Was ist neu

Die Kunst, den Geist in Worte zu fassen

Mitglied
Beitritt
29.06.2001
Beiträge
8

Die Kunst, den Geist in Worte zu fassen

Die Kunst, den Geist in Worte zu fassen
oder
Ein kleines Mädchen macht Karriere

Um es gleich klarzustellen: Es handelt sich nicht um eine erfundene Geschichte, einen Beitrag aus „Die Spinne in der Yuccapalme“ oder irgendeine andere Form der fiktionalen Dichtung. Dies ist ein Tatsachenbericht, wie er wirklich passiert ist und wahrscheinlich wieder und immer wieder passieren wird. Keine Tatsache wurde verändert oder verfälscht (darauf legt der Verfasser großen Wert!). Die Personen, von denen berichtet wird, leben heute noch. Allerdings wurden die Namen geändert, damit die Hauptdarsteller nicht die volle Last der Peinlichkeit zu tragen haben, welcher folgende Bericht beinhaltet.

An einem Vormittag eines Werktages, welcher sich nur durch die Bezeichnung „Mittwoch“ von anderen Werktagsvormittagen unterschied, durchkämmte Katrin T. die ihr vertraute Einzimmerwohnung (mit Bad) ihres Lebens- und Seelengefährten nach Müll und Unrat und es war wirklich notwendig geworden. Eigentlich hätte sie in irgendeinem psychologischen Seminar sitzen müssen, so wie es sich für eine ordentliche StudentIn gehört, aber schwer seufzend hatte sie erkannt, daß die Pflichten einer Beziehung dem Vergnügen eines Studiums voranzustellen waren. So durchstreifte sie die Räume, bis an die Zähne bewaffnet mit Eimer, Lappen, Zewa-wisch-und-weg und handelsüblichen Putzmitteln. Eigentlich war sie erschöpft genug vom allmorgentlichen Joggen, aber als sie die Wohnung betrat war ihr Göttergatte spurlos verschwunden, während er morgens sonst nur von einem Eimer kalten Wasser aus dem Bett geholt werden konnte. Wahrscheinlich war er aufgewacht, hatte die Zukunft richtig gedeutet und beschlossen, bei der anstehenden Putz- und Aufräum-Orgie nicht dabei zu sein. Wieder einmal blieb dies an seinem „kleinen Zuckerstück“ hängen und Katrin T. war von Natur aus so veranlagt, sich nicht zu beschweren.
Wie dem auch sei, Katrin T. beschloß, die Zeit der Arbeit dadurch zu verkürzen, indem sie sofort anfing. Dabei entwickelte sie mit der Zeit eine Fingerfertigkeit, die an Routine grenzte. Im Badezimmer und in der (provisorischen) Küche ging alles gut. Bis dahin war alles normal. So spielte es sich auch in tausend anderen Haushalten ab. Doch dann gab es ein kosmisches Ereignis mit erstaunlichen Ausmaßen, welches den Werdegang der Katrin T. entscheidend verändern sollte.

Durch einen unendlich komplizierten und für Menschen völlig undurchsichtigen Prozeß materialisierten sich im Einzimmerappartment (mit Bad) neben dem Eßzimmertisch mehrere Apfelsinenschalen (oder waren sie einfach vom Tisch gefallen?), was zur Folge hatte, daß Katrin T. prompt darauf trat und einen tollen Luftdreher vollführte. Das hätte böse enden können, doch sie hatte Glück. Ihr Hinterkopf fing den Sturz an der Tischkante ab. Es knallte ein bißchen und Katrin T. sah Sterne. In dieser Sekunde vollzog sich ein unsichtbarer Wandel. Katrin T. erwachte und trat wieder in diese Welt ein, während ihre Augen noch in einer anderen weilten, was für ungebildete Beobachter so aussah, als würde sie die Wand anstarren. Alles erschien ihr auf einmal so logisch und einfach erklärbar.
Jedenfalls erwachte sie, die Putzarbeit völlig vergessen, mit dem unbändigen Drang, etwas zu Papier bringen zu wollen. Wie in Trance griff sie nach einem Stift und kritzelte auf die Rückseite des Zwischenprüfungsdiploms ihres Lebensgefährten ihr erstes Gedicht:


Knuki

Es plandieren, als wenn Plitze brameln,
derpig und ohne jede Pnunks.
Denn nur Knazis, die bedraust sind,
dürfen in Derfis Knase.
Alle Flatze sind gleich lang,
ebenso die Knurkse,
und völlig ohne Breise.


Just in diesem Augenblick kam Guido K., Lebensbegleiter und Träger mehrerer leichter Bißverletzungen vergangener Nächte, nach Hause, den Kopf wieder einmal voll mit irgendwelchen Studienproblemen. Er ließ ein Gudn-Abnd vernehmen und wollte sich zum Fernseher davonmachen, da erst wurde ihm gewahr, daß Katrin T. auf dem Fußboden saß, die Einzimmerwohnung (mit Bad) noch nicht vollständig aufgeräumt war und sein Zuckerstück seine Zwischenprüfung in den Händen hielt. Ärgerlich riß er ihr das Papier aus der Hand und knurrte, als er merkte, daß die Rückseite beschrieben war. Dann hielt er inne, las das Gedicht, einmal, zweimal, ein weiteres Mal, schluckte, las es abermals, umarmte Katrin T. und küßte sie auf ihren kleinen, ungeschminkten Mund. Tränen liefen über sein Gesicht. Erst viel später war er wieder zu einer verbalen Äußerung fähig. Er konnte es nicht fassen, daß ein paar Zeilen so treffend den Sinn seines Daseins wiedergeben konnten.

