Lieber FLoH!
Eigentlich wollte ich die Kritik ja rechtzeitig zu Deinem Geburtstag fertig haben, das ging leider nicht, trotzdem hier noch einmal alles Gute! 
Das ist zwar eine sehr traurige Geschichte, die ich mir da zu Deinem Geburtstag ausgesucht habe, aber bis auf eine SF- und eine Kindergeschichte hab ich alle Deine Geschichten schon gelesen. 
Gefallen hat mir diese jedenfalls gut; auch, wenn ich mit Deiner Intention nicht so ganz klarkomme.
Erst einmal was zur Schuldfrage: Bei Euch ist es doch auch Pflicht, so kleine Kinder (ich denke, er ist maximal fünf, allerhöchstens sechs, am ehesten halte ich ihn für ca. vier) in Kindersitze zu setzen? Wäre der Sohn da drin gesessen, hätte er das mit dem Piratentuch bestimmt nicht machen können (versuch das mal vom Rücksitz aus in sitzender Position und denke Deine Arme dabei kürzer). Somit sehe ich die wahre Schuld beim Vater (bzw. beiden Eltern), der sie aber (auch vor sich selbst) verleugnet, und daher hätte mir der ursprüngliche Titel »Ironische Unschuld« sehr gefallen.
Aber das mit dem Kindersitz fiel mir auch erst eine Weile nach dem Lesen ein. ;-)
Zuerst verstand ich es so, daß der Vater nur seine eigene Trauer sah, dem Sohn aber aufgrund der »Schuld« keine Trauer zugestehen wollte, ihn sogar fast ignorierte. Aber gegen Schluß kam er dann doch seinem Sohn wieder näher, verzieh ihm und erkannte schließlich sogar, daß er ihm Unrecht tat („Es tut mir leid“). In der Frage, ob er sie gern wiedersehen würde, sah ich endlich die Anerkennung der Trauer des Sohnes durch den Vater, und schließlich durch das Starten des Motors das Fortsetzen des Lebens, das Starten des gemeinsamen weiteren Weges.
Also ich würde schreiben: »Wir steigen ein, David nun immer im Kindersitz.« – Auch deshalb, weil ich den Jungen keinesfalls für zwölf Jahre halte, und vorher darf er ja nicht vorne sitzen.
Der aktuelle Schluß ist zwar offen, trotzdem will ich hierzu noch was sagen:
Doch das Problem ist eben, das sich der Freitod dem Schreiber so frech als einziges Motiv aufdrängt, genauso wie dem "Versager" im richtigen Leben als einzige Lösung. Zumal es tatsächlich bessere geben kann/gibt.
Das Problem ist, daß diese Schreiber dann eben nur einen Teil ihres Protagonisten sehen. Sie sehen nicht, daß dessen Leben aus mehr besteht, als aus den von ihnen geschilderten Szenen, und daß ein realer Mensch auch einen Selbsterhaltungstrieb hat (der beim Schreiber natürlich nicht einsetzt, da er ja nicht wirklich in der Situation ist), der zum Glück in den meisten Fällen wirkt. Und nebenbei verfügt der menschliche Geist auch noch über ganz andere Mittel, um solche Situationen wie die hier erzählte zu überstehen. Selbstmord ist nur für Autoren so aufdringlich; für sie ist es der leichteste Weg, denn sie selbst behalten ihr Leben ja und die Geschichte haben sie damit auch schneller fertig, als wenn sie den Protagonisten mit sich kämpfen und die Probleme in den Griff kriegen lassen (aber ich weiß, daß Du das eigentlich eh weißt ;-)).
Und ich harke Wellenlinien um das Grab, davor ziehe ich mit dem Jätenstiel eine tiefe Gerade, von dieser aus Striche seitwärts. Ich gehe an ihr entlang und schließe die Augen: Die Holzbalken des Kais knarren unter meinem Gewicht, der Wind streift um meine Schläfen und ich sehe, durch den dichten Nebel, ein Schiff uns abholen kommen.
Hier hab ich zwar kurz gerätselt, auf Dein Schiff bin ich aber nicht gekommen. Den kursiven Satz habe ich als Erinnerung an das vor dem Unfall Erlebte gesehen, und die Zeichnungen um das Grab als melancholisches, nachdenkliches Tun (er hätte ja z. B. auch Blumensamen hineinstreuen können, nachdem er die Verstorbenen schon alle mit Blumen verglichen hat – eine Blumeninsel mit den drei Blumensorten und in der Mitte das Grab ;-)).
Was das Erkennen der Rollen betrifft, hatte ich aber keine Probleme. Schon bei der blumigen Beschreibung hatte ich den richtigen Verdacht, der sich beim Piratentuch bestätigt. Wer sagt schon über seine Freunde Dinge wie »die du mit sonderbarer Anmut und Zielgerichtetheit erwachsen werden wolltest«? 
Aber dann denke ich wieder, Gott, da hat jemand seine Familie verloren, und verantwortlich dafür ist sein eigenes Kind, das er weiterhin lieben wollte, aber nicht kann. Diesem persönlichen Zwiespalt wollte (und musste) ich eine Richtung, eine Entscheidung geben, damit die Geschichte nicht "eiert". Es gibt zwei: Vergeben, Abschließen und Weiterleben oder (Vergeben und) Fliehen. - Ich hätte auch die Münze werfen können.
Vielleicht ist er im Grunde seines Herzens aber trotz allem auch froh, daß ihm wenigstens eines seiner Kinder geblieben ist? ;-)
Und »verantwortlich«: Der Vater mag es im Moment der Trauer so sehen und für die Gefühle des Kindes blind und taub sein, aber als objektiv betrachtender Mensch, der nicht solchen Gefühlen wie der Vater ausgesetzt ist, kann ich nicht sagen, das Kind sei verantwortlich – nicht umsonst wird man vor dem Gesetz erst mit 14 strafmündig: Weil Kinder eben gewisse Gefahren und deren Folgen nicht oder nur mangelhaft abschätzen können – man kann ihnen keine Verantwortung für Dinge geben, die sie erwiesenermaßen noch nicht können.
Daß trotzdem manche Kinder lebenslang für etwas bestraft werden, das man ihnen gar nicht anlasten kann, will ich damit natürlich nicht bestreiten. Solche Eltern strafen dann strenger als das Gesetz – das kann keine Liebe sein. Und deshalb hab ich auch bei der Sichtweise, wie Du die Geschichte dachtest, keinerlei Mitgefühl mit dem Vater und seinem »Zwiespalt«, sehe viel mehr, wie schwer es der Junge hat, weil er genauso den Verlust verkraften muß, nicht einmal in seiner Trauer ernst genommen wird, und zudem auch noch schuldig gesprochen wird – was man auch mit einem »Ich vergebe dir« ganz gut aussprechen kann.
Nicht, daß Du das jetzt als negative Kritik auffaßt – ich finde es sehr positiv, daß mich die Geschichte zum Nachdenken anregt, und das tut sie. Stil und Aufbau finde ich ebenfalls gelungen. 
Nichts anfangen konnte ich damit:
Danke, dass ihr Sekundenjahre mit mir teilt.
An wen ist das gerichtet? An die Moosfarne?

Wenn es sich an die Verstorbenen richten soll, wäre dann nicht »geteilt habt« angebracht? Der Begriff »Sekundenjahre« erscheint mir auch etwas seltsam, soll er bedeuten, daß in der Erinnerung Jahre zu Sekunden schrumpfen? Und wie ist das dann in Verbindung mit dem Danke zu sehen? (Danke, daß die Jahre mit euch jetzt nur mehr Sekunden sind?

)
Und gleich weiter im Text:
»Streichle euch das Haar, höre den Moosfarn unter meinen Händen knistern.«
– würde den Artikel vor »Moosfarn« streichen
»Vergissmeinicht für dich, Anna,«
– Vergissmeinnicht
»Eine größere, kräftig Gelbe für Louis,«
– würde hier auch einen Blumennamen einsetzen
»Solche Jahre hatten wir gemeinsam,«
– worauf bezieht sich »Solche«?
»Die Kanne kommt, ich begieße euch mit Tränen.«
– finde das mit den Tränen hier unpassend, weil man doch schon die Kanne im Bild hat (und in der sind keine Tränen drin). Würde dieses »Die Kanne kommt« allein stehen, wäre das viel wirkungsvoller, weil es besonders deutlich macht, wie sehr der Vater den Sohn ignoriert. Wenn danach ein Satz käme, in dem sein Selbstmitleid mehr rauskommt (versinke in Tränen, z. B.), würde mir das besser gefallen.
»und ich sehe, durch den dichten Nebel, ein Schiff uns abholen kommen.«
– besser ohne Beistriche
»An jenem Tag war ein Sonnenschein, der den Asphalt in der Ferne spiegeln ließ.«
– das »ein« vor »Sonnenschein« will mir nicht so recht gefallen, Vorschlag: An jenem Tag schien die Sonne so stark, dass der Asphalt … (mit dem »spiegeln« hab ich auch irgendwie ein Problem, halte das für den falschen Ausdruck)
»Doch ich hätte David kein Piratentuch kaufen dürfen.«
– würde das »Doch« weglassen
»und staune, dass er groß nickt wie auf das Angebot eines Eisbechers, damit das Knie wieder heilt.«
– nickt, wie
– was macht der Eisbecher denn für ein Angebot? ;-)
Liebe Grüße,
Susi