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Die Fabrikhalle
Es war ein Riesenglück, dass er diese alte Fabrik gefunden hatte. Draußen tobte das schlimmste Unwetter seit fünf Jahren. Es war dermaßen plötzlich aufgezogen, dass es ihn mitten in seinem abendlichem Spaziergang überrascht hatte.
Es regnete zwar hier und da rein und warm war es auch nicht, aber wenigstens war er etwas geschützt vor diesem Unwetter. Gerade hatte er das große, rostige Eingangstor hinter sich verschlossen. Das metallische Scheppern hallte nahezu endlos nach in diesem großen, dunklen Gebäude. Er ließ sich zu Boden sinken und erkannte an den sich im Dunkeln abzeichnenden Walzen und Fliesbändern, dass es wohl so etwas wie eine alte Zeitungsdruckerei gewesen war.
Überall standen riesige Maschinen, die jetzt grau und verstaubt wirkten. Ein offenes Fenster weit über ihm schlug durch den Wind gepeitscht immer wieder gegen den Rahmen. Obwohl es aller Logik widersprach, begann er in der verlassenen Halle instinktiv nach einem Lichtschalter zu suchen. Als er sich an der Wand entlang tastete, hörte er hinter sich etwas wie ein Schnaufen.
Stocksteif blieb er stehen.
Stille.
Er drehte sich um und sah nichts. Es musste wohl der Wind gewesen sein.
Irgendwo musste doch dieser Lichtschalter sein.
Na endlich.
Er hatte etwas in der Hand, was sich danach anfühlte. Er legte einen Schalter um, aber nichts tat sich. Im nächsten Moment splitterte Glas und mit lautem Scheppern fiel es zu Boden. Im ersten Schrecken hatte er sich geduckt und die Arme über dem Kopf verschränkt. Jetzt begriff er langsam, dass wohl einer von diesen hohen Bäumen vom Wind mit seinen Ästen gegen ein Fenster hoch über ihm gepeitscht worden war und es zerbrochen hatte. Trotzdem war ihm unheimlich.
Hinten in der Halle begann ein aufgeregtes Trippeln und Piepsen und schnelle Schritte über eine Wellblechplatte irgendwo im Schatten der Fabrik sagten ihm, dass es Ratten sein mussten. Er hasste Ratten. Aber es war immer noch besser, als sich bei dem Wetter eine Lungenentzündung einzufangen. Wieder dieses Schnaufen.
Das war nicht der Wind.
Langsam war er beunruhigt. „Hallo?“, rief er, aber er bekam keine Antwort. Nur das Heulen des Windes. Wieder donnerte das Fenster gegen den Rahmen und er zuckte zusammen. Es geschah etwas, das er nie für möglich gehalten hätte.
Über einer dieser Walzmaschinen ging ein Licht an. Doch es war mehr so, als würde die Maschine selbst leuchten, von innen heraus. Wie war das möglich? Dabei quietschte und krachte sie. Es schien, als wolle sie sich in Bewegung setzen. Das Licht vielleicht, aber das hatte er bestimmt nicht durch den Lichtschalter erreicht. Eine Ratte rannte über seine Füße und ihm entfuhr ein Schrei, der lange widerhallte.
Ein Blitz zuckte draußen vor dem Fenster. Dann drehten sich die Walzen der Maschine plötzlich in einem höllischem Tempo. Draußen folgte der Donner. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Er wollte schleunigst aus dieser Halle verschwinden, doch jetzt war er mit einem Mal keiner Bewegung mehr fähig.
Das konnte nicht sein.
Die Maschine bewegte sich. Sie kam aus ihrer Nische auf ihn zu. Sie zischte und Rauch stieg von den Walzen auf. Er drehte sich um und wollte sofort verschwinden. Aber die Tür ließ sich nicht öffnen, so fest er auch zog. Er drehte sich wieder herum und presste seinen Rücken gegen die Tür. Von irgendwo kam ein riesiger Krach. Das Dach dellte sich ein. Ein Baum war vom Sturm entwurzelt worden und auf die alte Fabrikhalle gestürzt. Wieder entfuhr ihm etwas wie ein Schrei, aber es war mehr ein ersticktes Krächzen.
Jetzt ging rechts, fünf Meter neben ihm, eine weitere Maschine an. Auch sie ruckte Stück für Stück von ihrem ursprünglichen Platz weg auf ihn zu. „Was ist hier los?“, schrie er. Dann drehte er sich wieder um und hämmerte gegen die Tür. „Hilfe!“, rief er erstickt und von einem lähmenden Schock gefesselt. Die Walzmaschinen kamen immer näher. Noch eine Maschine begann schwerfällig wie eine alte Dampflok zu leben. Ihm kam die Idee, die Stecker rauszuziehen.
Er rannte zwischen ihnen durch auf ihre Rückseite. Keine Stecker, keine Kabel.
Nichts.
Hinter seinem Rücken erklang ein monotones, metallisches Hacken. Er wirbelte herum und entdeckte die Schneidemaschine. Blut einer toten Ratte klebte an der scharfen Klinge. Eines der Oberlichter zerbrach und wieder fiel Glas zu Boden. Ein Blitz und ein Donner reihten sich in die Geräuschkulisse aus hämmernden, stampfenden Maschinengeräuschen. Sie waren im Begriff ihn zu umzingeln. Das Metall schien sich zu dehnen. Sie lehnten sich zu ihm hin, machten den Kreis immer enger. Er hatte keine Chance, denn er wusste nicht, wie sie zu stoppen waren. Ratten krabbelten überall nervös herum. Das Fenster klapperte gegen den Rahmen. Das Rotieren der Walzen sah einem Zähnefletschen ähnlich und irgendwie schienen die Maschinen zu grinsen. Hämisch und blutgierig. Jetzt waren sie bis auf wenige Zentimeter an ihn herangerückt. Ein spitzer Schmerz, er wurde ruckartig nach hinten gezogen. Eine der Maschinen hatte seine Jacke zwischen die Walzen bekommen und zog sie blitzartig hinein. Sie drückte ihm den Brustkasten zu. Er bekam den Reißverschluss nicht auf. Sie zog und zog. Eine scharfe Kante schnitt sich in sein Fleisch am Rücken. Er bekam keine Luft mehr. Der Druck wurde immer heftiger.
Doch dann hatte er den Reißverschluss und zog ihn auf. Die Jacke flog wirbelnd und rasend schnell in die Maschine. Die Schneidemaschine erhöhte ihr Tempo und im selben Moment fiel ihm die Lösung ein. Es war so logisch, aber jetzt wahrscheinlich zu spät. Eine Maschine hatte sein Hemd. Nachdem die Knöpfe blutige Spuren in seiner Brust hinterlassen hatte, zeriss es und sauste in die Maschine. Eine Ratte biss ihn und er schenkte dem Schmerz an seinem Knöchel zu viel Aufmerksamkeit.
Er schrie auf.
Die Walzen hatten seine Hand.
Sie drehten sich jetzt ganz langsam, als wollten sie ihren Fang genießen. Er hörte leises Knacken und die weißgelben Walzen färbten sich rot. Ihm wurde schwarz vor Augen, doch mit aller Kraft, die er noch besaß, riss er sich los. Er sah nur kurz hin; Teile seiner mittleren drei Finger fehlten. Das war seine letzte Chance.
Er stieg auf das Schneidebrett der alten Schneidemaschine, deren scharfe Klinge sich immer noch schnell auf und ab bewegte, spürte die Klinge, die durch seinen Fuß schnitt, und sprang über das Gerüst, das die Klinge hielt und landete hinter dem wuchtigen Metallkoloss auf den Boden. Viel zu schnell für ihr Gewicht raste die Maschinen hinter ihm her, aber er wusste, was zu tun war.
Er stürzte auf das zu, was er für den Lichtschalter gehalten hatte, legte ihn um und alles war still. Die Lichter der Maschinen gingen aus, die Walzen drehten sich langsam aus und auch das Messer der Schneidemaschine wurde immer langsamer und hörte schließlich ganz auf.