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Die Geschichte eines Schlafs

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25.10.2004
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Die Geschichte eines Schlafs

Liebenswürdigkeiten

Es ist Nacht. Ich weiß nicht wie spät, aber ich habe schon geschlafen, bin auch noch nicht richtig wach und warte auf den Traum, der eben noch so nah war, dass ich ihn fast anfassen konnte. Es ist unsinnig, jetzt aufzustehen, mitten in der Nacht. Ich sehe es ein. Ich halte meine Augen fest verschlossen und starre von innen auf die flirrenden Lider. Die winzigen, nächtlichen Geräusche nehmen in der Stille monströse Ausmaße an und die Anstrengung trotzdem schlafen zu wollen, macht mich endgültig wach.

Nebenan höre ich sie schnarchen, will sie nicht wecken indem ich an den Kühlschrank gehe und mir eine Scheibe Schinken nehme. Mit Schinkenduft im Hals einschlafen, das wäre schon schön, aber ich will sie nicht wecken und sie werden so leicht wach. In ihrem Alter hat man einen federleichten Schlaf. Es ist das Alter ohne Hunger, Schlaf und Bewegung, das wie ein Warten aussieht. Nur nachmittags, wenn sie auf dem Sofa über einer Illustrierten einnicken, kriegt man sie kaum wach. Man kann mehrmals an ihnen vorbeigehen, mit Schuhen, oder auch die quietschende Schranktür öffnen. Man kann sogar direkt neben ihnen stehen und über eine Szene im Fernsehen lachen. Nachmittags macht es ihnen nichts aus. Aber nachts hat sich eine Furcht eingeschlichen. Sie kam mit den ersten Krankheiten, die sich nicht heilen ließen, mit den Falten und der dauernden Müdigkeit. Nachts ist es zu still, als dass sich die Angst ignorieren ließe und sie können nicht anders, als in dieser Stille auf das Ende zu lauschen.

Sie haben mich spät gezeugt, mit sechsunddreißig. Heute wäre das normal, aber damals, als sie mich bekamen, war es die Ausnahme. Es war das Einzige, in dem sie Vorreiter waren und sicher nicht mit Absicht. Sie reden nicht davon und manchmal kommt es mir vor, als hätten sie gar keine Vergangenheit, als wären sie nur zum Essenkochen und wegen der leeren Felder im Kreuzworträtsel da. Aber nebenbei achten sie noch auf mich und ich beginne schon auf sie zu achten.

Plötzlich fällt mir ein, warum ich aufgewacht bin. Eine alte Erinnerung, aber jetzt bin ich erwachsen und es ist unnötig. Trotzdem bin ich wach, da ist nichts zu machen. Hier ist auch kein Traum, in den ich mich einlullen könnte. Ich denke nur daran, wie Vater gleich aufstehen wird, um auf die Toilette zu gehen, die meinem Zimmer gegenüber liegt.

Es ist ganz deutlich und kommt mir dennoch unwirklich vor. Das Geräusch der Schiebetür und der träge Atem, der sich nähert und der an meiner Zimmertür verklingt, nur für einen Moment, und dann wieder eine Schiebetür, diesmal meine, und ich sehe seinen groben Schatten da stehen, obwohl er kein Licht gemacht hat. Sein Atem ist jetzt ruhiger, will mich nicht wecken, ist vorsichtig, genauso vorsichtig, wie die Schritte auf meinem Teppich, die immer näher kommen. Ich spüre sein Gesicht über mir und kann hinter meinen Schlaf vortäuschenden Lidern ahnen, wie er prüfend über mir steht, mein Vater, der mich nicht wecken will und schaut, ob er leise genug war. Ein zufriedenes Atmen ist es jetzt, froh, dass ich so schön schlafe, dabei bin ich wach, wie ich immer wache, wenn er auf die Toilette will, ob er nun in mein Zimmer kommt oder nicht.

Er hat feste Zeiten, immer gegen drei und ich wache auf, kurz bevor er geht. So sind wir eingespielt und ich verpasse es selten. Nur, dass ich es heute noch weiß, wundert mich. In meinem Zuhause, das nicht mehr hier ist, das jetzt vierhundert Kilometer entfernt liegt, schlafe ich durch. Es gibt dort niemanden, der nachts aufsteht und an meinem Zimmer vorbeigeht. Es ist erstaunlich, dass ich immer noch eingespielt bin, nach all den Jahren des Durchschlafens.

