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Die Fiedel des Küfermeisters

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22.01.2005
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Die Fiedel des Küfermeisters

Es war einmal ein trauriger Küfermeister, der sein Leben lang in seiner kleinen Stube saß und Fässer machte. Das Holz wurde gespannt und gebogen, die Planken zusammengesetzt. Die Fässer wurden ausgebrannt, um sie abzudichten. Der Küfermeister zimmerte Deckel, hobelte Latten, setzte Ringe auf.

Seine Frau und seine drei Söhne beobachteten ihn beim Arbeiten. Der Küfermeister war ein stiller Mann, der nur sprach, wenn es nötig war. Und er erwartete auch nicht, dass die anderen mit ihm sprachen. Er saß stumm an seinem Arbeitstisch. Sein einziger Genuss war ein Becher Rotwein, der immer in Reichweite stand. Daraus nippte er. Das ließ ihn vergessen, wie öd die Arbeit war.

Seine Frau machte den Haushalt, kümmerte sich um die Kinder, leistete ihm Gesellschaft und saß auf der Bank vor dem Kachelofen ihm gegenüber. Sie strickte und stopfte Kleidungsstücke, putzte, räumte und führte die Haushaltskasse. Die Leute bezahlten die Fässer bei ihr. Der Schreiner bekam von ihr das Geld für das angelieferte Holz. Ihr Mann rührte das Geld nie an.

Eines Tages kam der Zirkus in die Stadt. Die Söhne stürmten aufgeregt in die elterliche Stube: „Habt ihr es gehört? Ein richtiger Zirkus ist in der Stadt!“
Der Vater sah sie wortlos an, beugte sich wieder über sein halbfertiges Fass und setzte sein Tagesgeschäft fort.
„Können wir den Zirkus besuchen?“, fragten die Söhne also die Mutter.
„Wenn’s kein Geld kostet“, lautete die klare Antwort, und keins der Kinder wagte, nach dem Eintrittsgeld zu fragen.

Doch die Kinder hatten Glück, der Zirkus kam zu ihnen. Am nächsten Tag stand ein hagerer Mann – vielleicht ein Italiener, vielleicht ein Zigeuner – an der Gartenpforte.
„Guten Tag, ich heissen Franco. Wieviel kosten?“, fragte er und zeigte auf die aufgestapelten Fässer an der Hauswand.
Die Jungs holten ihre Eltern aus dem Haus. Der fremde Mann wiederholte seine Frage.
„50 Mark“, erklärte der Küfermeister grußlos.
„Pro Fass?“
Der Küfermeister nickte.
„Viel Geld“, murmelte der Zirkusmann.
Die Küfermeisterfamilie wartete.
Der Südländer kratzte sich den Kopf: „Ich zahlen nach Aufführung.“
Der Küfermeister schüttelte den Kopf: „Jetzt.“
Franco überlegte noch, da drehte sich der Küfermeister wieder um und ging in sein Haus.

Am nächsten Tag war der Mann aus dem Zirkus wieder da. Er winkte den Küfermeister vertraulich zur Gartenpforte und erklärte: „Ich brauchen drei Fässer für Kunststücke. Ich lassen Geige als Pfand.“ Und er zog aus einem grauen Tuchsack eine wunderschöne Fiedel aus Rosenholz. Der Küfermeister bekam große Augen, denn er sah, dass die Geige sehr schön und fein gearbeitet war.
Der Zirkusmann sah die Begeisterung in den Augen des Handwerksmanns und fügte hinzu: „Du kommen mit Frau und Kinder zu Zirkus. Ich zahlen nach Aufführung.“

So saß die Küfermeisterfamilie zum ersten Mal in einer Zirkusaufführung. Clowns balancierten auf den Fässern des Küfermeisters; die Akrobaten bauten einen Turm aus ihnen; der Zauberer ließ die schöne Seiltänzerin aus einem Fass erscheinen. Der Südländer stellte sich auf eins der Fässer und spielte eine langsame Ballade auf einer anderen Geige.
Die Küfermeisterfamilie verfolgte das Spektakel genau und ließ sich nichts entgehen. Noch nie hatten sie so etwas gesehen. Am Ende der Vorstellung applaudierte sogar der zurückhaltende Küfermeister.
Das Publikum pfiff und johlte. Die Aufführung war sehr gelungen.
Die Küfermeisterfamilie ging froh nach Hause; er hatte das Gefühl, eine andere Welt betreten zu haben.

Am nächsten Tag wartete er, dass der Südländer ihm die Fässer zurückbrachte oder sie bezahlte. Aber der Fiedler aus dem Zirkus kam nicht.
Auch am nächsten Tag kam der Fremde nicht. Hatte Franco sie vergessen? Hatte er kein Geld?
Die Frau des Küfermeisters ging zum Nachbarn und fragte ihn Rat. Der Nachbar sagte ihr, dass der Zirkus schon abgefahren war.
Da war der Küfermeister traurig und wütend zugleich. Er berührte den lackierten Geigenkörper. Was sollte er jetzt machen? Er schlug einen Nagel in die Wand neben dem Kachelofen, nahm eine Kordel und hängte die schöne Fiedel an die Wand.
Dort hing das Musikinstrument Wochen und Monate.
Doch Franco kam nicht zurück zum Zahlen.
Im nächsten Jahr kam ein Zirkus, aber es war ein anderer, und Franco gehörte nicht dazu.

Der Küfermeister machte weiterhin stumm seine Fässer. Er nahm einen Schluck aus dem Rotweinbecher und schaute von Zeit zu Zeit zur Geige an der Wand. Gerne hätte er Franco noch einmal spielen gehört.
Er berührte den wunderbar geformten Körper der Geige, doch der Lack war etwas brüchig geworden und hatte jetzt feine Risse.
Also fragte er seinen ältesten Sohn: „Kannst du die Geige spielen?“
Sein ältester Sohn zog erstaunt die Augenbrauen hoch und schüttelte den Kopf.

Ein Jahr später fragte der Küfermeister seinen zweiten Sohn: „Willst du Geige spielen lernen?“ Auf der Geige lag eine feine Schicht an Aschenstaub, den der Ofen in der Stube verbreitete. Sacht wischte der Mann das Musikinstrument ab.
Sein zweiter Sohn dachte nach und meinte danach ernst: „Wenn’s kein Geld kostet, will ich’s gern versuchen, Vater.“
Nur das Geige spielen lernen kostete Geld beim Musiklehrer. Und das wollte der Küfermeister nicht ausgeben.

Ein weiteres Jahr später fragte der Küfermeister seinen dritten Sohn: „Ich würde dir gern Musikunterricht geben lassen, wenn du Geige spielen lernen willst.“
Doch der Jüngste war ein einfacher Junge: „Vater, darauf verstehe ich mich nicht. Das wäre verlorene Zeit.“

Da wurde der Küfermeister noch trauriger, doch er sagte nichts.

Eines Tages knallte es in der Stube, und alle schauten auf. Eine Saite der Geige hing zerrissen am Steg, sie war geplatzt.

Die Söhne des Küfermeisters wurden junge Burschen. Der erste half dem Vater beim Fässermachen; der zweite machte eine Ausbildung als Gemeindehelfer; der dritte wurde Schmied.

Der Küfermeister und sein Frau wurden älter. Sie saßen in der Stube, arbeiteten, und der älteste Sohn übernahm immer mehr ihre Arbeit.

Eines Morgens fiel es dem Küfermeister schwer, aufzustehen, doch das machte nichts. Denn Franco kam herein in die Stube. Und mit ihm kamen auch seine drei Söhne. Und sein Ältester trug die Geige in der Hand, hob sie ans Kinn und begann zu spielen. Und die Fiedel sang vor Freude und summte von Trauer.
„Ich habe nur auf diesen Tag gewartet“, sagte der Küfermeister glücklich.
Als seine Frau nach ihm sah, weil er nicht aufgestanden war, sah sie, dass er friedlich eingeschlafen war.

 

Hallo Urach,

deine Geschichte hat mir ganz gut gefallen, bis auf einige Kleinigkeiten, nur frage ich mich, warum du sie hier bei Fantasy/Märchen veröffentlichst, weil überhaupt nichts unrealistisches passiert...oder?

Die Küfermeisterfamilie ging froh nach Hause; der Küfermeister

das ist Wortwiederholung und klingt holbrig, mach einfach ein "er" draus...

Der Küfermeister machte weiterhin seine Fässer stumm

da stimmt nur der Satzbau nicht, das klingt so, als würde er seine Fässer zum schweigen bringen...setz doch stattdessen das "stumm" an den Anfang vom Satz...

Da wurde der Küfermeister noch trauriger. Doch er sagte nichts.

da würde ich statt dem Punkt ein Komma machen...

„50 Mark“, erklärte der Küfermeister grußlos.

gefällt mir gut, dass du bei "Mark" bleibst...verstärkt die Romantik

Elias

 

Hallo Urach!