Diese Meinung blieb nicht ungeteilt. Die Redakteure der Lokalpresse, bis ins Mark geblendet von der Sprachgewalt, ließen wahre Lobeshymnen in den Zeitungen abdrucken. Die Frankfurter Allgemeine gab eine Extra-Nummer heraus, welche sich ausschließlich mit der Deutung von „Knuki“ beschäftigte, andere bundesweite Zeitungen schlossen sich an. Marcel Reich-Ranicki trat von seinem Amt als Literaturpapst zurück, weil es, wie er meinte, nach diesem Gedicht einfach keine Kritik mehr geben könne. Die Frankfurter Buchmesse wurde kurzfristig nach Münster verlegt. Katrin T. wurde für den Adolf-Grimme-Preis vorgeschlagen, Günter Grass schickte ein Glückwunschtelegramm. Die nette, kleine Einzimmerwohnung (mit Bad) war ständig von glücklichen und schaulustigen Menschen umgeben.

„Prima!“, dachte sich Katrin T., „jetzt kann ich meinen Job bei Määc Bio aufgeben!“ Aber es sollte anders kommen.

An einem Abend, der sich nur durch die Bezeichnung „Freitagabend“ von anderen Abenden unterschied, wurde Katrin T. so gegen 23.00 Uhr müde. Auch mit Guido K. war an diesem Abend nichts los. Er saß am Schreibtisch, vor sich Stift und Papier und summte die Melodie aus einem Kaugummi-Werbefilm. Seit Stunden bemühte er sich um einen literarischen Einfall, aber bis jetzt war alles Fehlanzeige. Auch zeugten die Schwellungen an seinem Hinterkopf davon, daß er versucht hatte, das Talent seiner Lebensgefährtin vor Augen, die Genialität mittels Erschütterungen seines Hinterkopfes herbeizuführen. Doch keine Muse küßte ihn. Dabei sahen die blaugrünen Beulen wirklich zum Erbarmen aus. Katrin T. gähnte kurz und machte sich auf den Weg zum Badezimmer, um nach einer ausgiebigen Reinigung den Schlaf der Erschöpfung schlafen zu können.
Aber das Universum wollte seinen Fehler wieder gut machen und so materialisierte sich auf geheimnisvolle Weise ein Stück Seife auf dem Badezimmerboden (oder war es einfach nur heruntergefallen?). Es dauerte auch nicht lange, bis Katrin T., schläfrig und nicht ganz aufmerksam, darauf zusteuerte. Dem Aufschrei, welcher die Sammlung industriegefertigter Senf-Trink-Gläser auf dem kleinen Bord neben der Spüle scheppern ließ, folgte ein nicht minder heftiger Aufprall. Dann trat Ruhe ein.

Ein paar Sekunden blieb Katrin T. benommen liegen, dann erwachte sie, zwinkerte mit den Augen und schüttelte sich. Jegliche Erinnerung war auf und davon, ihr Gedächtnis hatte den Status einer frisch formatierten Festplatte. Erst langsam fanden die unzähligen Daten in ihrem Kopf wieder zusammen und sie erinnerte sich, wer sie war, wie sie hieß und wie man eine Käsesuppe kocht.
Noch etwas durcheinander fiel ihr Blick auf einen Zettel, der ihr wohl aus der Tasche gefallen sein mußte. Sie überflog die Zeilen und legte die Stirn in Falten. Knuki?
„Guiiiiiiiidooooo!“, rief sie durch das Einzimmerappartment (mit Bad), „Was ist das eigentlich für ein Schwachsinn, den dir das Prüfungsamt auf deine Zwischenprüfung geschrieben hat?“

 

<IMG SRC="smilies/party.gif" border="0"> <IMG SRC="smilies/rotfl.gif" border="0"> <IMG SRC="smilies/cwm29.gif" border="0">

Spaßig zu lesen. Ein paar hübsche Wortblüten darin. Kommt noch mehr?

Heiko

 

Spaßig zu lesen auf jeden Fall. Trotz( oder gerade wegen? ) des vorhersehbaren Schlusses.

Meinem Geschmack nach sind ein paar Stellen für eine Kurzgeschichte etwas zu ausgearbeitet bzw. verschnörkelt, etwas weniger könnte da mehr sein.

Ansonsten recht gut gelungen.

Grüße, Kritiker.

 

Da kann ich mich Heiko und Visek nur anschließen. Das war mal wieder das erste Mal seit langem, daß ich eine Geschichte angefangen und sogar bis zum Schluß gelesen habe. Nur kam es mir vom Handlungsablauf her ziemlich bekannt vor, nicht zuletzt durch den Film "What Women Want".
Auch der ´Fluxkompensator´ läßt grüßen.

Aber trotz allem wirklich gelungen!

 

Kritikergezuppe!
Schön dich hier zu treffen!
Wo treibst du dich in letzter Zeit rum? Streß? ;)

 

Sorry, meinte vorhin natürlich, mich Morphin und Kritiker anschließen zu dürfen; nicht Morphin und Visek!

Nur eine kleine Korrektur!

 

Freut mich, dass Euch die Geschichte gefallen hat.
Ihr habt natürlich recht. Wenn man zu lange an einer Geschichte herumbastelt, wird sie immer schörkeliger.

 

Ich habe gerade versucht, einige Geschichten zu lesen, aber bei keiner kam ich bis zum Ende (ausser von Pirscher, aber da ist man ja am Ende bevor man angefangen hat).
Deine jedoch habe ich ganz gelesen. Gerade dadurch, dass der Schluss vorhersehbar ist, muss man während des Lesens schmunzeln. Bis auf einige zu ausgebreitete Stellen, ein einfach zu lesender Stil, der aber trotzdem oder vielleicht gerade deshalb sehr gut ist.
Eine locker-flockige Abendlektüre!
<IMG SRC="smilies/thumbs.gif" border="0">

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom