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Die Illusion, der Traum und die Wirklichkeit

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11.06.2020
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Die Illusion, der Traum und die Wirklichkeit

Ich öffne die Augen und sehe: nichts. Die Schwärze der Nacht hüllt sich um meinen Blick wie dunkler Samt, weich und warm. Ein behagliches Gefühl breitet sich in mir aus, obwohl ich heute alleine bin, meine Liebste weit entfernt von mir. Mein Herz gibt mir Kraft und ich sehne das Wiedersehen herbei, als hätte ich sie mehr als eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Ich muss lachen und blicke nach links zu jener Seite, wo sie immer liegt: nichts.
Ich hatte es geahnt, mein Verstand funktioniert noch, denn sie kann dort gar nicht liegen. Auch wenn ich mir wünschte, er täte es nicht und sie läge da in ihrer vollkommenen Schönheit. Einmal den Kopf um 180 Grad drehen: auch nichts. Es scheint wohl gegen drei Uhr morgens zu sein, da die Morgendämmerung noch nicht eingesetzt hat. Wach wie ich bin, liege ich da in der Dunkelheit und erfreue mich der Zeit, die ich nun habe, um nachzudenken. Man gönnt sich ja sonst nichts. Langsam laufe ich also in Gedanken den mit bräunlich-grauen Kieselsteinen bestückten Weg entlang, der in kleinen, serpentinenartigen Windungen auf einen Wald zuführt, und halte ihre Hand fest in der meinen. Sanft spüre ich, wie ihre zarten Finger pulsieren und die Hitze ihrer Haut zunimmt. Es ist ein harter Weg bis zum Wald, die Unebenheiten des Bodens und die dünne Luft hier oben machen es dem Körper wahrlich nicht leicht. Ich blicke zu ihr hinüber und sehe: alles. Ihren Körper, ihren Geist, ihre Seele. Wir lächeln uns an und machen uns auf, die letzten Meter des erschöpfenden Weges zu bezwingen, bis wir mit schnellem Atem am Waldrand ankommen, genau dort, wo wir immer jenes Stückchen Erde betreten, das aberhunderte von Bäumen auf sich trägt. Die Stelle mutet wie eine Pforte an, denn die sonst dicht aneinandergereihten Tannen- und Laubbäume haben hier eine Art Öffnung, die sich weit oben an den Wipfeln wieder schließt. Auf gleicher Höhe schreiten wir durch die Pforte und wiegen uns in der Sicherheit, die uns der Wald schon immer gegeben hat. Doch jetzt, wo ich mich umblicke, sehe ich den Wald nicht mehr. Die Pforte zeigte sich noch deutlich, doch kaum war ich durch sie hindurch gegangen, sah ich: nichts. Ich versuche mich zu erinnern, so fest ich kann, doch die Dunkelheit nimmt mich ein. Ich kann auch sie nicht mehr sehen, aber ich spüre noch immer ihre Hand, die mittlerweile an Hitze abgenommen hat. Leicht ziehe ich sie nach unten, bis wir beide auf dem weichen Waldboden unseren Platz finden. Das Moos – ich erinnere mich noch gut – war dunkel und hell zugleich, die Grüntöne gingen eine perfekte Symbiose ein. Jetzt, wo ich so dasitze, bleibt mir nur das Gefühl, denn noch immer ist alles schwarz vor meinen Augen. Sanft schmiegt sich das Moos um meine verschränkten Beine, sodass ich sanft einsinke. Ich nehme einen tiefen Atemzug und sauge den modrigen Geruch von feuchtem Holz und lebendiger Erde ein. Ich sitze da und tue nichts weiter als atmen. Mit jedem Zug habe ich das Gefühl, mehr Energie in mich aufzunehmen. All die Gerüche und Gefühle, die mich hier und jetzt umgeben, lassen mich beinahe in einen Trancezustand fallen. Bis ich bemerke, dass die Hand, die eben noch in der meinen lag, weg ist.