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Die Kirschen

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11.09.2020
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Die Kirschen

Ich weiß auch nicht genau, woran es liegt, dass ich so bin. Mein Nachbar ist ausgesprochen nett, da darf ich eigentlich nicht so wie jüngst reagieren. Ich weiß noch genau, wie er mir beim Aufbau meines Gartenhauses half, das war schon sehr hilfsbereit und toll. Er hatte ja eigentlich keine Zeit gehabt an jenem Tag und selbst einiges an Gartenabfällen wegzubringen. Binnen weniger Stunden aber hatte die Laube schließlich fertig auf meinem Grund gestanden und ich hatte eine Last weniger. Allein hätte ich bei meiner Erfahrung wohl nie zum Ende gefunden.

Wie dem auch sei, gestern noch half ich meinem Nachbarn beim Pflücken der Kirschen. Wir hatten einige Körbe voll bekommen, wir sprachen und aßen viel. Seine Frau wollte noch am selben Tag Marmelade daraus zaubern und uns ein Glas zum Probieren bringen. Ich bekam zudem gut drei Pfund geschenkt für meine Dienste, was meiner Familie und mir reichte.

Es war ein schöner Nachmittag, trotzdem entschloss ich mich, die drei Kirschbäume abzusägen. Nicht aus Neid, es war eine Art Impuls, mich packte eine gewisse Lust. Mein Nachbar war am frühen Morgen mit dem Auto in Richtung Österreich aufgebrochen, ich hatte ihm noch beim Einladen geholfen und versprach, regelmäßig die Blumen zu gießen. Als er um die Kurve fuhr, holte ich die Säge.

Wir wohnen in einer Sackgasse, gegenüber steht noch ein Haus, dieses aber ist aktuell unbewohnt, es kostet in baufälligem Zustand aktuell 1 Milliarde Euro, hinzu kommt noch Provision und ein Präsentkörbchen für den Makler. Noch hat sich kein Käuferlein finden können, aber irgendeiner zahlt solche Summen immer, sagt Frau Kurbel, die am Anfang der Straße wohnt und dabei stets betont: "Die Welt ist eine andere geworden."

Im Grunde konnte mich niemand bei der Arbeit sehen, Frau Kurbel hört schwer und ist alt, mein Nachbar war im Urlaub. Blieb meine Familie. Meine beiden Söhne waren im Ferienlager. Meine Frau schlief stets fest. Ich tat es daher zu ganz früher Morgenstund. Meine Frau ist nicht allzu aufmerksam, was mir entgegenkam. Als dann irgendwann doch die Frage aufkam: "Du, wieso nehmen unsere Nachbarn die schönen Kirschbäume ab?", konnte ich souverän reagieren: "Liebste, ich bin der Meinung, dass sie substituieren wollen. Da sollen Pflaumen hin."

Diese Lüge hatte erst einmal Bestand, ich sägte also weiter und hatte alles nach einigen Tagen recht klein zerlegt. "Wer arbeitet denn da die ganze Zeit, ich sehe niemanden?", wollte meine Frau dann auch noch wissen. Ich: "Sein Bruder, der kommt immer früh." Als mein Nachbar wiederkam, tat ich ähnlich erschüttert, meine Frau war auf Kur, sodass ich auf authentische Weise, ich hatte vor dem Spiegel geübt, den mitfühlenden Mann von Gegenüber spielen konnte.

Meine Frau ist nicht besonders aufmerksam, das hatte ich schon einmal erwähnt. Als sie wiederkam aus dem Süden der Republik, da grüßte sie nur und verschwand im Haus. Sie wirkte sehr ausgeruht, das Gute aber blieb: Sie war weiterhin sehr mit sich selbst beschäftigt. Ich war recht erleichtert, dass es keinen Dialog ob der Bäume gab. Aber solches Glück gibt meinen Aktionen recht, ich kann nicht aufhören. Im Grunde sehe ich mich als netten und hilfsbereiten Menschen. Nun ja, aber dann überkommt es mich einfach. Und da das Milliardenhaus nebenan immer noch frei steht, muss er dran glauben.

Ich musste auch aktiv werden, nachdem wir gemeinsam die Reifen unserer Autos wechselten. Das machen wir immer, doch als wir im April auf Sommerreifen umgesattelt, im Anschluss gemeinsam gegrillt und bis in den späten Abend hinein gemeinsam auf meiner Terrasse gesessen hatten, uns dabei einmal mehr gut verstanden, da musste ich wieder ran: Des Nachts, meine Frau zersägte ihre Träume wieder recht lautstark neben mir, stand ich auf und zerstach die Reifen. Ich wusste, dass er am nächsten Morgen mit seiner Frau zu einem Geburtstag wollte. Das hatte ich im Hinterkopf, aber ich hatte eben diesen Impuls.

Vielleicht muss dieses leerstehende Haus einfach verkauft werden, damit ich zur Ruhe komme. Aber Besucher sind rar, offenbar ist aktuell niemand bereit, diese Summe zu zahlen. Ich bin aber auch selbstkritisch genug, um anzuerkennen, dass dieses Verhalten durchaus ungewöhnlich und unsozial ist.

 

Hi Rob!

Besten Dank für deine Mühe und die Rückmeldung. Das Ganze ist reines Experimentieren, im Grunde bin ich auf der Ebene des Schreibens noch in einer Art Selbstfindungsphase. Jede Rückmeldung also ist super:)

 

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