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Die Linien im Wasser

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28.12.2009
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Die Linien im Wasser

Das Jahr war 1969. Nach einem schneereichen Winterbeginn veränderte sich Anfang Februar das Wetter. Warme, feuchte Luft brachte Dauerregen. Das große Tauen begann.

Ich träumte. Ich lag auf kaltem, feuchten Grund, es war dunkel, über mir der Himmel. Den Griff spürte ich zuerst im Nacken - große, grobe Finger, die kräftig zupackten und mich in die Dunkelheit schleiften, in eine absolute, tiefe Schwärze, von der ich ahnte, dass sie der Tod war, das Ende.

Als ich die Augen aufschlug, saß mein Großvater auf der Bettkante. Die Wärme seiner Hand, die ausgestreckt und schwer auf meiner Brust lag. Ich öffnete den Mund, aber mein Puls schlug so heftig gegen die Kehle, dass ich nicht sprechen konnte. Für einen Moment schloss ich wieder die Augen, schmeckte die kalte, feuchte Luft, die durch die geöffneten Fenster hereinwehte. Mein Großvater stand auf und blieb in der Tür stehen.
„Zieh dich an und komm nach unten.“

Alle Lichter im Haus brannten. Ich ging die Treppe hinunter, hörte Motorengeräusche und lautes Stimmengewirr von draußen; das gesamte Viertel schien in Bewegung zu sein. Mein Vater stand am Küchentisch und drehte die Griffe von seinen Walther-Taschenlampen, um sie mit neuen Batterien zu beladen. Er trug Wathosen, darüber eine Windjacke, die Haare standen ihm in dünnen, wirren Strähnen vom Kopf ab. Als er mich sah, nickte er und reichte mir eine der Lampen.
„Hier“, sagte er und zeigte auf das Regal in der Diele. „Und nimm dir meine Gummistiefel.“
„Was ist denn los?“
Ich habe seinen Blick bis heute nicht vergessen.
„Komm jetzt.“

In der Diele zog ich mir Jacke und Gummistiefel an. Die Stiefel waren in Frankreich von Hand gefertigt worden, mein Vater hatte sie sich extra für die Jagd zugelegt. Die Stiefel schmiegten sich eng um den Fuß, waren gerade schwer genug, um darin nicht den Stand zu verlieren.

Nachbarn standen auf der Straße, vor ihren Häusern. Sie sprachen aufgeregt miteinander, manche noch in ihren Morgenmänteln. Mein Großvater saß hinterm Steuer seines alten Taunus und öffnete mir die Beifahrertür.
„Der Damm“, sagte er und nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette. „Das Wasser ist gekommen.“
Ich stieg auf den Rücksitz. Neben mir die Kiste mit den Sachen meines Vaters, die er für die rote Arbeit benötigte: Edelstahlhaken, Gekrösemesser, ordentlich zusammengelegte Seile und Karabiner. Im Fußraum lagen auseinandergeschraubte Teile von Angelruten, Rollen und die alte Köderbox aus blassgrünem Metall. Ich betrachtete diese Gegenstände, sie schienen sich verändert zu haben, wirkten seltsam neu, als sähe ich sie zum allerersten Mal.
„Hast du gehört, was ich gesagt habe?“
Ich hob den Kopf, blickte aus dem Seitenfenster, sah meinen Vater, wie er die Einfahrt herunterrannte.
„Ja“, sagte ich leise, und dann noch einmal: „Ja.“
Mein Vater ließ sich auf den Beifahrersitz fallen, ein großer, schwerer Mann, und da kam dieser Geruch mit ihm, der über die Jahre in das Material seiner Hose eingedrungen war. Nach Schlick, vertrockneten Algen, den Innereien gefangener Fische.

Wir fuhren bis zur großen Kreuzung. Die beleuchtete Uhr auf der Litfaßsäule zeigte 4:40. Weiter, vorbei an leeren Feldern, die Remisen und Scheunen grau und verlassen vor langsam heller werdendem Himmel. Die Wälder am Rande der Flur lagen noch im Halbdunkel, unberührt von allem. Das Tal sah ich in dieser Nacht das erste Mal, als wir über den Grat der Ville fuhren: eine geschlossene Fläche, die im Mondlicht schimmerte wie nasses Silber. Mein Großvater atmete aus, ein leises, hohes Pfeifen, die Zigarette hing immer noch in seinem Mundwinkel, die Glut längst erloschen.
„Der ganze Schnee und dann zu heiß“, sagte mein Vater. „Mitte April fünfunddreißig, fast vierzig Grad.“
Mein Großvater fuhr auf der schmalen, nicht asphaltierten Straße langsamer, schaltete das Fernlicht ein. Aus der Dämmerung vor uns sollte sich das Viadukt erheben. Nur die oberste Furt lag noch frei. Bogen und Tragwerk waren vollständig vom Wasser bedeckt.
Mein Vater lehnte sich im Sitz zurück, sein Kopf sank gegen die Stütze. „Der Steg ist überflutet …“
„Sind wir wegen dem Boot hier?“, fragte ich.
Mein Großvater schüttelte den Kopf. „Nein, nicht wegen dem Boot, wir sind nicht wegen dem Boot hier.“
„Der Regen, und dann hat irgendwas mit der Drainage nicht funktioniert.“ Mein Vater drehte sich zu mir, sein Gesicht weiß und hell über der Mittelkonsole. „Es gab eine Flutwelle, unten im Tal, eine große Flutwelle … und, du weißt doch, was das bedeutet, oder? Das weißt du doch?“
Ich nickte.
„Gut“, sagte er. „Dann ist ja gut.“

