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Die große Show des Ladislaus Kopelka

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09.10.2009
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Die große Show des Ladislaus Kopelka

Die Eieruhr auf dem Tisch, an dem Ladislaus Kopelka sitzt, sieht aus wie eine Paprika, rot mit grünem Stiel, ein fröhliches, harmloses Küchenutensil. Für Ladislaus Kopelka ist sie der Inbegriff des Terrors. Er hasst sie, wie er in seinem ganzen Leben noch nie etwas gehasst hat und mit Hass kennt sich Ladislaus Kopelka wahrhaftig aus.
Tick-Tick, Tick-Tick, das Geräusch ist beinahe monströs in seiner Unbarmherzigkeit. Noch niemals hat Ladislaus Kopelka das Verstreichen der Zeit als solches wahrgenommen. Natürlich, er wird älter, verliert Sekunde um Sekunde im Strudel der Ewigkeit, aber ein Mann hat andere Dinge im Leben zu tun, als Unabänderlichkeiten zu beklagen.

Ladislaus Kopelka sitzt, nackt bis auf eine abgenutzte weiße Boxershorts und ein ebenfalls weißes Feinrippunterhemd, auf einem Stuhl. Der Schirm der einzigen Stehlampe in seiner Wohnung ist genau auf diesen Stuhl ausgerichtet, so dass Ladislaus beinahe erhaben in einem Kreis aus Licht sitzt. Der Stuhl knarrt unter Ladislaus vorsichtigen Bewegungen. Er hat zugenommen in den letzten Jahren; die Folge von zu wenig Bewegung und ungesundem Essen. Flüchtig fragt er sich, was passiert, wenn sein Gewicht zuviel für den Stuhl wird. Es ist schließlich nur ein billiges Exemplar aus geleimtem Holz, dass Ladislaus vor ein paar Jahren auf einem Trödelmarkt erworben hat. Der dunkelbraune Lack wirft an manchen Stellen Blasen und das Polster ist ein wenig abgewetzt, aber es ist immer noch ein guter Stuhl.
So zumindest hat Ladislaus bisher gedacht.
Nun allerdings, da sich die Kante des Stuhls schmerzhaft in seine teigigen Oberschenkel bohrt und sich die Haare, die über den Rückenausschnitt seines Unterhemdes wuchern, ziepend im Korbgeflecht der Rückenlehne verfangen, ändert er seine Meinung. Der Stuhl ist ein Folterinstrument, einzig zur persönlichen Qual von Ladislaus Kopelka konstruiert. Eine Träne, dick und schwer, rinnt aus seinem rechten Augenwinkel und bahnt sich einen Weg über seine zerfurchte Wange; Aknenarben, die letzten Überreste einer längst vergangenen Jugend. Die Träne verharrt einen Moment am Kinn, dann tropft sie hinab in Ladislaus ergrautes Brusthaar. Im grellen Licht der Stehlampe funkelt sie wie ein Diamant.
"Hey, seht doch mal. Der Opa weint."
Die Stimme kreischt fast vor Lachen, klingt kalt und doch hysterisch. Eine junge Stimme, doch in Ladislaus Ohren klingt sie wie die Stimme des Teufels. Eine Gestalt tritt in den Schein der Stehlampe, dunkel fällt ihr Schatten auf Ladislaus.
"Haste Schmerzen, Pappi?" lacht die Stimme. Sie lacht noch lauter, als Ladislaus nickt; antworten kann er nicht.
"Och, das tut uns aber Leid, nicht wahr?"
Hysterisches Kichern aus dem Hintergrund, dem dunklen Hintergrund der Wohnung ist die Antwort auf die Scheinheiligkeit seines Peinigers.

Sie sind zu dritt erinnert sich Ladislaus; eine Tatsache, die ihm seltsamerweise immer wieder entgleitet. Nicht ein Teufel ist aus der Hölle aufgestiegen, um ihn zu quälen, sondern gleich drei!
Eine behandschuhte Hand tätschelt die wenigen Haarsträhnen, die das Alter auf Ladislaus Kopelkas Kopf gnädig zurückgelassen hat.
"Mach dir nix draus, Pappi. ist ja nicht mehr für lange. Ist doch bloß ne viertel Stunde."

