Was ist neu

Die Gedanken eines Betrogenen

Mitglied
Beitritt
31.07.2002
Beiträge
32

Die Gedanken eines Betrogenen

Ich tauche ein. Ein grauer, nebliger Vorhang, eine Welle unscheinbaren Stoffes zieht vorüber und noch ehe es im Nichts verschwindet, tauche ich ein, schwimme auf der Woge ins Dunkel. Schwarze Punkte trennen sich, zerstreuen sich und schwinden bald vollends…
Ob er gerade an mich denkt? Wie gern ich jetzt bei ihm wäre. Ich möchte gern wissen was er gerade macht. Er meldet sich gar nicht. Bestimmt hat er zu tun. Und wenn nicht? Wenn er ganz woanders ist? Dort wo ich ihn vielleicht nicht vermuten würde… Er hat gesagt, er denkt an mich, doch wann, wie oft und wie lange? Wie schnelllebig ist solch ein Gedanke, wie schnelllebig ein Gefühl, wie unsicher die Gewissheit.
Die Woge treibt mich und zieht mich hinab ins Tal der Zweifel, ins Tal der Vergangenheit. Ich hebe einen Stein und sehe wie er sie in den Armen hält, ich sehe durchs Dickicht und all die Lügen offenbaren sich mir in einer neuen Dimension. Die Wörter entkleiden sich und stehen in einer unverfrorenen, harten Wahrheit vor mir. Und ich will nicht, dass sie losziehen und sich vereinen zu einem neuen Bild unter einem dieser Steine. Doch sie tun es, und ich folge ihnen in der Hoffnung, irgendwann das Ende des Tals erreicht zu haben, das Ende der Zweifel.
Das Wasser ist kalt geworden, es treibt mir Stiche in mein Herz. Ich muss weiter schwimmen- ans Ufer. Dort wartet er, jetzt. Er zieht mich aus dem Wasser und schließt mich in seine Arme. Alles ist in Ordnung, nicht vergessen, aber in Ordnung. Er weiß nicht woher ich komme und wozu sollte er es auch erfahren. Er kann unmöglich vergessen machen, was geschehen ist. Alles was er tun kann ist dort am Ufer stehen zu bleiben. Dann wird hoffentlich irgendwann die Angst zurückbleiben, dann wird sie nicht mit mir ans Ufer treiben, sondern bleibt zurück bei meinem letzten Besuch im Tal der Zweifel. Die Angst er könnte nicht mehr am Ufer stehen wird dann zu einem verlorenen Gedanken unter einem dieser Steine, die ich nun nicht mehr anzuheben brauche.
Doch es wird wieder dunkel um mich herum. Der Vorhang schließt sich und eine Stimme reißt mich aus meiner Gedankenwelt: „Telefon, es ist für dich.“

 

Hallo Katrinchen,

eine symbolträchtige Geschichte hast Du da geschrieben, die Macht des Zweifels geschildert. Zweifel wird zu Angst, dann bleibt nur noch Hoffnung, ich vermute, die Zeit soll Wunden heilen.
Mir ist nicht ganz klar geworden, ob die Zweifel berechtigt sind, oder nur als prinzipielle Möglichkeit bedacht werden.
„wie unsicher die Gewissheit“ - wenn sie unsicher ist, ist sie keine Gewissheit, besser finde ich ... wie unsicher, was wir für Gewissheit halten.
Schön fand ich den passenden, ruhigen Fluß der Sprache, die verwendeten Bilder.

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

Vielen Dank für Deine "Kritik" Wolltochin. Deinen Vorschlag zur Gewissheit finde ich sehr schön, würde wohl wirklich besser passen. Hatte zwar absichtlich hier diese Wortwahl als ein Paradoxon gewählt, aber im Zusammenhang dieses Satzes sollte ich mir diese Wortwahl vielleicht noch einmal überlegen.

Ob die Zweifel berechtigt sind, kann im Bezug auf die Vergangenheit sicher mit ja beantwortet werden, da ein Betrogener immer das Recht hat, den Dingen, mit denen er hintergangen wurde, misstrauisch gegenüber zu stehen, aber die Frage ist doch ob die Zweifel im Laufe der Zeit noch berechtigt sind.
Wie lange hat er das Recht, sein Mißtrauen mit der Vergangenheit zu rechtfertigen? Und damit verbunden ist auch immer die Frage: Kann sich ein Mensch ändern?
Was glaubt ihr...?

 

Hallo Katrinchen!

Jetzt, nachdem ich Woltochinons und dein Posting gelesen habe, bin ich mir unschlüssig, ob ich das Ende richtig gedeutet habe.

