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Die Hochzeitsfeier
Die Hochzeitsfeier von Matthias und Susanne sollte in einem kleinen, mit Parkett ausgelegtem Festsaal stattfinden. Ihr Vater hatte alles arrangiert, vom Zeitpunkt der kirchlichen Trauung über die von vier weißen Pferden gezogene Kutsche bis hin zu eben jenem Festsaal. Er hatte sich um das Catering gekümmert, um die bunten und zahlreichen Blumengestecke, hatte die Tischdecken ausgesucht und für die passende Musik gesorgt. Er war es, der die Einladungen schrieb und verteilte und er war auch derjenige, der den Großteil der Hochzeit bezahlte. Kurz, er war der Hauptorganisator, und mit der gestressten Miene eines solchen saß er auch neben seiner Tochter am Tisch.
Susanne sah wirklich schön aus.
Ein schlichtes, weißes Hochzeitskleid hatte sie sich ausgesucht, mit einem meterlangen Schleier, der natürlich von den Kindern der Anwesenden getragen wurde.
Auch Matthias hatte sich fein rausgeputzt, trug einen einfachen, doch sehr eleganten schwarzen Anzug mit einem weißen Hemd und dunkler Krawatte. Alles schien perfekt, die kirchliche Trauung verlief reibungslos und alle eingeladenen Gäste waren zu der anschließenden Feier gekommen. Einzig der Vater der Braut wischte sich alle paar Minuten mit einem Taschentuch über die Stirn. Betrachtete man ihn, hatte man das Gefühl, dass er jeden Moment eine Katastrophe erwartete.
Dafür amüsierte sich Matthias Vater um so mehr. Er stand etwas abseits der Szene und genehmigte sich mit den beiden kleineren Brüdern von Susanne einen Schnaps nach dem Anderen.
An einem weiterem Tisch saßen Andre, der Cousin von Matthias, und seine Freundin Eva, in ein kleines Streitgespräch verwickelt. Es handelte von ihrer eigenen, noch nicht geplanten, aber von Eva sehnlichst herbeigewünschten Hochzeit, für die Andre kein Verständnis aufbringen konnte.
„Ich bin noch nicht bereit, Schatz.“, sagte er immer wieder, ohne triftige Gründe zu nennen.
Ihnen gegenüber saß die Großmutter der Braut, sichtlich gelangweilt und allein gelassen. Und zu diesen Leuten gesellten sich etwa fünfundzwanzig weitere Personen, vom dreijährigen Lars bis hin zu „dem Baron“, dem Oberhaupt der Familie von Matthias, der schon auf die Neunzig zuging.
Und natürlich Ich.
Als ich ankam, herrschte eine fröhliche und ausgelassene Stimmung in dem Saal. Alle schienen sich gut zu verstehen und keiner schien betrunken. Nur Matthias Vater stand eine verdächtige Röte ins Gesicht geschrieben. Vielleicht war ihm heiß.
Susannes alter Herr hingegen guckte mich beim Eintreten misstrauisch an. Ich schaute mich um und erblickte Matthias, der sich gerade mit Susannes Mutter unterhielt. Ich wollte ihm gratulieren und so machte ich mich auf den Weg. Doch so einfach sollte es nicht werden.
Es war sein Vater, der mich aufhielt.
„Mensch, Jens. Wie geht’s dir?“, schnaubte er, klopfte mir auf die Schulter und hatte dabei sichtlich Mühe, das Gleichgewicht zu halten. „Komm, erzähl mal, was machst du so? Willst du ´nen Schnaps?“
Herr Malzenburg, so hieß Matthias mit Nachnamen, war mir nie der Unsympathischste und so sagte ich nicht nein. Ich erzählte ihm von meiner Arbeit, von meiner Freundin und von meinen Zukunftsplänen. Wir unterhielten uns über Fußball und rutschten zeitweise sogar in das Stammtischmilieu ab. Und natürlich tranken wir, mit Susannes Brüdern.
