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Die Legende vom Hexer
Mit sechzehn war ich noch immer Balljunge, vier Jahre über der Altersgrenze eigentlich. Das ging nur wegen dem Hexer und natürlich wegen Charlie Kies. Charlie Kies war Platz- und Zeugwart, Maskottchen und die gute Seele des Vereins. Nach dem Krieg hat er vierhundertachtundvierzig Spiele als Rechtsaußen für die Franconia gemacht. Jetzt war er ein alter Mann, knautschgesichtig und mit fahler Haut und jeden Tag dampfte er zwei Schachteln Eckstein weg und hatte solche Hustenanfälle, dass man jede Woche froh war, ihn noch im Stadion zu sehen.
Eine Woche nach dem Spiel, zu dem ich viel zu spät dran, weil es regnete, als stünde die Sinnflut bevor, trugen alle Spieler eine schwarze Binde. Und ich dachte: Jetzt ist der Charlie tot. Aber dann hab ich ihn gesehen und er hat mir knapp zugenickt und ich habe gewusst: Der Charlie lebt noch.
Vor fünf Jahren, als er wirklich gestorben ist, haben sie sogar eine Schweigeminute für ihn eingelegt. Und der F-Block, da wo die harten Jungs zu Hause sind mit Schals und den Lederjacken und wo sie Flaggen hochhalten und Trommeln schlagen, ist das ganze Spiel über stehen geblieben.
Aber auch an dem Sonntag, an dem es so schlimm geregnet hat und wo ich mich rausschleichen musste, weil meine Mutter gesagt hat: „Ben, bei dem Wetter. Ich warne dich! Du holst dir den Tod! Und du schreibst doch morgen Mathe!“, da ist der Charlie auch schon eine Legende gewesen.
Ich kam viel zu spät, zwanzig Minuten lief das Spiel bestimmt schon, am ganzen Körper hab ich geschlottert und war außer Atem, weil ich den Weg bis ins Waldparkstadion geradelt bin wie ein Bekloppter und als ich mich dann hinter das Tor vom Hexer schleichen wollte, hat mich der Charlie doch gesehen, hat den Kopf geschüttelt, den kleinen Paul, der auf meinem Platz stand, verscheucht, ist dann auf mich zugegangen, hat mir ein Banjo in die Hand gedrückt und gesagt: „Komm, ich glaub, der Hexer braucht dich.“ Und ich hab übers ganze Gesicht gestrahlt und gar nicht mehr an die Mathearbeit morgen gedacht.
Da hat der Petrus im Himmel die Tore aufgetan und es schüttet in Strömen, meine Damen und Herren. So einen Regen hab ich in den letzten zehn, zwanzig Jahren nicht mehr gesehen. Eine Schlammschlacht ist das da unten. Und die blauweiße Angriffswelle rollt wieder auf das Tor von Jeremias Hexbach zu, den sie hier, das wissen Sie alle, den Hexer nennen. Über die linke Flanke kommt da der junge Martin Rehm, wird da von März in einen Zweikampf verwickelt, täuscht links an, kann ihn abschütteln. Flanke Rehm, Kopfball Aschberger. TOR! NEIN! Der Hexer! Fischt ihn aus dem Winkel. Dieser Teufelskerl!
Dann der anschließende Eckball. Hoch reingeschlagen von Rehm, Aschberger lauert schon, März ist da zu weit weg, doch da kommt der Hexer schon rangeflogen. Ganz sicher hat er ihn, zeigt seinen Kameraden an: „Da geht es lang, das Feld runter“ und drischt das runde Leder weit weg. Soviel hier fürs Erste aus Frankfurt.
Der Hexer hatte eine Schwäche für Banjo, diesen Schokoriegel. Das war natürlich nicht so gut, verboten wahrscheinlich nicht, aber er hatte ja eine Vorbildfunktion. Der Hexer hätte eher eine Banane essen sollen oder am besten Müsliriegel, vom Sponsor. Aber Banjo, wenn das rausgekommen wäre …
Also mussten der Hexer und ich jede Woche eine neue Möglichkeit finden. Weil mit aufs Feld nehmen, konnte er es ja schlecht.
Ich stand hinterm Tor vom Hexer und er sprang auf der Stelle, die Haare hingen ihm klatschnass über die Schultern. Schwarzes, dichtes Haar hat er immer gehabt und auf einmal schaut er über die Schulter und ich sehe sein Gesicht, so wie ich es immer gesehen habe, durch die Maschen des Tornetzes und der Hexer sagt: „Banjo!“
Und ich glaube, er hat gar nicht gewusst, wie ich richtig hieß. Er hat immer nur Banjo zu mir gesagt.