Ich spüre ihn noch im Raum, aber er sieht mich nicht mehr an, so kann ich meine Augen vorsichtig öffnen und gucken, was er macht. Sein Rücken beugt sich über meinen alten Schreibtisch, der vollgeklebt ist mit kitschigen Aufklebern, deren Abbildungen ich gar nicht sonderlich mochte, als Kind, die ich nur hingeklebt hatte, weil sie zum Hinkleben da waren. Ich schließe die Augen lieber wieder und lausche. Das muss wohl auch eine Art Vorahnung sein, denn ich höre tatsächlich ein Geräusch, ein Plätschern von dort, wo mein Vater steht, wo die Aufkleber sind und ich früher meine Hausaufgaben gemacht hatte. Jetzt bin ich ganz wach. Das Plätschern wird heftiger, ein Rauschen, dann wieder Tröpfeln, noch ein kurzes erzwungenes Rauschen und dann nichts mehr. Ich richte mich im Bett auf, die Augen nun weit offen und ein Klopfen an den Schläfen.

Was!, denke ich und sage es auch laut, so dass mein Vater sich nach mir umdreht und ich seinen schlaffen, grauen Schwanz aus der Hose hängen sehe. Sein tröstendes Gesicht kommt im Dunkel auf mich zu und seine Hand streicht mir übers Gesicht. Sie riecht nach Urin, nach abgestandenem Urin. „Was!“, sage ich wieder und er streicht wieder über mein Gesicht und sagt „Schlaf ruhig weiter“, als wenn nichts gewesen wäre, aber hat er nicht eben gerade ..., hat er nicht auf meinen Schreibtisch gepinkelt? Und das sage ich dann auch laut, aber er hört es nicht und ich zweifle schon daran, dass ich es überhaupt gesagt habe und mit einer leisen Hoffnung überlege ich, dass er womöglich auch nicht auf meinen Schreibtisch gepinkelt hat, doch dann höre ich die Tropfen, die hinter ihm von der Tischkante auf den Stuhl fallen. Es ist ja wahr! Er hat es getan und ich suche nach Gründen, oder Ausreden, wie so etwas passieren konnte. „Mach dir keine Gedanken“, sagt er, der irgendwie mein Grübeln erahnt. „Morgen ist es wieder trocken.“ Ich sehe ihn erschrocken an und sage flüsternd, dass es stinken wird. Vater schweigt einen Moment, als suche er die richtigen Worte. Dann setzt er sich auf die Bettkante und antwortet nachdenklich: „Das glaube ich nicht. Ich habe mir extra Mühe gegeben.“

Nun weiß ich nichts mehr, wünschte mir nur, ich wäre doch aufgestanden, um mir eine Scheibe Schinken zu holen, aber ich bin nicht sicher, ob das etwas geändert hätte. Ich sollte etwas sagen, irgendwie protestieren und ihn auffordern, die Schweinerei wegzuwischen, aber er sitzt so selig an meiner Seite und sieht mich besorgt an, dass ich nichts sagen kann und nur entsetzt in sein Gesicht starre. „Schlaf jetzt weiter“, sagt er bestimmend und richtet sich schon auf. „Aber wer macht das jetzt weg!“, rufe ich dann doch noch hinterher, laut und deutlich, damit es möglichst real klingt und er es nicht überhören kann.

„Wegmachen?“, fragt er und dreht sich zu mir um. „Warum wegmachen?“ Er sieht mich ehrlich erstaunt an und erklärt mir, dass wir es natürlich liegen lassen, damit es trocknet. „Nein“, sage ich und dann nichts mehr, weil ich nicht verstehe. Vater beugt sich herunter und gibt mir einen Kuss auf die Stirn, auch seine Lippen riechen danach. „Mach jetzt kein Theater, sonst wird Mutter noch wach.“ Ich, Theater? Er, Er, Er hat in mein Zimmer gepisst. Aber das sage ich nicht, nur wieder nein und dass ich nicht einschlafen werde, solange es noch da ist und tropft.

