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Die letzten Worte des Bären
Am liebsten wäre Arlos über den Schreibtisch gesprungen und hätte die faltige Visage des Prinzipals auf die Holzplatte geschmettert.
Stattdessen verbeugte er sich und brachte mit gepresster Stimme hervor: »Ich werde Unterstützung brauchen. Sechs Mann der Garde sollten genügen.«
»Es befindet sich eine Kompanie im Minenlager. Wir können niemand weiteren entbehren.« Das sagte der Prinzipal mit geschäftsmäßiger Stimme, blätterte dabei Papiere durch. Obwohl er Arlos nicht einmal direkt ansah, war es, als hätte er ihm ins Gesicht gespuckt. Denn was er eigentlich sagte, war: Niemanden außer Euch.
Dabei sprach Arlos' Aufstieg für sich. Keiner konnte mehr militärische Erfolge vorweisen als er. Doch anstatt ein einziges Wort des Lobes hielt der Prinzipal nur Tadel für ihn bereit: »Ihr seid zu ungestüm, zu hitzköpfig!«
Arlos aber wusste es besser. Ligur schickte ihn auf diese Mission, weil er ihn loswerden wollte - weil er um seinen Rang als Prinzipal der königlichen Garde fürchtete.
Und er fürchtete sich zurecht! Ligurs Glanzzeit war lange vorüber. Die Garde, die kampferfahrenste Truppe des Reiches, sollte von dem Mann angeführt werden, der mit Taten hervorstach und nicht dadurch, dass er mit dem König speiste.
Der Prinzipal schickte ihn mit einem Auftrag fort, der zum Scheitern verurteilt war. Aber wenn Arlos siegreich zurückkehrte, dann könnte auch Ligur nicht länger verhehlen, wem der Posten des Prinzipals zustand.
Das Minenlager bestand aus ein paar Baracken, die von einem Palisadenring aus zugespitzten Pfählen geschützt wurden. Die Anlage hatte schon bessere Zeiten gesehen. Arlos war hier, um die letzte Fuhre aus der Mine in den Palast zu eskortieren.
»Leutnant Raffaeil zu Euren Diensten. Im Namen der Kompanie möchte ich meinen Dank aussprechen, dass Ihr uns begleitet.«
Arlos konnte den Leutnant auf den ersten Blick nicht leiden. Ein dürres Männchen mit hoher Stimme und Augen, die um Aufmerksamkeit bettelten. Arlos verachtete Männer, die sich bei Vorgesetzten anbiederten. Er sah an dem Mann vorbei und fragte eisig: »Wer hat hier das Kommando?«
»Hauptmann Razur, mein Lord, aber genau deswegen ...«
»Falsch!«, schnitt er dem Offizier das Wort ab. Er bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick. »Ich habe ab jetzt das Kommando und ich werde euch nicht begleiten, ich werde euch anführen. Holt mir den Hauptmann!«
»Es ist mir eine Ehre unter Euch zu dienen, wenn ich nur kurz ...«
»Du vergisst dich, Kerl!«, donnerte Arlos. »Sei froh, dass wir uns im Krieg befinden und der König jeden Mann unter Waffen braucht, sonst würde ich an dir ein Exempel statuieren!«
Der Leutnant eilte wie ein geprügelter Hund davon.
Arlos' Ausbruch war im Lager nicht unbemerkt geblieben, doch die Soldaten tauschten nur Blicke und sagten nichts. Routiniert sattelten sie ihre Pferde und verluden den Rest der Ausrüstung.
Arlos' Interesse galt dem gepanzerten Kastenwagen, vor den soeben vier Pferde gespannt wurden. Zu beiden Seiten waren Schlitze eingelassen, durch die ein Soldat eine Armbrust abfeuern konnte. Im Innern des Wagens befand sich der Grund seines Hierseins: Eine Truhe, angefüllt mit Machtkristallen. Arlos warf einen Blick auf den versiegelten Verschluss der Truhe. Natürlich war er unversehrt. Das königliche Siegel zu brechen, verhieß die Todesstrafe.
Als er aus dem Wagen kletterte, erwartete ihn bereits der Hauptmann. Razur war eine Erscheinung nach Arlos' Geschmack. Seine kräftige Statur drohte die Uniform zu sprengen. Aus einem tadellos rasierten Gesicht blickten wache Augen. Der ebenfalls rasierte Schädel glänzte in der Sonne.
