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Die Kinder man rette
Der Soldat ging alleine über die weite, scheinbar unendliche Ebene der Wüste. Öl holen. Aber wofür? Wofür alleine unzählige Wüstenmeilen gehen, für ein bisschen Öl? - Er wusste es nicht. Oder vielmehr: Ihm wurde gesagt, es nicht zu wissen. Und so schritt er weiter, ruhig, aber doch ein bisschen unsicher, hinein in die flirrende Hitze. Hinein in den abendrötlichen Horizont. Hinein in die Ungewissheit. Es war eigenartig, dass der Sandsturm eine Pause machte, doch er wusste sehr wohl: Nicht für ihn. Er kümmerte sich viel um solche Sachen, und er dankte Gott.
Er bearbeitete ungeduldig ein kleines Tütchen, wollte es öffnen und an die Pille Blood Serenity ran. Von einem guten Kamerad war es, "Damit du nicht einschläfst."
Schließlich bekam er sie auf mit seinen Zähnen und schluckte die harte Essenz. Die Wirkung kam wie ein liebes, wildes Tier.
Ein Mantel mütterlich warm umfing ihn gegen Eisesglut - er fühlte sich wohl - ja er war daheim - in dieser fremden Welt - ein Lebender unter Todgeweihten ... im Auftrag der Freiheit - will sie wieder sehen - seine Frau und seine drei Kinder Jesse Jack-Franklin und Jasmine ... "Oh ist das aber ein tolles Abschiedsgeschenk Jasmine" ... "Mach es gut" ... "Gott segne dich wie Amerika" ... "Ich liebe dich Dad" ... und so weiter - ja er liebte sie - gut ist's er liebt die Armee - nein der hässliche Hauptmann - jeder kriecht ihm hinten rein ... er würde ihm liebend gern eine Lehre erteilen - aber er bleibt kühl - denn alles perlt an ihm ab - sogar der Krieg wird vorbei sein - irgendwann wenn die Welt alt ist - wenn es von ihm schon ... dreitausend weitere gab - aber er wird tot sein - wird leben im Paradies in der perfekten Freiheit und Demokratie ... diesseits zu verteidigen ... Wirkung lässt nach oder lässt sie nicht - da vor ihm ist ferne eine Gestalt zu erkennen - nein es ist eine oder nein zwei Antilopen - die nicht hier leben -, nein es sind zwei Menschen oder vielleicht auch Kinder wer weiß. Aber was suchen die Kinder hier - sollten sie nicht zu Hause sein -, evakuiert in den Flüchtlingslagern der UN und - er weiß nicht wie er ihnen das sagen soll. Aber es kann ja auch eine Fata Morgana sein, hofft er jedenfalls. Sie waren plötzlich ganz nah und er blieb stehen, die Hand um seine Lady geschlossen ... man kann ja nie wissen.
Wie er ihnen was sagen soll ... wieso weiß er nicht was? Dass er es war, der Mörder ihrer Eltern? Wahrhaftig, dass er es war, der Feind aus dem Westen? Ganz nah. Er fand keine Worte; der Sprachlehrer war umsonst.
"Erlöse uns. Er löse uns," sagte das Mädchen flehend.
"Aber natürlich werden wir euch erlösen. Erlösen, erlösen von diesem bösen Mann," beeilte sich der Soldat zu sagen, natürlich in ihrer Sprache. Für ihn flirrte die Stimme des Mädchens, als wäre es die wabernde Luft selbst gewesen, die sprach. Nachwirkungen. Ihm wurde gewahr, dass die wunderbare Wärme ihn noch immer umgab.
"Das Öl ist hinter dir, Du bist zu weit gelaufen." - Der Soldat drehte sich um und erblickte den Pilz. Er sah so unwirklich aus, wie er schwarz und blutig in den Himmel wuchs.
"Erlöse uns," sagte der Junge, als wollte er es nochmal betonen.
"Ja, oh ja wir werden euch retten. Euch und all eure Freunde, alle Kinder. Eure lieben Mummys und Daddys. Ihr werdet in Freiheit leben, ihr werdet Eurer Regierung sagen, wo es lang geht. Wir werden es für euch richten. Wir, die Vereinigten Nationen haben beschlossen, gegen den bösen Menschen vorzugehen. Das Völkerrecht steht über allem. Demokratie und Freiheit müssen verteidigt werden." Der Soldat wollte die Kinder in den Arm nehmen, denn er war glückselig. Aber sie waren wieder zu weit entfernt. Nachwirkungen.
"Er löse uns," sagte das Mädchen, "von unserem Leid. Wir haben es nicht verdient. Wofür müssen wir faules, altes Fleisch essen? Wofür ist unser Vater in ihrer Gefangenschaft? Warum lassen sie uns nicht in Ruhe leben? Wir wollen nicht, dass sie uns sagen, wie wir zu leben haben. Beuten uns nur aus. Leider hört Er uns nicht. Mein Bruder und ich sind auf uns allein gestellt. Zum letzten Mal."
Der Soldat schloss die Augen. Die Droge war schön. Sind sie wirklich, die beiden Kinder? So liebliche Stimmen, so liebliche Worte. So unschuldige, arme Kinder. Doch da war noch ein Gefühl, dass ihm gar nicht gefiel. Er öffnete die Augen und sah...
Alt und träge quoll das Blut aus den beiden präzise entstellten Kinderschädeln. Du sahst fassungslos auf sie hinunter, gabst auf deine elitäre Haltung. Du fragtest dich: Warst du es, oder dein mühsam antrainierter Reflex? Oder war es gar Belzebub, der deine Lady Gassi führte? Du verstandest die Welt nicht mehr. Du warst die Hand deiner Nation, Gott segne sie. Du kämpftest in der großen Welt für Frieden und Freiheit, Gott segne dich. Aber du verstandest sie halt nicht, die Welt. Doch, wenn du es recht bedachtest, trugst du keine Schuld daran, hattest schließlich deinen Befehl, hattest deinen Eid. Und du konntest auch nichts für deinen Reflex. Über manches hat der Mensch eben noch keine Kontrolle. Du wirst sicher eingehen in die Geschichte (deine Kumpanen natürlich auch), wenn auch ... tot. Man wird sehr stolz auf dich sein. Am Ende siegtest zwar nicht du, sondern dein Gewissen. Aber das war nicht so wichtig. Von Relevanz war allein die Tatsache, dass du Kindern zum Opfer gefallen warst, die mutmaßlich dem radikalen PsychoTerrorKid-Netzwerk angehörten, und dir ist es wahrlich noch gelungen, im Todeskampf gerechte Rache zu üben.
Du guter, armer Held, den man dich in Ehren ins Grab verließ.