Dann ist der Hexer hoch gesprungen und hat die Latte oben angefasst, ist runter in die Hocke und da hab ich den Plan natürlich durchschaut, hab mich hingekniet und das Banjo durch die Tormaschen geworfen, so dass es der Hexer, als er grade wieder unten war, mit seinen dicken Tormannhandschuhen aufnehmen und es verputzen konnte, während er so tat, als wische er sich den Regen aus dem Gesicht.
„Dank dir“, hat er dann geflüstert und gefragt: „Du glaubst doch an mich, oder?“
„Ja“, hab ich gesagt. „Du bist der beste Tormann der Welt.“
„Ist wichtig, dass du das glaubst. Vielleicht glauben’s die anderen dann auch.“
Und dann ist auch schon der nächste Angriff auf das Tor vom Hexer zugerollt.
Jetzt wollen sie es hier aber wirklich wissen. Mit der Brechstange. Wütender Angriff von der rechten Flanke. Rehnsberg kann da noch mal abblocken, aber aus der zweiten Reihe Silberbach, ein Schuss wie an der Schnur gezogen, aber der Hexer hält. Da springt er ins rechte obere Eck und hat den Ball ganz sicher. Ja, damit kann man ihn heute nicht überwinden.
Da tut es die Schläge, meine Dame und Herren. Es blitzt und donnert wie ein Kanonenschlag. Herrschaftszeiten. Auch der Schiri, Doktors Sengsbach, schaut jetzt in den Himmel, blickt auf die Uhr und lässt dann weiterspielen. Unverantwortlich, daheim in Karlsruhe würde der keinen Fuß aus seiner Zahnarztpraxis setzen, wenn sie mich fragen, aber mich, meine Damen und Herren, mich fragt ja keiner!
„März! Verdammt noch mal! Geh drauf! Und schau dir die Scheiße nicht nur an!“ Der Hexer hatte eine Stimme wie ein Donnergrollen, wenn er so getobt hat. Und der Gustav März, der nur drei, vier Jahre älter war als ich damals gewesen bin, ist unter jedem Satz zusammengezuckt, als hätte ihm der Hexer mit der Peitsche eins übergezogen.
Als ich mich zum Charlie umgedreht hab, hat der nach oben in den Himmel geschaut und das Knautschgeschicht in den Regen gehalten, aber unter jedem Donnerschlag ist er auch zusammengezuckt, so als hätte der Hexer ihn angeschrien und nicht den armen Gustav März.
Hier ist was passiert! Meine Damen und Herren! Rüdes Foul da von März an Aschberger, an der Strafraumgrenze. Von hinten umgegrätscht und was macht der Schiri? Da zeigt er auf den Punkt und Gelb!
Das ist jetzt die Stunde für wahre Helden. Null zu Null steht es noch, noch drei Minuten zu spielen, wer wird sich die Pille schnappen? Rehm ist es! Der junge Albert Rehm will es da mit dem Hexer aufnehmen! Zieht sich die Stutzen noch mal hoch. Der Hexer tänzelt auf der Stelle, geht da noch mal auf den Schützen zu und sagt ihm ein paar freundliche Worte, der Schiri ermahnt ihn, der Hexer geht zurück auf die Linie. Rehm unruhig, geht weit zurück, weiter Anlauf, schießt und drüüüüüber! Aber der Hexer ist trotzdem geflogen und ist da wohl gegen die Latte gekracht und ein Blitz! Mein Gott! Ein Blitz ist ins Tor gekracht. Der Hexer, meine Damen und Herren, Jeremias Hexbach liegt da. Die Mannschaftskameraden fassungslos. Da eilen die Sanitäter aufs Feld. Rehm kann es nicht fassen. Und da liegt der Hexer und …
Ich krieg das auch nicht mehr richtig zusammen. An den Elfmeter kann ich mich noch erinnern, auch wie der Charlie hinten gefeixt hat, als der Hexer auf den jungen Rehm da zugegangen ist. „Der wird ihm bestimmt sagen, wie seine Frau so im Bett ist“, hab ich den Charlie noch sagen hören, weil, unter uns, so ein Chorjunge ist der Hexer nie gewesen. Da hab sogar ich in dem Alter schon so ein paar Geschichten gehört. Junge, Junge.
Aber wie der Hexer dann geflogen ist und gegen den rechten Pfosten geknallt ist, genau in dem Moment, wo auch der Blitz ins Tor schlug, das weiß ich nicht mehr.
Ich weiß noch, wie ich später, wenn ich eigentlich hätte Mathe lernen sollen, an seinem Krankenbett saß und ich weiß noch, wie ich geweint hab und geflüstert: „Ich glaub doch an dich.“ Aber was passiert ist, nachdem sie den Hexer vom Platz getragen haben und wie die Mathearbeit am nächsten Tag gelaufen ist und was der Charlie zu mir gesagt hat, das weiß ich nicht mehr.
Ich bin dann die ganze Zeit nicht mehr ins Stadion gegangen, sondern hab mir zusammen mit dem Hexer sonntags die Spiele an seinem Bett angehört. Ich hab ihm immer ein Paar Banjos mitgebracht. Am Anfang haben ihn noch oft andere besucht, der Gustav März, der Charlie Kies, der Toni, das war sein Torwarttrainer, und die Monika, seine Freundin, die war Halbitalienerin, eine Sensation in Frankfurt damals. Richtig ein Rasseweib.
Aber mit der Zeit bin nur noch ich dagewesen, das Radio, der Hexer und die Banjos.
Kurz nach meinem siebzehnten Geburtstag, als die Franconia eins zu drei in Regensburg verloren hat, bin ich mit der Monika zusammengestoßen, als ich mich grad vom Hexer verabschiedet hatte.
Sie hat mir zwei Banjos gegen die Brust geworfen und geschrien: „Gib endlich auf. Ich kann das nicht mehr. Gib endlich auf.“
Und ich bin noch mal umgedreht und zum Hexer rein. Das lange Haar hatten sie ihm schon lange abgeschnitten und manchmal, wenn ich ihn mir so angeschaut hab, da hab ich gedacht, ich seh noch den Dampf von dem Blitzschlag damals, da wo die Haut richtig gedampft hat. Gepiept und gezurrt hat es immer in dem Zimmer und ganz seltsam gerochen, am Anfang ist mir davon schlecht geworden, und seine Haut war bleich und wurde faltig.
Ich hab dem Hexer die Hand gestreichelt und geflüstert: „Du bist der beste Tormann der Welt, ich glaub an dich.“ Und dann hat er mit seiner schwachen Hand, die ganz kalt war wie Spaghetti, wenn man sie unters Wasser hält, meine Hand gedrückt. Und er machte die Augen auf und sagte: „Banjo.“ Weil er ja nie gewusst hat, wie ich richtig heiß.
Ich rannte nach draußen und schrie: „Der Hexer lebt! Der Hexer lebt!“
Wie ein Besessener hat der Hexer dann die erste Zeit an seinem Comeback gearbeitet. Ich hab ihn oft beobachtet, wie er im Kraftraum saß und Gewichte gestemmt hat, mit dem Oberkörper und auch mit den Beinen, und wie er den anderen nachgeschaut hat, die an ihm vorbei aufs Feld sind. Einen neuen Torwart hatten sie jetzt geholt, einen Asiaten.
Und der Hexer hat sich die Haare wieder lang wachsen lassen und Gewichte gestemmt und war auf dem Trimmrad und hat sogar Box-Training gemacht, gegen einen Punchingball. Wegen der Hand-Augen-Koordination.
Aber richtig bin ich zu dem Hexer damals nicht mehr rangekommen. Ich war ja kein Balljunge mehr, weil ich nicht mehr im Stadion war, und ich konnte nicht viel mehr tun, als mir draußen an der Scheibe im Kraftraum die Nase plattzudrücken und Mathe zu lernen und mich auch mit den ersten Mädchen zu treffen.
Ich war dem Hexer nie böse, ich glaube, ich hab ihn an den Blitzschlag erinnert.
Ich bin dann wieder jeden zweiten Sonntag ins Stadion gegangen, aber ich saß hinten, auf der Haupttribüne und war nicht mehr unten. Und jeden Sonntag hab ich drauf gewartet, dass der Hexer wieder im Tor steht, aber da war jetzt der Asiate. So ein ganz ruhiger, ausgeglichener kleiner Mann. Von dem hat bald jeder gesprochen. Tibi, haben sie ihn genannt. Weil er aus Tibet kam. Und in der Zeitung haben ganze Seiten über ihn gestanden und über innere Stärke und Ruhe und Zypressenbäume und über den Hexer hat keiner mehr gesprochen.
Und als ich mal, nachdem die Franconia das Pokalviertelfinale gegen Lautern gewonnen hat, runter auf den Platz bin und solange nach dem Charlie Kies gerufen hab, bis er sich endlich umgedreht hat, da hab ich gebrüllt „Und? Was macht der Hexer?“
Der Charlie hat mich nur mit seinem Knautschgesicht angeschaut, den Kopf milde geschüttelt und sich wieder umgedreht, ist auf den Rasen gegangen und hat mit der rechten Hand über das Gras gestreichelt.
Am nächsten Tag hing ich wieder am Glas des Kraftraums, doch da war kein Hexer mehr. Am nächten Tag auch nicht und am Tag danach auch nicht. „Aber ich glaub doch an dich“, hab ich gesagt, doch da war kein Hexer mehr.
Ich bin dann zu seiner Wohnung, wo die Monika noch gewohnt hat, und hab Sturm geklingelt, bis sie mir endlich aufgemacht hat. Schwarzes Haar, schwarze Bluse, zwei Köpfe größer als ich. Sie hat die Tür aufgemacht und nur geschrien: „Geh weg! Nun geh doch endlich weg!“
Und ich hab die Hände zu Fäusten geballt, dass mir die Nägel ins Fleisch geschnitten haben und die Tränen sind mir in die Augen geschossen, als die Tür vor mir ins Schloss gefallen ist.
Ich bin dann die Straße runtergegangen und hab den Hexer gefunden, wie er am Straßenrand saß und ein paar Kindern beim Kicken zugeschaut hat. Die Haare hat er sich wieder lang wachsen lassen und die Haut war auch wieder straff, aber dafür hat er nun Stoppeln im Gesicht gehabt und die Donnerstimme von früher, war jetzt sacht und sanft: „Grüß dich, Banjo“
„Hey, Hexer.“
Der Hexer hat den Kopf in den Nacken gelegt und nach oben geschaut in den Himmel.
„Wann spielst denn wieder?“, hab ich gefragt.
Und der Hexer hat auf die Kinder geschaut, da wo grade der Torwart, der ein bisschen pummelig war und nur zwischen zwei Mülltonnen stand, sich vergeblich nach einem schwarz-weißen Lederball gestreckt hat, der links unten an ihm vorbeigerauscht ist, durch die Mülltonnen.
Der Hexer hat seine Hände gehoben und ich hab gesehen, wie schlimm sie gezittert haben und wie dünn sie aussahen, ohne die schweren Handschuhe.
„Komm, Banjo, gehen wir Fußball spielen.“
Wir sind dann auf einen Platz ganz in der Nähe gegangen und von irgendwoher hat der Hexer einen Ball gezaubert, ihn mir an die Grenze vom Sechszehner gelegt und gesagt: „Freistoß, Banjo.“
Und ich hab die ganze Zeit Freistöße aufs Tor vom Hexer gedroschen. Zwei, drei Stunden lang. Und der Hexer ist gesprungen und hat sich im Dreck gerollt und mir hat der Fuß schon wehgetan, vom vielen Kicken und meine Schüsse sind immer schwächer geworden und ich hab mir die Unterlippe blutig gebissen, so hart hab ich geschossen und als ich gar nicht mehr konnte und nur noch auf dem Hintern saß, da ist der Hexer immer noch dem Ball nachgesprungen, obwohl ich gar nicht mehr geschossen hab.
„Hexer!“, hab ich gerufen. „Ich schieß doch gar nicht mehr.“
Doch der Hexer hat schon mit ganz anderen gespielt. „Schöner Schuss, Toni!“, hat er gerufen.
Und: „Bist bisschen eingerostet, was?“ Und: „Alter! Geh doch endlich mal drauf und schau dir die Scheiße nicht nur an!“
Aber ich hab den Ball genommen, bin mit Tränen in den Augen nach Hause geradelt und hab zu meiner Mutter gesagt: „Der Hexer ist verrückt geworden.“ Und die hat den Kopf geschüttelt und geweint und mich auf mein Zimmer geschickt.
Als ich dann eine Freundin hatte und viel Mathe lernen musste, hab ich nicht mehr so oft an den Hexer gedacht. Wenn wir in der Schule Fußball spielen mussten, hab ich mich krank gemeldet. Und keiner hat je was gesagt.
Aber später, als mit der Freundin Schluss war, hab ich wieder viel an den Hexer gedacht. Ganz oft und lange. Ich hab in meinem Bett gelegen und den Fußball vom Hexer, den ich oben auf dem Dachboden versteckt hatte, damit ich ihn nie mehr sehen musste, den hab ich gegen die Decke geworfen. Wieder und immer wieder, bis meine Mutter ganz verrückt geworden ist von dem Geräusch.
Und als ich so dalag, und meine Arme taub waren vom vielen Ball an die Decke werfen, hat es ans Fenster gepocht und ich konnte meinen Augen gar nicht trauen, aber da stand der Hexer, schnell hab ich mich angezogen und bin raus zu ihm gerannt. Und der Hexer hat gesagt: „Ich bin jetzt bereit, zu gehen.“ Seine Hände zitterten nicht mehr.
„Willst endlich wieder kicken?“, hab ich gefragt. „Der Tibi ist ja kein schlechter, aber mit dir sind wir unschlagbar.“
Der Hexer hat gelacht und gesagt: „Banjo. Dank dir. Ist jetzt alles in Ordnung. Ohne dich hätte ich das gar nicht mehr geschafft.“ Und hat mir über den Kopf gestreichelt. Und ich weiß nicht, woran es lag, aber ab da hab ich immer, wenn ich an den Hexer denken musste, gelächelt und ich hab nur noch gute Dinge über ihn gedacht.
Da war der Hexer schon acht Monate tot. Aus dem Krankenhausbett raus hat er es nicht mehr geschafft.
Meister sind wir auch nicht geworden, nicht mal Pokalsieger. Der Tibi ist drei Jahre später verkauft worden, als die Franconia nur noch in der zweiten Liga gespielt hat und ich bin nun ein alter Mann, älter als der Hexer je geworden ist. Und ich hab einen Sohn, der jetzt Balljunge ist, für die Franconia, die in der Regionalliga spielt.
„Komm“, sag ich. „Wir gehen ins Stadion. Zieh dir die Jacke an, es wird kalt.“
„Ach, Papsi“, sagt er. „Es ist doch gar kein Spiel.“
„Klar, ist eins. Nun, komm schon.“
Aber der Junge ist aufgeweckt, da kommt er nach seiner Mutter, holt die Zeitung, schlägt die Sportseite auf und sagt: „Verarsch mich doch nicht. Ich bin jetzt zwölf.“
„Ich weiß, du bist jetzt alt genug“, sag ich und geh raus und setz mich in den Wagen. Lang muss ich nicht auf ihn warten.
Wir fahren raus ins Waldparkstadion und wir kriechen, er leichter als ich, durch das Loch im Zaun, das ich vor vielen Jahren geknipst habe. Wir gehen durch die Katakomben und die Treppe nach unten und setzen uns in die erste Reihe der Haupttribüne. Es ist dunkel, nur die Sterne leuchten ein wenig.
„Papsi?“, fragt er.
„Psst“, sag ich. „Es geht gleich los. Schließ die Augen.“
Ich schließe die Augen und höre, wie die Flutlichter angeschaltet werden. Klack-Klack. Und ich rieche das Gras und höre eine Stimme in meinem Ohr: „Willkommen in Frankfurt, meine Damen und Herren. Herrschaftszeiten, dass ich das noch erleben darf. Bis auf den letzten Platz ist das Waldparkstadion gefüllt hier.“
„Papsi!“, schreit er.
Neben mir sitzt ein älteres Ehepaar. Er hat einen Schal um, seine Frau lächelt ihn an.
Unten auf dem Platz tätschelt der alte Toni das Leder, gibt ihm einen Kuss, legt es auf den Eckpunkt und drischt es in den Sechzehner, wo der Hexer steht, mit wehenden Haaren, sich ins Getümmel und ins Gewühl wirft und den Ball mit beiden Händen ins Feld faustet.
Charlie Kies treibt am rechten Spielfeldrand das Leder vor sich her und donnert eine Bananenflanke in die Luft, bleibt dann stehen, schaut zu uns herüber, hält zwei Schokoriegel hoch und klopft sie aneinander.
„Komm“, sag ich, stehe auf und nehme meinen Sohn an die Hand. „Ich glaube, der Hexer braucht ein Banjo.“