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Die Liebe meines Lebens
Die Liebe meines Lebens
Ich erwachte wie jeden Morgen in meinem Bett mit der Hoffnung ein Lebewesen neben mir zu finden. Ein Lebewesen in Form einer Frau mit der ich den Rest meines Lebens verbringen könnte. Die letzte feste Beziehung liegt jetzt schon sechs Jahre zurück. Damals war ich so sehr verliebt, dass ich nicht merkte wie ich hinter meinem Rücken betrogen wurde, oder vielleicht auch gar nicht merken wollte. Es kam wie es kommen musste, wie trennten uns im Streit und damals schwor ich mir, nie wieder eine Partnerschaft einzugehen.
Und jetzt liege ich hier mit meinen 30 Jahren, träume von einer Frau mit der ich eine Familie aufbauen kann und habe nichts als ein paar kurzen Liebschaften vorzuweisen.
Halb schlaftrunken ging ich ins Bad. Beim ersten Blick in den Spiegel musste ich mir eingestehen, dass ich so nicht gerade als Frauenschwarm durchgehen würde. Doch als ich nach meiner morgendlichen Toilette wieder in den Spiegel sah, dachte ich bei mir ‚sehe zwar nicht aus wie Tom Cruise, aber sooo schlecht doch nun auch wieder nicht’.
Seit ich mich damals von meiner großen Liebe trennte, wohne ich in der Nähe von Frankfurt. Wir arbeiteten damals in der gleichen Firma und nichts fand ich schlimmer als ihr jeden Tag über den Weg zu laufen. So kündigte ich meine Anstellung und fand neue Arbeit bei einer Bank in Frankfurt.
Ich fahre morgens eine halbe Stunde mit der Bahn zur Arbeit, verbringe meinen Tag am Schreibtisch und fahre abends wieder nach Haus. Gelegentlich gehe ich mit einigen Kollegen noch auf ein Glas Wein in die Stadt. Ansonsten bin ich allein zu Haus. Allein! Ein Wort das in letzter Zeit zunehmend an Bedeutung gewonnen hat. Was mache ich nur falsch? Egal, irgendwann treffe ich schon noch meine Traumfrau.
Als ich an diesem Morgen in den der Bahn sah, ertappte ich mich dabei
wie ich verschiedenen Frauen auf bestimmte Körperteile stierte. ‚Jetzt wirst Du schon zum Voyeur’ ich rieb mir durchs Gesicht und versuchte mich auf meine Tageszeitung zu konzentrieren, als der Zug urplötzlich stark bremste und mit kreischenden Rädern zum Stillstand kam. ‚Na prima,’ dachte ich ‚jetzt komme ich auch noch zu spät zur Arbeit’.
Ich stand auf und öffnete das Fenster. Da ich im ersten Abteil nach der Lok saß, konnte ich gut nach vorn auf die Schienen gucken. Was ich sah, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.
Auf den Gleisen stand ein nackter Mensch. Es handelte sich offensichtlich um eine Frau. Das allein war zwar merkwürdig, aber nicht sonderlich schrecklich. Das eigentliche Grauen bestand darin, das die Frau von oben bis unten mit Blut beschmiert war und in der rechten Hand ein bestimmt 20cm langes Messer hielt.
Die Tür der Lok öffnete sich und ein kreidebleicher Zugführer stieg die Stufen zu den Gleisen hinunter. Mittlerweile schauten auch andere Fahrgäste aus den Fenstern und einige besonders Neugierige hatten sogar den Waggon verlassen und schlichen langsam nach vorn zum Ort des Geschehens.
Auch bei mir gewann die Neugier und so verlies ich das Abteil um auch auf die Schienen hinabzusteigen. Ich ging nach vorn an der Lok vorbei und musste mich durch eine ganze Traube von Menschen drängeln um wieder einen Blick auf Frau werfen zu können.
Eine unheimliche Stille viel mir auf. Kein Mensch sagte etwas.
Die Frau stand noch ungefähr 5m von uns entfernt. Auch sie rührte und regte sich nicht. Jetzt aus der Nähe viel mir ihr makelloser Körper und ihre feingeschnittenen Gesichtszüge auf. Ich schätzte sie auf 25-30 Jahre alt. Wenn nur das viele Blut nicht wäre.
Ich ging zwei drei Schritte auf sie zu und drehte mich zu den anderen Fahrgästen um. ‚Will hier nicht mal jemand helfen?’ fragte ich mit unverhohlenen Zorn in der Stimme. Jede Reaktion hätte ich erwartet,
aber nicht das diese Idioten gar nichts taten. Keine Reaktion, keiner griff zu seinem Handy um Hilfe zu holen nicht einmal der Lokführer sagte etwas.