Wir reden von ES und so ist es leichter, denn ich kann nicht anders über die Pisse meines Vaters reden. Er antwortet nicht, sieht mich nur bedauernd an und ich bekomme ein Gefühl, als würde er gleich ein Schlaflied für mich singen, dabei hat er noch nie gesungen, zumindest kann ich mich an so was nicht erinnern. „Vater, ich bin erwachsen“, schluchze ich und im selben Augenblick fällt mir ein, dass es auch für ein Kind unentschuldbar ist. Mein Vater nickt und sagt: „Ich weiß, mein Kind.“ Dann steigen mir Verzweiflungstränen in die Augen, die ich aber nicht zeigen will, obwohl ich sicher bin, dass er sie ohnehin in der Dunkelheit nicht sehen kann. Vielleicht brauche ich nur das Licht anschalten und alles wäre wieder gut. Ich stemme die Arme auf und will hoch, aber er hält mich zurück, drückt mich wieder ins Kissen und summt nun tatsächlich so was wie ein Lied. Ich starre ungläubig in sein Gesicht und denke: Vielleicht ist es jemand anderes, gar nicht mein Vater, sondern ..., ja wer, wer sollte es sein?

Wieder sage ich „Ich bin erwachsen“ und er nickt. Nickt und summt und wartet, dass ich einschlafe und ich frage mich, ob er mir eine Scheibe Schinken aus der Küche holen würde. Ich will mir den Geruch von diesem Schinken vorstellen, will nicht mehr dieses Andere. Ich lausche auf sein Summen und hoffe, dass, wenn ich mache was er verlangt, alles ungeschehen sein wird. Es kostet viel Anstrengung nicht an das Andere zu denken und sich ganz dem Summen hinzugeben und schließlich muss ich vor lauter Anstrengung wohl eingeschlafen sein und immernoch mit dem Summen im Ohr wache ich auf. Da ist auch wieder die Schiebetür, die vorsichtig aufgeht. Es ist hell und meine Augen müssen sich erst dran gewöhnen.

Da sind die wohligweichen Umrisse meiner Mutter, die mir in ihrer liebevollen Fürsorge das Frühstück ans Bett bringt. Sie ist überzeugt, dass ich so erschöpft von meinem eigenen Leben bin, dass ich von vorn bis hinten bedient werden muss. Der Duft von Brötchen und zerlaufener Butter steigt mir in die Nase und ich sehe auch eins mit Schinken. Meine Mutter gibt mir einen Kuss und rückt den Stuhl neben mein Bett und ich schreie: „Nein! Nicht auf den Stuhl!“ Mutter lässt ihn verschreckt los und sieht von mir zu dem Stuhl und fragt schließlich verwirrt, was denn los sei, der Stuhl wäre doch ganz in Ordnung.
„Der ist nicht in Ordnung“, antworte ich. Sie sieht sich den Stuhl näher an, skeptisch, und ruckelt an den Stuhlbeinen, kann aber nichts finden. Es muss getrocknet sein, denke ich.
„Was soll damit nicht in Ordnung sein?“, fragt mich meine Mutter und ich kann es ihr nicht sagen. Ich will auf keinen Fall mein Frühstück auf diesem Stuhl haben und ich sage es ihr, aber sie fängt nur wieder an zu schimpfen, von Krümeln und Resten und frischer Bettwäsche und Regeln, damit sie nicht soviel Arbeit hat und ihre ganze Fürsorge verschwindet dahinter. Schließlich nimmt sie den Teller mit den belegten Brötchen wieder mit. Ich kann es ihr nicht erklären. Ich kann es niemandem erklären und ich denke: Es sind nur vierhundert Kilometer und mit dem Zug bin ich in fünf Stunden da.

 

Hallo Simone,

deine Geschichte finde ich sehr eindringlich. Hervorragend, wie du den Mißbrauch darstellst, ohne ihn ein einziges Mal zu benennen.
Ja, besser/schlimmer noch, wie er noch fragwürdig erscheint, da die Mutter den Stuhl nimmt und das Frühstück bereit stellen will.
Sehr gut gelungen finde ich auch, wie du die Eltern beschreibst, ohne auch hier anklagende Worte zu verwenden.
Eine wirklich starke Geschichte!
Das Einzige, was mich zwischendurch gestört hat, war, dass du sehr oft vom "wach werden" geschrieben hast. Vllt. läßt sich hier und da was kürzen.

