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- 30.06.2004
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Die Kerzengießerin
Nochmal für Markus
Ganz allmählich bildete sich eine kleine Pfütze unter dem goldgelben Klumpen, der im Tiegel schwamm. Der angenehme Duft nach frischem Wachs durchströmte das Zelt. Mit einigen raschen Schritten trat Keriann ans Feuer und goss aus einer kleinen Flasche etwas rote Farbe zu dem schmelzenden Wachs. Es zischte leise und ein stechender Gestank löste den warmen Geruch ab. Keriann streifte ihre Tuchmaske über und begann, mit einem Holzlöffel die Farbe unterzumischen.
Blutrote Schlieren durchzogen das satte Gelb, die Flüssigkeit verteilte sich nur widerspenstig. Keriann rührte kräftiger, vermengte Rot und Gelb, erzeugte ein warmes Orange, fügte schließlich einen Duftstoff hinzu. Der beißende Geruch schwand nach und nach. Sie zog die Maske vom Gesicht und verfiel in den leisen Gesang, den ihre Mutter sie gelehrt hatte. Eine Melodie, die von Leid sprach, von Blut und Schmerzen. Die Worte brannten in ihrem Mund, sie hatte das Gefühl, ihr Gaumen müsste zerspringen. Ein metallischer Geschmack lag auf ihrer Zunge. Sie schluckte ihn hinunter und rührte weiter.
Endlich war das gesamte Wachs geschmolzen. Leuchtend orange füllte es den Tiegel, jetzt süß duftend. Vorsichtig klemmte Keriann den Tiegel in ihre Holzzange und hob ihm vom Feuer. Die Kerzenform stand schon bereit, der Docht war bereits eingezogen, nun goss sie vorsichtig das Wachs in einem dünnen Strahl hinzu. Innerhalb weniger Minuten war die Form gefüllt und der Napf leer.
Sorgfältig stellte Keriann ihn beiseite. Wahrscheinlich würde sie morgen eine weitere Blutkerze gießen müssen, da brauchte sie ihn wieder. Fürs Erste jedoch war ihre Arbeit beendet. Sie legte die schwere Lederschürze ab und häufte Sand auf die Feuerstelle. Dann trat sie nach draußen an die frische milde Abendluft.
Die ersten Sterne waren heraufgezogen, flimmernde Punkte am dunkelblauen Himmel über der Prärie. Keriann ließ sich ins Gras neben dem Zelt sinken, lehnte sich zurück und starrte hinauf in die Unendlichkeit. Grillen zirpten um sie herum, einige Pferde schnaubten und in einiger Entfernung konnte sie die rauen Stimmen der Arbeiter vernehmen.
Wenn ich doch nur fliegen könnte, weit weit fort.
„Hexe, ist die Kerze schon fertig?“ Die Stimme Jansens riss Keriann aus ihren Gedanken. Erschrocken setzte sie sich auf. Die Silhouette des Vorarbeiters malte sich dunkel vor dem Himmel ab. Finsterer als die Nacht, dachte sie traurig. Sie erhob sich und klopfte ein paar Grashalme von ihrem Rock. Dann machte sie eine unbeholfenen Knicks vor Jansen. Sie wusste, dass er das erwartete.
„Sie muss noch fest werden, Mister Jansen.“ Sie konnte seine Missbilligung riechen. Unangenehm stechend, wie die rote Farbe des Leides.
„Wie lange dauert das noch? Wir wollen noch heute Nacht eine Lieferung an die verdammten Indianer schicken. Eine kleines Geschenk, sozusagen. Das wird sie hoffentlich dieses Mal fernhalten. In einer Stunde reitet der Bote los, bis dahin muss ich die Kerze haben.
„Sie wird fertig sein, ich verspreche es.“ Sie vermied es, ihm ins Gesicht zu sehen.
„Das will ich hoffen.“ Mit einem großen Schritt trat er so dicht an sie heran, dass der Geruch seiner Verachtung sie überschwemmt. Beinahe verdeckte er sogar den unangenehmen Schweißgeruch Jansens. „Du willst doch nicht, dass ich Mister Ranford informieren muss, oder?“ Sein Atem roch leicht nach Whisky. Keriann wurde übel.
Sie schüttelte nur schwach den Kopf.
Jansen lachte, schob ihr seine Hand unters Kinn und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. „Wann machst du mir endlich meine Liebeskerze für Joanne, Hexe?“
Keriann wagte es nicht, sich ihm zu entziehen, aber sie schlug zumindest die Augen nieder. „Ich mache keine Kerzen, die den Willen zwingen, das wissen Sie doch.“
Der Vorarbeiter ließ sie los und trat endlich einen Schritt zurück. „Warte es ab, bis Mister Ranford das einmal von dir verlangt, dann wirst du ja sehen, was du tust, und was nicht.“ Brüsk wandte er sich ab. „Bring die Kerze zum Lagerverwalter, sobald sie fertig ist!“ Damit stiefelte er seinem Zelt zu.
Keriann kehrte wieder in ihr Zelt zurück. Der Besuch Jansens hatte ihr den vorher angenehmen Abend gründlich verdorben.
Drinnen stand die Blutkerze in ihrer Form. Friedlich sah sie aus. Harmlos, hübsch anzusehen mit ihrer satten Farbe. Einen Augenblick lang verspürte Keriann das dringende Bedürfnis, die Form zu zerschlagen, das Wachs auszugießen. Doch das würde nur wieder Ärger bedeuten, vielleicht sogar Schläge mit der Viehpeitsche. Einmal hatte Jansen das getan.
Stattdessen stellte Keriann die Form in ein kaltes Wasserbad. Sie tat besser daran, die Kerze so schnell wie möglich vollendet zu haben.
***
Es war Markttag in An Clochán. Überall war das Blöken der Schafe zu vernehmen, Bauern aus dem gesamten Umkreis boten ihr Gemüse feil. Menschen aus den umliegenden Dörfern scharten sich um die Stände. Trotz des Gedränges herrschte eine heitere, ausgelassene Stimmung vor, Fetzen von Musik und Gesang, Gelächter und Scherzworte flogen hin und her.
Lachend teilte Noleen Kerzen am Marktstand aus. „Dieses Licht, Mister, wird eure Angebetete zum Schmelzen bringen.“ Sie kicherte über ihren eigenen Witz, und der hagere Kerl, dem sie die leuchtendblaue Kerze reichte, lachte mit ihr.
Keriann saß zu den Füßen ihrer Mutter und spielte mit Wachsresten. Sie schmolz sie über einem kleinen Feuer aus Zweigen und füllte ein Tontöpfchen damit.
Eine Katze sprang vorbei.
Keriann zuckte zusammen und stieß dabei das Töpfchen um. Das heiße Wachs spritzte heraus, verbrannte ihre Arme und die bloßen Füße ihrer Mutter.
Keriann schrie vor Schmerzen auf, doch Noleen übertönte sie noch. „Bist du des Wahnsinns, Kind? Pass doch auf, was du tust!“ Sie rieb sich den schmerzenden Knöchel und tobte vor Wut. Dann wurde sie plötzlich ruhig und griff mit einer raschen Handbewegung eine mattgrüne Kerze. Sie setzte das Licht vor ihrer Tochter auf den Boden und entzündete den Docht. Währenddessen schimpfte sie weiter auf Keriann ein, die immer noch schrie, wie am Spieß.
„Geschieht dir ganz recht, dass du dich verbrannt hast. Nun sei ruhig! Halt deinen Mund, verstehst du?“
Keriann wollte nicht ruhig sein. Sie wollte von ihrer Mutter auf den Arm genommen werden, und getröstet. Sie wollte auch Kerzen machen dürfen. Doch als der Docht aufflammte und sich ein weicher schwerer Geruch um Keriann legte, spürte sie, wie ihr eigener kleiner Wille dahinschwand wie schmelzendes Wachs. Sie spürte, wie sie aus sich selbst wich und ihrer Mutter Platz machte. Einer Mutter, die ihr sagte, sie solle ruhig sein und still sitzen.
Keriann war ruhig und saß still.
***
Die Indianer tauchten am nächsten Tag nicht auf, genauso wenig wie an den darauf folgenden. Die Eisenbahn zog langsam weiter ihren Weg nach Westen. Das Land war eben und erstreckte sich vor ihnen scheinbar bis in alle Ewigkeit. Sanft wogendes Gras füllte Tag für Tag Kerianns Blickfeld.
Erst am dritten Tag passierten sie das ausgestorbene Indianerlager. Jansen rümpfte etwas die Nase über den Geruch des Todes, der zwischen den Zelten hing, dann befahl er den Arbeitern, die Leichen und Zelte zu verbrennen. Keriann stand schweigen dabei und beobachtete, wie die Männer Hausrat aus den Zelten zusammensammelten. Schön gearbeitete Kleider, die sie den Huren verehren wollten, Schmuckstücke, alles, was irgendwie wertvoll aussah.
Sie konnte nicht mehr weinen. Beim ersten Mal hatte sie es noch getan, heimlich, bei sich im Zelt, damit Jansen es nicht mitbekam. Aber all dies hatte sie nun schon viel zu oft gesehen, um noch etwas zu empfinden. Meistens gelang es ihr sogar, das Wissen zu verdrängen, dass sie alleine dafür verantwortlich war.
Es gab für Keriann nicht viel zu tun, an solchen Tagen. Keine Hindernisse, die sich den Schienen in den Weg stellten, die Jagd verlief gut, die Indianer waren beseitigt. Ab und zu kam einer der Arbeiter und verlangte nach einer Kerze gegen Rückenschmerzen oder aufgesprungene Hände. Die Lagerhuren sahen in schöner Regelmäßigkeit bei ihr vorbei, um Mittel gegen ungewollte Schwangerschaften abzuholen, oder Kerzen zur Steigerung ihrer Schönheit. Alles Dinge, die Keriann ohnehin vorrätig hatte. Die Regale ihres Wagens waren gut gefüllt.
So hatte sie Zeit genug, zu experimentieren. Je weiter sie nach Westen kamen, desto unbekannter wurden die Pflanzen. Sie verbrachte lange Zeit draußen auf der Prärie mit der Suche nach Kräutern. Keriann pflückte sie, kontrollierte ihren Geruch, trocknete sie und verarbeitete sie zu Kerzenfarben. Stundenlang rührte sie neue Wachsmischungen an, kombinierte Farben, goss kleine Stumpen in violett und gelb, grün und tiefrot, suchte nach Rezepturen für Freude, Ausgeglichenheit, Sanftmut.
Nur selten gerieten ihr solche Experimente. Meistens hatte sie am Ende nur hübsch gefärbte Kerzenstummel, die nach nichts rochen und für nichts gut waren. Und wenn ihr einmal eine gelang, konnte sie sich meistens nicht an die Zusammenstellung erinnern, die sie verwendet hatte.
Sie rührte in einer hellgrünen Wachsmischung, als der Mann eintrat. Noch bevor sie sich umdrehte, um ihn zu betrachten, wusste sie, dass er ihr gefallen würde. Er roch gut, nach Wärme und Zuneigung.
Er war etwas kleiner als die meisten Arbeiter im Lager, aber dafür drahtig. Seine Bewegungen waren geschmeidig, fast schon elegant. Er trug einfache Lederhosen und ein indianisch verziertes Hemd. Seine Haare waren von einer unbestimmten Farbe zwischen Honig und Karamell, seine Augen schokoladenbraun. Er lächelte, Verlegenheit strahlte von ihm aus und überwältigte Keriann beinahe.
„Entschuldigung, Miss, im Lager sagte man mir, dass Sie mir helfen können.“
Es klang wirklich so, als täte es ihm leid, Keriann zu stören. Sie setzte ein freundliches Lächeln auf. Er gefiel ihr tatsächlich.
„Was kann ich für Sie tun, Mister?“ Sie starrte ihn so unverhohlen an, dass er verlegen seinen Blick zu Boden senkte und mit den Füßen scharrte. Keriann hatte ihn im Lager noch nicht gesehen, er musste neu dazu gestoßen sein. Wie ein Arbeiter sah er jedoch nicht aus. „Woher kommen Sie eigentlich, ich glaube nicht, dass ich Sie schon mal gesehen habe?“
Er lächelte, immer noch verlegen. Warum eigentlich?, fragte sich Keriann. Ich bin doch wirklich niemand, vor dem man sich genieren müsste. Tatsächlich bin ich überhaupt keine Person, nur ein Besitz des Eisenbahnbarons.
„Ich bin erst seit zwei Tagen hier“, antwortete der Junge schließlich. „Eigentlich war ich mit einem Siedlertreck nach Kalifornien unterwegs, doch Ihr Lagerverwalter hat mich abgeworben. Er sagte, Sie bräuchten noch einen Scout und Jäger.“
Keriann nickte. Tatsächlich waren zwei ihrer Scouts vor kurzem an Cholera verstorben. Der Lagerverwalter hatte Keriann erst so spät informiert, dass sie nicht mehr für die beiden hatte tun können. Nun, der Junge sah zäh aus, er würde sicher bis Kalifornien durchhalten.
„Und, was führt Sie nun zu mir, Mister?“
Er wurde etwas rot im Gesicht. Keriann rümpfte etwas die Nase, als der Geruch seiner Unsicherheit zu ihr hinüber trieb, der zarte Duft nach jungen Espenblättern.
Sie wandte sich wieder ihrem Wachs zu. Manchmal war es für Menschen einfacher zu sprechen, wenn ihnen niemand ins Gesicht sah.
Der Scout scharrte mit den Füßen. „Na ja, Tatsache ist…“ er zögerte, seufzte dann. Verliebt, dachte Keriann.
„Es gibt da eine Frau, eine der… na ja, eine Frau aus dem Lager eben. Ich… ich habe sie gefragt, ob sie nicht vielleicht mit mir nach Tennessee gehen möchte, wenn die Eisenbahn vollendet ist. Ich habe dort nämlich etwas Land gekauft, und ich möchte eine Farm gründen…“
Keriann lächelte still vor sich hin. Keine der Frauen würde San Francisco aufgeben für das harte Leben einer Farmersfrau. Doch der Junge fuhr unbeirrt fort.
„Leider… hält sie nicht allzu viel von mir. Ich… ich dachte, vielleicht könnten Sie mir da helfen, Miss. Sie sind doch… die Hexe, oder nicht? Können Sie nicht einen Liebeszauber sprechen, oder so etwas?“
„Ich mache keine Kerzen, die den Willen zwingen.“ Kerianns Stimme war so leise, dass sie selbst sie kaum hören konnte, doch der Scout hatte begriffen.
