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Die gekaufte Tragödie

Beitritt
15.01.2008
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Die gekaufte Tragödie

(Eine ganz alltägliche Begebenheit, die zwangsläufig mit Tränen endet)

Junges menschliches Männchen trifft junges menschliches Weibchen. Man mag sich. Man geht zusammen ins Kino, nach Sharm el Sheikh, ins Bett und das Männchen deponiert seinen Autoschlüssel desöfteren im Handtäschchen des Weibchens. Dann geht man in die Kirche und schaut zu wie sich die versammelte Verwandschaft anschliessend um den Verstand säuft. Sobald die Verwandschaft wieder nüchtern und nicht mehr versammelt, sondern wieder in ihren jeweiligen Zuhausen ist, wird die Pille abgesetzt, die Spirale weggeschmissen und gerattert was das Zeug hält -nur nicht mehr von hinten und auch der Mund des Weibchens dient fortan nur noch der Nahrungsaufnahme. So Gott will wird das Weibchen alsbald immer dicker und launischer und sein Mund beginnt mehr denn jemals zuvor der Nahrungsaufnahme zu dienen. Schon bald kommt Mutter Natur an und stellt dem Menschenpärchen eine Samira Leonie -zu 51%- oder einen Kevin -zu 49%- hin. Dieses kleine Menschenkind liegt dann erstmals ungefähr zwei Jahre lang einfach nur da. Dann beginnt es zu kriechen, zu reden und zu laufen. Irgendwann läuft es dann fast täglich in den Kindergarten und will ein Haustier. Weil man keine Zeit für einen Hund hat, das Weibchen von Katzenhaaren rote Augen und eine Triefnase bekommt, die gar nicht sexy ist und Meerschweinchen einfach nur dämlich sind, kauft man sich einen Wellensittich namens Hansli. Und alle freuen sich. Vorerst.

Leider folgen nun drei verschiedene Zwangsläufigkeiten für diese Kleinfamilie&Wellensittich-Konstellation, deren Wahrscheinlichkeiten zwar variieren, die aber alle unumstösslich in einer Tragödie enden:

1. Das Pärchen ist so glücklich, dass es dieses Glück auch gerne mit Freunden und Verwandten teilt und diese in ihre Behausung zum Nachtessen einlädt. Leider sind einige dieser Freunde und Verwandten dem Nikotin nicht unbedingt allzu abgeneigt. Der olle Opa vom Familienzweig des Weibchens geniesst sogar gerne mal eine dickrauchende Zigarre. Dies hat zur Folge, dass das Weibchen nicht nur regelmässig die Vorhänge in die Waschmaschine haut, sondern auch dass in der Wohnung immer wieder zünftig gelüftet wird. Dies wiederum gefällt den Lungen von Hansli überhaupt nicht, so dass es ihnen irgendwann reicht und sie schlapp machen. Dies widerum führt dazu, dass irgendwann nachts der Vogelsensenmann -oder der Sensenvogel?- dem Hansli einen Besuch abstattet, dieser von seinem Stängelchen kippt und kopfvoran in den Sand knallt. Die direkte Folge davon ist, dass am nächsten Morgen die kleine Samira Leonie -oder der Kevin, nur zu 49%, darum lasse ich ihn von jetzt an weg- im Schlafzimmer des Männchens und des Weibchens steht. Mit dem steifen Hansli in der Hand, mit Wasserfällen im Gesicht und der Behauptung, dass mit dem Hansli irgendetwas nicht stimmt.

2. Samira Leonie ist so glücklich über ihren neuen gefiederten Freund, dass sie ihre ganze Freude mit dem Hansli teilen will. Auch den frühlingsbedufteten Anblick des Gartens. Also holt sie sich den Hansli mitsamt seinem Käfig und hängt diesen an die Leiste im Garten, derweil Mama Weibchen am Telefon ihrer Freundin erzählt, dass sie gerade dabei sei, den Käfig vom Hansli zu putzen und zu diesem Zweck den Boden des Käfigs abgeschraubt und in den Geschirrspüler gepackt habe. Der Hansli aber freut sich in seinem Käfig so sehr über das bunte Frühlingstreiben da draussen, dass er sich das Ganze einmal aus der Nähe anschauen möchte und die grosse Flatter macht. Hansli verschwindet am Horizont, es fliessen Tränen und Schuldgefühle in der ganzen Wohnung.

3. Alle, Männchen, Weibchen und Samira Leonie schlafen tief und fest -und natürlich glücklich. Das Fenster im Elternschlafzimmer steht einen Spalt weit offen. Dies ruft den Nachbarkater Mozart auf den Plan. Mozart steigt ein und schlendert ins Wohnzimmer, wo er ganz fasziniert vor dem Käfig von Hansli stehenbleibt.
Am nächsten Morgen ist Samira Leonie wieder einmal als erste im Wachzustand. Sie will sich Zeichentrickfilme ansehen und geht ins Wohnzimmer. Schon im Flur erblickt sie die neue Federdekoration auf dem Teppich. Sie folgt der Gefiederschnitzeljagd bis vor Hanslis Käfig, der mit geöffnetem Türchen auf dem Boden liegt. Allerdings ohne Hansli darin. Samira Leonie schreit und schreckt den hinter dem Vorhang liegenden Mozart auf. Dieser stoppt seinen Sprint abrupt, beginnt krampfartig zu zucken, würgt mit weit aufgerissenen Augen, kotzt der Samira Leonie vor die Füsse und rennt weg. Auch Männchen und Weibchen werden nun von der Szenerie als Neuankömmlinge herzlich willkommen geheissen. Alle starren auf den halbverdauten Hanslikadaver in der Mitte der braunen Brühe vor ihren Füssen. Samira Leonie und Weibchen beginnen hysterisch zu kreischen und zu weinen, derweil sich Männchen um Ratio und psychologisches Geschick bemüht.

