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Die Liebe der Maschine
Die Liebe der Maschine
Die Maschine liebt mich. Sie liebt jeden, sie ist eine Nutte. Und sollte sie einmal versagen, dann wird die Reserve in Gang gesetzt. Spätestens sie wird das Gift in meine Adern pumpen und mich lieben.
Heute ist mein letzter Tag, ich habe noch 30 Minuten. Seit 10 Jahren warte ich auf diesen Augenblick. Ich weiß nicht, wie die Welt außerhalb meiner Zelle aussieht, ich habe sie 10 Jahre lang nicht gesehen. Und auch mich hat dort draußen niemand gesehen. Aber die Welt ist sicher friedlicher geworden, denn vor mir muß nun niemand mehr Angst haben.
Ich bin ein Monster, genauso wie sie es sagten: kein Mensch, sondern ein Tier. Jedes Tier, das geliebt werden will, gibt etwas dafür: seine Freiheit. Jeder Hund tut das. Wilde Tiere sind gefährlich, gefangene Tiere sind zahm und nützlich. Manche bezahlen die Liebe mit ihrem Leben. Das habe ich begriffen.
Ich habe mein Opfer gequält und ihr die Kehle durchgeschnitten. Dann bin ich in ihr gekommen. Ich glaubte, ich hätte das Recht dazu! Alles war voller Blut, nie vergesse ich dieses warme, glitschig-klebrige Gefühl, das mich erregte. Und diese aufgerissenen Augen voller Angst, aus denen sie im Todeskampf ihren Herrn erblickte. Sie blicken mich noch heute an: aus den Mauern, aus der Tischplatte, aus Fensterscheiben, in meinen Träumen. Sie erregen mich immer noch, nach 10 Jahren. Doch ich fürchte mich auch vor ihnen. Ich sehe das Weiße in ihnen, die feinen Äderchen, die starre Pupille, zorniges Rot. Ihr stechender Blick droht mir, sie schreien mich an!
Von meiner Mutter bin ich geschlagen worden. Wenn ich ihrem Willen nicht folgte, wurde ich mit einem Messer in die Arme oder Beine geschnitten. Sie war meine Mutter, deshalb durfte sie das. Wenn wir von unserem Landhaus in die Stadt gingen, sah ich andere Kinder. Sie spielten und waren fröhlich. Doch mit mir wollten sie nur selten spielen. Oft mußte ich ihnen dafür meine Murmeln schenken, die ich so gerne hatte. Doch sie tauschten ja auch Football-Sticker untereinander. Es erging ihnen sicher ebenso wie mir, es war normal. Genauso normal, wie das Verbot, darüber zu sprechen. "Jeder Mensch hat sein Geheimnis", sagte meine Mutter immer. "Sieh dir die anderen an, die reden auch nicht darüber. Sonst würden sie sterben." Das wollte ich natürlich nicht und so hielt ich lieber meinen Mund.
Dann kam der Tag. Ich war 15 und tötete die Tochter unseres Nachbarn. Sie war 16 und verabscheute mich. Das brachte mich in Rage, genauso wie ihr schöner Körper, den ich unbedingt haben wollte. Ich wußte, daß ich es durfte, denn mein Vater machte es regelmäßig mit meiner Mutter. Ich war oft dabei. Wir wohnten in einem engen Haus und so bekam ich es mit, wenn er sie schlug. Manchmal weinte sie, dann schlug er härter. Er schlug sie auch, wenn er sie fickte. Denn er liebte sie. Das war normal. Auch meine Mutter hatte sicher Angst davor, zu sterben und behielt ihr Geheimnis deshalb für sich. Doch ich wußte, daß sie anschließend zu mir kommen würde. Früher hatte ich Angst davor, denn sie tat mir weh. Später machte ich mich schon dafür bereit, denn sie war schließlich meine Mutter und durfte das.
Ich liebte die Tochter unseres Nachbarn, die sich immer so sehr von mir entfernt hielt. Ich liebte sie und deshalb wollte ich sie haben. Wie mein Vater es mit meiner Mutter machte. Doch meine Murmeln warf sie weg, auch meine Sticker. Sie schrie mich an, ich solle sie in Ruhe lassen. Und sie wehrte sich so sehr, daß auch Schläge nichts nutzten. Erst als ich ihr die Kehle durchschnitt, schenkte sie mir ihre Liebe.
Dieses Gefühl! Es war dieses unglaubliche Gefühl! Ich hätte weitergemacht, wenn sie mich nicht gefaßt hätten. Und ich war stolz auf meine neuen Namen, die in jeder Zeitung standen: die Bestie, das Monster. Sie nahmen mich wahr, doch sie wußten nicht, wer ich bin. Heute könnten sie es wissen, doch es interessiert sie nicht, weil die Zeitungen mich für ein Tier halten. - Vielleicht werden sie das hier einmal lesen?
Doch das gigantische Gefühl der Freiheit mußte ich hinter diesen Mauern begraben. Die Mauern meiner Zelle rauben mir die Luft zum Atmen und ich suche Nähe. Denn meine Eltern sind nicht mehr da. Meine Mitgefangenen gewähren mir diese Bitte. Ich bezahle sie, indem ich ihnen meinen Arsch anbiete. Ich tue, was man von mir verlangt, sonst würden sie mich sicher wieder schneiden. In die Arme und in die Beine. Die tragen viele Narben. Die anderen hätten das Recht dazu, denn sie sitzen bereits länger ein als ich. Und außerdem muß ich eine Gegenleistung für ihre Nähe erbringen. Die Liebe meiner Eltern habe ich ebenfalls bezahlen müssen: durch verringertes Essen, durch Hausarrest, durch Schläge und Schnitte.
Ich höre sie. Gleich werden sie mich holen, auf die Pritsche schnallen und eine Nadel in meine Vene stechen. 5 Minuten später bin ich tot. Sie haben das Recht dazu, denn sie sind die Wärter, sie sind die Guten. Ich höre ihre hallenden Schritte in dem langen Gang, der zu meiner Zelle führt. Sie haben mich 10 Jahre lang beschützt und gepflegt. Mich, das Tier! Dafür liebe ich sie! Im Gegenzug gab ich ihnen meine Freiheit.
Auch die Maschine, an die sie mich gleich anschließen werden, wird von mir wieder eine Bezahlung verlangen. Sie gibt mir etwas, sie gibt mir ihr Gift. Ich werde mich einfach auf die Pritsche legen und mich von ihr lieben lassen. Dafür bezahle ich sie mit meinem Leben. Sie ist eine Nutte!
10 Jahre habe ich auf diesen Augenblick gewartet. Aber ich will nicht sterben! Ich habe begonnen, Augen zu malen. Sie starren mich an! Die anderen sagen, ich könne gut malen, ich sei sogar immer besser geworden. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Ich möchte weiter malen und noch besser werden! Doch stattdessen werde ich gleich meinem Herrn gegenübertreten. Ich habe Angst vor ihm, ich weiß nicht, wer er ist. Mit welchen Augen wird er mich anschauen? Wird er mich lieben? Wird er mich auch wieder in die Arme und in die Beine schneiden?
Sie öffnen die Tür.