Wie Sheepdogv0 schon erwähnt hat, ist das fantastische Element in dieser Geschichte sehr dünn, obwohl es ein Märchen ist.

Ich persönlich fand die Geschichte sehr schön geschrieben, auch wenn du eine sehr einfache und unspektakuläre Sprache benutzt (gehört eben zu Märchen ... ;) ). Leider habe ich die Botschaft am Ende nicht ganz verstanden. Vielleicht bin ich einfach zu doof. Warum kommt Franco überhaupt am Schluss? Willst du nur sagen, dass Geiz nicht gut ist? Oder steckt noch mehr dahinter? Und wieso spielt ein Sohn Francos (sorry, ich muss immer an den spanischen Diktator denken ... :D ) die Geige? Ich meine, du hast das ja nicht zufällig so gewählt, oder?

Liebe Grüsse
sirwen

 

Hey Urach,

ich fand die Geschichte auch nicht schlecht. So anders. So wenig Fantasy;). Ne ernsthaft, ein kleiner Happen für zwischen durch. Aber ehrlich gesagt hab ich das Ende auch nicht verstanden. Oder willst du es vielleicht etwas deutlicher ausbauen? Denn ich finde, die gesamte Geschichte baut auf so einen Höhepunkt hin, der zum Schluss kommen soll. Man weiß, dass irgendwas mit der Geige und dem Fiedler noch passieren muss, liest daher die Geschichte gespannt weiter, beobachtet jedes Detail, das darauf hinweisen soll und dann kommt das doch etwas unbefriedigende Ende. Ich schätze, das kannst du besser! Dann wärs auch ein richtig guter Happen für Zwischendurch!!

Grüße

Thomas

 

Hey Urach,
ich muss mich meinen Vorkritikern anschließen. Ich bin mit dem Ende auch nicht zufrieden, das wirkt, als sei es noch nicht fertig.
Die Geige, die die ganze Zeit an der Wand hängt, platzt irgendwann, weil niemand darauf spielt. Der Älteste möchte nicht spielen lernen, der Mittlere kann es sich nicht leisten, und der Jüngste, dem der Vater seinen Unterricht sogar bezahlen würde, will nicht. Wo ist denn der Mittlere zu dem Zeitpunkt? Das hast du nicht erwähnt. Ich vermute, er ist ausgezogen.

Für mich spricht die Geschichte von verpassten Gelegenheiten, und in den Kontext spielt auch das Ende hinein. Die ganze Zeit hat der Küfermeister gewartet, und erst als er stirbt, sieht er das, was er sich die ganze Zeit gewünscht hat. Ob er das Jahr darauf wieder im Zirkus war, hast du nicht geschrieben, ich vermute beinahe, er war es.

Der Text hat mir gut gefallen, ein netter Happen für zwischendurch.

gruß
vita
:bounce:

 

Hallo Sirwen!

Das Ende der Geschichte ist der Todestag des Küfermeisters.
Und ihm erscheint im Traum (oder in seiner Wirklichkeit?) noch einmal Franco mit seiner Fiedel.

Warum Frnco? warum Fiedel? Warum so die Reaktion der Söhne?

Muss ich das wirklich erklären? Habe ich so schlecht geschrieben?
Kann sich das der Leser nicht denken?

LG
WU

 

Lieber Elias!

Ich habe Deine guten Anregungen eingebaut!
Danke!

LG
WU

 

Hallo Thomas!

Jetzt will ich etwas Dreistes sagen: Bitte lies noch mal die Geschichte durch, und sag mir dann hochheilig, dass Du das Ende wirklich nicht verstanden hast...

Das kann ich einfach nicht glauben. Denn Du hast richtig beobachtet:
- Keine Fantasy-Effekte
- Viele kleine wichtige Details
- Ein unspektakuläres Ende (darf es das nicht sein?)

LG
WU

 

Liebe Vita!

Du hast es ja richtig gesehen: die Geschichte erzählt von "verpassten Gelegenheiten".

Deshalb zerplatzt die Geige nicht einfach an der Wand, sondern sie ist Teil einer Entwicklung, sie staubt ein, sie wird zur Projektion verlorener Momente.

Dass ich bewusst diese Geschichte in einem kargen Stil halte, hat etwas mit dem Hintergrund zu tun: Mein Urgrossvater war in Heidenheim Küfermeister vor 100 Jahren, und das Leben war karg, einfach und die Menschen weniger mitteilsam (besonders die Schwaben) als heute.

LG
WU

 

Manchmal freut man sich auch über einen einzigen Smiley. Danke.

 

Hallo Urach!