Ich drehte mich wieder zu der Frau um und ging weiter auf sie zu. Als ich direkt vor ihr stand und in ihr blutverschmiertes aber wunderschönes Gesicht blickte, fühlte ich etwas in mir was ich in dieser Art noch nie gefühlt hatte. Ich kann es gar nicht beschreiben. Es muss so etwas wie Liebe auf den ersten Blick gewesen sein.
‚Hallo, kann ich ihnen irgendwie behilflich sein?’ Mit glasigen Augen schaute sie durch mich hindurch. Ich warf einen schnellen Blick auf ihren Körper, konnte aber keine Wunden feststellen. Ich ging davon aus, dass das Blut dann wohl nicht von ihr selbst stammen konnte. Als ich wieder nach oben guckte sah ich plötzlich ein unglaubliches Leid in ihren Augen. ‚Was war hier geschehen’. Auf einmal fing sie an zu schwanken ließ das Messer fallen und fiel mit einem Seufzer nach vorn direkt in meine Arme. Ich versuchte sie so sanft wie möglich auf sie Erde sinken zu lassen, dann zog ich meine Jacke aus und legte ihn ihr über den Körper. Sie hatte die Augen geschlossen und ihr Atem ging in regelmäßigen Abständen.
Jetzt erst hörte ich hinter mir ein Gemurmel und in der Nähe auf der Straße neben den Gleisen ein Martinshorn. Da hatte wohl dann doch noch einer der anderen Fahrgäste zum Telefon gegriffen um Hilfe zu holen.
Nachdem die Sanitäter die junge Frau in den Krankenwagen gebracht hatte, erkundigte ich mich in welches Krankenhaus man sie brachte.
Ich sah dem davon fahrende wagen hinterher und schaute dann an mir herunter. Auf meinem weisen Hemd waren deutlich Blutspuren zu sehen. Ich nahm mir vor wieder nach Haus zu fahren und für den heutigen Tag Urlaub zu nehmen. Ich drehte mich um lief fast einem Polizisten in die Arme. Er fragte mich nach meinen Personalien und bat mich noch am
selben Tag auf Revier zu kommen um meine Zeugen-Aussage zu machen.
Auf dem Heimweg ging mir diese Frau einfach nicht aus dem Sinn. Es war als hätte ich ein Kribbeln im Bauch. Mein Gott, ich konnte mich doch nicht einfach in eine wildfremde Frau verlieben, die dazu auch noch im Krankenhaus lag und vielleicht jemanden ermordet hatte. Ich versuchte mich auf etwas anderes zu konzentrieren, aber immer wieder kreisten meine Gedanken um diese Frau. Ich holte mir jedes Detail in Erinnerung. Ihre Augen, ihr Gesicht, die langen haselnussbraunen Haare, dieser makellosen Körper...
Nein! Das geht nicht. Das ist völlig absurd. Wahrscheinlich sehe ich sie nie wieder.
Zu Hause angekommen, ging ich als erstes unter die Dusche. Danach machte ich mich fertig um zur Polizei zu gehen.
Ich erinnerte mich daran was der Sanitäter zu mir sagte und beschloss vor der Polizei in das Magdalenen-Krankenhaus zu fahren. Vielleicht konnte ich ja etwas in Erfahrung bringen.
Ich setze mich also in mein Auto und fuhr zum Krankenhaus. Dort angekommen fragte ich in der Aufnahme nach einer Frau die heute Morgen eingeliefert wurde. Aber wie schon befürchtet bekam ich hier keine Auskunft. Ich ging zurück zum Auto und fuhr zur Polizei.
Ich gab alles zu Protokoll und fragte danach den Beamten nach einer Erklärung. Er könne mir im Moment noch nichts sagen, weil die Frau noch immer ohne Bewusstsein war.
Mit dieser erschöpfenden Auskunft fuhr ich zurück nach Haus.
Diese Geschehnisse sind jetzt ein halbes Jahr her. Die Frau, sie heißt Tessa, ist zwischenzeitlich in eine andere Klinik verlegt worden. Eine Klinik die sich auf Koma Patienten spezialisiert hat.
Ich erfuhr damals aus der Presse, das in einem, in der Nähe der
Bahngleise, stehenden Haus die Leiche eines 68jährigen Mannes gefunden wurde. Bei der Leiche handelte es sich um den Vater der splitternackten und blutüberströmten jungen Frau die auf den Bahngleisen gefunden wurde.
Die genauen Umstände konnten bis heute nicht geklärt werden.
Mittlerweile darf ich Tessa besuchen und wie mir der Arzt sagte, wäre ich auch der einzige Mensch der sich um sie kümmern würde.
So sitze ich Tag für Tag an ihrem Bett mit der Gewissheit endlich meine Große Liebe gefunden zu haben. Niemals war ich so in einem Menschen verliebt wie in Tessa.
Ich streichle ihr die Wange und sehne mich nach der Zeit ihres Erwachens.
Copyright 2002 by Jens Zeitschel