Keriann hörte, wie er nickte. „Ich verstehe“, murmelte er. „Dann kann man wohl nichts machen, was?“
Sie drehte sich nicht noch mal zu ihm um, sondern wartete, dass er das Zelt verließ. Einige Zeit lang blieb es ruhig, sie konnte sich bildlich vorstellen, wie er verlegen im Raum stand. Schließlich vernahm sie doch das Geräusch von Stiefeln, die sich entfernten.
***
„Bevor du Kerzen gießen kannst, musst du lernen, Sachen zu riechen. Nicht nur die alltäglichen Dinge, sondern alles. Gefühle, vielleicht sogar Gedanken. Die Farben, die du für deine Kerzen verwendest, verströmen ebenfalls Gerüche. Daran wirst du sie immer erkennen. Aber nur du kannst den Duft wahrnehmen, für alle anderen wird er verborgen sein.“
Keriann hockte gebannt auf dem Teppich zu Noleens Füßen und lauschte deren Ausführungen. Endlich würde auch sie lernen, wie man Kerzen fertigte. Noleen baute mehrere farbige Stumpen vor ihr auf.
„Da, nimm diese und riech daran!“
Keriann nahm eine weiße Kerze und schnupperte. Sie roch milchig und süß. „Milch mit Honig“, antwortete sie ihrer Mutter. Noleen zog die Augenbrauen zusammen.
„Falsch, das ist nur die Oberfläche. Konzentrier dich, Keriann!“
Wieder roch sie daran. Sie konnte nur die Milch erkennen. Aber das durfte sie ihrer Mutter nicht sagen. Noleen wurde fürchterlich schnell wütend. Keriann suchte in ihrem Gedächtnis. Noleen hatte einmal weiße Kerzen am Stand verkauft, wofür waren die noch gewesen?
„Fruchtbarkeit?“, riet sie.
Noleen gab ihr eine Ohrfeige. „Wenn das so weiter geht, dann lernst du es nie. Los, noch mal!“
Keriann spürte, wie ihr die Tränen über die schmerzende Wange liefen. Sie roch an der Kerze, aber ihre Nase war vom Weinen verstopft und sie roch überhaupt nichts mehr.
„Ich kann das nicht, Ma.“ Sie warf die Kerze fort.
„Dann lernst du es. Du musst es lernen, wovon willst du denn sonst leben. Du wirst noch als Hure enden. Als ob es uns nicht schon schlecht genug ginge.“
„Ich mag aber nicht.“ Keriann stellte sich stur. Ihr war die Lust am Kerzengießen vergangen.
Noleen runzelte die Stirn, dann griff sie mit einem Seufzer nach einer hellroten Kerze, die sie vor Keriann absetzte.
„Du bleibst hier sitzen, bis du alle Gerüche unterscheiden kannst!“, beschloss sie und steckte den Docht an. Ein metallischer Gestank hüllte Keriann ein, formte unsichtbare Gitterstäbe um sie herum, zwangen sie, auf dem Teppich sitzen zu bleiben, und nach dem nächsten Kerzenstummel zu greifen. Noch immer rannen Tränen über ihre Wangen, aber sie konnte nicht anders, als dem Befehl ihrer Mutter zu folgen.
Es dauerte drei Tage, bis Keriann alle Kerzen zuordnen konnte.
***
Der junge Scout gab nicht auf. Am nächsten Abend stand er wieder in Kerianns Zelt.
„Ich habe mir gedacht, wenn ich vielleicht ein wenig extra bezahle, ich meine, ich habe ein bisschen Geld.“ Er schüttelte einige Silberdollar aus seinem Geldbeutel in die Hand. Keriann schüttelte nur den Kopf.
„Ich mache so etwas nicht.“
„Warum nicht?“ Sein Gesichtsausdruck war ehrlich verzweifelt. Er fuhr sich mit einer Hand durch die kurzen Haare und brachte sie völlig durcheinander. Keriann spürte, wie eine Welle der Zuneigung sie überschwemmte. Er wirkte irgendwie hilflos, schutzbedürftig, dabei kannte er sich sicher viel besser im Westen aus als sie selber.
„Ich tue es nun einmal nicht, das ist alles.“
Wieder stand er einige Zeit herum, unsicher, was er mit sich anfangen sollte. Keriann schüttete neue Wachspäne in ihren Tiegel und fügte sofort etwas schwer riechende Lavendelessenz hinzu. Joanne war auf die Idee gekommen, dass sie mit einer luststeigernden Kerze bessere Geschäfte machen konnte als die anderen.
Der Junge stand immer noch da. Er schien das Zelt gar nicht verlassen zu wollen. Vermutlich hofft er immer noch, dass ich mich anders entscheide. Keriann war es nur recht. Sie fühlte sich in seiner Anwesenheit seltsam wohl. Er war nicht wie die anderen im Lager. Er schien einen Menschen in ihr zu sehen.
„Miss?“ Sein fragender Tonfall verhieß nichts Gutes.
