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Die Kleiderzwiebel

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Beitritt
03.07.2004
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Die Kleiderzwiebel

Neulich Abend im Pflegeheim. Die Schwesternschülerin Anja begleitete Schwester Rita und schaute zu oder übernahm auch Aufgaben. Die beiden kamen zu Herrn Lohberg, einem gerade 160 cm großen Mann, der früher in einem Fertigungsbetrieb gearbeitet hatte und im Heim sehr schweigsam war.

"Zieh Herrn Lohberg schon mal aus, ich hole seinen Schlafanzug aus dem Bad."

Anja zog Herrn Lohberg seinen Pullover aus. Darunter erschien ein weiterer Pullover. Als der auch ausgezogen war, kam der dritte. Schwester Rita war aus dem Bad zurück: "Mach weiter."

Anja zog ihm den vierten Pullover aus und da erschien endlich sein Unterhemd.

Dann wollte Anja die Hose herunterziehen und Herrn Lohberg bitten, sich auf das Bett zu setzen, damit sie die Hose ganz ausziehen konnte. Aber unter der Hose trug Herr Lohberg eine weitere Hose. Anja enthielt sich jeder Bemerkung und zog weiter, bis sich vier Hosen um die Knöchel von Herrn Lohberg bauschten.

Als die Schwestern am Abend den Nachmittag bei der Dienstübergabe besprachen, fragte Anja: "Warum trägt Herr Lohberg so viele Hosen und Pullover?"

Die Schwestern zuckten mit den Schultern. "Ich habe ihn mal gefragt, ob ihm kalt sei, aber er hat nur geantwortet 'Nein', also ich weiß nicht, warum er so viel Sachen trägt, aber der Arzt meint, es schadet ihm nicht, also lassen wir ihm den Spaß," meinte Schwester Christiane.

Drei Tage später, beim Spielenachmittag, spielte Anja mit Herrn Lohberg Halma. Sie nutzte die Stille im Raum und fragte Herrn Lohberg: "Warum tragen sie so viele Pullover und Hosen? Frieren Sie sonst?"

"Nein," lachte Herr Lohberg. Sie spielten und schwiegen weiter. Dann begann Herr Lohberg zu erzählen. "Meine Frau hatte einen Waschfimmel. Ständig füllte sie meine Kleidung in die Waschmaschine, egal ob sie noch sauber oder schon gebraucht war. Bei der Unterwäsche war mir das egal, davon hatte ich genug und die kann man ja auch leicht verstecken. Aber Hosen und Pullover hatte ich jeweils nur vier und ich konnte doch nicht im Unterzeug zur Arbeit gehen. Also habe ich mir immer alle Pullover und alle Hosen angezogen, damit meine Frau sie nicht in die Wäsche befördern konnte. Und dann habe ich mich daran gewöhnt. Und jetzt mache ich das ganz automatisch."

"Aber Ihre Kleidung muss doch mal gewaschen werden."

"Ach das ist kein Problem mehr. Ich habe jetzt acht Hosen und acht Pullover zum Wechseln."

Als Anja den anderen Schwestern am Abend berichtete, was ihr Herr Lohberg erzählt hatte, waren alle erstaunt. "Sachen gibt's," sagte Schwester Rita und dann lachten sie alle.

Da es ihm ja offensichtlich nicht schadete, ließen die Schwestern Herrn Lohberg weiter seine Kleiderzwiebel tragen - mit wenigen Ausnahmen: "Heute kommt der Doktor zur Grippeimpfung. Könnten Sie da ausnahmsweise ein kurzärmeliges T-Shirt tragen?"

Und Herr Lohberg zog ein T-Shirt an - bis er geimpft war. Dann kleidete er sich umgehend in seine Pullover und Hosen Sammlung.

 

Die Schwesternschülerin Anja begleitete Schwester Rita und schaute zu oder übernahm auch Aufgaben. Die beiden kamen zu Herrn Lohberg, einem gerade 160 cm großen Mann, der früher in einem Fertigungsbetrieb gearbeitet hatte und im Heim sehr schweigsam war.
Das erste Mal, dass ich eine Personenbeschreibung im Sinne einer Vorstellung von dir lese und dann im Prinzip zwei.

Herr Lohbergs Größe war relevant für den Umstand, dass eine Pflegerin sich in jenem Moment allein um ihn kümmert. Dass er schweigsam ist, kommt im Text nicht hervor, eher wirkt er schon normal gesprächig. Dass er im Betrieb arbeitete, wird später etwas relevant.

Dann ist da die Pflegeschülerin Anja, die ich mir etwas jünger vorstelle und schmächtiger. Dementsprechend ist die Körpergröße von Lohberg relevant. Ist viel Vermutung, aber passt das?

Es wäre vielleicht noch "schöner" gewesen, wenn du jetzt in die Beobachtung gegangen wärst. Wie schweigsam und passiv war er beim Ausziehen und wie sehr beim Spielen? Was hat sich verändert? Scheinbar hat Anja einen besseren Draht zu ihm aufgenommen..?

Die anderen Pfleger interessieren sich dafür wenig. Wie steht Anja dazu? Sie ist ja noch nicht so abgestumpft.

unter der Hose trug Her Lohberg
Herr

 

@XVIII

Vielen Dank für Deine Kritik. Ja, Deine letzten Beiträge zu meinen Geschichten haben mich angeregt, die Personen mehr herauszuarbeiten.

Sie ist ja noch nicht so abgestumpft.
Genau so ist es und ich hoffe, sie kann ihr Interesse an den zu Pflegenden bewahren.

Herzliche Grüße

jobär

 

Für´s Verhalten – wie etwa hier aufgezeigt

Anja zog ihm den vierten Pullover aus und da erschien endlich sein Unterhemd.

lieber @jobär,

würd ich die Kriegs- und vor allem Nachkriegserfahrungen vermuten – evtl. in den Wirren nach dem Ersten Weltkrieg geboren, um keine Generation später ähnliches zu erfahren, sichert der eigene Körper Eigentum – und wenn’s nur ein Pullover ist, sein Erspartes wird wohl im Heim „verschütt’“ gehen ... was nicht ausschließt, dass Vermögen der Verwandtschaft geplündert werden.

Hier

Drei Tage später, beim Spielenachmittag, spielte Anja mit Herrn Lohberg Halma.
lassen sich die Kommas vermeiden durch minimales Möbelrücken

"Beim Spielenachmittag drei Tage später spielte Anja mit Herrn Lohberg Halma."
Und hier wäre doch Gleichberechtigung/behandlung

Sie nutzte die Stille im Raum und fragte Herrn Lohberg: "Warum tragen sie so viele Pullover und Hosen? Frieren Sie sonst?"

Gleichwohl - gern gelesen vom

Friedel

 

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