Tick-Tick, Tick-Tick. Die Anzeige an der Paprika ist auf dreizehn Minuten vorgerückt, eine lächerlich kurze Zeitspanne und doch endlos. Die tätschelnde Hand zieht sich zurück; der Schatten, der den Lichtkreis verdeckt, wird wieder eins mit der Schwärze der Wohnung. Ladislaus Kopelka ist allein und ist zugleich doch nicht allein. Im Gegenteil, Hunderte, wenn nicht gar Tausende beobachten sein Schicksal, weiden sich an seiner Qual.
Knapp oberhalb des illuminierten Displays des Laptops, den einer seiner Peiniger direkt neben der Paprika aufgebaut hat, blinkt ein winziges rotes Licht; eine Kamera, die Ladislaus Kopelkas Leid in Echtzeit in das Internet überträgt. Auf dem Bildschirm des Laptops sieht Ladislaus sich selbst: Ein älterer, halb kahler Mann in oft getragener Unterwäsche, in gleißendem Lichtkreis auf einem Stuhl sitzend. Am linken Bildschirmrand läuft ein kleines Zählwerk, fast synchron mit dem dämonischen Tick-Tick der Paprika.
Es zählt die Zuschauer, so zumindest hat es der Peiniger erklärt, als er den Laptop aufgebaut und die Kamera auf Ladislaus gerichtet hat.

Ladislaus hasst Computer. Er hasst auch das Internet. Vergeblich hat das Arbeitsamt versucht, Ladislaus zu zwingen, einen Computerkurs zu belegen. Wie gut, dass er sich geweigert hat; Computer und Internet, das zeigt sich nun, sind die Werkzeuge des Teufels.

Die unsichtbaren Zuschauer sehen nur, Ladislaus dagegen fühlt. Er fühlt das dumpfe Kribbeln in den Händen, mit dem sie gegen die unterbrochene Blutzufuhr protestieren. Die Kabelbinder die seine Handgelenke an die Lehne des Stuhles fesseln, sind zu eng. Seine Finger sind bereits dick und geschwollen, so dass sich der Verlobungsring an seiner linken Hand anfühlt wie eine Schraubzwinge. Er fühlt Schmerzen, an den Oberschenkeln, die gegen die Stuhlkante drücken, am Rücken, der gegen die Lehne des Stuhls gepresst wird. Aber am deutlichsten fühlt Ladislaus sein Herz rasen. Es rast vor Angst, es rast vor Aufregung und manchmal verpasst es einen seiner eiligen Schritte und stolpert.
Die Ärzte haben Ladislaus Kopelka gewarnt, sein Herz ist nicht mehr das Kräftigste, zuviel Aufregung ist Gift für ihn. Zu viele Zigarren und, in späteren Jahren, die billigeren Zigaretten, haben Ladislaus zu einem Risikopatienten für Herzanfälle gemacht. Er hasst das Wort und er hasst die Ärzte, die so leichtfertig damit umgehen.
Ladislaus stöhnt leise, zumindest versucht er es, denn durch das silberne Klebeband, das sein Gesicht unterhalb der Nase bedeckt dringt kein Geräusch.
„Zehn Minuten noch. Zeit für den nächsten Kick.“
Eine andere Stimme, jedoch genauso jung und teuflisch wie die des ersten Peinigers. Ladislaus Kopelkas Nacken ist von der erzwungen aufrechten Haltung steif geworden, so dass er kaum den Kopf drehen kann. Dennoch versucht er es. Die Teufel rumoren in der Dunkelheit; er kann sie hören, aber nicht sehen. Das grelle Licht der Lampe hält Ladislaus in einem gleißenden Käfig gefangen, den seine Augen nicht durchdringen können. So ist Ladislaus Welt auf den Tisch, auf dessen Platte noch die Reste seines Abendessens kleben, das Laptop und die Paprika zusammengeschrumpft. Und auf das Verstreichen der Zeit, Tick-Tick, Tick- Tick.

Zwei Schatten durchbrechen den Käfig aus künstlichem Licht. Ladislaus fühlt ein paar Hände, die nach seinem Kopf greifen und er fühlt sein Herz, das ängstlich aufflattert wie ein Vogel in einem zu kleinen Bauer.
„Nun reiß es schon ab.“
Eine dritte Stimme; barsch und voller Autorität und dabei so jung, so unendlich jung. Schrilles Kichern dringt aus der Masse des zweiten Schattens. Ungeschickte Finger machen sich an der Ecke des Klebebandes zu schaffen, dass Ladislaus Kopelkas Mund verschließt.
„Es geht nicht, klebt zu fest. Ich kriegs nicht richtig zu fassen.“ winselt die zweite Stimme unterwürfig.
Dann kichert sie wieder, überspannt und fahrig. Die Finger an Ladislaus Lippen zittern.
„Dann benutz dein verdammtes Messer. Los mach, die Zeit läuft uns davon.“
Die Finger verschwinden, dann sieht Ladislaus aus dem Augenwinkel Metall aufblitzen. Er macht sich steif, versucht mit aller Kraft, seinen Kopf aus den Händen des dritten Peinigers zu winden. Vergeblich, Ladislaus verbrauchter Köper, alt über seine Jahre hinaus, lässt ihn in der Stunde der Not im Stich.
„Lass gut sein Pappi.“ feixt die erste Stimme, „je weniger du dich wehrst, umso weniger schmerzhaft wird es für dich. Zumindest bis zum Schluss.“
Ladislaus Kopelka fühlt seine Brust eng werden, als sich die Spitze der Klinge unter die Ecke des Klebebandes schiebt. Sie zittert; ebenso wie die Finger die sie halten.
„Habs. Mit einem Ruck jetzt. Achtung, Opa!“
Der Schmerz, den Ladislaus spürt, als die zitternden Finger das Klebeband von seinem Gesicht reißen, ist so gewaltig, dass er zunächst überhaupt nichts spürt. Er hört nur den Schrei, der sich seinem malträtierten Mund entringt, ohne zu glauben, dass es tatsächlich er ist, Ladislaus Kopelka, der schreit. Dann setzt das Brennen ein und mit dem Brennen kommt das Blut.
„Scheiße, sieh dir das an. Das Scheißklebeband hat dem Opa das halbe Gesicht abgerissen. Oh Mann!“ Begeisterung, vermischt mit Entsetzen klingt aus der Stimme des zweiten Peinigers. “Wie der blutet! Oh Mann, das kommt bestimmt geil aufm Bildschirm!“
Ladislaus schreit. Er schreit aus Schmerz, aus Entsetzen, nicht weil er hofft, dass jemand seinen Schrei hört und seine Qual beendet. Diese Hoffnung ist leer, ebenso wie das Haus in dem Ladislaus lebt. Seine Wohnung ist die einzige in dem großen, alten Plattenbau, die nicht leer steht.
Blut tropft in Ladislaus offen stehenden Mund. Es schmeckt warm und metallisch und so unglaublich lebendig. Ladislaus schluckt und schreit, trinkt sich selbst in seinem verzweifelten Aufbegehren.
„Und ob das geil kommt!“ bestätigt die dritte Stimme, kalt und zufrieden. „Sieh dir doch nur mal den Hit-Counter an! Aber nun hol endlich das Ding und stecks ihm rein, damit er aufhört zu schreien. Das nervt!“

Einer der Schatten verschwindet. Die raschen Schritte dringen kaum durch Ladislaus Schmerz, sie sind lediglich ein fernes Kratzen auf dem fadenscheinigen Linoleum.
“Schrei nur, Opa. Schrei, so lange du kannst.“
Der dritte Peiniger hat sich zu Ladislaus herabgebeugt und flüstert nun heiser in sein Ohr. Er riecht nach billigem Kaugummi und nach Zigaretten; ironischerweise nach eben der Marke, die Ladislaus seit nun mehr zwanzig Jahren raucht.
„Was meinst du? Wer wird dich hören? Wer macht sich Gedanken um dich? Du hast niemanden, Opa. Keine Verwandten, Freunde oder auch nur ne Ficke. Du bist allein. Niemand wird kommen, um dich retten.“
Der Schrei erstickt in Ladislaus Kehle. Er schmeckt bitter und brennt wie die Asche eines erkalteten Lagerfeuers.

