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Die Hutablage
Herr Schmidt war ein gewöhnlicher Mann in seinem Alter. Rentner, Bewohner eines 1-Zimmer-Appartements und Nichtraucher. Auch wenn die Wohnung etwas klein war, verbrachte er gern die Zeit zuhause. Draußen war es ihm oft unheimlich. Er hatte nur die seltsame Eigenheit, stets eine Hutablage unterm Arm mit umher zu tragen, wenn er das Haus verließ. Keiner wusste genau, wieso er das tat. Komisch war das schon, weil er ja schon lange keinen Hut mehr besaß. Den hatte er vor Jahren in der Straßenbahn liegen lassen. Vielleicht ist er dadurch auch ein wenig traumatisiert.
Auf der Friedrichstraße kam ihm ein ebenfalls etwas älterer Herr im Mantel entgegen. „Mein Herr, welch wundervoll' verarbeitetes Stück Mooreiche Sie unter dem Arme mit sich bewegen“, spach er in bewunderndem Ton zu Herrn Schmidt. „Ja, in der Tat. Ein vorzüglich' Meisterstück, was die holzverarbeitende Zunft da hervorgehandwerkt hat“, antwortete der Hutablagenbesitzer. Der Fremde drängte Herrn Schmidt unter gutem Zutun und allerlei Schmeicheleien, die Hutablage in seinen Besitz übergehen zu lassen. „Na gut“, willigte Herr Schmidt schließlich ein, „ich will Sie Ihnen gerne überlassen. Wenn Sie mir dafür Ihren Hut mit auf den Weg geben. Er könnte mein Haupt optisch um einiges bereichern.“ Die beiden Herren trafen sich überein, verabschiedeten sich höfflichst an der Straßenecke und gingen jeweils ihrer Wege. Herr Schmidt stieg in die Straßenbahn, legte den Hut beiseite und blätterte ein wenig in der Zeitung.