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Die Goldfisch-Methode

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28.06.2006
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Die Goldfisch-Methode

Wissen Sie, wie viel Ihr Leben wert ist? Ich weiß es. Vor zehn Jahren traf ich eine Abmachung mit einem Jungen. Heute ist er vierundzwanzig, Auftragskiller und sitzt mir gegenüber; seine Hand hält eine Magnum, deren Lauf zwischen meine Augen zielt. In seinem Gesicht erkenne ich so etwas wie Mitleid, aber auch den unbedingten Willen, das Versprechen auszuführen, das er mir geben musste.
Damals dachte ich, mir selbst eine Frist von eben diesen zehn Jahren setzten zu müssen, in denen ich mein Leben in den Griff zu kriegen hoffte. Ich gab dem Jungen fünfzig Mäuse, damit er mich umbrächte, sollte ich es nicht schaffen. Für diese Summe bekommt man in einem Mittelklassehotel in Bombay nicht einmal eine Tasse Tee.
So viel ist also mein Leben wert: Weniger als einhundertfünfundzwanzig Milliliter Orange Pekoe.
Der Junge heißt eigentlich Georg, doch alle nennen ihn den goldenen Fisch, weil er eine Schwäche für orangefarbenes Haar hat und nach der Goldfisch-Methode lebt: Plane dein Leben höchstens drei Sekunden im Voraus. Was keinesfalls bedeutet, er wäre dazu nicht imstande. Nein, er ist lediglich davon überzeugt, Pläne zu verfolgen führe ins Verderben.
Bei der ganzen Geschichte gibt es einen Haken: Ich stehe kurz davor, mein Leben zu zähmen, ich benötige noch einen Monat, höchstens. Aber der fünfzehnte August ist heute. Vier Wochen. Null komma null-null-zwo-drei-fünf, gerundet natürlich, wenn man diese Zeitspanne, gerechnet an meiner jetzigen Lebensdauer, angeben will. Mit fünfundzwanzig Jahren sollte man keine Geschäfte mit Kindern besiegeln, schon gar keine, bei denen Geld im Spiel ist. Nur, wozu sich Gedanken machen? Ich rechne mit weniger als zwei Prozent Überlebenschancen, und Georg die Situation zu erläutern wäre nicht nur Zeitverschwendung sondern schlichtweg dumm.
Und dennoch, irgendwie hänge ich am Leben, daran, wie es geworden ist und noch werden könnte. Nicht alles in den letzten Jahren misslang, manches lief glatter als erwartet, und seit Maria diese Dessous trägt...
Georgs Hand zittert, ob vor Aufregung oder Angst kann ich nicht beurteilen. Vermutlich hat auch die geschwollene Armbeuge etwas damit zu tun. Immer wieder späht er zur Digitaluhr. Irgendwie amüsiert mich der Gedanke, um Punkt fünfzehn Uhr fünfzehn zu sterben. Keine Sekunde früher, keine Sekunde später. Es ist jetzt zehn nach drei.
Ich beginne mit den Beinen zu wippen und bringe Georg durcheinander, ohne es zu wollen. Als könne er die Spannung nicht mehr ertragen, erschlafft sein Körper, er lässt die Waffe sinken und stützt sich mit beiden Armen auf seine Oberschenkel. Die Hand, die den Griff umklammert, schwingt wie eine Sense hin und her, den Kopf hält er gesenkt.
Sieht einem Auftragskiller gar nicht ähnlich, zwischendrin die Nerven zu verlieren, ohne einen Versuch des Verbergens zu unternehmen. Georg steht auf und wandert durchs Zimmer. Das Haar ist schweißverklebt. Vielleicht liegt es auch an dem überheizten Zimmer, in dem ich vor Kälte zittere.
Ich beobachte ihn stumm, versuche aber, nicht zu viel zu starren. Er sagt nichts mehr, seit er mir den Mund verbunden hat. Wozu auch, ich könnte doch nicht antworten, und eine verbale Folterung sieht ihm nicht ähnlich. Außerdem glaube ich nicht, dass er das drauf hätte. Ganz ehrlich.
Zuvor sprach er von Versprechen unter Männern und entschuldigte sich für die Nase, die er mir, so war er überzeugt, einschlagen hatte müssen, um mich überwältigen zu können.
Allmählich fühle ich die abgeschnürten Hände und Füße nicht mehr. Nun, die Blicke der Zuschauer schneiden ohnehin tiefer ins Fleisch. Georg hat drei seiner Freunde mitgebracht. Sie sitzen auf der Couch, rauchen und warten. Ich frage mich, wozu das Publikum. Georg hat Prahlerei nicht nötig, jedenfalls glaube ich das, oder er möchte in irgendeine höhere Liga aufsteigen, die mir unbekannt ist. Als Beweis dient der Mord an einem Freund vor Zeugen. Möglich ist es immerhin, und unter diesem Gesichtspunkt ist mein Tod wenigstens zu etwas nütze. Obgleich ich mich seit Jahren nicht mehr zu Georgs Freunden zähle.
Zwölf nach drei. Georgs Schwäche für aufdringlich klappernde Sohlen zerrt an meinen Nerven. Die drei stört offenbar überhaupt nichts, sie ignorieren das Pochen an der Tür ebenso wie den Gestank nach fauligem Abfluss und altem Blut, der aus dem Bad strömt.
Dreizehn nach drei. Ich beschließe, nicht abergläubisch zu sein.
Vierzehn nach drei. Ich habe ein Déjà-vu. Plötzlich geht mir alles zu schnell. In einer Minute soll alles vorbei sein? Ich weiß, es kann nicht so sein. In letzter Sekunde kommt immer etwas dazwischen. Wie beruhigt man sich selbst, wenn man der Verursacher ist? Noch zwanzig Sekunden.
Georg hat sich wieder vor mir niedergelassen, der Lauf seiner Magnum drückt eisig gegen meine Stirn. Er mag es nicht, wenn man ihn Profi nennt, doch genau das ist er in diesem Augenblick. Ruhiger habe ich ihn nie erlebt; und weiter entfernt ebenso wenig.
Er fragt mich, ob ich bereit sei. Ich nicke. Für Zweifel ist es zu spät. Er beginnt, die Sekunden abwärts zu zählen. Ich zähle nicht mit.
Zehn. Neun. Acht. Sieben.
Und was, wenn die Uhr falsch läuft? Absurder Gedanke, ich schüttle im Geiste den Kopf.
Sechs. Fünf. Vier.
Mein rechter Nasenflügel juckt.
Drei. Zwei.
Das Herz rast, ich dachte das wäre...
Eins. Guter Goldfisch.