»Einen undisziplinierten Haufen habt Ihr hier, Hauptmann.«
»Dem muss ich zustimmen. Habe erst frisch das Kommando übernommen. Bisschen Feinschliff ist noch nötig.« Razurs Stimme klang fest und befehlsgewohnt. »Mit dem Leutnant haben Sie ja schon Bekanntschaft geschlossen.« Er dämpfte seine Stimme und sagte: »Seien Sie nicht zu streng mit ihm. Er ist nicht sonderlich glücklich mit meiner Besetzung, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Arlos nickte. Die Enttäuschung über eine nicht erfolgte Beförderung kannte er nur zu gut.
Razur deutete mit einem Daumen nach hinten. »Der Kerl, der Probleme mit dem Satteln seines Pferds hat, ist Migarius, unsere magische Unterstützung.«
Arlos warf einen Blick auf den Genannten. Der pummelige Mann verhedderte sich in seiner Robe und wäre beinahe aus dem Sattel gefallen. Arlos entging nicht das Gekicher der Soldaten.
»Wann können wir aufbrechen?«
»Sobald Ihr den Befehl gebt.«
Es war eine dreitägige Reise von den Kristallminen in die Hauptstadt. Arlos empfand es als Schande, dass sie den Transport im Herzen des Königreiches mit zwanzig berittenen Männern beschützen mussten. Gerade jetzt, da jeder Soldat gegen die voganischen Invasoren gebraucht wurde. Aber die Machtkristalle besaßen oberste Priorität. Aus ihnen allein schöpften die Magier ihre Kraft. Ohne Kristalle keine Magie. Und ohne Magie ... Wohlstand und Macht des Reiches fußten auf magischer Unterstützung. Böse Zungen behaupteten, man habe sich der Zauberei ausgeliefert und kassiere nun die verdiente Rechnung. Aber es war nicht an ihm, das zu beurteilen.
Der König verlangte die Machtkristalle. Das war alles, was für Arlos zählte. Doch der Nachschub blieb aus. Überall auf dem Kontinent zeichnete sich das gleiche Bild ab: Die Minen waren erschöpft.
Die Angst vor einem Nachbarland, das Magie wirken konnte, ohne selbst dazu in der Lage zu sein, ließ jahrelangen Frieden brüchig werden.
Wären die Voganier nicht eingefallen, hätte das Königreich den ersten Schlag geführt.
Neuerdings entsandten die Voganier kleine Überfallkommandos, um die Kristalllieferung aus den Minen in den Palast abzufangen. Man munkelte, dass Torgald, die rechte Hand des Vogarischen Herrschers, höchstselbst die Überfälle plante und ausführte. Gemeinhin wurde er nur der Bär genannt.
Arlos hoffte, dass Torgald den Transport überfiel. Dann würde er dem König nicht nur die Machtkristalle bringen, sondern auch den Kopf des Bären.
Arlos grinste bei der Vorstellung, wie er mit den Machtkristallen in den Palast schritt. Er wusste nicht, was ihn mehr freute: Die Belobigung des Königs oder das vor Wut schäumende Gesicht Ligurs.
Der Wagen rumpelte in der Mitte der Kompanie.
Arlos ritt mit Hauptmann Razur an der Spitze. »Warum wird Torgald der Bär genannt?«, fragte er.
»Er soll groß sein wie einer und ebenso behaart und kräftig. Was die Leute eben so reden.« Razur machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Seid Ihr ihm schon einmal begegnet?«, fragte Arlos.
»Wer weiß das schon. Manche behaupten, er sei ein Gestaltwandler.«
»Glaubt Ihr das?«
»Nein.« Er lachte. »Wenn ich dem Bären begegne, trete ich ihm in seinen haarigen Arsch.«
»Aber erst, nachdem er meine Klinge geküsst hat!« Auch Arlos grinste. »Ich bin froh, einen fähigen Mann wie Euch dabei zu haben. Diese Lieferung wird womöglich über Sieg oder Niederlage entscheiden.«
»In meinen Augen wird die Zauberei überschätzt. List und Tücke - das sind die ausschlaggebenden Waffen im Krieg.«
»Riskante Worte, Hauptmann. Das Königreich ist stark, dank der magischen Künste.«
»Das mag stimmen und doch ist Magie nur eine Illusion von Macht.«
Arlos schüttelte den Kopf. »Ihr habt noch nicht die Schrecken eines Kampfmagiers erlebt. Mit ausreichend Kristall entfacht er ein Feuer, das ein ganzes Heer zu Asche verbrennt.«
»Mit ausreichend Kristall. So ist es.« Razur deutet mit dem Daumen nach hinten zu dem dicken Mann, der wenig würdevoll auf seinem Reittier auf- und abhüpfte.