Nach einer Stunde und zehn Schnäpsen, der eine von Susannes kleinen Brüdern hatte sich schon kurzzeitig zurückgezogen, erklärte ich Herrn Malzenburg, dass ich seinem Sohn noch gratulieren müsse und ging weiter. Doch bevor ich auch nur in die Nähe von Matthias kam, fing mich Marco, ein alter Bekannter, ab.
Ihm ging es deutlich schlechter als Herrn Malzenburg. Sein Hemd war bis obenhin offen, seine Krawatte hatte er sich in die Hosentasche gestopft, seine Haare waren zerzaust, er hatte den üblichen, glasigen Schlafzimmerblick aufgelegt und hatte Probleme damit sich auf den Beinen zu halten. Also setzte er sich hin und deutete auch mir, mich auf einen Stuhl zu begeben.
„Jens. Alles klar bei dir? Schon lange nichts mehr von dir gehört. Was machst du so? Immer noch mit Katja zusammen? Komm, wir trinken einen, auf die alten Zeiten.“
Und nachdem er uns genug Schnaps besorgt hatte, fing ich mit der alten Leier von meiner Arbeit, meiner Freundin und meinen Zukunftsplänen an. Wir plauderten über alte Zeiten, was wir erlebt hatten und natürlich auch über seine Arbeit, seine Freundin und so weiter. Und wieder zehn Schnäpse später wollte ich mich verabschieden, um endlich Matthias zu gratulieren, doch Marco hielt mich zurück.
„Ziehst du noch?“, fragte er mich lallend und leider auch etwas zu laut. Susannes Großmutter warf uns einen erschrockenen Blick zu.
„Nicht so laut!“, flüsterte ich ihm wütend ins Ohr. „Komm mal mit.“
Ich zerrte ihn torkelnd auf die Toilette. Mir selbst ging es auch nicht mehr allzu gut.
„So,“, setzte ich an, musste dabei aber aufstoßen. „was wolltest du wissen . . . eben?“
Marco zog kurz die Nase hoch. „Ob du noch ziehst.“
„Eigentlich nicht. In letzter Zeit habe ich die Finger von der Scheiße gelassen.“
Plötzlich holte Marco ein kleines Briefchen hervor.
„Was?“, stammelte ich, „Du kannst dir doch nicht auf der Hochzeit eines Freundes Koks ins Loch jagen!“
„Doch, kann ich.“ Marco wankte. „Und du auch.“
„Ich? Nein, lass mal . . .“
„Komm schon, Jens. Auf die guten alten Zeiten. Weißt du noch, die Party bei Jessica?“
Ich musste lachen. Damals bei Jessica haben wir uns so zugekokst, dass ich die ganze Nacht auf dem Klo verbringen musste, weil es aus allen Körperöffnungen wieder herausgekommen war, während Marco, nach eigener Aussage, den „besten, verschissensten, abgefucktesten, geilsten Sex jemals“ gehabt hat. An diesem Tag ist die Entscheidung im nüchternen Zustand gefallen, auf der Hochzeit aber entschied der Alkohol an meiner Stelle. Also ließen wir es krachen.
Matthias zu gratulieren, dazu sah ich mich gar nicht mehr im Stande, aber ich wusste, ich muss da durch. Es war schon schwer genug, meine Beine zu koordinieren, aber als dann auch noch der kleine Lars zwischen denselbigen umherlief und ich mich zu Tode erschreckte, war es ganz aus mit meiner Motorik.
Ich stürzte, suchte Halt an Marco, dem es genauso ging wie mir, zog ihn mit herunter und wir beide landeten rückwärts fallend auf einem Tisch, der krachend in sich zusammenfiel.
Sofort waren alle Augen auf uns gerichtet. So vornehm und höflich es möglich war, erhoben wir uns und entschuldigten uns beim „Baron“, dessen Tisch wir gerade zu Bruch gehen ließen.