Mein Großvater wendete. Er behielt das gleiche Tempo bei, vielleicht 40 Stundenkilometer, die Karosserie vibrierte wegen der untertourigen Drehzahl, und als die Steigung zunahm und wir fast den höchsten Punkt der Ville erreicht hatten, soff der Motor ab. Ein kurzer, harter Ruck, danach erloschen die Scheinwerfer und der Wagen blieb stehen. Im nächsten Augenblick stieg ein Schwarm Rabenkrähen von einem der Felder auf. Ich hörte ihr Kra Kra über der Ebene verhallen, dann die kräftigen, schnellen Flügelschläge. Der Schwarm flog über das Dach hinweg und löste sich in kleine, schwarze Punkte am Himmel auf.
„Fahr runter ins Südend“, sagte mein Vater. „Die Feuerwehr schafft es nicht ins Tal, keiner von denen kennt sich da aus.“
Mein Großvater nickte und ließ den Motor an.

Eine eigenartige Stille lag über allem. Der Klang des Atmens so nah, als käme er aus der Mitte des Schädels. Das Geräusch des Motors monoton und wie gedämpft. Die Stimmen meines Vaters, meines Großvaters, die über Hohlräume an der Absperranlage und über ein Abrutschen der Dammwand sprachen, leise und weit entfernt.

Beide Männer verdienten ihren Lebensunterhalt seit jeher mit schwerem Gerät. Sie fuhren Sattelzüge, Tieflader, Spezialfahrzeuge für Langmaterial, bedienten Kräne, Betonmischer und Hublader. Kleine Kinder kamen zum Betriebshof der Familie, blieben vor dem Sicherheitszaun stehen, um ehrfürchtig die großen, mächtigen Maschinen dahinter zu bestaunen. Jede Unze davon gehört uns, sagte mein Vater immer, darauf war er stolz.

Das Südend war der niedrigste Punkt der Ville, eine weitläufige Trasse, die sich längs um den Hang erstreckte. Dort gab es die damals übliche, kleinteilige Landwirtschaft - Teppiche aus Feldern, Obstbaumwiesen und Totholzhecken. Wir fuhren den Höhenkamm entlang, auf einer einspurigen Straße voller Schlaglöcher. Über den Baumkronen dichter, weißer Nebel, bis sich schließlich das Tal öffnete, und wir über eine große, gerodete Fläche bis auf die Sohle blicken konnten. Kudekoven. Aldenrode. Vorselaer. Dörfer, Kerne der Besiedlung seit Jahrhunderten, verbunden durch Glauben, Sprache, Blut und Arbeit. Eine Ebene, so gelb wie Sand, keine Erhebung, Vertiefung, kein Gebäude, keine Straße.
„Mein Gott“, flüsterte mein Vater.

Hinter der nächsten Kurve stand ein Kleinlöschfahrzeug, Scheinwerfer und Blaulicht eingeschaltet, dahinter mehrere PKW, manche mit laufendem Motor. Abgase stiegen in dichten Schwaden in die Dämmerung. Menschen gingen auf der Fahrbahn auf und ab, lehnten an der Leitplanke, starrten ins Leere. Mein Großvater hielt am Straßenrand, stieg mit einem Ächzen aus dem Wagen und klopfte gegen die Seitenscheibe.
„Du bleibst sitzen.“
Mein Vater stieg ebenfalls aus. Dann gingen beide Männer zum Löschfahrzeug hinüber, die Hände tief in den Taschen ihrer Jacken vergraben. Ich erkannte einige Gesichter in der Menge wieder – der pensionierte Polizist, den wir alle Willi nannten und der in einer der besseren Straßen im Viertel wohnte. Dann Dr. Hammer, der Tierarzt, der sich um das Vieh der Bauern und nur selten um Hunde oder Katzen kümmerte. Es war mein Vater, der mit diesen Männern sprach, seine Gesten heftig und eindringlich. Großvater stand schweigend neben ihm, nickte ab und an mit dem Kopf, und da fiel mir die große Ähnlichkeit zwischen den beiden auf - wie sich ihre Gesichtszüge glichen, die wulstigen Brauen, der kleine Mund mit den schmalen Lippen, der immer aufrechte, gerade Oberkörper, eine Haltung, die Strenge und Härte ausstrahlte. Dann stoppte die Unterredung. Die Männer sahen alle gleichzeitig zum Wagen herüber, und ich hörte, wie mein Vater sagte: „Er ist alt genug.“ Nein, das stimmt nicht, ich hörte die Worte nicht, ich sah nur, wie sein Mund sie formte.

Als mein Großvater die Fahrertür aufzog, wehte eiskalte Luft in den Wagen und ich zog den Reißverschluss meiner Jacke zu. Für einen langen Moment betrachtete er mich, die Stirn in tiefen Falten, die Lider aufgequollen.
„Wie alt bist du?“
„Vierzehn.“
Er setzte sich hinter das Steuer. „Wir suchen“, sagte er und ließ den Motor an. „Wir fahren runter, bis es nicht mehr geht, dann sehen wir weiter.“
„Und was macht Vater?“ Er stand immer noch bei den Männern, sie sprachen miteinander, aber etwas hatte sich verändert, es herrschte Aufregung, Angst.
„Wir brauchen ein Boot“, war alles, was Großvater noch sagte. Danach legte er mir eine Hand aufs Knie und deutete mit einem Kopfnicken auf den Beifahrersitz.