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich noch träume. Ob ich im Wald bin oder wach in meinem Bett liege. Die Dunkelheit macht es mir schwer, mich geistig und örtlich zu orientieren. Ich fasse unter meinen Körper: plötzlich ist alles hart. Meine Matratze ist auch hart, denn ich weiß, weiche Matratzen sind nichts für meinen Rücken. Doch der Geruch von Holz und Moos umgibt mich noch immer. Erneut fasse ich unter mich: immer noch hart. Vielleicht verschaffen mir ja Geräusche eine Orientierung. Ich lausche in meine Umgebung hinein: nichts. Kein Wunder, mitten in der Nacht ist es ruhig, der Wind steht gemäß der Jahreszeit still, Menschen und Tiere schlafen. Langsam wird mir ein bisschen mulmig zumute, denn ich sehe und höre nichts, und beschließe sodann, diesem Zustand, der durch Übermüdung, Wachträumerei und schmerzende Knochen gekennzeichnet ist, ein Ende zu setzen. Ich möchte mich aufrichten, doch etwas hält mich davon ab. Es ist, als würde mich eine unsichtbare Hand jedes Mal wieder nach unten ziehen, wenn ich bereit bin, meinen Körper in die Senkrechte zu hieven. Mehr als einen Meter nach oben komme ich nicht, also probiere ich, einzelne Körperteile gen Himmel zu bewegen. Ich streckte meinen rechten Arm nach oben. Klappt. Danach den linken. Klappt auch. Meine Beine hingegen sind erfüllt von einem fürchterlichen Schmerz, sodass ich sie einfach ausgestreckt liegen lasse. Ein letzter Versuch, meinen Rumpf aufzurichten scheitert kläglich. Es muss so sein, dass ich schlafe, eine andere Erklärung gibt es nicht. Bin ich also wach im eigenen Traum? Ich fühle mich verloren, denn noch immer sehe ich nichts. Blicke ich zurück über meine Schulter, kann ich auch die Waldpforte nicht mehr sehen.
Es scheint, als hätte mich der Wald in sich aufgesogen, und als lasse er mich nun nicht mehr frei. Das Unwohlsein in mir wird sekündlich stärker und so bleibt mir nichts anderes übrig, als mir eine andere Möglichkeit zu suchen, aus dieser Situation auszubrechen. Ich überlege kurz und versuche, mich nicht von meiner aufkeimenden Panik übermannen zu lassen. Sodann wuchte ich meinen Körper einmal um 180 Grad und liege nun auf dem Bauch, wedle kurz mit meinen Armen und merke: ich kann mich bewegen. Kriechen scheint also möglich zu sein. Aufgetankt mit Hoffnung, schon bald in wachem Zustand in der mir bekannten Wohnung zu liegen, mache ich mich auf den Weg. Da alles um mich herum schwarz ist, wähle ich eine beliebige Richtung aus und taste mich langsam, wie eine Katze auf ihrer nächtlichen Jagd, Millimeter für Millimeter nach vorne. Der Untergrund, auf dem ich mich bewege, ist hart wie zuvor. Es kann also nur mein Bett sein, auf dem ich da umherrobbe, denke ich mir. Bis zur Schlafzimmertür sind es keine zwei Meter, das schaffe ich also locker in dieser Position. Was mir allerdings Sorgen bereitet, ist der Fakt, dass meine schmerzenden Beine nicht das machen, was ich ihnen vorgebe. Sie sind schwer und lassen sich nicht steuern, es fühlt sich beinahe so an, als wären sie von einer gehörigen Portion Gift betäubt. Ich bin ein starker Mann, deshalb schaffe ich den Weg auch ohne die Beine. Die knapp zwei Meter habe ich nun überbrückt, drehe mich auf die linke Körperseite und strecke meinen Arm in die Höhe, bis ich die Türklinke fest in der Hand halte. Ich habe es geschafft. Doch die Tür öffnet sich nicht. Ich drück den Griff mehrmals nach unten und ziehe. Nichts. Ich versuche es erneut, bestimmt zehn Mal hintereinander. Immer noch nichts. Erschöpft sacke ich am Boden zusammen und spüre die Kälte, die sich unter mir breitmacht.
Ich zwinge mich, nicht aufzugeben, und greife zur Seite, wo ich etwas spüre, das eine Maserung hat. Es ist Holz. Ich taste weiter und merke, dass sich meine Handfläche auf einem Baum befindet. Scheiße. Ich kann mich nicht erinnern, in meinem Schlafzimmer je eines dieser wuchtigen Lebewesen gesehen zu haben. Meine Gedanken kreisen wie ein Karussell und je mehr ich von meiner Umgebung erfühle, desto unsicherer werde ich: Realität und Traum verschwimmen. Ob ich jemals wieder aufwache und meine Liebste sehe? Ich versuche zu schreien. Es geht nicht. Oder doch, und es ist nur niemand da, der mich hört? Nicht mal ich selbst? Ich zwinge mich, die Fassung zu bewahren und einen Weg aus dem Wald herauszufinden. Meine Intuition sagt mir, dass der Weg aus dem Wald der Weg aus dem Traum heraus ist.
Plötzlich nehme ich ein leises Geräusch war, das beinahe wie ein Piepsen klingt und nur sporadisch zu hören ist. Mit der Zeit ist es öfters zu hören, wenn auch noch genauso leise, und es dauert nicht lange, bis ich den Klang erkenne: Vogelgezwitscher. Die Tiere erwachen also, das bedeutet für mich, dass es bald hell wird. Ich setze alles darauf, dass die hoffentlich zügig einsetzende Helligkeit meine Gefangenschaft innerhalb dieser schier alles einnehmenden Schwärze beendet. Also warte ich und warte und warte. Und es kommt mir vor, als wartete ich bereits seit Stunden. Schon längst hätte mir die Morgendämmerung mit ihren sanften Strahlen mein Augenlicht zurückgeben müssen, aber das tat sie nicht. Noch immer umhüllt mich das bloße Nichts, einzig das leise Gepiepse lässt mich glauben, dass bald alles gut würde. Ich wage, getrieben von einer wuchernden Ungeduld, erneut einen Versuch, meine Umgebung zu erkunden. Mit Kraft stütze ich mich also auf meine Arme und bewege einen nach dem anderen ein Stückchen nach vorn, meinen Rumpf samt der Beine schleife ich hinter mir her. Es ist, als spürte ich in ihnen bereits ganz sanft das Blut pulsieren, als wiche das Gift langsam aus ihnen heraus, doch sie zu bewegen gleicht noch immer einem Vorhaben, das ich nicht in die Tat umsetzen kann. Meine Augen beginnen nun auch zu schmerzen, die Anstrengung der letzten Stunden – oder doch nur Minuten? – macht sich bemerkbar. So kann ich auch nicht ausmachen, ob ich mich bereits einen oder vielleicht doch schon zehn Meter in eine Richtung geschleppt habe.
Plötzlich stockt mir der Atem. Ich spüre etwas an meinen Fingerspitzen, das sich wie kaltes Holz anfühlt, eine leicht raue und lebendige Oberfläche. Sie entspringt dem Boden und je weiter ich nach oben taste, desto mehr bemerke ich zu meinem Erstaunen, das sie auch dort existiert. Ein Baum kann es diesmal nicht sein, denn ich erfühle eine ebene Fläche. Mit all meiner Kraft versuche ich, meinen schweren Körper erneut in die Senkrechte zu hieven. Es klappt nicht. Da ist sie wieder, die unsichtbare Macht, die mich am Boden hält. Also versuche ich in meiner Liegeposition, die ich glücklicherweise durch Drehen und Wenden meines Körpers verändern kann, mehr und mehr von der Fläche zu ertasten. Und ganz gleich, ob ich nahe des Bodens oder weit oben, ob ich links oder rechts taste, ich fühle nichts anders als die hölzerne Fläche. Schleichend überkommt mich das, was ich sonst nie fühle: Verzweiflung. Denn ich liege scheinbar vor einer Wand. Und schließe meine Augen. Als ich sie wieder öffne, sehe ich: nichts. Jedoch breitet sich langsam eine wohlige Wärme in meinen Beinen aus. Ob ich in Ohnmacht gefallen bin, weiß ich nicht, doch es kommt mir vor, als sei einige Zeit vorübergegangen. Zu lange kann es nicht gewesen sein, denn die Vögel höre ich noch immer leise zwitschern und die Wand, ja die Wand, die ist ebenfalls noch da. Und die Verzweiflung leider auch.
Ich beschließe nun, einfach abzuwarten, in der Hoffnung, dass das Gefühl in meine Beine zurückkehrt, denn immerhin kann ich sie jetzt, wenn auch nur einige Millimeter weit, anheben. Während des Wartens krümme ich meinen Oberkörper zusammen, ähnlich der Embryonalstellung, nur mit dem Unterschied, dass ich meine Beine nicht anziehen kann. Es verschafft mir wenigstens die Illusion von Geborgenheit, und ich beginne, behutsam meine schmerzenden Oberschenkel zu massieren. Doch mit jedem Kniff, den ich ihnen verpasse, spüre ich mehr, wie in mir ein Gefühl von Schwärze aufsteigt, ein Gefühl von Übelkeit. Sodann durchziehen Blitze meinen Kopf, keine stechenden, nein, es sind diejenigen Blitze, die Erinnerung tragen, die in diesem Moment wie wild durch mein Gehirn schießen. Hat mich jemand eingeschlossen? Liege ich hier in einem Kerker? Oder gar in einem Wald, mit Wand? Mir schwant, dass ich langsam den Verstand verliere. Nicht vollständig, aber zumindest zu jenem Teil, der mich nicht mehr erkennen lässt, was Traum und was Realität ist, und was gestern wohl passierte, als ich noch nicht in diesem gespenstigen Verließ gefangen war. Ich merke, wie der Pegel an Adrenalin in mir steigt, und wittere die Chance, die diese Substanz mir verschaffen mag, nämlich, dass meine Beine wieder funktionieren mögen, und zwar aller schnellstens. Zu meinem Überraschen passiert genau das. Wie viele Minuten oder sogar Stunden während dieses Prozesses vergehen, kann ich nicht ausmachen, denn es scheint mir, als habe ich jegliches Gespür für Zeit verloren, hätten nach meiner Rechnung doch die warmen Sonnenstrahlen schon vor langer Zeit mein Gesicht kitzeln müssen. Doch beständig beginne ich, mehr und mehr meine Beine zu fühlen, nicht mehr nur den Schmerz, sondern jeden Muskel, jede Faser und den immer stärker werdenden Druck des Blutes, das durch meine Arterien fließt. Endlich, endlich kann ich sie, wenn auch sehr langsam und unter größter Anstrengung, in Richtung meines Körpers ziehen, sie wieder ausstrecken und erneut zu mir heranziehen.
Ich wage nun den Versuch, mich in meiner Gänze aufzurichten, drehe mich dafür bäuchlings um und bringe meinen Körper in eine Stellung, die einem Hund gleicht, auf allen Vieren sozusagen. Just in dem Moment, als ich beginne, meinen Rücken gen Himmel zu drücken, reißt sie mich ein weiteres Mal nieder. Jene Macht, wie sie es bereits öfters tat. Ich versuche es erneut und scheitere kläglich. Noch dreimal, bis ich schlussendlich aufgebe. Die Hoffnung, wie sie in den vergangenen Minuten in mir aufkeimte, erstickt sogleich an jenen Schlingen, die die Verzweiflung, die langsam wieder in mir zu wachsen beginnt, um sie gelegt hat. Ich scheine verflucht zu sein, dass die einzigen körperlichen Werkzeuge, die mir hier in meiner erbärmlichen Situation zu Verfügung stehen, nur meine Hände sind. Und schon weicht auch die Verzweiflung von mir und nimmt ihre Schlingen mit, nur um zu gleicher Zeit von einer viel stärkeren Kraft abgelöst zu werden: Ich spüre Angst. Es scheint beinahe, dass ich so viel Angst habe, dass diese meinen unweigerlich auftretenden Überlebensinstinkt auslöst. Das Adrenalin in meinem Körper zischt durch alle Zellen und führt dazu, dass dieser sich, auch ohne dass ich das willentlich steuere, bewegt. Wie in Trance, aber trotz allem mit furchtbar scharfen Sinnen, taste ich alles ab, was ich finden kann. Ich robbe nach rechts und fühle die Wand. Ich robbe nach links und fühle die Wand. Oberhalb meines Kopfes: Wand. Und meine Füße erspüren sie ebenfalls. So komme ich keinesfalls weiter, überall um mich herum befindet sich eine Wand, und ich kann weder örtlich noch zeitlich einordnen, wo ich mich befinde. Das letzte, was mir anscheinend bleibt, ist, dass ich am Leben bin und meine Sinne funktionieren. Ich gehe jetzt also strukturiert vor. Ich fasse noch einmal an die Wand, es ist definitiv Holz. Aber es ist nicht jenes Holz, wie es in der Natur vorkommt. Es ist ebener, glatter und trotz seiner Maserung und der rohen Oberfläche wirkt es beinahe wie von Menschenhand geschaffen. Mein Schlafzimmer ist auch aus Holz. Ich wäge mich kurz in Sicherheit. Anschließend drücke ich meine Nase gegen die Wand und atme zwei Mal sehr tief ein. Sie riecht nach Holz und bestärkt mich in meiner Annahme, dass ich in meinem Schlafzimmer bin. Doch irgendetwas in mir gibt keine Ruhe, als wüsste mein Körper, dass ich etwas überrochen habe. Also halte ich meine Nase erneut an die Wand und nehme einen leichten, mir sehr bekannten Duft war: Nässe. Das Holz muss nass gewesen sein, allerdings kann ich das von meinem Schlafzimmer nicht behaupten. Dort waren weder das Mobiliar, noch die alte hölzerne Tür und auch nicht die Balken an den Wänden und Decken jemals einer Überflutung oder einem anderen durch Nässe hervorgerufenen Schaden ausgesetzt gewesen. Bin ich also doch im Wald? Mehr und mehr verschwimmt das, was üblicherweise als Hier und Jetzt bezeichnet wird. Den moosigen Geruch vernehme ich noch immer, doch seine Gegenwart hüllt mich mittlerweile, da ich so gefangen bin in diesem Konstrukt aus wechselnden Szenen, in einen vertrauten Nebel, der mich wohl ewig begleiten wird. Ich merke, wie das Blut, das sich seinen Weg nunmehr in jeden Winkel meiner Beine gebahnt hat, weiter nach oben steigt, bis mich eine Klarheit überkommt, wie ich sie seit … ich weiß es nicht, vielleicht Stunden oder doch nur Minuten, nicht gefühlt hatte. Es kommt mir vor, als sei ich wieder ich, als könnte ich nun Realität von Illusion und Illusion von Traum unterscheiden. Was bleibt, ist die Schwärze um mich herum, die sich jetzt, noch mehr als je zuvor, wie ein Pfeilhagel in meine müden Augen bohrt, jedes erdenkliche Mal, wenn ich sie öffne. Ausgelaugt von der lang andauernden Suche nach dem, was real ist, und dem unerschütterlichen Drang nach Freiheit, besinne ich mich auf meine momentane Situation. Ich glaube, in meinem eigenen Schlafzimmer zu liegen. Und ich glaube, dass mich mein eigener Traum vom Weg in den Wald auf irgendeine Art und Weise gefangen hält. Ich kann nicht ausbrechen, weder lässt sich meine Schlafzimmertür öffnen, noch kann ich die Wand, die sich im Wald aufgetan hat, durchbrechen. Ich rieche hölzerne Nässe und die einzige Bewegungsfreiheit, die ich besitze, ist die meiner Arme und die meiner Beine. Ich sehe: nichts. Das Gezwitscher der Vögel höre ich noch immer ganz leise. Und mich überkommt das Gefühl, dass sich das auch nicht mehr ändern wird. Mein Verstand ist klar, meine Sinne messerscharf und ich, ich bin voller Leben, als wäre nun endlich alles Gift aus meinem Körper gewichen, für immer.

Als ich so daliege und beschließe, dass es nun an der Zeit für mich ist, ein Eingeständnis zu machen, weiß ich: Ich bin lebendig begraben. Was mir bleibt, ist die letzte Erinnerung an meine Liebste, ihre Schönheit, ihren Geist, ihre Seele, wie sie dasaß auf dem Waldboden, und ihre warme Hand in der meinen lag.

 

Hallo ameliedlp, Dein Text funktioniert auf der handwerklichen Ebene nicht so gut, wie Du es wahrscheinlich hoffst: Die Geschichte bietet in den ersten Absätzen kaum etwas, das den Leser wie ein Haken in die Story ziehen könnte. Beschrieben werden Sinneseindrücke, ein behagliches Gefühl, Wahrnehmung von Dunkelheit und schließlich die Erinnerung oder die Imagination eines Spaziergangs bzw. einer Wanderung …

Für die meisten Leser ist das zu wenig, denke ich. Wenn wir schreiben, sollten wir uns fragen, was für einen Leser interessant sein könnte. Was weckt seine Neugier? Wie bringen wir ihn dazu, die gesamte Geschichte zu lesen?

Die Antwort lautet: Beschreibe einen Konflikt. Für die Inszenierung von Konflikten gibt es viele Möglichkeiten. Einfach nur im Wald oder in der Imagination herumzuspazieren, gehört nicht dazu.

Wenn Du das Eingeschlossensein in einem Sarg beschreiben willst, das Lebendig-Begrabensein, solltest Du drastischer einsteigen. Das hält den Leser bei der Stange.

Sprachlich gibt es einige Schwächen:

Man gönnt sich ja sonst nichts.

machen es dem Körper wahrlich nicht leicht

harter Weg, serpentinenartige Windungen, schneller Atem, weicher Waldboden

Der Text ist voller überflüssiger Adjektive und Blabla-Wendungen wie »Man gönnt sich ja sonst nichts« sind ganz übel. Das sollte kräftig entschlackt werden.

Meine Empfehlung: Arbeite zunächst eine sinnvolle Handlung mit einer überzeugenden Figur aus. Frage Dich dann wie ein Kameramann beim Film, wie man das am besten in Szene setzt.

Ich wünsche Dir dabei viel Erfolg!

Gruß Achillus

 

Hallo @ameliedlp,

lebendig begraben geht eigentlich immer, das Thema hat mich schon als Kind fasziniert und ich habe mich über die Jahre viel damit beschäftigt. Eine Sache, die bei mir unter anderem hängengeblieben ist: Ein Körper ist so geschwächt, dass er für tot gehalten wird, und in einem Sarg ist relativ schnell die Luft weg. Dieses klassische Szenario, das man da so frei nach Poe vor Augen hat, aufwachen, schreien, gegen den Deckel schlagen und sich die Fingernägel daran blutig kratzen ... in den meisten Fällen hattest und hast du wahrscheinlich eher ein extrem schwach glimmendes Lebenslicht, das dann langsam - und still - ganz ausgeht.