Dein Küfermeister hat ja allen Grund traurig zu sein, führt er doch ein ödes, arbeitsames Leben und versagt sich so gut wie alle Genüsse. Außer Arbeit gibt es für ihn nichts, wozu passt, dass er in deiner Geschichte noch nicht einmal einen eigenen Namen hat, sondern nach seinem Beruf genannt ist: Küfermeister.
Ich vermute, dass er sich nach Abwechslung, nach Schönheit, Abenteuern und Lebensgenuss sehnt, diese Sehnsucht aber unterdrückt und sie verdrängt hat. Doch ein verdrängter Wunsch pflegt keine Ruhe zu geben, gerne personifiziert er sich und tritt als Verführer an einen heran. Solch eine Personifikation ist meiner Meinung nach Franco, ein Vertreter der exotischen Zirkuswelt.
Die Fässer, reine Gebrauchsgegenstände ohne Schönheit, ändern in der Zirkuswelt Funktion und Charakter: zum Beispiel erscheint eine schöne Seiltänzerin aus ihnen, eines dient Franco beim Musizieren als Podest, sie sind in Bestandteile einer Welt der Sinnenreize und der Kunst verwandelt.

Auch die Fiedel, ein ästhetisches Musikinstrument, steht als Symbol der Welt des zweckfreien Schönen und des Genusses im Gegensatz zur Fässerwelt.

Sie wartet darauf, dass der Küfermeister auf ihr spielt, doch er lässt sich nicht verführen, sondern verdrängt seine Sehnsucht weiter - vor Ungeduld platzt ihr gleichsam eine Saite.

Eltern lieben es, wenn etwas, das sie sich versagen mussen, nichtgelebtes Leben sozusagen, von ihren Kindern gelebt wird. So hätte der Küfermeister gerne, dass seine Kinder musizieren, was nicht in Erfüllung geht.
Erst im Sterben, als sich seine Persönlichkeit mit ihren rigiden Verdrängungen auflöst, kann die Sehnsucht sich als Traum äußern.

Deine hintergründige Geschichte habe ich gerne gelesen.

Grüße gerthans

 

Urach schreibt eine Geschichte und gerthans liefert eine Bilderbuch-interpretation dazu. Es war sehr aufschlussreich letztere zu lesen. So präzise hatte ich das vorher gar nicht verstanden...:shy:

Elias

 

Lieber Gert-Hans, lieber Elias!

Da macht das Veröffentlichen auf kg.de doch noch mal so viel Spass!:)
Zu Gert-Hans' Beschreibung: ich habe keine Silbe mehr hinzuzufügen.:thumbsup:
LG
WU

 

Hallo Urach!

Der Zusammenhang, die Einheitlichkeit sind mir nicht klar.
Die Aussage fasse ich so auf, dass der Küfermeister eben seinen Hoffnungen und Wünschen nachhing, und als sie sich erfüllten, er alles Glück hatte, das er brauchte und sonach den Deckel über sich schließen lassen konnte.
Von der lakonischen Atmosphäre her hat mir die Geschichte wirklich gut gefallen.

Lg, kleiner Rasta-Narr

 

Hallo kleiner Rasta-Narr,

nein, er hatte nicht alles Glück, sondern er hing einem besseren Leben nach, das er nicht hatte.
Auch das ist Leben.

LG
WU

 

Tag Urach,

nachdem ich eine Zeitlang schon ein wenig an diesem Forum gezweifelt hatte, gefällt mir deine Geschichte ziemlich gut. Sprachlich finde ich sie ein wenig zu simpel, aber ansonsten habe ich fast nur Positives zu sagen. Besonders gut gefällt mir die Einbindung der Geschichte in die harte Realität (man muss ja nicht so dogmatisch sein, was die Grenzen von "Fantasy" angeht). Außerdem rechne ich dir hoch an, dass deine Geschichte den Zeigefinger nicht erhebt, um uns deine Moral aufzuzeigen, sondern uns lieber selber denken lässt.

Tja, was soll ich sagen? Ich liebe Geschichten, die von einfachen Leuten erzählen, statt tolkienmäßig von der Entstehung bis zum Ende einer Welt alle heroischen Taten aufzuzählen.

War ziemlich gut.

Mit freundlichem Gruß,

CCC

 

Lieber Spectator,

vielen Dank fürs Lob und für die genaue Beschreibung meiner Erzählintention.
Was ist Fantasy, wo hört sie auf? Du gibst eine Antwort darauf, die mir gut gefällt.

LG
Wolfgang Urach

 

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