Etwas verärgert wandte sie sich wieder zu ihm um. „Ich bleibe bei meinem Wort, ich mache es nicht.“
Er wirkte etwas verlegen. „Das wollte ich gar nicht fragen, Miss, ich dachte mir, ich muss morgen auf Kundschaft reiten, und ich sehe hier einige Kräuter, die sicher sehr schwer zu bekommen sind. Ich dachte, nun ja, vielleicht soll ich Ihnen welche mitbringen, wenn ich daran vorbeikomme. Würde Ihnen das helfen?“
Warum nur will er mir etwas Gutes tun? Soll das eine Bestechung sein? Doch er roch ehrlich. Langsam nickte Keriann.
„Ja, das würde mir helfen, danke.“
Er nickte ebenfalls, lächelte auf einmal breit und offen wie ein Schuljunge, wandte sich auf dem Absatz um und wollte schon das Zelt verlassen, als Keriann ihn aufhielt.
„Halt, wollen Sie mir nicht mal Ihren Namen sagen, Mister? Ich meine, wenn sie mir schon meine Kräuter vorbeibringen.“
Er hielt inne und drehte sich wieder zu ihr um. „Entschuldigung, Miss, natürlich, ich bin Robert. Robin, für Sie, wenn sie möchten.“
Sie nahm die Hand, die er ihr hinstreckte. „Keriann“, erwiderte sie.
Robin kam immer wieder. Keriann konnte nicht sagen, was ihn dazu brachte. Er sammelte Kräuter für sie, brachte ihr ab und zu, wenn er auf der Jagd gewesen war, ein gutes Stück Fleisch direkt zum Zelt und einmal verteidigte er sie sogar gegen einen aufdringlichen Arbeiter. Wenn Keriann es nicht besser gewusst hätte, hätte sie vermutet, dass er um sie warb. Doch die einzige Frau, die ihn zu kümmern schien, war Lucy, seine Angebetete. Immer wieder sprach er von ihr, erstattete Keriann Bericht darüber, was sie heute wieder gesagt oder getan hatte, und dass sie ihn abermals abgewiesen hatte.
Er stellte die Frage nach der Liebeskerze nicht mehr, aber ab und zu ertappte Keriann ihn dabei, wie er sehnsüchtig nach ihren Wachsvorräten schielte oder das eine oder andere Bündel Kräuter in die Hand nahm und darin wog, als wolle er abschätzen, ob es seinen Zwecken dienen könnte. Sie ließ ihn gewähren. So einfach würde er die Kunst des Kerzengießens nicht erlernen und ihr war es nur recht, wenn er sich in ihrem Zelt aufhielt. Sie überraschte sich selber immer öfter damit, dass sie mehr lächelte, wenn er in der Nähe war, freier atmete und weniger Angst hatte.
Nach drei langen Wochen, in denen das Lager quälend langsam Meile um Meile weiterwanderte, musste Keriann vor sich zugeben, dass sie sich in Robin verliebt hatte. Zuerst wollte sie es nicht wahrhaben. Es konnte nicht sein, durfte auch nicht, wenn Jansen es erfuhr, würde er sie windelweich prügeln. Sie wusste nicht einmal genau, warum er ihr untersagt hatte, sich mit Männern abzugeben. Wahrscheinlich hatte er Angst davor, dass jemand von ihrem Geheimnis erfuhr.
Doch je öfter Robin in ihrem Zelt auftauchte, desto deutlicher wurde es für Keriann. Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg, wenn er sie ansah und hoffte nur, dass er die brennende Präriesonne dafür verantwortlich machte. Sie konnte sich nicht mehr waschen, ohne ihren Körper zu betrachten und mit Lucy zu vergleichen. Früher hatte sie ihr Aussehen nie besonders gekümmert, plötzlich war es unglaublich wichtig.
Betrübt musste sie feststellen, dass Lucy ihr in so ziemlich allem überlegen war. Sie war einige Jahre jünger, schlanker, hatte lange blonde Locken und ein hübsches Gesicht. Kerianns Gesicht war dagegen nichts besonderes und ihr Haar war kurz, rot und struppig. Sie versuchte, es durch kämmen zum Glänzen zu bringen, aber es nutzte nichts. Es ließ sich noch nicht einmal frisieren. Widerspenstig stach es in alle Richtungen von ihrem Kopf weg.
Aber Robin schien Keriann sowieso nie anzusehen. Sein Kopf war so gefüllt von Lucy, dass niemand anderes darin Platz hatte.
An dem Tag, an dem er mit Tränen in den Augen Kerianns Zelt betrat, gab sie schließlich nach.
Er kauerte an ihrer Feuerstelle, den Kopf gesenkt, sprach wieder von Lucy und ließ sich von Keriann Tee reichen. Er erzählte, dass sie offensichtlich einem der anderen Scouts eine Art Zusage gegeben hätte. Sie wolle mit ihm nach Idaho gehen.
Keriann ließ ihn weinen und legte ihm nur sacht die Hand auf die Schulter. Er schien die Berührung gar nicht recht wahrzunehmen. Immer und immer wieder wiederholte er: „Das kann sie doch nicht tun. Mir hat sie gesagt, sie will in San Francisco bleiben. Ich dachte, sie wollte einfach nur in der Stadt leben. Ich könnte ja das Land abgeben und ein Haus in der Stadt kaufen. Das wollte ich ihr heute vorschlagen. Und dann sagt sie, dass sie wahrscheinlich nach Idaho geht.“
Keriann erklärte ihm nicht, dass Lucy das wahrscheinlich nur gesagt hatte, um Robin loszuwerden. Sie schwieg, sehr lange, dann seufzte sie.
„Geh jetzt, Robin, komm heute Abend wieder. Ich werde dir deine Kerze machen.“
Überrascht sah er auf. Sein Blick durchbohrte geradewegs Kerianns Herz. Sie wandte den Kopf ab. Jetzt wurden ihre Augen feucht.
„Ich dachte, du machst so etwas nicht.“
„Ich mache es eben doch, und jetzt verschwinde!“ Sie sah so lange nicht auf, bis sie hörte, dass er das Zelt verlassen hatte.
***
„Warum sind wir nur hergekommen, Ma?“ Kerianns Blick wanderte sicher zum hundertsten Mal über die unfassbar hohen Gebäude New Yorks.
Noleen packte sie hart an der Hand, obwohl Keriann eigentlich schon viel zu alt dafür war.
„In Irland wären wir verhungert, das weißt du doch.“
Keriann ließ den Kopf hängen. Irland… dort war es schön gewesen. Grün, lebendig, und die Häuser waren klein. Nicht solche seelenlosen Monster wie in New York. Zwei Jahre lebte sie nun schon hier, und sie hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt.
„Als ob es uns hier besser ginge“, murmelte sie. Noleen presste hart ihre Hand. Sie hatte scharfe Ohren.
„Natürlich geht es uns hier besser. Und wenn du erst einmal die Stellung bei dem Eisenbahner hast, wirst du richtig fein raus sein.“ Stolz schwang in ihrer Stimme mit.
Keriann wagte nicht zu widersprechen. Sie hatte bei Mister Ranford vorgesprochen, und er hatte ihr überhaupt nicht gefallen. Er war ein widerlicher fetter Kerl, der Keriann anzüglich angegrinst hatte, als sie in ihrem fadenscheinigen Kleid vor ihm stand. Sie wollte nicht für ihn arbeiten.
„Nellie hat gesagt, sie hätte eine Stelle in der Bar für mich“, versuchte sie es vorsichtig. Noleen schnaubte nur verächtlich. „Gäste locken, sauberhalten, Bier verbessern, glaubst du, dafür hätte ich dich ausgebildet? Du bist zu etwas Höherem bestimmt, Mädchen, als eine Kneipenhexe zu werden. Außerdem zahlt mir Mister Ranford eine sehr gute Abfindung, damit werden ich und der Kleine über die Runden kommen können.“ Sie klopfte auf ihren gerundeten Bauch. „Glaubst du, du könntest in der Bar genug für uns drei verdienen, Kerry?“
Mit gemischten Gefühlen betrachtete Keriann Noleens Bauch. Es war ein seltsames Gefühl, mit fünfzehn Jahren noch einen Bruder zu bekommen. Aber Noleen war schließlich erst einunddreißig. Es gab keinen Grund, der gegen ein zweites Kind sprach.
„Ich hab aber Nellie gesagt, dass ich am Montag anfange.“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
Noleen hielt inne und riss Keriann so heftig herum, dass ihr Schultergelenk schmerzte.
„So? Und ich sage jetzt mal dir etwas: ich habe meine Mittel, dafür zu sorgen, dass du dein Leben nicht fortwirfst.“
***
Zu ersten Mal, seit ihre Mutter es sie gelehrt hatte, goss Keriann die blaue Farbe in das siedende Wachs. Ein intensiver Geruch nach Sandelholz und Erde füllte das Zelt, warm, süß und herb zugleich. Keriann verzichtete dieses Mal auf ihre Maske, rührte mit Tränen in den Augen das Blau unter, suchte nach den richtigen Worten, noch nie verwendet aber doch nicht vergessen. Sie sang sie, langsam, leise, kostete ihr weiches Gefühl und den sanften Geschmack auf der Zunge. Zuneigung, Schwärmerei, Liebe. Immer tiefer rührte sie die Worte mit der Farbe zusammen unter, vereinte sie mit der Substanz der zukünftigen Kerze.
Dann kam sie zu der Stelle, an der sie festlegen musste, für wen diese Kerze bestimmt war. Sie musste nur Lucys Wesen in die Kerze singen, und danach Robins. Sie wäre ihm verfallen. Für immer. Keriann hob an.
Ihre Zunge tat nicht das, was sie beabsichtigt hatte. Ohne ihr Zutun formten sich die Worte von Robins Wesen, verträumt, sanft, entschlossen, und danach ihre eigenen. Keriann, angsterfüllt, traurig, einsam. Es hörte sich richtig an, es gehörte so. Und doch liefen Keriann die Tränen weiterhin über die Wangen.