»Migarius ist ein niederer Magier und beherrscht ein paar Illusionstricks. Die Soldaten verspotten ihn. Allerdings nur, wenn er nicht dabei ist, denn sie fürchten die Kristalle, die er zu gebrauchen versteht. Aber wenn sie aufgezehrt sind - was dann? All seine Macht entpuppt sich dann als das, was sie ist - als eine Illusion.«
»Und doch seid Ihr hier und beschützt diese Illusion.«
»Ich tue das, was mir aufgetragen wird. Wenn man weise mit den Kristallen umgeht, könnte daraus viel Gutes erwachsen.«
Arlos versteifte sich. »Hegt Ihr Zweifel daran, dass unser König weise mit den Machtkristallen verfahren wird?«
»Immer langsam«, sagte Razur. »Ich bin nur dafür verantwortlich, dass die Kristalle in die richtigen Hände fallen. Was dann damit geschieht, übersteigt meine Soldgruppe.« Er grinste, wurde aber übergangslos wieder ernst. »In zwei Stunden wird es dunkel. Ich schlage vor, wir suchen uns einen Platz zum Rasten.«
Arlos benötigte nur wenig Schlaf. Er schlich im Schutz der Nacht durch das Lager und kontrollierte die Wachposten. Er nickte befriedigt. Die Männer verstanden ihr Handwerk. Von den Wachhabenden abgesehen schliefen die meisten bereits. Daran erkannte man gute Soldaten: Sie nahmen die Gelegenheit zum Schlafen wahr, wenn sie sich bot. Eine kleine Gruppe saß beisammen und ließ einen Weinschlauch kreisen. An ihrem Getuschel erkannte man schlechte Soldaten. Arlos erwog, das Gespräch zu belauschen.
Dann dachte er darüber nach, was er hören würde und wie er darauf reagieren müsste. Würde er jetzt jemanden abstrafen, untergrub er nur die Moral der Männer. Das wollte er sich jetzt nicht erlauben. Das wäre tatsächlich hitzköpfig. Also ließ er von seinem Vorhaben ab und suchte stattdessen den Magier auf.
»Wie lange seid Ihr schon bei der Truppe, Migarius?«
»Lang genug, mein Lord. Ich weiß, dass die Männer mich verspotten.«
Arlos fixierte die Kette, die der Magier um den Hals trug. An ihr hing ein einziger babyfaustgroßer Machtkristall. Das einstige Rot war trüb. Arlos wusste, dass Machtkristalle bei jeder Nutzung mehr ihres Glanzes verloren. War alle Macht aus ihnen gesaugt, wurden die Kristalle milchig und stumpf. Migarius blieben vielleicht noch ein oder zwei Zauber.
Als der Magier Arlos' Blick bemerkte, errötete er. »Ich kann nur ganz bescheidene Illusionen erschaffen. Wenn man genau hinsieht, erkennt man die Täuschung schnell.«
Arlos nickte. »Wie gut kennt Ihr Hauptmann Razur?«
»Ich kenne ihn noch nicht sehr lang. Aber ich vertraue auf meine magisch geschulten Sinne. Er ist ein fähiger Mann. Ganz anders als Leutnant Raffaeil.« Migarius biss sich auf die Unterlippe, als er begriff, zu viel gesagt zu haben.
»Fahrt fort.«
»Es steht mir nicht zu, schlecht über einen Offizier zu sprechen, verzeiht.« Er zog den Kopf zwischen die Schultern.
»Sprecht frei heraus.«
Der Magier knetete nervös seine Finger. »Der Leutnant neidet Razur seine Position. Er versucht ihn schlecht zu reden bei den Männern.«
»Hab Dank für deine Aufrichtigkeit. Schlaf jetzt. Morgen steht uns ein anstrengender Tag bevor.«
Am nächsten Morgen brachen sie früh auf. Zur Mittagsstunde tauchten die ersten Bäume vor ihnen auf. Das Durchqueren des Waldes galt als der gefährlichste Teil ihrer Route. Gäbe es einen Überfall, dann dort. Hinter dem Wald erstreckten sich nur noch weit einsehbare Felder, die wenig Möglichkeiten für einen Hinterhalt boten.
Je näher sie dem Wald kamen, desto angespannter wurde die Stimmung. Niemand sprach. Die Temperatur kühlte merklich ab, als sie in den Forst eindrangen. Zu beiden Seiten der Straße wuchsen Bäume und Sträucher und schluckten das Licht. Die Männer beobachteten nervös den Waldrand. Migarius ritt in geduckter Haltung und fingerte an seinem Kristall herum.
Einzig Razur schien unbeeindruckt. Hoch aufgerichtet saß er im Sattel, die Hand ruhte auf seinem Schwertknauf.