Du hast den Gedankengang sehr bildhaft geschildert und somit gut in Worte gekleidet. An einigen Stellen würde ich noch Kommas setzen. Die Zweifel deiner Protagonistin, betrogen zu werden, konnte ich nachvollziehen. Ich selbst schließe aus dem Ende aber, dass dem nicht so war (sie nicht gerechtfertigt waren) und die Protagonistin nur dachte, vielleicht hintergangen zu werden. Durch den Anruf war für mich dann aber klar, dass ihr Freund sich meldete und sie dadurch doch nicht im Stich gelassen hatte.

Bitte korrigiere mich, falls ich das falsch verstanden habe.

Wie lange hat er das Recht, sein Mißtrauen mit der Vergangenheit zu rechtfertigen? Und damit verbunden ist auch immer die Frage: Kann sich ein Mensch ändern?
Was glaubt ihr...?
Hm... gute Frage, auf der mir im Moment keine besonders gute Antwort einfällt. Ich denke schon, dass sich ein Mensch ändern kann, durch die Erfahrungen, die er im Laufe seines Lebens macht oder die Ereignisse, die geschehen. Aber das kann natürlich ein langwieriger Prozess sein. Wie lange er das Recht hat, sein Misstrauen zu rechtfertigen, liegt wohl auch daran, ob er in der Vergangenheit bereits enttäuscht wurde oder nicht.

Viele Grüße,
Michael :)

 

Mmh hätte nicht gedacht, dass diese symbolhafte Darstellung so rätselhaft ist. Eigentlich wollte ich damit die Gedanken einer Frau darstellen, die in der Vergangenheit betrogen worden ist und nun wieder mit demselben Mann zusammen ist. Unter diesem Blickwinkel würde sich für mich die Frage nach gerechtfertigten Zweifeln gar nicht stellen, aber mich würde einfach mal interessieren, was andere für Erfahrungen gemacht haben.
Kann man verlorenes Vertrauen wiedergewinnen? Kann man irgendwann die Angst abschütteln? Kann ein Herz wieder zusammengeflickt werden von dem, der es zerrissen hat?!

 

Hallo noch mal!

Durch dein Posting verstehe ich mittlerweile, was du inhaltlich ausdrücken wolltest; allein durch die Geschichte ist mir das aber leider nicht gelungen, denn auf die Idee, dass sie betrogen worden ist und nun wieder mit dem selben Mann zusammen ist, kam ich nicht.

Was deine Fragen anbelangt; für möglich halte ich es, aber nicht gerade für einfach und es wird sicherlich einige Zeit dauern, bis wieder ein gewisses Vertrauen zustande kommt. Möglich, dass ein wenig Skepsis und die Angst, erneut enttäuscht zu werden, bestehen bleibt.

Viele Grüße,

Michael :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Servus Katrinchen!

Ein wunderschöne fast feenhafte Sprache hast du hier verwendet. Die Steine die du hochhebst und wie sich darunter alles verbindet, löst und in Frage stellt, fast ein bisserl mystisch, auch durch das Wasser, als wäre man staunend in einer unwirklichen Nebellandschaft.

Zu deiner allgemein gestellten Frage kann ich nur mit meinem Leben antworten. Ein Mensch kann sich ändern, aber nicht, wenn die Umstände unverändert bleiben, erst muss ein deutlicher Strich gezogen werden. Wenn es um Betrug in einer Partnerschaft geht, würde ich, niemanden, der auf diese Weise mein Herz, wie du sagst, zerrissen hat, erlauben, es nochmals zu umarmen.
Aber das kann jeder nur für sich, seine innere Möglichkeit des Zulassens entscheiden. Andere finden in diesem Zusammenhang das Wort Toleranz angebracht. Jeder hat seine eigenen Wertmaßstäbe. Bei Menschen die sich lieben sollten sie, egal wo der Wert angesiedelt ist, in Harmonie sein.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

Liebe Eva

Vielen Dank für Dein Posting. Musste einige Zeit darüber nachdenken, inwiefern sich Umstände verändern können und woher man weiß welche Dinge einfach geändert werden müssen, damit auch der Mensch selbst sich ändert.
Und wenn ein Mensch einen anderen betrügt, sind nicht mehr die inneren Zustände von Bedeutung als die Äußeren?
Das Problem beim Betrügen ist glaube ich auch, dass, wenn man es bereut, eigentlich gar nicht weiß warum man es getan hat. Und wie soll ich etwas ändern, von dem ich den Ursprung nicht kenne?

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom