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Die jüngste Generation

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14.02.2004
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Die jüngste Generation

Lieder. Ihren Melodien lauschend, bin ich versunken. In mir. In mich. Ich höre täglich Musik. Morgens wenn ich aufstehe und mit dem Bus zur Arbeit fahre. Während der Mittagspause. Und dann wenn ich wieder auf dem Nachhauseweg bin. Klänge auf deren sanften Wellen ich bis tief in die Nacht hineinsegle. Bis der Mond seinen fahlen Schein zu uns hinabschickt. Almosen an die einsame und verlorene Spezies.
Hier stehe ich, irgendwo auf einem Dach, hoch über dem emsigen Gewimmel unseres Seins. Der Himmel, schwarz und voller Sterne, die dem weißen Antlitz glitzernd Gesellschaft leisten. Ob auch er alleine ist? Verloren?
Manchmal habe ich die Lieder und ihre Melodien satt. Ich sitze dann die Tage hindurch herum oder gehe etwas tun. Nüchternheit und dennoch fühle ich mich glücklich; die Tiefe meiner Seele ist wie fort.
Tiefe. Was für ein schwermütiges Wort! Was für ein schwermütiges Bild; ein dunkelbraunes Meer, unentwegt sich wiegend und kräuselnd, Stille, Horizont der Abenddämmerung. Die Gestade geformt von schimmerndem Sand, ein Anblick so weit das Auge sieht. Es ist vielleicht die Unschuld der Natur, die mich dabei auch Hoffnung spüren lässt. Nicht viel, aber doch ein wenig. So wie eine schwache Böe, hergetragen über das herbe Land, hergetragen von einer morgenfrischen Briese.
Heute war ein guter Tag. Einer an dem man kaum Musik hört, aber jede einzige Nuance genießt, wenn sie weit jenseits des Bewussten erschallt. Selbst die traurigen gesungenen Worte erfüllten mich mit Frohsein. Ich war in der Stadt, bummelte umher, geleitet und getrieben von meiner inneren Stimme. Es war ein Ausflug ohne Ziele, ohne Pflichten; jeder Schritt ein unsicherer; jeder Blick eine Überraschung.
»Hey!«, rief er. Er war ein Freund, lange nicht gesehen, obwohl wir uns eigentlich nahe stehen. Obwohl ich nicht sehr viele Freunde habe. »Was machst du? Wohin gehst du? Und wie geht es dir?« Genauso gut könnten wir einander fragen, wer wir sind. Ich meine das nicht böse. Ich meine es nachdenklich. Sind wir nicht, was uns bewegt? Sind wir nicht die Stimme, die in unserem Verborgenen schlummert und plötzlich erwacht, uns Verlangen, uns Ideen aufbürdend?
Erfreut begrüßte ich ihn, sein Blick ebenso kritisch wie der meine; man verändert sich. Selbst in nur wenigen Wochen. Selbst in nur wenigen Tagen. Zwei Millimeter mehr Bart. Zwei Millimeter mehr Haar. Vielleicht auch die Frisur. Sicherlich die Kleidung, sicherlich die Miene des Gesichts, die Aura. Wir redeten. Smalltalk und der übliche Rest. Es ist gut Freunde zu haben. Es ist gut, etwas Vertrautes zu haben. Heimkommen zu können, egal wo, solange es sich nur wie Zuhause anfühlt. Vor allem in unserer Zeit. Einer, die wohl der Zeit der amerikanischen Novellisten in Paris damals, der »Génération Perdue«, nur allzu ähnlich sein muss. Die Welt so zerbrechlich, noch immer unter der Wut der Menschen. Und wenn sie birst? Wohin gehen wir dann? Kein Frieden. Kein Heim. Das Leben eine einzige Flucht, ein einziger Kampf. Wie würde man uns wohl am besten nennen? Die jüngste Generation? Die Generation ohne Zukunft?
Es ist so töricht, darüber zu sprechen, die Angst in den Mund zu nehmen. Europa ist schon immer krank gewesen, ein hässlicher pulsierender Tumor. Aber jetzt ist die Furcht vor dem anderen so groß geworden, dass ich es nicht mehr sehen kann. Für mich ist dieser Ort nur noch ein Feld, reserviert, um ein Schlachtfeld zu werden. Ein Platz, um zu bluten. Daran zu denken, lässt meinen Körper erbeben, meine geballten Fäuste erzittern. Aber Mitleid habe ich keines, so sehr ich es versuche. So sehr ich am Guten im Menschen festhalte. Und wer, wenn nicht unsere Generation selbst sollte das Gute besser kennen? Wir, die wir etliche Hollywood-Streifen gesehen haben, in denen die Guten für das Gute kämpfen?
Amerika. Europa. Der Doktor und der Patient? Die Medizin und der Tumor? In den Medien sehe ich die Proteste, sehe die Hippies, die mit hocherhobenen Tafeln durch die Strassen marschieren. »Fucking U.S.A.«, »Don’t drop bombs: smoke weed: make love«. Wenn ihr mich fragt: Europa ist eine Schlampe. Zu feige, dem Tod ins Auge zu blicken. Zu eingebildet, um dem reicheren Kontinent die Spitze zu gewähren. Aber… würde ich in den Krieg ziehen? …
»Mach’s gut, man sieht sich« Sein Lächeln, das Letzte was er mir würdigte. Dann verschwand er im Menschengewirr. Irgendwo, zahllose Kilometer weit entfernt, in einem fernen Land, da kreischt wohl gerade ein schweißgebadeter Mann seinen Abschiedslaut. Die Brust zersiebt und zerfetzt. In der letzten Sekunde seines Lebens rauschen traumschnell die Bilder und Gedanken seiner schönsten Erlebnisse durch seinen Kopf. Vielleicht seine Kinder, wie sie ihn glücklich anlächeln. Vielleicht seine erste Liebe, braungelockt, anmutiges Nässchen, verliebt. Vielleicht das Gefühl von herumschwirrenden abgestorbenen Herbstblätter, ihn umtänzelnd, ihm ihre würzigen Düfte offenbarend. Vielleicht, vielleicht. Und dann prallt sein bleierner Körper auf dem staubigen trockenen Boden auf; er ist tot. Kommt nicht wieder. Nie mehr. Einzigartig. Ein Leben vertan. Nein, diejenigen die in den Krieg ziehen, wollen kein Öl. Sie wollen nicht die Spitze der Weltwirtschaft darstellen.
Die jüngste Generation. Bin hinabgestiegen die winzigen Tritte meiner Seele, tiefer und tiefer. Meine Augen geschlossen. Nostalgie. Unschuldige Kindheit. Geborgenheit. Die Welt ist noch heil. Als hätte ich diesen Spruch damals begreifen können. Ein sanfter Windstoss schmeichelt sich an meine Wange, hebt mein Haar empor. Über mir blitzen noch immer die Sterne. Und der blasse Mond. Ich setze mich hin, ziehe meine Knie an und umschlinge sie. Mein Kinn auf sie gebettet. In meinen Augen muss sich wohl alles spiegeln. Die ganze Nacht, die spärlichen dunklen Wolken dort am Rande der Welt. Ich setze die Kopfhörer auf und klicke auf die Play-Taste. Die Musik, Wogen voll Leben, voll Spiel. Und doch ruhig, friedvoll. Eine Ruhe hinaufsteigend aus unermesslichen Tiefen. Schließe die Augen. Denke an meine Liebe; Zuhause.
Warten. Warten auf Morgen.

 

hi Clyan,

Du schilderst durch einen inneren Monolog einen Menschen, der einsam und trist durch die Welt geht. Vielleicht sollte sich der Prot nicht so oft die Ohren mit seiner Musik zustöpseln, dachte ich, dann würde er Dinge von außen hören. Dinge, die ihn vielleicht auch auf andere, neue, schöne Gedanken bringen.

Tja und leider ist es für mich keine Geschichte, die mich anspricht. Dieser Mensch ist in einer Lebensphase, in der er viel hinterfragt. Mich interessieren seine Gedanken zu Politik etc., aber nicht, weil ich für mich in dem Text nicht das gefunden habe, was dieses Interesse wecken könnte: Handlung.

Lieber Gruß
bernadette

 

hi bernadette,

Ich kann natürlich unmöglich abstreiten, dass es hier an Handlung fehlt. Bei Gesellschaftsstories ists mir schon immer schwer gefallen, den Protagonist in eine spannende Szene zu verstricken. Es möge mir verziehen sein. Dass mit der Musik wäre dann vielleicht auch nicht schlecht gewesen...

"Dieser Mensch ist in einer Lebensphase, in der er viel hinterfragt." - soll das etwa heissen, dass man irgendwann einfach zu träge wird, um den Dingen auf den Grund zu gehen? Da bin ich etwas anderer Meinung. Man sollte soviel hinterfragen wie möglich. Nicht nur zusehen und denken: so ist das eben.
Bei dieser Thematik finde ich Hinterfragen völlig berechtigt. Und wenn du mehr über die politischen Ansichten vom Protagonist lesen könntest, so gäbe es wohl nur noch weniger Handlung, dafür mehr Information.

Trotzdem Danke,
Grüsse,
Clyan

 

"Dieser Mensch ist in einer Lebensphase, in der er viel hinterfragt." - soll das etwa heissen, dass man irgendwann einfach zu träge wird, um den Dingen auf den Grund zu gehen?

Nein, aber es gibt Lebensabschnitte, in denen durch die Lebensstruktur viel mehr vorgegeben ist: Frage zB mal eine Mutter mit einem zwei Wochen alten Baby, welchen Dingen sie gerade auf den Grund geht. Sicher stellt sie keine Sinnfragen wie: Wo komme ich her, was will ich tun, wer ist Gott etc.
Sie hat gar keine Zeit zu so etwas.

Du aber bist gerade 19 und als jene Mutter mit Baby auch so alt war, hat sie sich vielleicht genau die gleichen Fragen gestellt. So wie ich mir damals auch - in ähnlicher Form. Also um das mal zu vereinfachen: Viele, die älter sind als du, kennen die Fragen...die Gedanken...die Zweifel...interessant wird das dann für uns nur, wenn das ganze in eine Geschichte gepackt wird.

Bitte sieh mich nicht als altes Weib, die die Weisheit mit Löffeln gefressen hat ;) - wir dachten damals auch, ein Teil unserer Gedanken seien revolutionär oder zumindest neu :).

 

nochmals hallo, bernadette

nicht doch! so sehe ich dich überhaupt nicht. ich habe nachgeguckt und hab gesehen, dass du eine gute KG-schreiberin bist. deine Tipps kann ich mir also zu herzen nehmen, auch wenn sie fasst zu erwarten gewesen wären, da ich meistens dieselben Kritiken erhalte (in Gesellschaft zumindest). Immer heissts: zu langweiler, trister Prot.
Und wie mir ebenso aufgefallen ist, bringt man meine geschichten immer mit mir in Verbindung. Ich finde das nicht ganz fair. Okay, ich war mit 16, 17 sehr depressiv veranlagt, aber das ist vorbei und was ich jetzt schreibe, muss nicht immer gleich mit mir selbst zu tun haben. (ich glaube zwar, dass es unmöglich ist, einen völlig Autor-Fremden Protagonist zu entwerfen)

Ich will mich hier nicht beklagen. Du hast nach wie vor recht. Wär nur froh, wenn man endlich aufhören würde, mich für nen trübseeligen Spinner zu halten.

Grüsse,
Clyan

 

Und wie mir ebenso aufgefallen ist, bringt man meine geschichten immer mit mir in Verbindung.

Nein, aber mit deinem Alter :). Hätte den Text ein 50-Jähriger geschrieben, wäre meine Antwort sicher anders ausgefallen.
Jeder Text ist ein kleines Stück Autobiographie (und wenns nur die Butterdose ist). Aber das ist ein anderes Thema :).

 

Hallo Clyan,

du hast den Grundstein zu mehr Handlung doch schon gelegt. Nur nutzt du ihn dann leider nicht.
Das Treffen der Freunde könnte ein guter Anlass sein, die inneren Konflikte auf zwei Personen zu verteilen und als Gespräch darzustellen. Dein Ich-Erzähler könnte dabei seinen letzten Tag vor einem Auslandseinsatz beim Heer haben (okay, dann dürfte er kein Schweizer sein). So hättest du einen Anlass für seine Gedanken und eine Möglichkeit, uns Leser für ihn einzunehmen. Das Gespräch zwischen den Freunden könnte sich dann um die Ängste drehen, der Freund könnte aber auch Wehrdienstverweigerer sein. Es sind nur kleine Änderungen, die diesen inneren Monolog zu einem Dialog mit mehr Identifkationsfläche für den Leser machen. Dadurch wird es auch gleich interessanter.
Du kannst schön schreiben und das hast du hier auch getan. Nur hast du uns nichts mitgegeben, was uns deinen Protagonisten nahe bringt.

Europa war schon immer krank gewesen
Tempus: ist schon immer

Lieben Gruß, sim

 

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