Es war auffallend still. Arlos verzog das Gesicht zu einem wölfischen Grinsen. Gleich würde es beginnen, das spürte er.
Der Straßenverlauf machte einen Knick. Arlos erblickte die Blockade aus umgestürzten Bäumen zuerst. »Schilde hoch!«
Als Antwort auf seinen Befehl zischte aus dem Dickicht zu seiner Rechten eine Salve von Pfeilen. Die meisten Geschosse platzen harmlos an den Schilden ab, doch Arlos sah, wie einige auch ihr Ziel fanden. Drei Männer kippten aus dem Sattel. Eine zweite Salve regnete auf die Soldaten nieder.
Als sie sich hinter ihren Schilden duckten, stürmten aus der linken Waldseite Männer mit Speeren.
Arlos brüllte einen Befehl und führte einen Gegenangriff. Sein Pferd zerschmetterte dem ersten Angreifer den Schädel mit den Hufen, dem zweiten stach er sein Schwert in die Brust. Ein Speer zuckte nach Arlos‹ Bauch, doch Arlos packte die Waffe und trat dem Mann einen Stiefel ins Gesicht. Er bohrte den Speer einem nächsten Angreifer in den Hals und hatte für einen Augenblick Zeit, um einen Überblick über die Schlacht zu gewinnen.
Auch aus der gegenüberliegenden Waldseite stürmten nun Angreifer. Leutnant Raffaeil ritt ihnen im Alleingang entgegen. Wie ein Berserker wütete er unter den Voganiern. Widerwillig musste Arlos den Mut des Leutnants anerkennen.
Sechs Mann hatten es auf den Wagen abgesehen. Die Armbrust erschien im Sichtschlitz und ein Kerl ging gurgelnd zu Boden. Dann war Hauptmann Razur heran. Er brüllte wie ein wild gewordenes Tier und es schien, als falle mit jedem Hieb ein Feind.
Arlos suchte die Angreifer ab, aber keiner sah aus wie ein Bär. Er parierte einen gegen seinen Oberschenkel geführten Hieb und stach zu. Der Mann ließ seinen Säbel fallen und presste die Hände auf die Brust, doch er konnte den Blutfluss nicht stoppen. Arlos begrub den Kerl unter den Hufen seines Pferdes und erwischte einen nächsten an der Schulter.
Ein Horn ertönte. Die Angreifer zogen sich in das schützende Dickicht zurück.
»Bericht!«, verlangte Arlos.
»Sechs Mann tot, drei schwer verwundet«, meldete Leutnant Raffaeil. Er selbst blutete aus einer Wunde an der Stirn.
Migarius war unter den Gefallenen. Der Machtkristall ruhte milchig und stumpf auf der Brust des Toten. Arlos fragte sich, welchen letzten Zauber er wohl gewirkt haben mochte. Genützt hatte er ihm anscheinend nicht.
Mit einem Blick erkannte Arlos, dass die Verwundeten nicht würden reiten können. Sie benötigten Bahren, doch um diese zu bauen, fehlte ihnen die Zeit. Die Voganier konnten jeden Moment zurückkommen.
»Die Machtkristalle haben Priorität«, sagte er. »Mit dem Wagen kommen wir nicht über die Blockade. Ladet die Truhe auf ein Pferd.«
»Mein Lord«, rief Raffaeil und seine hohe Stimme überschlug sich beinahe, »wenn wir die Verletzten zurücklassen, ist das ihr sicherer Tod!«
»Noch ein Wort und wir haben einen weiteren Toten zu beklagen!«, wies Arlos den Leutnant zurecht.
»Mit Eurer Erlaubnis bleibe ich zurück und kümmere mich um die Verletzten«, bot sich Razur an. »Der Weg nach vorn ist uns verwehrt. Wir können aber mit dem Wagen zurück ins Minenlager fahren. Dort gibt es einen Arzt.«
»Also gut, wählt Euch einen Mann zu Eurer Unterstützung aus. Kümmert euch um die Verletzten. Ich bringe die Truhe mit den übrigen Soldaten in Sicherheit.«
»Danke. Leutnant zu mir!«, bellte Razur.
Raffaeil wurde blass. Er schnappte wie ein Fisch auf dem Trockenen, wollte protestieren, doch er brachte keinen Ton heraus, als er Arlos' eisigen Blick auf sich gerichtet sah.
Rasch wurde die Truhe auf ein Pferd verladen.
»Hauptmann, Ihr seid ein Mann von Ehre. Viel Erfolg.« Arlos streckte Razur seine Hand entgegen, zu einem Gruß unter Gleichgestellten.
Razur ergriff sie. »Ich danke euch. Grüßt mir den König.«
Arlos atmete erleichtert auf, als sie den Wald hinter sich ließen. Alles verlief nach Plan, seine Beförderung zum Prinzipal war so gut wie sicher. Womöglich würde er einige neue Männer rekrutieren müssen. Zu viele waren Ligur blind ergeben. Ein Mann wie Razur wäre ihm da recht. Er überlegte, wie der große Mann wohl in der Uniform der Garde aussehen würde.
Er musste grinsen, als er daran dachte, wie lädiert die Uniform des Hauptmanns ausgesehen hatte. Ohnehin zu eng, war sie an mehreren Nähten aufgeplatzt. Buschiges Brusthaar quoll bis zum Hals. Ein Handschuh war ihm in der Schlacht abhanden gekommen und die Pranke, die Arlos schüttelte, war außerordentlich behaart gewesen.
Sein Grinsen erstarb, als er einen Gesprächsfetzen der Soldaten auffing:
»Habt ihr gesehen, wie unser neuer Hauptmann gekämpft hat? Wie ein tollwütiger Bär. Den möchte ich nicht zum Feind haben.«
Arlos brachte sein Tier mit einem brutalen Ruck zum Halten. Er wuchtete die Truhe vom Packpferd. Mit angehaltenem Atem untersuchte er das Siegel. Die Worte des Magiers hallten in seinen Ohren nach: Ich kann nur ganz bescheidene Illusionen erschaffen, wenn man genau hinsieht, erkennt man die Täuschung schnell.
Arlos kniff die Augen zusammen und befühlte das Schloss. Sein Finger glitt durch das Siegel.
Die Soldaten glotzten ihn an, als er mit einem Aufschrei der Wut gegen die Truhe trat. Ihr Inhalt verteilte sich auf der Straße: Steine. Ganz gewöhnliche Steine.
Fluchend schwang sich Arlos in den Sattel und jagte sein Pferd den Weg zurück in den Wald.
Er fand Leutnant Raffaeil festgebunden an einem Baum. Man hatte ihm die zerrissene Uniform des Hauptmannes übergestreift und ihm das Abzeichen als Knebel in den Mund gestopft. Der Wagen und die gefallenen voganischen Soldaten waren verschwunden.
Arlos befreite den Leutnant von Strick und Knebel. Tonlos fragte er: »Woran habt Ihr es gemerkt?«
»Die Vollmacht, die Razur als Hauptmann auswies ... Er ließ mich nur einen kurzen Blick darauf werfen. Das, in Verbindung mit der schlecht sitzenden Uniform weckte mein Misstrauen. Außerdem blieben er und der Magier beim Verladen der Truhe viel zu lange im Wagen. Irgendetwas stimmte einfach nicht.«
»Sie haben die Kristalle gegen gewöhnliche Steine ausgetauscht«, sagte Arlos. »Migarius wob die Illusion eines unversehrten Siegels über das Schloss. Mit seinem letzten Zauber hat dieser Verräter den eigenen Tod vorgetäuscht, nehme ich an.« Er sprach mit nüchterner Stimme, als liefere er einen Bericht ab, denn er fühlte nichts bei den Worten. In ihm war nur Leere.
»Als Ihr weg wart, schien er zumindest wieder sehr lebendig.«
Kraftlos ließ sich Arlos neben dem Leutnant nieder. »Aber was ist mit den Kristallen?«
»Sie waren im Wagen versteckt, die ganze Zeit über. Der Hauptmann ... ich meine, der Bär hat sie mir mit einem Grinsen unter die Nase gehalten.«
»Natürlich.« Arlos stöhnte auf. »Der Überfall zielte gar nicht auf die Truhe ab. Sie wollten nur, dass wir den Wagen zurücklassen.« List und Tücke - das sind die ausschlaggebenden Waffen im Krieg. Arlos wurde übel beim Gedanken an das Gespräch.
»So bekommt jeder, was er will, hat Torgald zu mir gesagt.« Die Stimme des Leutnants war kaum mehr als ein Flüstern. »Arlos hat die Truhe, Raffaeil ist Hauptmann und der Bär hat die Kristalle.« Der Leutnant schluckte schwer. »Ich wollte Sie davon in Kenntnis setzen, ich habe es versucht ... ich ...« Er brach ab.
Arlos wollte schreien, doch alles, was er herausbrachte, war ein heiseres Lachen. Anstatt mit Machtkristallen und dem Kopf des Bären würde er mit einem Dank und einem Gruß vor den König treten: Ich danke euch. Grüßt mir den König.
Arlos wusste nicht, was schlimmer war: dass er seinen König enttäuschte, oder dass Ligur triumphierte.