Liebe Grüße
Katinka

 

Liebe Simone!

Auch ich fand Deine Geschichte sehr gut und nahegehend, sie klingt sehr realistisch.

Wenn ich es richtig verstehe, ist die Protagonistin schon seit Jahren ausgezogen, vierhundert Kilometer weit weg, und aus irgendeinem Grund bei ihren Eltern zu Besuch. Als sie in ihrem alten Bett liegt, wacht sie wie früher nachts auf, obwohl sie in ihrer eigenen Wohnung durchschläft. Sie weiß erst noch nicht, warum, aber als sie den Vater hört, wird es ihr bewußt, und wie früher kommt er zu ihr ins Zimmer.
Etwas irritierend fand ich, daß er auf den Tisch pinkelt und nicht onaniert oder sich körperlich an ihr zu schaffen macht. Anfangs dachte ich ja noch, sie hätte es als Kind so gesehen, weil sie nicht wußte, was er wirklich tut, aber es ist ja doch die Wahrnehmung der erwachsenen Protagonistin, also wird es wohl tatsächlich so sein. Das ist dann schon besonders pervers, wobei ich da auch die einzige unlogische Stelle ausmache: Wenn er immer auf den Tisch gepinkelt hat und es dann trocknen ließ, mußte man das doch sehen, und selbst, wenn die Mutter vielleicht jeden Morgen feucht über den Tisch gewischt hat, muß die Säure das Holz oder die Furnier angreifen. Ich würde es ihn anschließend mit Klopapier von gegenüber abwischen lassen; die Tropfen am Sessel kann er dabei ja auslassen.

Wovon die Geschichte aber vor allem erzählt, und das ist das Schlimmste: das Schweigen darüber. Wie die Tochter in der Nacht alles geschehen läßt, vor der Mutter den Mund hält, an der eigenen Wahrnehmung zweifelt und schließlich in der Heimfahrt die Erlösung sieht.

ich frage mich, ob er mir eine Scheibe Schinken aus der Küche holen würde. Ich will mir den Geruch von diesem Schinken vorstellen,
Pfui, nein, von den Fingern wollte ich keine Scheibe Schinken geholt haben, dann lieber keinen Schinken! ;)

KatinkaH schrieb:
Das Einzige, was mich zwischendurch gestört hat, war, dass du sehr oft vom "wach werden" geschrieben hast.
Das eine oder andere »wach geworden« könntest Du vielleicht durch »munter geworden« ersetzen.
Was ich vermisse (oder hab ich es überlesen?), ist die Verwendung des Aufgewachtseins im übertragenen Sinn – hätte hier sehr gut reingepaßt, vielleicht findet es ja noch einen Platz? Oder einfach »Aufgewacht« anstelle des jetzigen, wenig aussagekräftigen Titels? Also, wenn es meine Geschichte wäre, würde sie so heißen. :)

Ein paar Kleinigkeiten noch der Reihe nach:

»starre von Innen auf die flirrenden Lider.«
innen

»die Anstrengung trotzdem schlafen zu wollen,«
– Anstrengung, trotzdem

»Sie haben mich spät gezeugt, mit Sechsunddreißig.«
sechsunddreißig

»Es war das Einzige, indem sie Vorreiter waren«
– in dem

»aber jetzt bin ich erwachsen und es ist unnötig aufzuwachen.«
– unnötig, aufzuwachen

»und ich sehe seinen groben Schatten da stehen,«
– statt »da stehen« fände ich »im Zimmer stehen« schöner

»kann mir hinter meinen schlafvortäuschenden Lidern vorstellen,«
– Schlaf vortäuschenden
– statt dem zweimaligen vor- könntest Du »ausmalen« statt »vorstellen« verwenden

»Ein zufriedenes Atmen ist es jetzt, froh, dass ich so schön schlafe, dabei bin ich wach, wie ich immer wach bin, wenn er auf die Toilette will, ob er nun in mein Zimmer kommt oder nicht.«
– Ist der hintere Teil nicht Rückblick und müßte lauten »wie ich immer wach war, wenn er auf die Toilette wollte, ob er nun in mein Zimmer kam oder nicht«?

