weil wir uns als Gesellschaft längst von dieser nackten, körperlichen Realität entfernt haben, klingen sie plötzlich drastisch. Sie sind aber gar nicht im Kern drastisch, das passiert genau so: Wenn ich mit hohem Gewicht Bankdrücken mache, zerrt Gewicht an meinen Sehnen – und bei vielen Kraftsportlern reißen sie sogar irgendwann. Oder ein Bandscheibenvorfall: Ein Druck ist so hoch, dass er das Weichgewebe zwischen den Wirbeln herauspresst. Dieses Gewebe drückt dann auf den Nerv und du hast Schmerzen. Und wenn du lange genug diesen Schmerz hast, verselbständigt er sich, er strahlt aus, ist auf Grund der zentralen Lage des Problems auch immer da. Das ist eine Realität, keine Zuspitzung.

(Nachtrag: Eine übertriebene Ausdrucksweise wäre zum Beispiel die, die mal ein Orthopäde mir gegenüber an den Tag gelegt hat: "Tja, da ist Ihnen wohl beim Bankdrücken die Schulter explodiert." :-)

Oder die "Scham" (wie gesagt, all diese Gedanken sind mir erst im Nachhinein gekommen): Von Scham zu schreiben, wird direkt als selbstzerstörersich wahrgenommen oder als was auch immer. Aber Scham ist doch ein berechtigtes Gefühl, wenn man an gesellschaftlichen Erwartungen scheitert. Jeder Mensch empfindet Scham. Doch wenn ein Text sie einfach nackt auf den Präsentierteller legt, ohne sie groß in Handlung oder (Pseudo)Psychologisierung einzubetten, löst sie scheinbar direkt den Reflex beim Leser aus: Vermeiden, leugnen, distanzieren.

Hierzu noch ein Wort: Die Scham im Text, die Angst vor dem Anblick oder der Reaktion der anderen im Fitnessstudio wird vom "Laien", also vom nicht Szenekundigen als Ausreißer gelesen, merke ich. Aber das ist gar kein individuelles Element, das sich speziell auf den Erzähler bezieht. In der Szene bekannt sind zum Beispiel sogenannte "Pump Cover" – das sind weite Pullover oder Ponchos, die Bodybuilder tragen, wenn sie die ersten Übungen machen. Denn da ist noch kein Pump da und sie schämen sich, ihren Körper zu zeigen, wenn der nicht maximal "performt". Das muss man sich klarmachen: Die breitesten Jungs, wahre Kolosse mit teils weit über hundert Kilo Körpergewicht schämen sich, weil sie sich für zu schmal halten.

Ich sage nicht, dass das nicht krank oder zumindest psychisch fragwürdig ist. Alles, worauf ich hinaus möchte: Der Text beschreibt hier kein Spezifikum der Erzählerfigur, sondern ruft ein Szene-Element auf.

Fazit: Ja, ihr habt recht – der Text verschließt sich dem Leser generell sehr. Und gerade, wenn man mit der zitierten Sub-Kultur nicht viel am Hut hat, werden viele Codes nicht entschlüsselt werden können.

Umso mehr freut mich, dass ihr dem Text – so verstehe ich euer Feedback – doch irgendwo etwas abgewinnen konntet und er euch zu so interessanten Reaktion inspiriert hat.

Freundliche Grüsse

Henry

 

. denn anfangs gab es dafür kein Wort.
...
Was soll ein Rattenskelett schon erklären?

Moin, @ Kopper,

gute Frage und von der rüstigen und reinlichen Zugehfrau bis zur Archäologin, vom Amtsarzt bis zum Zytologieassistenten werden unterschiedliche Reaktionen vom (ge)äußer(t)en Ekel bis inneren Jubel möglich sein und in dem vielleicht ältesten Weltbestseller schlechthin steht sogar ausdrücklich, dass am Anfang das „Wort“ gestanden habe, als hätte die „wortlose“ Welt und Schöpfung keine Chance gehabt, und selten ist etwas „perfekt“ aber das meiste rucki-zucki „imperfekt“.

Das Leben „lastet“ und "entledigt" sich nicht nur und wer die Nerven oder die Geduld verliert, es nicht aushält, „entlastet“ sich oft bedauerlicherweise allzu schnell …

Sie werden mich auslachen und sich denken, dass ich zu schwach bin, mich selbst überschätzt habe.

Da gibt es ein einfaches, nahezu kostenloses Mittel, das formal niemandem weh tut und doch töten kann, das die Griechen vielleicht gegen übermächtige Perser, sicherlich aber „erfanden“: Ironie.

Nichts gibt dir so viel Kraft wie nackte Angst.
Das kommt meiner aufs Wort beschränkten Ethymologie nahe, in der pluralisierten Steigerung der Angst, wenn in die „Enge“ getrieben der Punkt erreicht wird, wenn der Gleichklang der Ängste durchs Engste eingegrenzt wird. - Aber mal ehrlich! Ist "Angst" nicht die unbestimmte Schwester der "Furcht"?, und wo kämen wir Helden ohne Vor- und Rücksicht hin - allein heute schon, wenn wir vor die Haustür treten, um die mehr oder wenige verkehrsreiche Straße zu überqueren ...