Die Stimme hat Recht, Ladislaus hat niemanden, hat nie jemanden gebraucht. Ein Bruder in Übersee, zu dem er seit seinem zwanzigsten Geburtstag keinen Kontakt mehr hat. Im Streit sind sie auseinander gegangen. Ladislaus war seither der Meinung, dass er seinen Bruder, den ekelhaften Streber, Mutters Liebling, hasst, aber nun weiß er, dass er glücklich wäre, wenn er noch einmal Ernsts Gesicht sehen könnte.
Es gab auch einmal eine Frau, Magdalene. Wie schön sie war in ihrem weißen Kleid. In jenem Sommer, vor wer weiß wie vielen Jahren, als sie Blumen in den goldbraunen Haaren trug, wenn er mit ihr am Lindengesäumten Flussufer spazieren ging.
Sie hatte seinen Ring genommen, eben jenen Ring, der jetzt Ladislaus geschwollenen Finger quetscht. Ihre Augen hatten die Farbe von Regen, kühlem, freundlichen Sommerregen. Sie waren glücklich gewesen, zumindest eine zeitlang. Dann begannen der Unfriede, das Gezänk und die kleinen Streitereien. Geendet hatte es mit Tränen, einem Ring, den sie ihm ins Gesicht warf und dem Versprechen, lieber in der Hölle zu schmoren, als noch einen Tag an seiner Seite zu verbringen. Eine Weile hat Ladislaus sie gehasst, doch nun, mit dem Geschmack seines Blutes auf der Zunge, erkennt Ladislaus, dass er sie in all den Jahren stets geliebt hat. Was mag aus ihr geworden sein?
Tick-Tick, Tick-Tick. Die Paprika reißt Ladislaus aus den Erinnerungen, in die er abgeglitten ist. Noch acht Minuten. Ladislaus hörte das sich nähernde Kratzen von Schritten, dann verdunkelt der Schatten des zweiten Peinigers erneut den Lichtkreis.
„Hier. Das wird eine krasse Show, Alter!“
Die Hand des zweiten Peinigers schiebt etwas Längliches, silbern Glänzendes in Ladislaus Blickfeld. Ladislaus Augen weiten sich vor Entsetzen, als er erkennt, um was es sich handelt; Die kindlichen Hände des zweiten Peinigers umfassen den glänzenden Lauf eines Gewehrs!
Mit aller Kraft, die in seinem erschöpften Leib steckt, versucht er dem Klammergriff, der seinen Kopf umschließt, zu entkommen. Die Wucht, mit der sich Ladislaus zu Seite wirft, treibt den Stuhl auf dem glatten Linoleum zur Seite. Schweiß strömt aus Ladislaus Poren, lässt seine Haut feucht und glitschig werden, wie die eines gefangenen Fisches. Die unbarmherzigen Hände, die Ladislaus Kopelkas Kopf umfassen, lockern ihren Griff, gleiten ab. Ich schaffe es, denkt Ladislaus, ich schaffe es! Oh, Danke, mein Gott, Danke!
Dann jedoch finden die verdammten Hände Halt an Ladislaus verbliebenen Haarsträhnen und Ladislaus kreischt vor Schmerzen; ein hoher, irgendwie weibischer Laut.
Die Seitwärtsbewegung des Stuhls und damit Ladislaus langsamer, aber letztendlich unvermeidlicher Sturz außer Reichweite der Peiniger kommt zum Stillstand.
„Scheiße, nun sieh sich das einer an!“ johlt die Stimme des ersten Peinigers und der dritte Schatten schiebt sich über den Lichtkegel der Stehlampe; löscht ihn fast zur Gänze aus.
„Ihr Schlappschwänze werdet nicht mal mit nem gefesselten Opa fertig!“
Starke, junge Hände greifen nach der Lehne und nach den Armstützen von Ladislaus Kopelkas Stuhl und stabilisieren beinahe übertrieben vorsichtig Ladislaus Position vor der Kamera. Ladislaus lässt es geschehen. Er muss es geschehen lassen; er hat keine Kraft für einen weiteren Versuch, sein Körper ist zu alt, seine Kraft verbraucht. Ladislaus spürt einen schmerzhaften Stich, eben dort, wo die drohende Enge seine Brust zusammendrückt. Dann einen Zweiten.

Die Hände des dritten Peinigers wandern nach vorne, legen sich flach an Ladislaus Wangen und richten seinen Kopf ein wenig aus, so dass Ladislaus genau in die Linse der Kamera blicken muss; das Auge der Hölle.
Ladislaus sieht sein weißes Gesicht, seine geweiteten, angstverzerrten Augen und Ladislaus sieht das Blut. Es rinnt aus unzähligen kleinen Wunden rund um Ladislaus Kopelkas Mund. Die Finger des Peinigers baden darin, verschmieren es über Ladislaus Wangen. Es läuft den Hals hinab und tränkt das ehemals weiße Unterhemd. Das Blut leuchtet gespenstig. Es ist zu feucht, zu rot; auf dem Monitor wirkt es fast violett. Es wird nicht aufhören. Die Pillen, die Ladislaus nehmen muss, verdünnen es und lassen es bei jeder noch so kleinen Verletzung fließen und fließen. Ladislaus hasst die Pillen, durch sie fühlt er sich wie das Lamm Gottes, das nicht für die Sünden der Welt blutet, sondern nur für seine eigenen.
„Sieh dich an, du erbärmlicher alter Furz. Du solltet uns dankbar sei, Opa.“ zischelt die Stimme des dritten Peinigers direkt neben Ladislaus Ohrmuschel. Die Stimme ist dunkel und schwer wie vergifteter Honig „Das hier ist deine große Show! Das macht dich unsterblich, Paps.“
Die gesichtslose Stimme lacht, dann lösen sich die Hände von Ladislaus Gesicht und wischen verächtlich Blut und Rotz an Ladislaus Kopelkas Unterhemd ab.
„Nun macht schon!“

Gehorsam beugen sich Schatten über Ladislaus. Dann greifen Hände nach seinem zurückweichenden Gesicht; schwarz behandschuhte Finger bohren sich in seinen Mund und stemmen ihn auf. Gurgelnde Laute entsteigen Ladislaus Kehle, Speichel sprüht und vermischt sich mit Blut.
„Oh, mein Gott, das ist ja ekelhaft. Hey Opa, hältst wohl nix vom Zähneputzen, was? Aus deinem Maul stinkts nach Scheiße!“
Angestachelt von dem gellenden Gelächter der beiden anderen Schatten gibt einer der beiden über Ladislaus gebeugten Schatten vor, sich würgend übergeben zu müssen. Ladislaus schließt die Augen. Scham steigt in ihm auf; eine glühende heiße Welle, die sogar den Schmerz in seinem Körper und die Stiche in Ladislaus Brust überspült. Tick-Tick, Tick- Tick höhnt die Paprika, noch sechs Minuten.

Starke Hände rammen das kalte Metall des Gewehrlaufs in Ladislaus Kopelkas Mund. Es scharrt über den Gaumen, gräbt sich dort eine blutige Spur, die erst an einem von Ladislaus Backenzähnen endet. Ladislaus reißt die Augen auf; hustet und versucht keuchend nach Luft zu schnappen, den Fremdkörper, dessen Geschmack nach Metall und altem Pulver ihn würgen lässt, loszuwerden. Allein, die Hände der Peiniger lassen das nicht zu.
„Hör auf mit dem Scheiß, Opa.“ weist ihn die dritte Stimme an. „Siehste das?“
Ladislaus sieht; er zwingt seine Augen zu sehen. Der Kolben des Gewehrs liegt, in eine seltsame Drahtvorrichtung gebettet, neben dem Laptop auf dem Tisch. Um den Abzug haben die Teufel einen dünnen Draht geschlungen, dessen anderes Ende jetzt aus der Hand eines seiner Peiniger baumelt.
„Ich sag ja, Opa. Das ist deine große Show und sie endet mit einem Knall. Aber damit sie nicht zu früh endet, musste fein still halten, sonst gibt’s noch ein Unglück. Das wär doch traurig, was Jungs?“
Infernalisches Gelächter beantwortet die Frage. Die Finger des Peinigers zupfen spielerisch am Draht, sie straffen ihn, sie lockern ihn, straffen ihn ein wenig mehr, lockern ihn wieder.
„Oh, Mann, ja das ist geil, Mann, ja!“

Ladislaus sieht nur noch den dünnen Draht, mal straff gespannt wie eine Gitarrensaite, mal durchhängend wie die Wäscheleine auf dem Dach des Nachbarhauses. Alles andere wird unscharf, verschwommen, wie etwas, dass man durch eine zu starke Brille betrachtet. Ladislaus hört zwar das begeisterte und doch panische Plärren und Johlen der beiden anderen Peiniger, aber ihre Worte sind bedeutungslos; statisches Rauschen, nicht mehr.
Ladislaus fragt nicht nach dem Warum; diese Frage ist bedeutungslos. Vor allem, weil er, Ladislaus Kopelka, die Antwort im Herzen kennt. Sie lautet einfach: Darum! Er wird sterben, hier und heute, das ist eine Unabänderlichkeit.