Damit möchte ich sagen, für eine moderne und deine ganze eigene Version dieses Motivs musst du vielleicht noch ein bisschen recherchieren. Ganz wichtig ist bei der heutigen Medizin glaube ich die Erklärung, mir persönlich jedenfalls reicht da kein "ist halt passiert". Ein überarbeiteter Arzt? Vielleicht muss es ja auch gar nicht der Sarg sein. Zum Beispiel kann ein Höhlenforscher in einen Schacht kriechen und plötzlich merken, es geht weder vor noch zurück und vom Rücken bis zum Fels ist es nichtmal ein Handbreit. Ansonsten halt Google, dass in der Leichenhalle einer die Augen aufmacht oder sogar im Sarg, die Schlagzeile gibt's immer mal wieder. Und natürlich fragt man sich dann ...

Ansonsten finde ich deine Geschichte vom Aufbau schwierig. Sie lebt von der Pointe, die nur funktioniert (funktionieren könnte), weil du einen Ich-Erzähler hast, der extrem schwer von Begriff ist.

Die Schwärze der Nacht hüllt sich um meinen Blick wie dunkler Samt, weich und warm.
Es ist ja nicht die Nacht, und mit der verbinde ich auch eher Kühle.

Ein behagliches Gefühl breitet sich in mir aus, obwohl ich heute alleine bin, meine Liebste weit entfernt von mir. Mein Herz gibt mir Kraft und ich sehne das Wiedersehen herbei, als hätte ich sie mehr als eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.
Ziemlich schwülstig. Da müsste ich auch lachen, so wie dein Prot es im nächsten Satz tut.

denn sie kann dort gar nicht liegen. Auch wenn ich mir wünschte, er täte es nicht und sie läge da in ihrer vollkommenen Schönheit.
Zu viele Drehungen um die selbe Sache.

Es scheint wohl gegen drei Uhr morgens zu sein, da die Morgendämmerung noch nicht eingesetzt hat.
Gibt's nicht eine ganze Menge Uhrzeiten ohne Dämmerung pro Nacht?

in der Dunkelheit und erfreue mich der Zeit, die ich nun habe
Schräger Typ. Die meisten ärgern sich, weil sie wissen, morgen bin ich im Eimer.

Man gönnt sich ja sonst nichts.
Sehe ich wie @Achillus.

mit bräunlich-grauen Kieselsteinen bestückten Weg entlang, der in kleinen, serpentinenartigen Windungen
Das auch.

Mehr als einen Meter nach oben komme ich nicht, also probiere ich, einzelne Körperteile gen Himmel zu bewegen.
Schon mal im Sarg gelegen? Einen Meter? Komfortables Gerät.

Die knapp zwei Meter habe ich nun überbrückt, drehe mich auf die linke Körperseite und strecke meinen Arm in die Höhe, bis ich die Türklinke fest in der Hand halte. Ich habe es geschafft. Doch die Tür öffnet sich nicht. Ich drück den Griff mehrmals nach unten und ziehe. Nichts. Ich versuche es erneut, bestimmt zehn Mal hintereinander. Immer noch nichts.
Er denkt, er liegt vor einer Tür? Und was hat er da im Sarg in der Hand, das er für eine Türklinke hält?

Es ist Holz. Ich taste weiter und merke, dass sich meine Handfläche auf einem Baum befindet.
Särge sind innen kein nacktes Holz.

Viele Grüße
JC

 

@Achillus und @Proof, herzlichen Dank für euer Feedback und die Korrekturvorschläge. Ich werde meine Geschichte dahingehend noch einmal prüfen und an der ein oder anderen Stelle überarbeiten.
Viele Grüße
Amelie

 

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