Wir fuhren schweigend. Mein Großvater lenkte einhändig, kurbelte das Seitenfenster herunter, nahm ab dem Gefälle den Gang heraus. „Ich habe das immer schon gewusst“, sagt er und blickte kurz zu mir herüber. „Unten im Tal, um keinen Preis der Welt.“ Er hatte beim Bau des Damms mitgearbeitet, Grauwacke für die Schüttung aus den umliegenden Gemarkungen transportiert. Das war Jahrzehnte her. Ich beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Er war kein großer Mann. Nicht sonderlich muskulös, mit kurzen Beinen und einem Bauch, der schon über dem Gürtel hing. Doch da war eine Sache, die ihn von anderen Männern unterschied. Seine Hände waren breit, mit Narben übersät, die Knöchel rau und weiß, unter der dicken, ledrigen Haut seiner Finger bewegten sich fortwährend Sehnen und Muskelstränge.

Hinter der nächsten Kurve stand ein Brandfuchs auf einem auseinandergefallenen Holzpolter. Die schmalen Raubtieraugen reflektierten das Scheinwerferlicht, Kehle und Bauch so dunkel wie Asche. Er stand reglos da, mit ausdruckslosem Blick, Fang in den Wind gerichtet, Läufe voller Schlamm. Da war dieser Geruch, den ich bis heute nicht vergessen kann: nach kalkhaltiger Erde, die das Wasser aus den tief liegenden Sedimenten gewaschen hatte, sauer und beißend. Wir atmeten ihn ein, mit ihm die Geschichten, die nie erzählt werden würden.

Bald darauf war die Straße nicht mehr passierbar - Schlamm hatte die Fahrbahn überflutet, eine tonnenschwere Decke, die über dem Asphalt lag. Aus der Masse ragten entwurzelte Bäume, Verkehrsschilder, Teile von Dächern. Die Lamellen eines Garagentors bewegten sich im Wind knarzend hin und her.
„Hast du deine Taschenlampe?“
„Ja“, sagte ich und holte die Walther aus der Innentasche meiner Jacke. Mein Großvater hielt auf der Fahrbahn und schaltete die Warnblinkanlage ein. „Lass mich vorgehen.“
Er stieg aus, schaltete seine Taschenlampe ein, der Lichtkegel wanderte langsam über den Asphalt. Nach ein paar Schritten blieb er stehen und hob einen langen, gerade gewachsenen Ast vom Boden auf. Damit stach er in die Schlammdecke, überprüfte die Trittfestigkeit, dann winkte er mir mit der Taschenlampe.

Ich ließ die Beifahrertür offen und schaltete meine Taschenlampe ein. Das Licht war gleißend, zeigte jeden abgerissenen Grashalm, jeden Kiesel, deutlich und scharf wie auf einer guten Photographie. Grobkörniger Dampf setzte sich vom Boden ab. Die Gummistiefel versanken nach den ersten Schritten bis zum Knöchel.
„Du gehst nur da, wo ich auch gehe, verstanden?“ Mein Großvater hielt den Stock in einer Hand, in der anderen die Taschenlampe.
„Nach was suchen wir?“
„Nach allem.“ Er blieb stehen, bewegte den Lichtkegel seiner Taschenlampe langsam und kreisförmig, verharrte einen Moment. „Einfach nach allem.“
Ich folgte seinen Spuren, Schritt für Schritt. Aus dem steilen Abhang, der das Südend begrenzt hatte, war ein flach abfallender Hügel geworden. Die Flutwelle hatte auf dem Weg ins Tal ein natürliches Becken passiert, dort seine größte Wucht verloren, doch die Schlammmassen hatten sich weiter vorwärts geschoben und alles unter sich begraben. Wir näherten uns von den Rändern, mein Großvater immer vor mir, unsere zwei Lichtkegel erhellten die Umgebung. Ein Telegrafenmast lag quer vor uns, die Isolatoren schwangen frei. „Nicht anfassen“, sagte mein Großvater und zeigte auf den grün schimmernden Holzstamm. „Giftig.“ Dann blieb er stehen, um mit der Taschenlampe über die Ebene zu leuchten. Tiefe, mit Wasser und Schlamm gefüllte Trassen durchzogen die Talsohle, überall Anhäufungen von Dingen, deren Form und Zweck fast nicht mehr wiederzuerkennen war; zerdrückt, verbogen, zerstört. Die Dachhälfte einer Scheune schwamm obenauf, Teile von Fahrrädern, Eisenstangen und Mülltonnen bildeten eine Insel, Fensterrahmen, von den Polen gerissene Briefkästen und Blumenkästen eine andere, überzogen mit einer Schicht aus Erde und Schlamm, Heu, Gras und Steinen. Dazwischen entwurzelte Bäume, Kiefern mit langen Stämmen, wie nebeneinanderliege Rippen, unterbrochen von Furten, in denen Wasser stand.

Ein Raunen kam von weiter hinten. Mein Großvater sah auf, lauschte einen Moment in die Dunkelheit und richtete den Strahl seiner Taschenlampe aus. Ich folgte dem Lichtkegel, der langsam über die Kiefern wanderte. Die Kuh lag auf einem der Stämme, der Hals durchbohrt von einem armdicken Ast, aber da war kaum Blut, nur ein schwaches Rinnsal im weißen Teil des Fells. Die Zunge hing ihr aus dem Maul, angeschwollen und dunkel glänzend, und immer wieder die Laute aus den Tiefen der Kehle – ein ersticktes Grölen, vor Erschöpfung ganz rau, unterbrochen vom Geräusch des Atemholens. Die feuchten Nüstern vibrierten bei jedem Zug, der Pansen und ein Teil des Labmagens lagen vor ihr im Dreck. Mein Großvater zeigte auf ein langes Stück Wellblech, das unterhalb des Bugs in ihren massigen Körper eingedrungen war und die Dünnung aufgerissen hatte. Der Bauchlappen hing lose über dem Metall, gelbgraue Organe quollen aus der Öffnung.
„Halt deine Lampe hier hin“, sagte mein Großvater und zeigte mir die Richtung an, „und dann sieh weg.“
Die Kuh senkte den Kopf, als das grelle Licht sie traf, die Augen schon matt und starr. Mein Großvater räusperte sich, atmete langsam und lange aus. Als er seine Messerscheide öffnete, hörte ich ein leises Klicken und drehte den Kopf weg. Der gegenüberliegende Hang lag hinter einem Schleier aus dichtem Nebel, und da waren Lichter, Lichter, die sich bewegten.

Es war, als wäre die Luft mit einem Mal dünn geworden, schwer zu atmen. Mein Herz schlug hart gegen die Brust, mir wurde schwindelig, da war ein Rauschen in meinen Ohren, und dann herrschte Stille. Ich wusste, was diese Stille bedeutete. Mein Großvater stand breitbeinig über eine Trift gebeugt und reinigte sein Messer im trüben Wasser. „Komm weiter“, sagte er, und ich folgte ihm schweigend, achtete auf die Abdrücke seiner Schuhsohlen, ich sah mich nicht mehr um.

Stehengebliebene Wände von Scheunen, Häusern, die umliegenden Mauern fortgerissen, Steine, Wurzeln, Erdreich, dichte Schaumflocken vom aufgetriebenen Wasser, und wir gehen Schritt für Schritt, nichts passiert. Die Luft wird kälter, der Wind schneidet mir ins Gesicht, am Horizont Lichter, kreisrund und hell, die Corona dehnt sich hinter dem Nebel aus, eine Kette aus Licht. Und da stehen wir, vor dieser grauen Einöde, die so endlos scheint, Schlamm und noch mehr Schlamm, der Schein des Mondes zieht sich bis zur Stirnseite des Tals, der Damm thront über allem, eine Kraft für sich, wir so klein, am Ende einer Kette von Ereignissen angelangt. Aufsteigender Dampf, die Dinge ihres Zwecks entledigt, Ruinen ohne Funktion, über allem der Geruch von Heu und Kanalisation, Dung und Nadelhölzern. Endloses Waten durch die Elemente, durch die Stille. Dann Stimmen aus dem Nichts, weit entfernt, Flüstern aus dem Nebel, langsam näher kommend, doch ich weiß, mir kann nichts geschehen, denn alles ist bereits geschehen.

Blaugraues, klares Wasser, nur eine dünne Schicht Schlick treibt dicht unter der Oberfläche, die Lichter kommen näher, blenden mich, das kalte, grelle Licht schmerzt in meinen Augen, alles löst sich in einem pulsierenden Weiß auf, irgendwann ist da mein Vater, er legt seine Hand auf meine Schulter, das ist sein Geruch, ich erkenne ihn am Geruch, Algen und Fischgedärme und Schweiß, es musste mein Vater sein.

Sie waren von der anderen Seite des Tals gekommen, hatten das Absperrbauwerk hinter sich gelassen, mit Booten der DLRG die überfluteten Dörfer durchkämmt. Ich starrte auf das Wasser, das vor uns lag - da waren Linien in der Tiefe, lange Geraden, so gleichmäßig, als wären sie mit sicherer Hand gezeichnet worden. Sie wurden von dunklen Bereichen unterbrochen, von großen, rechteckigen Formen mit scharfen Kanten. Die Krone einer Tanne ragte aus dem Wasser, ich streckte meine Hand aus, ließ sie an den Zweigen vorbeigleiten, die Stiche der Nadeln ein vertrautes Gefühl. Ein schwaches, kaum wahrnehmbares Glitzern kurz über der Wasseroberfläche. „Wir haben jemanden gefunden“, sagte mein Vater, seine Hand lag immer noch auf meiner Schulter, und während er sprach, wurde sein Griff fester und drängender. Es war die Art, wie er mich ansah. Er sah mich so an, wie er die anderen Männer angesehen hatte. Als gäbe es einen Bund zwischen ihnen, als wären sie Teil einer großen, gemeinsamen Sache. Das Geräusch der Außenbordmotoren; dumpfes, weit entferntes Brodeln. Es wurde langsam hell. Die Vögel sangen bereits.

Im lichteren Teil des Waldes, am Rand des Tals, bemerkte ich eine Bewegung zwischen den Bäumen. Etwas Helles flatterte zwischen den Ästen im Wind. Ich beschirmte meine Augen. Die Männer blieben abseits stehen, redeten in gedämpfter Lautstärke miteinander. Sie warteten auf weitere Hilfe, auf mehr Boote. Jemand sprach von einem Einsatz der Bundeswehr. Meine Schritte knirschten im verkrusteten Schlamm. Da war Spannung in mir, ich konnte die Muskeln spüren, wie Sehnen über Knochen rieben.

Ein Rascheln im Gebüsch. Zwei, drei, vier Krähen erhoben sich, ich hörte ihre Flügelschläge über mir, dann verschwanden sie aus meinem Blickfeld. Seine Haut war glatt wie ein Stein aus dem Fluss, ganz weiß, da war nur eine dünne, blaue Ader neben der Schläfe. Ein Strampler aus gestreifter Wolle, in dem sich ein paar Laubblätter verfangen hatten. Die Augen offen, ich blickte in starre, dunkle Pupillen und wollte meine Hand ausstrecken, um es zu berühren.
„Was ist da?“, fragte mein Vater und blieb neben mir stehen. „Ist da was?“
Ich ließ meine Hand sinken. Er nickte. Sein Atem dampfte.
„Das ist nichts", sagte er. „Komm weiter. Wir sammeln uns am Südend.“

In dieser Nacht verloren über dreihundert Menschen ihr Leben. Die Flutwelle überraschte sie in ihren Betten, und ich stelle mir vor, dass sie träumten, als das Wasser kam.
Unter den siebenundzwanzig Personen, die lebend im Tal geborgen wurden, befand sich ein achtundachtzigjähriger Mann, der letzte Stellmacher der Gegend. Seine drei Söhne hatte er in den Weltkriegen verloren und kannte den Tod. Trotzdem war er sich sicher, dass man seine vermisste Frau noch in den Trümmern finden würde. Als sie ihn aus dem Schlamm zogen, da habe er einen Distelfink am Himmel fliegen sehen, sagte er, und das bedeute Hoffnung. Am Morgen des nächstens Tages schlug einer der Hunde an. Sie fanden die Frau mit gebrochenem Schlüsselbein unter einer eingestürzten Häuserhälfte. Noch Monate später hörte ich die Geräusche der Staumauer – ein dunkles Knirschen, Stein auf Stein, sich biegendes Metall.

Eine Woche später tauchte ein Mann aus der Stadt vor unserer Einfahrt auf. Ich erkannte ihn an der Aktentasche aus Glattleder, die er in den Händen trug und an dem weißen Diplomat, den er auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkte. Er stieg aus und wartete am Holztor, bis mein Vater ihn heranwinkte. Es war ein sonniger Tag. Wir hatten gerade das Fundament für einen neuen Räucherofen gelegt. Mein Vater schabte eine Kelle Spies aus dem Eimer, der vor ihm auf dem Boden stand. Der Mann blieb auf halbem Weg stehen. Dann öffnete mein Großvater die Haustür und trat auf die Veranda. Er hielt einen Becher Kaffee in der Hand, im Mundwinkel seine Savinelli.
„Ich weiß, wer Sie sind“, sagte mein Vater und legte einen Stein passgenau auf den anderen.
Der Mann nickte.
„Also was wollen Sie?“
„Nicht jeder hätte das gemacht“, sagte der Mann. „Einfach da raus …“
Mein Vater antwortete nicht.
„Dazu gehört `ne ganze Menge Mut, und …
„Mögen Sie gerne Fisch?“, unterbrach ihn mein Vater.
Der Mann legte die Stirn in Falten. „Was?“
„Wir alle hier mögen Fisch, die ganze Familie, Frau, Sohn, der Vatter … besonders Meerforellen, kann man unten an der Sieg gut angeln, wenn man genug gefangen hat, hängt man sie in einen Räucherofen …“ Er tippte mit der Kelle auf die kniehohe Mauer.
„Und danach `nen eiskalten Bismarck.“ Der Mann lächelte, aber mein Vater schüttelte den Kopf. „Nein, seit Jahren keinen Tropfen mehr angerührt.“
Sie sahen sich für einen Moment lang schweigend an, dann lehnte sich der Mann über die Mauer und sagte: „Sie wissen doch, wie das läuft. Wenn so was passiert, sucht die Öffentlichkeit sich einen Schuldigen, auch wenn es ein Unglück war …“
„Das war kein Unglück.“ Mein Großvater nahm die Pfeife aus dem Mund und stellte den Becher auf einen der Steine. „Sie wussten, das Material taugt nichts, zu nass, zu weich, Schüttung zu hoch. Frage der Zeit, bis das rutscht, hab ich schon immer gesagt.“
„Unsere Gutachter werden das eingehend prüfen, und ungeachtet der Ergebnisse werden wir natürlich die volle Verantwortung übernehmen.“
„Wenn Sie Verantwortung übernommen hätten“, sagte mein Vater, „wären diese Menschen jetzt nicht tot.“
„Wir wissen, was Sie geleistet haben, und, lassen Sie es mich so ausdrücken, wir würden uns gerne erkenntlich zeigen …“ Er umfasste die Seiten des Koffers mit beiden Händen und hob ihn auf Brusthöhe.
„Wag es nicht“, sagte mein Großvater. „Wag es ja nicht.“
Der Mann ignorierte ihn, nickte stattdessen meinem Vater zu und öffnete seinen Mund, um etwas zu sagen, den Koffer immer noch in den Händen.

Ich hörte das scharfe Zischen, spürte die Bewegung in der Luft. Der Koffer fiel hin, der Mann fasste sich verwirrt ins Gesicht, und mein Großvater schlug noch einmal zu, die Hand diesmal zur Faust geballt. Der Mann wankte, Blut rann ihm über die Finger, seine Knie wurden weich, er verlor das Gleichgewicht, glitt zu Boden, der Kopf neben dem Koffer im feuchten Dreck.
„Das reicht“, sagte mein Vater. „Der hat genug.“ Er bückte sich, um den Koffer aufzuheben, fuhr mit dem Daumen langsam über das vergoldete Zahlenschloss. „Nehmen Sie ihren Koffer und dann verschwinden Sie.“

In der Küche saß mein Großvater am langen Tischende und legte sich Eiswürfel auf die Knöchel. Meine Mutter sah aus dem Fenster auf die Einfahrt. „Wir hätten das Geld gut gebrauchen können“, sagte sie.
Mein Vater schüttelte den Kopf. „Schmutzig, und wenn du `s einmal genommen hast ...“
Mein Großvater nahm einen der Eiswürfel in den Mund, zerbiss ihn, kaute und sprach gleichzeitig weiter. „Darum geht’s, dass wir schön den Mund halten, die wissen ganz genau, was Sache ist ... ist alles eine Mischpoke da oben, die haben schön geschachert damals und beim Bau `ne Menge Geld verdient."
„Weißt du, was mit den anderen ist?“, fragte meine Mutter. „Hat einer von denen das Geld genommen?“
„Das hat uns nicht zu interessieren.“ Mein Vater zuckte mit der Schulter. „Was die anderen machen, ist denen ihre Sache.“
Meine Mutter wischte sich die Hände an einem Küchentuch ab. Sie nahm ihren Blick nicht von der Einfahrt. „Die Schmier dürfte jeden Moment hier sein.“

Aber die Schmier kam nicht. Auch von dem Mann mit dem Koffer hörten wir nie wieder etwas. Wir mauerten den Räucherofen fertig, fingen Forellen und Aale. Der Sommer ging, der Winter kam. Die Toten wurden beerdigt. Die Dörfer wieder aufgebaut. Keiner sprach über schlechtes Material. Keiner sprach mehr über Verantwortung. Die Reste der Talsperre stehen noch heute. Ich denke nicht mehr an den ertrunkenen Säugling. Erst Jahre später verstand ich, dass die Linien im Wasser Straßen und die dunklen Rechtecke die Umrisse der Häuser gewesen waren. Tief unten, eine stille, versunkene Welt. Mein Großvater ist längst gestorben, mein Vater ist jetzt so alt wie er es damals gewesen ist. Manchmal gehen wir noch gemeinsam auf die Jagd, aber ich spüre, wie müde er geworden ist. Einmal hat er mich gefragt, ob er das Geld hätte nehmen sollen. Nein, habe ich gesagt. Du hast alles richtig gemacht, aber er schüttelte den Kopf. Wir haben alles richtig gemacht, sagte er dann. Danach hat er nie wieder über diese Nacht gesprochen.

 

So, @AWM @Carlo Zwei @lakita @Perisade

ich fasse das mal in einer Antwort zusammen, weil auf jeden einzelnen Post jetzt genau einzugehen, würde wenig Sinn machen, da sich ja einiges mit der Überarbeitung bereits erledigt hat. Sehr umfangreiches Feedback, sehr genau hingesehen. Mit vielem Input gehe ich mit. Oft ist es so, dass man die Chronologie, Zeit, Wetter einfach vergisst, und ich bin da auch nicht der sauberste Arbeiter und manchmal zu faul. Auch bin ich mir nicht so sicher mit dem Pathos, den ich schon gut gedrosselt habe, aber bei einem solchen Thema kann das natürlich die ganze Dynamik schnell sehr fragil werden, wenn man auch nur an einer Stelle übers Ziel hinausschießt. Deswegen habe ich mal alle Stellen, die mir verdächtig erschienen, rausgenommen, auch wenn da einige Darlings bei waren, muss ich zugeben. Auch wenn ich da gegen immer wettere, natürlich bin ich selbst ebenfalls total empfänglich für Effekt, für Emotionen, für Kitsch. Das ist einfach so, und zu einem gewissen Grad ist das auch in Ordnung. Für mich, in meinen Texten, darf es aber kein Übergewicht bekommen, da muss auch immer ein Kontrapunkt vorhanden sein, damit es nicht in eine Gefühlsduselei abdriftet. Ich denke, ich nähere mich mit der aktuellen Version an. Einige Sätze, die Effekte sind, wie die Verneinung oder was er im Wagen wie zum ersten Mal sieht, das sind für mich alles Erinnerungssequenzen, die eine Schicht des Erzählers bilden, da geht es mir nicht darum, ob die etwas aktiv und direkt zur Geschichte beitragen, sondern eher um einen Blick auf den Charakter, an was und warum erinnert er sich? Da kann man sich jetzt drüber streiten, ob und wie das sinnvoll ist, aber wichtig ist nur: Ich mag die Sätze und für mich machen sie einen Sinn, ergeben sie ein vollständigeres Bild vom Charakter. Das Gleiche gilt für die Dialoge. Dass die etwas krumm und abgebrochen sprechen, karg und oft sehr oral, auch repetitiv, das ist schon auch gewollt. Ganz grundsätzlich zu meiner Methode beim Dialogschreiben: Ich komme aus einer Familie, wo sehr viel geredet, gebrüllt wurde, in vielen Sprachen, russisch, polnisch, pfälzisch, und wo sich teilweise auch durch die Herkunft eine gewisse seltsame, idiosynkratische Grammatik herausgebildet hat. Da wurden die Artikel weggelassen oder verdreht, Satzstellungen verändert, und das habe ich im Kopf, wenn ich einen Dialog schreibe, weil er für mich dann irgendwie wahrer klingt - ob das für andere so ist, weiß ich natürlich nicht, aber es ist ein wenig wie Mamet-Speech, wo sich die Charaktere ständig unterbrechen und auch ordinär sind, so war es bei Mament zu Hause, das hat er übernommen. Deswegen fällt es mir schwer, da etwas dran zu ändern, obwohl ich das hier im Text schon getan habe, weil es einfach in sich logisch war. Aber wegen einem bestimmten Klang, der richtiger oder näher am Schriftdeutsch ist, würde ich das nicht ändern wollen, eben aus den oben genannten Gründen.

Ich habe den Text jetzt überarbeitet, ich denke er ist noch straffer und auch logischer in der Abfolge geworden. Das Ende mag ich immer noch, vielleicht wird sich das aber ändern.

Zum Jiddischen: Ich muss mich revidieren. In der Tat wird es wohl mittlerweile so gesehen, das bestimmte jiddische Worte, die sich als Lehnwort im Deutschen durchgesetzt haben, eine andere als die intendierte Bedeutung bekommen haben; vor allem Mischpoke und schachern, nämliche eine deutlich negative Konnotation. Das kann natürlich als Anti-Semitismus ausgelegt werden, auch wenn es nicht beabsichtigt war, ich habe recherchiert. Da muss lakita Recht, war mir nicht bewusst, man lernt nie aus.

Gruss, Jimmy

 

Danke @Morphin,

interessant, dass ausgerechnet Mischpoke und schachern auch genannt werden, aber zum Kern meiner sog. Bedenken sagen die beiden in diesem Gespräch ja leider nichts. Wirklich schade.
Auf der anderen Seite halte ich das Thema zwischen mir und jimmysalaryman für ausgeschrieben.
Da sind wir uns doch einig @jimmysalaryman oder?

Aber dennoch lieben Dank, Morphin.

 

interessant, dass ausgerechnet Mischpoke und schachern auch genannt werden, aber zum Kern meiner sog. Bedenken sagen die beiden in diesem Gespräch ja leider nichts. Wirklich schade.
Hier noch ein sehr ausführlicher Artikel zum Thema.

 

Mir gefallen die letzten Beiträge zum Thema "was man besser nicht, oder wenn dann nur selten, sagen sollte, weil ..." wirklich richtig gut!

Danke!

#fragdenjuden
#ab wann die Verwendung von jiddisch (...) nicht mehr erfolgen sollte
#meine Zweifel gelten der grundsätzlichen Verwendung dieser Worte
#Darf man das heutzutage noch tun

#Literatur muss Grenzen gesetzt werden
Finde es schade, dass diese authentische Story so torperdiert wurde.

 

Finde es schade, dass diese authentische Story so torperdiert wurde.

Torpediert finde ich jetzt nicht, ist ja nicht ganz unwichtig gewesen. Alles geklärt und easy.

Ich habe die KG mal komplett überarbeitet, da sind jetzt viele Sachen rausgeflogen, vielleicht tut ihr sie euch ja noch mal an.

Gruss, Jimmy

 

Hallo @jimmysalaryman ,

hab mir deine Geschichte nochmals durchgelesen und nun mag es daran liegen, dass es das dritte Mal ist oder aber, dass du es hie und da geschmeidiger umformuliert hast, ich finde die Geschichte immer homogener.
Also ich hab die Vorvariante nicht mehr Wort für Wort im Kopf und weiß daher nicht, wo du geändert hast. Egal, ich habe den Eindruck, die Geschichte ist noch besser geworden.
Einmal abgesehen davon, dass ich mich immer traurig fühle, wenn ich das alles lese, weil es ja wohl alles passiert ist und das breitet sich stimmungsmäßig beim Lesen mit aus, dieser Text hat es somit schwerer, weil es eben keine Gutelaunegeschichte ist, bin ich der Auffassung, dass du an keiner einzigen Stelle zu dick aufgetragen hast oder andererseits zu oberflächlich geworden bist.

Was mir auffällt ist, dass ich die Schilderungen des Großvaters und Vaters jetzt sehr angemessen finde, der leichte Vorwurf, es könnte fast schon ein bisschen Heldenverehrung sein, fällt auf jeden Fall raus aus meiner Kritik.