Der „Baron“, obwohl er streng und ungnädig aussah, nahm die Sache nicht so ernst und lud uns sogar noch ein, auf den Schrecken ein paar Schnäpse mit ihm zu trinken. Die Aufmerksamkeit der Anwesenden richtete sich wieder auf andere Dinge und so strichen wir Matthias aus unseren Köpfen und leisteten dem alten Herrn Gesellschaft.
Er erzählte uns von seiner Kindheit, was für einen „Schabernack“ er und sein Bruder früher getrieben hätten und wie oft sie ihren Onkel zur Weißglut gebracht hätten.
Wiederrum einige Schnäpse später, ich hatte schon aufgehört zu zählen, torkelten wir dann endlich Richtung Brautpaar und erreichten dieses sogar. Doch bevor ich Matthias gratulieren konnte, genauer gesagt, gerade, als ich den Mund aufmachen wollte, öffnete Marco denselben und es ergoss sich daraus ein ekelhaft riechender, gelber, schleimiger Strahl, genau über das Kleid der Braut und ihren Vater.
Susanne fing sofort an zu schreien, Matthias widmete sich seiner Frau, ihr Vater lief hochrot an, Marco wankte verwirrt und ich stand einfach nur mittendrin, die Hand immer noch zur Gratulation ausgestreckt.
Diese Szene muss auf den unbeteiligten Zuschauer sehr belustigend gewirkt haben. Sie wurde allerdings durch das plötzlich einsetzende Gebrüll von Susannes Vater gestört.
„Du mieser kleiner . . . ich mach dich fertig!“ Und schon stürmte er mit einer Gabel in der Hand auf Marco los.
„Drogenjunkies, ich hab es dir doch gesagt, Klaus, alles gemeingefährliche Drogenjunkies!“, hörte ich Susannes Großmutter rufen.
Der sichtlich überraschte Marco wusste gar nicht, wie ihm geschieht und schon saß „Klaus“ über ihm und bedrohte ihn mit der Gabel. In diesem Moment erkannte ich die Gefahr, die von dem kleinen Instrument ausging. Ich stürzte mich auf „Klaus“ und versuchte, ihm die Gabel zu entreißen. Marco schien inzwischen wieder zu wissen, wer und wo er war und stand mir zu Seite, in dem er mehrmals mit der Faust in „Klaus“ Gesicht schlug, dass es aus seiner Nase nur so sprudelte.
Die eine Hälfte der Gäste brachte ihre Kinder in Sicherheit, die andere versuchte, uns Drei auseinander zu bringen.
Als man es fast geschafft hatte, kamen die beiden Brüder von Susanne sturzbetrunken und mit einem Mordsgebrüll auf uns zugerannt. Und schon ging es wieder von vorne los. Die Frauen brachten ihre Kinder jetzt ganz raus, die Männer versuchten größtenteils den Streit zu schlichten.
Aber einige Unbelehrbare waren eher auf eine Prügelei aus und schon kloppte sich der ganze Saal.
Und als zu guter letzt der „Baron“ ,als Oberhaupt der Familie des Bräutigams und damit absolute Respektperson, den Streit schlichten wollte, indem er Marco von hinten an den Schultern packte, hatte er nicht mit dessen Gewaltbereitschaft gerechnet. Der „Baron“ bekam die Faust genau auf die Nase, torkelte kurz rückwärts und sank dann wie eine Marionette auf einem Stuhl zusammen.
Irgendwann schafften es dann doch alle gemeinsam, nicht mehr aufeinander loszugehen und ich konnte endlich, wenn es auch der unpassendste aller Augenblicke war, Matthias und Susanne gratulieren.
Sie waren sehr wütend auf uns.
Und als Marco und ich den verwüsteten Saal verließen, hörten wir Andre mit blutender Nase noch sagen: „Siehst du, Schatz, deshalb will ich keine Hochzeit!“