Zweiunddreißig Jahre ist es her, das Magdalene ihn verlassen hat; das Wissen darum taucht plötzlich kristallklar in Ladislaus Geist auf; zweiunddreißig Jahre, ein ganzes Menschenleben. Der Draht ruckt und tanzt ein morbides, kleines Ballett zu dem die Paprika den Rhythmus tickt, Tick-Tick; noch drei Minuten.
Ladislaus Herz hat aufgehört zu rasen, oder vielleicht rast es auch nur so schnell, dass Ladislaus es nicht mehr wahrnehmen kann. Die Stiche in seiner Brust haben sich in ein tiefgehendes Bohren verwandelt; der Basston in Ladislaus ureigenster Kakophonie des Schmerzes.
Zweiunddreißig Jahre! Zweiunddreißig Jahre der Einsamkeit und der Verbitterung, die sich mit den Jahren in Hass verwandelt hat. Hass auf Magdalene, Hass auf seinen Bruder, auf die ganze Welt, am meisten aber auf Ladislaus selbst.

Ladislaus betrachtet die Trümmer seines Lebens, mit vollkommener, mit einsichtiger Klarheit. Er hört jedes seiner scharfen, unbedachten und manchmal doch sehr wohl bedachten Worte und er bereut jedes einzelne davon. Tränen strömen über Ladislaus Kopelkas Wangen; Tränen der Trauer und der Reue. Er sieht Magdalene vor sich, wie sie unter den Linden am Fluss für ihn tanzt, jenen kindischen und doch so liebreizenden Kleinmädchentanz, mit dem sie ihm damals so viel Freude bereitet hat. Die Blumen in ihren Haaren sind ganz frisch, er hat sie mit eigenen Händen gepflückt. Sie lächelt ihn, Ladislaus, an, mit jenem Lächeln, das einen wunderschönen Tag verheißt. Wenn er zu einem Moment in seinem Leben zurückkehren könnte, so wäre es dieser Moment, unter den Linden am Fluss.

Ladislaus will aufstehen, zu Magdalene hinübergehen. Etwas hindert ihn, Hände, die nach ihm greifen, ihn nicht zu dem Moment des Glücks gehen lassen wollen. Mit einer Kraft, die Ladislaus schon längst verloren geglaubt hat, wirft er sich zur Seite, auf Magdalene zu, die unter den Linden tanzt.

Der Draht strafft sich und zieht den Abzug durch.

Klick.

Hände packen Ladislaus an den Schultern, schütteln ihn, wollen ihn wieder aufrichten, geben aber nach ein paar Momenten auf.
„Du hast doch gesagt, die Gun wär geladen?“ quengelt die Stimme des ersten Peinigers, anklagend und empört.
„Alter, wie weich bist du denn? Haste wirklich gedacht, wir wollen den alten Sack kaltmachen? Ist doch nur ne beschissene Show, Mann!“

In wilden Wellen wogt der Schmerz durch Ladislaus Brust; er hört zwar die Worte des Peinigers, aber Ladislaus gelingt es nicht, ihren Sinn zu erfassen, der Schmerz lässt es nicht zu. Die Paprika, am Ende der fünfzehn Minuten angelangt, schrillt. Ladislaus zuckt zusammen; etwas zerreißt in seiner Brust.
Bevor er ins Dunkle sinkt, sieht er Magdalene lächeln.