Es ist nicht recht, jemanden zur Liebe zu zwingen.
Sie zögerte einen Moment, bevor sie die Kerze goss. Ich sollte das Wachs weg gießen, ihm die Kerze fertigen, die er wünscht. Stattdessen füllte sie die Flüssigkeit mit beinahe übertriebener Sorgfalt in die Form. Kein Tropfen ging daneben.
Als Robin kam, um seine Kerze abzuholen, sah Keriann ihn nicht an. „Sie steht auf dem Tisch“, sagte sie nur mit gezwungen ruhiger Stimme, während sie scheinbar konzentriert in ihrer Suppe rührte. Sie konnte seine Anwesenheit spüren, den Espengeruch wahrnehmen. Er war unsicher, wie so oft.
Seine Schritte näherten sich dem Tisch, hielten dann inne. Keriann wartete. Robin stand ruhig, wahrscheinlich betrachtete er die leuchtendblaue Kerze.
„Und, ich muss sie einfach nur anzünden?“, fragte er schließlich leise.
„Ja.“ Ihre Stimme war ein Windhauch.
„Muss… muss Lucy dabei sein?“ Warum hörte er nicht endlich mit der Fragerei auf und ging?
„Nein, es reicht, wenn du sie entzündest.“
Schweigen. Dann ein unsicheres „Danke“, bevor er ging. Keriann ließ sich auf ihr Lager fallen und brach in Tränen aus.
Es verging beinahe eine Stunde, bevor er zurück kam. Verlegen stand er im Eingang, die Hände hinter dem Rücken. Keriann spürte, wie ihr Herz schneller zu klopfen begann, als sie auf ihn zu trat.
„Ich… ich habe nachgedacht. Ich glaube… ich glaube, ich will gar nicht mehr mit Lucy nach Tennessee.“
Als er seine Arme um sie legte, glaubte Keriann, sterben zu müssen. Niemals konnte sie gleichzeitig so glücklich und so abgrundtief traurig sein. Sie spürte, dass sie schon wieder weinte, während er sie küsste. Dann jedoch schloss sie die Augen und drängte den Kummer zurück. Einmal, nur einmal für den Augenblick leben. Sie ließ sich in den Geruch seiner Liebe sinken, Sandelholz und Erde.
„Gehst du mit mir nach Tennessee?“, wisperte er, als sie zusammen auf ihrem schmalen Feldbett zwischen den Decken lagen. Keriann spürte, wie ihre Wangen warm wurden. Sie wandte sich um, vermied seinen Blick, als sie ihm sagte, was sie sagen musste.
„Ich kann nicht.“
Seine Verwirrung, der Geruch nach unreifen Brombeeren. Er strich mit einer Hand über ihr Haar.
„Warum kannst du nicht?“
Keriann spürte, wie es sie schon wieder in der Kehle würgte. Die Worte wollten sich nicht aussprechen lassen, blieben in ihrem Hals hängen, klebten an ihrem Gaumen.
„Ich… gehöre Mister Ranford.“
„Was soll das heißen, du gehörst ihm?“
Nun wandte sie sich doch wieder zu ihm um. Plötzlich wollte sie sprechen, wollte, dass irgendjemand alles von ihr erfuhr. Selbst die Tränen waren fort, weggewaschen von Worten.
„Als meine Mutter und ich aus Irland kamen, hatten wir nicht viel Geld. Da hat Ma mir einen Job bei Ranford besorgt. Ich wollte nicht für ihn arbeiten. Ich dachte, ich könnte etwas besseres finden, aber Ma war schwanger und brauchte dringend Geld. Da hat sie…“, nun zögerte Keriann doch einen Moment. Doch nun hatte sie schon so viel erzählt, da konnte der Rest auch noch heraus.
„Sie hat meine Lebenskerze an Ranford verkauft.“
„Was?“ Er klang entsetzt, dann verständnislos. „Was für eine Lebenskerze?“
„Ma hat mich… sie hat mich nicht auf normalem Wege bekommen, hat sie erzählt. Sie hat eines Tages eine Kerze gegossen, eine besondere Kerze, die alleine durch ihre Existenz Leben hervorruft. Meine Lebenskerze. Sie hat sie immer bei sich getragen. Wenn… wenn diese Kerze abgebrannt wird, muss ich sterben. Und als ich nicht für Ranford arbeiten wollte, hat sie ihm die Kerze verkauft. Seitdem muss ich tun, was er mir befielt, wenn ich nicht möchte, dass er die Kerze anzündet.
Ich hab erst in New York für ihn gearbeitet, Kundengeschäfte und so. Dann hat er mich zum Eisenbahnbau geschickt. Ich soll dafür sorgen, dass wir vor der Konkurrenz in Kalifornien sind. Jansen hat jetzt meine Kerze. Er weiß, wofür sie gut ist und sorgt dafür, dass… dass ich hier bleibe.“
Keriann verstummte, presste die Lippen aufeinander und sah Robin fest ins Gesicht. Sie war sich nicht sicher, wie er die Geschichte aufnehmen würde.
Er starrte sie fassungslos an, dann, von einem Moment auf den anderen brach er in Gelächter aus.
„Kerry, also wirklich, das hast du geglaubt?“
Wütend rückte sie von ihm ab. „Was verstehst du denn schon davon? Ich kenne mich schließlich mit so etwas aus. Ich gieße schon ewig Kerzen.“
Er lächelte nur, rutschte wieder näher und zog sie in ihre Arme. „Hat deine Ma dir gesagt, wie sie die Kerze gemacht hat?“
Keriann schüttelte den Kopf. Robin strich ihr sanft über das Haar.
„Ist die Kerze kupferrot? So wie deine Haare?“
Überrascht sah sie zu ihm auf. Dann nickte sie langsam. Er lachte wieder, leise.
„Kerry, deine Mutter hat dir Unsinn erzählt. Wahrscheinlich wollte sie auf jeden Fall verhindern, dass du den Job ausschlägst. Glaub mir, ich habe deine Kerze gesehen. Vor einigen Tagen hatten wir ein Essen in Jansens Zelt, er wollte mit uns Scouts über die Route sprechen. Die kupferrote Kerze stand auf dem Tisch und brannte. Jansen hat sie die ganze Zeit mit einem so seltsamen Lächeln betrachtet, dass ich ihn gefragt habe, was damit sei. Er hat nur gesagt, sie sei ein Symbol des Gehorsams.“
Verwirrt machte Keriann sich von Robin los und fixierte ihn. Sie versuchte, eine Lüge an ihm zu riechen, aber alles, was sie wahrnahm, war der Duft klaren Wassers. Er sagte die Wahrheit.
„Die Kerze ist an dem Abend vollständig abgebrannt, Kerry, und du lebst noch. Es gibt keine Lebenskerze. Du bist frei, zu gehen, wohin du möchtest.“
Während sie zum vierten Mal an diesem Abend in Tränen ausbrach, hielt er sie einfach nur fest.
„Kommst du nun mit mir nach Tennessee?“, fragte er, als sie sich beruhigt hatte.
Als der Morgen rot über dem Gras heraufzog, hatten sie das Lager bereits weit hinter sich gelassen. Noch nie war Keriann eine so weite Strecke geritten, ihr Rücken und ihr Hintern schmerzten, aber sie würde sich wohl daran gewöhnen. Was wohl Jansen sagen würde, wenn er feststellte, dass sie geflohen war? Wie würden die Arbeiter ohne sie zurecht kommen? Ohne jemanden, der Metall glättete, Boden ebnete, Bäume fällte, Tiere herbeirief, und all die kleinen Leiden behandelte, die im Lager so anstanden?
Sie hätte bleiben können, zumindest bis San Francisco mitziehen, aber sie fühlte sich schon um eine zu lange Spanne ihres Lebens betrogen. Nun wurde es Zeit zu leben.
Sie blickte zu Robin, der neben ihr dahin ritt, und das Herz wurde ihr schwer. Warum nur, warum hatte sie ihn zwingen müssen, sie zu lieben? Ihn ihrem Willen unterwerfen? Sie hatte sich geschworen, das nie zu tun. Niemals die Fehler ihrer Mutter zu wiederholen. Doch dann war sie schwach geworden. Ausgerechnet bei dem Mann, den sie liebte. Keriann wandte ihren Blick von Robin ab. Sie konnte es nicht ertragen, sein glückliches Gesicht zu sehen.
Sie hielten Rast unter einer kleinen Baumgruppe, besetzt mit großen schwarzen Vögeln, die krächzend davon flatterten, als sie sich näherten. Keriann ließ sich erschöpft zwischen die Wurzeln sinken. Sie konnte gar nicht recht sagen, welche Stelle ihres Körpers sie am meisten schmerzte.
Robin band die Pferde an und nahm ihnen die Sättel ab. Mit einer schwungvollen Bewegung warf er eine Satteltasche zu Keriann herüber.
„Ist eine Wasserflasche drin, falls du trinken willst.“
Kerianns Zunge war bereits so trocken, dass sie gar nicht mehr antworten konnte. Sie nickte nur müde und öffnete die Schnallen der Tasche. Mit steifen Fingern kramte sie nach der Flasche, als sie unvermittelt auf etwas glattes, rundes stieß. Verwundert griff sie zu und zog das Etwas heraus.
Es war eine Kerze. Eine dunkelblaue runde Kerze. Ihr Docht war unversehrt. Keriann wog die Kerze in ihrer Hand und starrte sie an, als sei sie ein Wunder.
Robin trat zu ihr. „Ich wollte sie als Erinnerung mitnehmen. An Lucy. Ich hoffe, das macht dir nichts aus.“
Sie sah zu ihm auf und lächelte.