»Er hat feste Zeiten, immer gegen Drei und ich wache auf,«
drei

»Nur, dass ich es heute noch weiß wundert mich.«
– weiß, wundert

»deren Abbildungen ich gar nicht sonderlich mochte als Kind,«
– würde ich umstellen: deren Abbildungen ich als Kind gar nicht sonderlich mochte

»noch ein kurzen erzwungenes Rauschen«
– kurzes

»„Was!“,sage ich nochmal und er streicht wieder über mein Gesicht und sagt: „Schlaf ruhig weiter“, als wenn nichts gewesen wäre, aber hat er nicht eben gerade... ,«
– Leertaste vor »sage« fehlt
– statt »nochmal« fände ich »noch einmal« schöner, da Du sonst auch nicht so abgekürzt schreibst
– keinen Doppelpunkt nach »sagt«
– Leertaste vor die drei Punkte

»dass er wohlmöglich auch nicht auf meinen Schreibtisch gepinkelt hat,«
– womöglich

»Es ist ja wahr.«
– statt dem »ja« fände ich »doch« oder »tatsächlich« passender

»Ich sollte was sagen, irgendwie protestieren«
– »etwas« wäre schöner

»„Warum wegmachen?“Er sieht mich ehrlich erstaunt an«
– Leertaste fehlt vor »Er«

»Er, Er, Er hat in mein Zimmer gepisst.«
– das zweite und dritte »Er« klein

»Aber das sage ich nicht, nur wieder Nein und dass ich nicht einschlafen werde,«
– würde das »Nein« in Anführungszeichen und klein schreiben

»Ich stemme die Arme auf und will aufstehen,«
– statt dem doppelten »auf« schlage ich »Ich drücke mich mit den Armen hoch« vor

»Ich starre ungläubig in sein Gesicht und denke: vielleicht ist es jemand anders, gar nicht mein Vater, sondern..., ja wer, wer sollte es sein?«
Vielleicht (ganzer Satz nach dem Doppelpunkt)
– Leertaste vor die drei Punkte

»Wieder sage ich: „Ich bin erwachsen“ und er nickt.«
– in dem Fall keinen Doppelpunkt

»Ich lausche auch auf sein Summen«
– würde das »auch« streichen

»und schließlich muss ich vor lauter Anstrengung wohl eingeschlafen sein und immernoch mit dem Summen im Ohr wache ich auf.«
– würde nach »sein« einen Punkt machen und aus dem Summen und Aufwachen einen eigenen Satz machen.

»„Nein! Nicht auf den Stuhl!“Mutter lässt ihn verschreckt los«
– Leertaste vor »Mutter«
– ich würde eher sagen »erschrocken« als »verschreckt«

»und ich denke: es sind nur vierhundert Kilometer«
Es


Liebe Grüße,
Susi :)

 

Liebe KatinkaH, liebe Susi,

Danke für eure Kritik. Es ist wirklich nicht einfach zu interpretieren, wenn ich mir die Kritiken so ansehe. Mein Fehler. Es ist auch schwierig.
Meine Idee war eine Geschichte über Eltern, die ihre Kinder mit all ihrem Gutwollen, mit ihren eigenen, manchmal absurden (Fehl)Vorstellungen, die ja immer mit viel Liebe serviert werden, verletzen.
Das ganze wollte ich in die Unwirklichkeit der Nacht wickeln, damit man es richtig übertreiben kann.
Alle lesen, oder möchten gern eine Vergewaltigung lesen. Ist es aber nicht und da fängt es an zu stocken.
Alles was passiert ist, dass der Vater in seiner Orientierungslosigkeit auf den Schreibtisch pinkelt, was er früher gemacht hat, sollte keine Rolle spielen, spielt es auch nicht. Vielleicht ist er einfach nur reingekommen, um nach ihr zu sehen, vielleicht hat er öfter das Zimmer verwechselt, aber noch den Bogen gekriegt, den er im Alter nicht mehr kriegt. Und dann versucht er seine Tochter zu trösten, ohne sich seine Tat bewußt zu machen, was Eltern selten tun. Und wer weiß, ob es wirklich passiert ist. Am Ende ist es eben nur ein Traum- schlimm genug, denn er erzählt von den mit Liebe verteidigten Grenzüberschreitungen in der Familie.
Logik ist hier vielleicht fehl am Platz. Es ist eine überspitzte Metapher für all die gutgemeinten Ungerechtigkeiten der Erziehung. Es ist eher ein Gefühl, das es ist tausend kleinen Scheußlichkeiten gibt, hier vielleicht ein bisschen sehr fehlinterpretierbar. Daran muss ich noch arbeiten.

Die meisten Hinweise habe ich dankend umgearbeitet, andere sind zwar durchaus richtig, aber schädlich für den Sound.

 

Hallo Simone!

Alle lesen, oder möchten gern eine Vergewaltigung lesen.
Von einer Vergewaltigung hat bisher niemand gesprochen und zumindest ich wollte auch keine lesen. Mißbrauch muß nicht gleich Vergewaltigung sein; auch wenn sich einer durch das Ansehen des Kindes befriedigt, mißbraucht er es.

Meine Idee war eine Geschichte über Eltern, die ihre Kinder mit all ihrem Gutwollen, mit ihren eigenen, manchmal absurden (Fehl)Vorstellungen, die ja immer mit viel Liebe serviert werden, verletzen.
[…]
Es ist eine überspitzte Metapher für all die gutgemeinten Ungerechtigkeiten der Erziehung.
Nein, sorry, aber das kann ich aus Deiner Geschichte beim besten Willen nicht herauslesen.
Was hat es mit »Gutwollen« oder »Ungerechtigkeiten in der Erziehung« zu tun, wenn der Vater in der Nacht ins Zimmer kommt und auf den Tisch pinkelt(!)? Und wo ist die »absurde (Fehl)Vorstellung« der Mutter, wenn die Tochter ihr nicht sagt, warum sie nicht will, daß sie das Frühstück auf den Sessel stellt?

Die einzige Stelle, die auf so etwas hindeutet, ist diese, …

„Vater, ich bin erwachsen“, […]
„Ich weiß, mein Kind.“
… aber das paßt zur von mir vermuteten Mißbrauchsgeschichte mindestens genauso gut.
Dafür, daß der Vater in geistiger Verwirrung die Tür verwechseln soll und auf den Tisch pinkelt, gibt er meiner Meinung nach viel zu klare Antworten. Auch, daß er vorsichtig/leise ist und ihr über den Kopf streichelt, zeigt eher, daß er sehr wohl weiß, wo er sich befindet. Auch die Aussage …
„Mach dir keine Gedanken“, sagt er, der irgendwie mein Grübeln erahnt. „Morgen ist es wieder trocken.“
… bestätigt nicht unbedingt die geistige Verwirrung und eine Verwechslung des Klos mit dem Tisch, die Du zu zeigen glaubst.
Außerdem, denke ich, sollte man doch drüber reden, wenn jemand so verwirrt ist, daß er im Zimmer auf den Tisch pinkelt. Das hat absolut nichts mit der Erziehung zu tun.

Sätze wie diese …

Plötzlich fällt mir ein, warum ich aufgewacht bin. Eine alte Erinnerung,
[…]
Ich spüre sein Gesicht über mir und kann hinter meinen Schlaf vortäuschenden Lidern ahnen, wie er prüfend über mir steht, mein Vater, der mich nicht wecken will und schaut, ob er leise genug war. Ein zufriedenes Atmen ist es jetzt, froh, dass ich so schön schlafe, dabei bin ich wach, wie ich immer wache, wenn er auf die Toilette will, ob er nun in mein Zimmer kommt oder nicht.
[…]
Es ist erstaunlich, dass ich immer noch eingespielt bin, nach all den Jahren des Durchschlafens.
[…]
und ich seinen schlaffen, grauen Schwanz aus der Hose hängen sehe. Sein tröstendes Gesicht kommt im Dunkel auf mich zu und seine Hand streicht mir übers Gesicht.
[…]
Dann setzt er sich auf die Bettkante und antwortet nachdenklich: „Das glaube ich nicht. Ich habe mir extra Mühe gegeben.“
[…]
Es kostet viel Anstrengung nicht an das Andere zu denken
[…]
ich kann es ihr nicht sagen.
[…]
Ich kann es ihr nicht erklären. Ich kann es niemandem erklären
… lassen eigentlich nur den Schluß auf Mißbrauch zu. Einerseits wirkt der Vater wie gesagt nicht verwirrt, so wie er sich verhält und reagiert, andererseits wäre es, wenn die Tochter annimmt, daß er geistig verwirrt ist, an ihr, mit der Mutter darüber zu reden (sie ist schließlich erwachsen). Ich verstehe nicht, was es da zum Nicht-drüber-reden-Können geben sollte, schließlich kann so eine Verwirrung Anzeichen für ernste Krankheiten sein, etwa einen Gehirntumor. Das fände ich dann eher verantwortungslos von einer Erwachsenen dem Vater gegenüber.