 

HalloTukkayid,


ich fand sehr spannend, wie sich die Situation Kopelkas langsam rausschält, aber dann, fand ich, zerbröselt die Spannung, trotz des eingebauten countdowns durch zu viel Ablenkungen: seine Sehnsucht nach der Verflossenen, sein Versagertum (dass mich ja eigentlich alles nicht interessiert in dieser Situation) und weil dann alles etwas zähflüssig wird mit den bösen Jungs, die ihn quälen und dann anscheinend umbringen wollen, dann doch nicht, da es ja nur eine Show sein soll und dass er dann einfach an Herzversagen stirbt
Ich wusste nach dem Lesen nicht worum es eigentlich geht in Deiner Geschichte.
da sie in der Rubrik GESELLSCHAFT steht, Gesellschaftskritik? Internet?, das Jugendliche Vorbild und Anreiz ist, solche shows zu machen?

Gruß Schmidt

 

Hallo,

ja, soll schon so eine kleine Gesellschaftskritik sein. Ich möchte darauf hinaus, dass der Prota in seiner (vermeintlich und auch tatsächlich) letzten Stunde sein Leben durchlebt, seine Fehler erkennt und sein Schicksal (ausgelöst durch eine bösartige und kalte Gesellschaft, ohne Interesse am Individuum) tatsächlich verdient zu haben glaubt.

Aber danke fürs Feedback *dachte schon ich wäre der EINZIGE, der keins bekommt*

 

Hallo Tukkayid

Dein Text hat mir über weite Strecken gefallen. Die dramatischen, grausamen Sequenzen sind dir meiner Meinung nach besser gelungen, als die weicheren. Die im Schatten bleibenden Peiniger, die Atmosphäre, die Sprache der Quäler, all das finde ich im Großen und Ganzen gut getroffen. Erzählerisch fand ich’s größtenteils stilsicher und, ja, auch spannend gemacht.

Weniger begeistert war ich von den Rückblenden an Magdalene. Ich kann zwar nachvollziehen, dass du einen Gegenpol zu den Gewaltszenen schaffen willst (obwohl die Frage für mich bleibt, ist das wirklich nötig?), aber das klingt mir dann doch zu klischeehaft. Da ist dir nicht viel eingefallen: Einmal am Ufer unter den Linden entlang spaziert und dann kommen schon Krach und Trennung. Und ausgerechnet in dieser Situation erinnert sich der arme Ladislaus daran. Das finde ich unbefriedigend.
Dann gibt es die Stelle mit dem Arbeitsamt und dem Computerkurs. Das ist nicht ganz logisch in seiner Konsequenz: Weil er nun von seinen Folterern für eine offenbar im Internet gezeigte sogenannte Show als Opfer ausgewählt wurde, schließt du: Wie gut, dass er sich geweigert hat (nämlich einen PC-Kurs zu machen). Warum muß er überhaupt Computer/Internet hassen?

So eine Formulierung wie: Das grelle Licht der Lampe hält Ladislaus in einem gleißenden Käfig gefangen – klingt mir persönlich zu reißerisch, aber das ist Geschmacksache.
Das sind so ein paar Anmerkungen zu deiner Geschichte.
Viele Grüsse

 

Hallo Hawowi,

danke für dein Posting. *freu*
OK, ich gebe zu, ich wollte es bewusst klischeehaft, da ich dachte, es setzt eine besseren Kontrast zu dem Leiden das Herr Kopelka erlebt.
Herr Kopelka hasst Computer und das Internet, nicht nur, weil er eigentlich so gut wie alles hasst, sondern weil gerade diese beiden Dinge die Welt im Wandel zeigt; einem Wandel, den Herr Kopelka weder verstehen kann noch will. Er geht in seinem kleinen Zimmer, vor dem Laptop durch seine ganz persönliche Hölle und sieht seinen Hass auf PC und Inet dadurch bestätigt.
Rückblende zu Magdalene:
Ich denke mir, wenn jemand in einer solchen Situation ist, wie Herr Kopleka findet man Trost in einfachen, offenen Bildern; kurzen Erinnerungsstößen wenn du es so willst. Nichts komplexes oder mehrschichtiges, nur ganz einfache banale Dinge. Daher habe ich ein paar Bilder aus seiner frühen Liebe gewählt und versucht, diese bewusst einfach zu halten, ja kindisch, weil Herr Kopelka damals, also im Moment des Erlebens, genau dieser Eindruck in Erinnerung blieb: kindisch, aber dennoch glücklich.

LG

 

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