 

Hallo zusammen!

Diese Geschichte passt nirgends so richtig dazu, also habe ich sie mal bei Sonstige eingestellt.
Ich war hier noch nicht viel unterwegs, vielleicht hat trotzdem jemand Zeit und Muße, ein paar Worte dazu zu sagen? :) Würde mich sehr freuen.

Grüße, Plasma

 

Hallo Plasma!

Sauber und flüssig geschrieben, inhaltlich interessant, wenn ich mich auch an einen Film (?) erinnert fühle, der mir partout nicht einfällt (vll irre ich mich da aber auch). :)
Nur eines ist furchtbar:

Streichen! Passt auch nicht zur Erzählerperspektive.

Fazit: Schönes Geschichtchen, dass vll ein wenig mehr psychologischen Tiefgang vertragen könnte.

Beste Grüße

Nothlia

 

Hallo Nothlia!

Danke für Deine Antwort. Film? Nun, mir fällt keiner ein, an den ich sie angelehnt hätte. Aber es gibt sicher Parallelen, das kann man nie vermeiden. :)
Peng streichen ... ok, überzeugt.
Mehr Tiefgang wird schwierig, kann ich aber versuchen.

Liebe Grüße
Plasma

 

Hey Plasma,

hm, mir fehlt die Wendung am Schluß. Also das Ausbleiben der Wendung ist dann so eine Art Wendung. Die Idee mit dem selbstgesetzten Countdown reicht eigentlich schon, um die Geschichte über die Distanz zu tragen - der Countdown zur Ehe (Wenn wir bis 35 noch keinen haben, heiraten wir) ist da ein ziemlich häufig genutzes Motiv, das hier mit dem Lebens-Countdown weniger.

Woran es ein bisschen krankt ist "Georg", finde ich. Also warum er da extra eine Methode haben soll zu leben - und das wird auch gar nicht richtig aufgegriffen. Dadurch dass er kein Wort sagt, wirkt er zwar wirklich wie ein Profi, aber man erlebt ihn eben auch nur aus zweiter Hand. Und der Erzähler selbst ist zu sehr damit beschäftigt, dem Leser zu erklären, wie er in die Situation kam und wie alles aussieht, um wirklich plastisch zu werden und der Situation auch noch Tiefe zu geben. Er nimmt das so - dem Genre geschuldet - überaus cool hin. Was die drei Freunde da sollten, leuchtet mir nicht ein. Die nehmen nur unnütz Raum ein, ohne der Geschichte irgendwas hinzuzufügen.

Also ich finde die Geschichte in der Form als Happen für zwischendurch durchaus appetitlich, könnte mir aber vorstellen, dass da noch viel Potential brach liegt in der Idee und in der Situation.