..., von schönen Träumen ist nicht schön zu träumen.

Gern gelesen vom

Friedel

 

@H. Kopper
Henry, Dich zieht´s in die Tiefe neuerdings. Benny springt von der Brücke, und jetzt geht es in einen Brunnen. Du hast in anderen Story mehr Durchhaltwillen gezeigt. Ich habe letztens mal wieder das mit der Probezeit in Berlin gelesen. Name vergessen. Da hast du noch Widrigkeiten getrotzt.

Ist das hier ein Hilfeschrei? Ich würde das so interpretieren. Da hat jemand Angst, dass seine Existenz zerfällt. Beruflich. Privat. Fast wie bei vielen Arbeitern bei BMW. Nichts für Depressive. Oder warum zieht es Dich in einen Brunnen rein, den Du Dir mit ´ner Ratte teilen willst? Ist ja natürlich bloß symbolisch gemeint, aber Du redest ja andauernd davon. Irgendwie hatte ich den Wunsch, Dir ein Seil in Deinen Brunnenschacht zu werfen, damit Du daran hochklimmen kannst. Bei Brunnen denken alle sofort an Reinspringen und Lebensmüdigkeit.

Hochphilosophisch oder Geschwurbel? Vielleicht steige ich da durch manches nicht so durch.
Das mit den Gewichten an der Stange erinnert mich an einen James Bond. Da hätte es ihm fast die Gurgel eingequetscht. Verstehe natürlich die Metapher auf das Leben. Sich überheben und die Last nicht tragen können.
Dafür, dass Du schon seit zwanzig Jahren so abkotzt, hast Du eigentlich immer ganz gute Sachen geschrieben.

Ich gehe scheinbar den umgekehrten Weg und versuche, alles positiv zu sehen. Damit gehe ich meinem Umfeld oft ganz schön auf den Sack. Wohl genauso wie die Pessimisten. Vielleicht neige ich dazu, künstlich aufgekratzt zu sein. Erreichen tue ich damit eigentlich gar nichts.

Mir kommt gerade der Gedanke, dass die, die am meisten die Sch... am kochen haben, vielleicht diejenigen sind, die immer diese heile Welt Sachen verfassen. Sie müssen sich wenigstens auf dem Papier ihr Wunschleben malen, wo ihr wirkliches nicht im Geringsten ran reicht.
Dein Problem ist wahrscheinlich, dass Du noch nichts veröffentlicht hast. Das verhagelt Dir die gute Laune, macht depressiv. Henry, Du darfst nicht immer so auf den imaginären Leser schauen. Schreib, wie Dir der Schnabel gewachsen ist, sonst geht die Spontanität verloren. Entweder, sie fressen es, oder sie spucken es aus.
Gruß Frieda

 

Moin,

ist ein vollkommen neuer Sound von dir. Anders, schwer zu beschreiben. Was mir als erstes auffällt: ich würde mir mal die Rhythmisierung anschauen, da geht manchmal einiges auseinander, passt nicht zueinander.

Hier treffen für mich zwei Register aufeinander: das Intime, Persönliche, und dann das Konkrete, aber Überhöhte: plötzlich durchbricht der Autor die vierte Wand und fragt mich, ob ich Ronny Coleman kenne? Das ist so ein krasser Bruch, wie ich finde. Mich hätte jetzt eine Geschichte, wie der Prot sich da am Eisen kaputtmacht, und sich währenddessen die Sinnfrage stellt, mehr angemacht. So klingt das wie ein geschlossener, ein abgeschlossener Text - im Grunde auch ein wenig, wie mein aktueller Text funktioniert! - auf dem man keinen Zugriff bekommt. Man sagt ja oder nein. Man geht mit oder nicht.

Das Leben lastet schwer auf mir. Es drückt mich nieder.
Die Last könnte auch die Hantel sein. Ich denke, so ist es gemeint, allegorisch. Das wäre dann gut gemacht.
Wie sollen ein paar Knochen für Klarheit sorgen? Das geht ja gar nicht. Im Gegenteil: Wenn man Knochen zermalmt, zerreibt, zermahlt und in ein Glas reines Wasser streut, so wird das reine Wasser trübe. Knochen trüben das Wasser, und Trübheit ist das Gegenteil von Klarheit. Es ist also vollkommen verrückt, von der Allee aus in den Brunnenschaft zu steigen und Erwartungen zu haben, etwas herbeizuwarten, das Abhilfe schafft. Und doch führt die Allee nur in den Brunnenschacht hinein und sonst nirgendwohin.
Hier dachte ich, wow, jetzt wird es schräg! Der Text hat schon eine schräge Anlage, deswegen finde ich auch, passt dieses Konkrete, diese Verortung wie eben die Erwähnung von Coleman da nicht so rein, ich würde mir wünschen, du wärst auf diesem Zweig geblieben, wärst da irgendwo abgehoben. Ich glaube auch, diesen Wahnsinn, diese Widersprüchlichkeit des Kaputtmachens, aber des dennoch Weitermachens, der müsste stärker abstrahiert werden, ich will da den Wahnsinn lesen. Ich weiß nicht. Hermetisch ja, aber dann das volle Programm.

Gruss, Jimmy

 

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