Ich kann Dir nicht sagen, was Du ändern kannst, damit Deine Intention zum Vorschein kommt, da die Geschichte von Grund auf viel zu weit davon entfernt ist und nicht nur in den oben zitierten Sätzen die Mißbrauchsvermutung viel näher liegt.

Wie gesagt: Als Mißbrauchsgeschichte wäre sie sehr glaubwürdig, dann solltest Du nur das Pinkeln durch ein Onanieren ersetzen, damit es nicht so verwirrt. Eine kleine Änderung und die Geschichte wäre wirklich gut und würde das Auftauchen der Erinnerung und dieses Schweigen über den Mißbrauch zeigen, das ich in meiner ersten Kritik beschrieben habe.
Für Deine Erziehungs-Version finde ich auch diese »kann es nicht sagen«-Sätze zu übertrieben, während sie zum Schweigen über den Mißbrauch gut passen würden.

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Simone,
nach langer Abstinenz auf dieser website war Deine Geschichte die erste, die ich gelesen habe.

Also: Ich hab mir keinen Kommentar angesehen, sondern nur Deine Geschichte gelesen.

Ich habe Deine Geschichte mit Neugier, mit Spannung gelesen. Anfangs dachte ich: "Altenheim". Da liegen kranke Alte, Du hast dieses Schnarchen, dieses Liegen, so nachfühlbar geschrieben. Und nebenan liegt der Protag, der jünger ist, vielleicht behindert und nun in so einem Schlafsaal gelandet ist.

Die Beschreibung der Eltern - phänomenal. Irgendwie grau, verschleiert, fast nicht mehr da.

Dann erzählst Du von den Eltern, die nebenan liegen. Ich dachte anfangs, sie lägen alle 3 in einem Zimmer.

Als der Vater sich dem Protag-Bett nähert, dachte ich anfangs "na, er wird doch nicht". Aber dann kam der Kuss und für mich war dann die Vorahnung "Missbrauch" abgehakt. Wäre auch irgendwie nicht passend gewesen. Würde ein erwachsener, missbrauchter Mensch sich nach nebenan ins Zimmer legen? Ich weiß nicht.

Ich frage mich, wie der alte Mann es geschafft hat, auf den Schreibtisch zu pieschern. Ist er auf den Stuhl gestiegen, war es ein Kinderschreibtisch, der noch ziemlich niedrig ist oder war Papa ziemlich groß, oder geht das ziemlich einfach bei entsprechender Handhabung?

Als Töchterchen dann am Frühstückstisch saß, da dachte ich "nur ein Traum".

Also, ich hab Deine Geschichte so gelesen, wie Du sie gemeint hast, es kam auch rüber, dass diese Gewohnheiten, diese alltäglichen jahrzehntelangen Gewohnheiten auch jetzt, nach langen Jahren immer noch an der Tagesordnung waren, jedoch könntest Du da noch ein bisschen mehr Überzeugungskraft hineinfließen lassen.

Ich werde Deine Geschichte jetzt noch einmal ganz in Ruhe lesen und genießen.

Grüße Heidi

 

Ja, am besten nehme ich meine Idee und renne damit mal ein paar Meter weiter und versuchs nochmal ganz anders. Die Nähe zum Missbrauchgefühl war schon so gemeint, aber es geht zu weit. Das ist wahr. Die Gradwanderung haut hier überhaupt nicht hin.
Wenn einer von dreien es dann doch so liest, ist das schön, aber mir wärs auch lieber, wenn es ganz unmissverständlich aufgelöst wäre.
War trotzdem ne schöne Übung und ich danke allen für die Rückmeldungen.

Liebe Grüße, Simone.

(PS: Mit Alle waren auch Freunde gemeint, die hier nicht posten, aber is nicht so wichtig)

 

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