Gruß
Quinn

 

Hallo Plasma,

mich beschäftigen da ähnliche Fragen wie Quinn.
Die Grundidee mit dem Countdown finde ich gut.
Der Rückblick und das Sinnieren deines Prots jedoch finde ich etwas zu lahm umgesetzt. Die entscheidenden Punkte werden nicht angeschnitten, so dass das gesamte Bild für mich etwas kantig geschnitzt wirkte. Runder käme die Sache daher, wenn du die Andeutungen feinschleifen würdest. Worin sollte denn der Lebenswandel bestehen, und aus welchem Lebensstil heraus überhaupt?
Diese kargen Anmerkungen

und seit Maria diese Dessous trägt...
sind da einfach zu wenig um ein wohlgeformtes Bild abzuliefern. Die drei Typen im Hinterrund sind schlichtweg unnötig. Liest sich wie der Rest einer Idee, die du gestrichen hast, wobei dir die Jungs beim Löschen entgangen sind. ;)
Auch begreife ich nicht so recht, warum der Killer dann plötzich so nervös wird ... Lauter kleine Unstimmigkeiten.
Dennoch, recht spannend war der Happen schon. Das macht es allerdings auch erst so schade, denn hier wäre auf jeden Fall mehr drin gewese.
Eine Überarbeitung würde sich auf jeden Fall lohnen :)

grüßlichst
weltenläufer

 

Hi Quinn!
Hi weltenläufer!

Herzlichen Dank für Eure Antworten.
Also ich muss gestehen, dass ich mir auch dachte, mehr aus der Idee herausholen zu können, aber irgendwie wollte mir dann nichts geeignetes einfallen und ich sie einfach fertig bringen. :)
Eure Anmerkungen geben mir auf alle Fälle gute Hinweise und ich werde versuchen, die Geschichte zu verbessern und runder zu schleifen.

Beste Grüße
Plasma

 

Hallo Plasma!

Deine Geschichte hat mir eigentlich recht gut gefallen, sie liest sich flüssig und spannend, besonders das Ende fand ich gut. Diese absurden Gedanken, ja was denkt man eigentlich, bevor man stirbt? ;) Auch der Einstieg ist klasse.
Was mir ein bisschen gefehlt hat, war der Bezug zu dieser Goldfisch-Methode. Aus irgendeinem Grund muss die Geschichte diesen Titel doch verdient haben. Es wird zwar erwähnt, aber irgendwie erschließt sich mir nicht, warum das jetzt gerade bedeutend ist. Genauso gut könnte Georg ein abgewrackter Penner sein, das würde auch nichts ändern, das ist mir ein bisschen zu wahllos. Vielleicht kannst du da noch was ausbauen.
Sonst hat es mir sehr gut gefallen.

Liebe Grüße,
apfelstrudel

 

Hi apfelstrudel!

Danke für Deine Antwort, es freut mich sehr, dass Dir die Geschichte gut gefallen hat. :)
Der Bezug zur Goldfisch-Methode ist tatsächlich etwas dürftig ausgefallen; wobei ich versucht habe, mit dem "Guter Goldfisch"-Gedanken des Prots am Ende an Georgs Nicht-Planen-Methode anzuknüpfen, um so eine Art Geschlossenheit zu erreichen.
Wie dem auch sei, ich muss und werde mich da noch mal dransetzen.

Liebe Grüße
Plasma

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Plasma!

Ich mag deine "Fingerprints". :)
Die Geschichte ist einfach und elegant gehalten. Ich hätte ja gerne noch weitere Möglichkeiten der Methode gesehen, aber du hast hier einen stilistisch schönen Text abgegeben.

lg, :kuss: LE *üld*

 

Aktuelles Buch: Handbuch der medizinischen Therapien
:idee: :D

Hi Lems Erbe!

Und ich mag Deine Antworten. :)
Freut mich, wenn Dir die Geschichte zusagt. Sobald ich Zeit hab, überlege ich mir weitere Methoden des Goldfisches.

Grüße
Plasma :kuss:
*üldagv*

 

Hallo Plasma,

lebhafte Beschreibungen, die sich nach und nach zu einem bunten Bild zusammenfügen und am Schluss der Big Bang. Die Geschichte gefällt mir jetzt schon sehr gut. Die allerletzten Worte könnten noch besser sein. Schließlich will man als Leser wissen, wie es so ist, erschossen zu werden. ;)

Freundliche Grüße vom

Berg

 

Hi Berg!

Dabei war die Story mehr ein Schnellschuss und Selbstläufer, aber ich lasse mir auf alle Fälle noch etwas einfallen, um sie zu verbessern. Lieben Dank jedenfalls für Deine Antwort und fürs Gutbefinden. :)

Grüßlichst
Plasma

 

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