 
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Hallo nietzscheindianer,
deine fiese kleine Geschichte hat mir gerade den Abend versuesst!

Ich mag solche Geschichten, wo alles furchtbar ist und alle irgendwie unsymphatisch, aber trotzdem ach so menschlich, dass man schon wieder fast Mitleid bekommt, bzw. sich an seine eigene Nase fassen muss ...
Armer Hansli!
Gern gelesen, sammamish

 

Hallo nietzscheindianer!

Wirklich eine gemeine Geschichte, ich hatte durchweg ein fettes Grinsen im Gesicht! Dieser ironisch-trockene Tonfall hat mir sehr gefallen.
Den Einstieg fand ich super, das Ende allerdings kommt mir ein bisschen unfertig vor, so als müsste es eigentlich noch weitergehen, nicht in der Handlung sondern einfach noch was abschließendes. Du hast ja den Einstieg, die Überleitung und dann diese drei Möglichkeiten eines Endes und dann - keine Ahnung, mir fehlt da einfach was. Vielleicht seh aber auch nur ich das so. :)
Hat mich gut unterhalten, deine Geschichte.

Liebe Grüße,
apfelstrudel

 

hallo nietzscheindianer!

die geschichte habe ich sehr gerne gelesen; erstens mag ich den ton, zwietens die struktur (die drei möglichkeiten, mit dem unausweichlichen ende), aber vor allem (drittens:thumbsup:) den anfang!
weiter so,
steinheimer

 

Vielen Dank für eure netten Kommentare. Freut mich, dass die Geschichte euch gefallen hat.
Deine Anregung, Apfelstrudel, war gut. Hab darüber nachgedacht. Was du wahrscheinlich vermisst hast, war eine Art Fazit oder Moral zur ganzen Wellensittichkaufchose. Man solle sich besser einen japanischen Roboterhund kaufen oder irgendsoetwas. Wär mir aber zu fabelmässig gewesen und hätte die porträtierende Bösartigkeit des Textes untergraben.

 

hallo,

mir hat deine kleine Geschichte auch sehr gut gefallen, nur muss ich sagen, dass mir der Schluss fehlt. Bitte keine Moral und kein Fazit, einfach nur einen kleinen Ausblick, wie die Katastrophe weitergehen könnte, ein weiterer Vogel gekauft, der anfangs abgelehnte Hamster, den der Papa dann ersäuft, vor lauter Wut, weil die kleine keinen Hamster, sondern einen Vogel wollte oder sowas. So wie die Geschichte jetzt endet, fehlt etwas.

Georg

 

Hallo SchreiBär,
auch dir danke für den Comment
das Ganze sollte meiner Absicht nach schon ein Ende mit Schrecken und kein Schrecken ohne Ende sein.
Der Vater soll einen Hamster ersäufen? Dass wäre dann aber mal ein äusserst brutaler und gefühlskalter Vater.;)

 

Ganz nett, die Geschichte, nietzscheindianer,

die aber leider auch Fehler hat, die vermeidbar gewesen wären. Zuerst wären da die Klammern zu entfernen – dafür hat man ja den Gedankenstrich erfunden -, und dann auch die Ziffern 1, 2 und 3 vor den Alternativen.
Der Geschichte fehlt kein „richtiges“ Ende, sie hat ja deren drei - und damit zwei zuviel! -, denn die sind alle gleich: Das Kind weint, egal ob man das, wie du, als „Wasserfällen im Gesicht“, „es fliessen Tränen“ oder schlicht als „weinen“ nennt.
Die Idee eins zu eins niederzuschreiben reicht nicht ganz, man muss sich auch ein wenig Gedanken machen über die Form.

 

Hallo Sirius

Zitat: Der Geschichte fehlt kein „richtiges“ Ende, sie hat ja deren drei - und damit zwei zuviel! -, denn die sind alle gleich: Das Kind weint, egal ob man das, wie du, als „Wasserfällen im Gesicht“, „es fliessen Tränen“ oder schlicht als „weinen“ nennt.

Darauf zielt aber der ganze Plot ab. Dass alle drei Versionen in einer Tragödie und damit gleich enden (Hansli weg, Samira weint). Wenn es nur ein Ende gebe wäre ja der Witz der ganzen Sache weg.

Mit den Klammern gebe ich dir recht. Hab ich geändert. Bei der Nummerierung sehe ich es anders. Ist ja in der Literatur nichts ungewöhliches.
Danke auch Dir fürs Kommentieren

 

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