Gut gemacht!
Ich und jeder andere weiß, wie verflucht schwierig es ist, immer und immer wieder sich von Sätzen, Formulierungen zu trennen, die man ja keineswegs nur so dahin geschrieben hat, einmal abgesehen von all den besonderen Formulierungen, an denen man lange geschliffen hat. Respekt, dass dir das gelingt.

Ich habe bei diesem Durchlesen noch ein paar Dinge gefunden, die ich einfach mal in den Raum stelle, die Geschichte war es und ist es jetzt noch viel mehr schon an der Perfektionsgrenze, also alles, was ich jetzt noch anzumerken habe, muss auch nicht sein. Ich empfinde es nur als eine noch weitere Verbesserung.

Menschen gingen auf der Fahrbahn auf und ab, lehnten an der Leitplanke, starrten ins Leere.
Mich stört das Lehnen an der Leitplanke, weil die ist so niedrig, das geht eigentlich nicht.
Ich weiß, es geht dir hier um den Sound, es ersatzlos zu streichen, das würde ich nicht. Wie wäre es, wenn sie gegen ihre Autos, Fahrzeuge lehnen?
„Wie alt bist du?“
„Vierzehn.“
Da kennst du ja schon meine Kritik. Der Großvater weiß garantiert, dass der Enkel vierzehn ist. Das wirkt auf mich etwas zu sehr danach, dass das Alter des Jungen unbedingt untergebracht werden musste.
. „Nicht anfassen“, sagte mein Großvater und zeigte auf den grün schimmernden Holzstamm. „Giftig.“
Die andere Stelle, wo man es mit dem Alter des Jungen einflechten könnte, hast du ja verändert, aber wie wäre jetzt hier die Möglichkeit? Der Enkel antwortet auf "Giftig" schlicht "Ich weiß".
Und Opa antwortet: "Ja, bist ja auch schon vierzehn."
der Damm thront über allem, eine Kraft für sich, wir so klein, am Ende einer Kette von Ereignissen angelangt.
Klasse formuliert. Dieses Thronen und das Angelangtsein am Ende der ....

Dann Stimmen aus dem Nichts, weit entfernt, Flüstern und Raunen aus dem Nebel, langsam näher kommend, doch ich weiß, mir kann nichts geschehen, denn alles ist bereits geschehen.
Weiter oben hast du schon mal die sterbende Kuh raunen lassen. Wie wäre es, wenn es hier bleibt, aber die Kuh röchelt, schnauft, beim Ausatmen pfeift?
Was ist da?“, fragte mein Vater und blieb neben mir stehen. „Ist da was?“
Ich ließ meine Hand sinken. Er nickte. Sein Atem dampfte.
„Das ist nichts", sagte er. „Nur `ne alte Hemdchentüte."
Es war die Art, wie er mich ansah. Er sah mich so an, wie er die anderen Männer angesehen hatte, als gäbe es da einen Bund zwischen ihnen, als seien sie alle Teil einer großen, gemeinsamen Sache.
„Komm weiter. Wir sammeln uns am Südend.“
Sehr gut offen gelassen. Der Leser muss sich nun selbst entscheiden, ob der Vater erkannt hat, was der Sohn gesehen hat und beide verschwörerisch drüber schweigen oder der Vater denkt/hofft, der Sohn hat es nicht erkannt.

Noch Monate später hörte ich die Geräusche der Staumauer – ein dunkles Knirschen, Stein auf Stein, sich biegendes Metall. Es klang wie das Klagen eines verwundeten Tieres.
Es klang wie das Klagen...mir wäre lieber, ich würde die Geräusche lesen können, die ein verwundetes Tier macht , das Klagen ist ja unser Vermenschlichungsversuch und da sie garantiert nicht alle dieselben Geräusche machen, wenn sie verletzt sind, gar im Todeskampf sind, nimm doch eines heraus und schildere das.

besonders Meerforellen,
Ich verbinde mit Meerforellen, Forellen aus dem Meer. Habe dann mal nachgelesen und die scheinen zum Laichen offensichtlich in Süsswasser zu schwimmen. Aber der Vorschlag, das Meer wegzulassen, ist einer der unwichtigsten in dieser Geschichte überhaupt. Mir fiel es nur dieses Mal auf.
„Sie wissen doch, wie das läuft. Wenn so was passiert, sucht man einen Schuldigen, die Öffentlichkeit sucht sich einen Schuldigen, auch wenn es ein Unglück war …“
vielleicht einen Schuldigen weniger?..."Sie wissen doch wie das läuft. Wenn so was passiert, sucht man einen Schuldigen, die Öffentlichkeit sucht sich jemanden (wen) (einen), auch wenn es ein Unglück war..."
Eiswürfel auf die Knöchel.
Hatte man 1969 in einem normalen Haushalt schon einen Kühlschrank und dann sogar einen mit Eiswürfelfach? Es gab sie schon, gar keine Frage.
Aber deine Geschichte wird nicht daran scheitern.
„Das hat uns nicht zu interessieren.“
Hat man das damals so in dieser Familie gesagt? Bei uns wäre ein "Das geht uns nichts (nix) an." dabei heraus gekommen.
Manchmal gehen wir noch gemeinsam auf die Jagd, aber ich spüre, wie müde er geworden ist.
geworden ist, klingt nicht so ideal, finde ich. Wie wäre es, auch wenn du ein Substantiv verwendest?
"...aber ich spüre seine Müdigkeit."


Du siehst, es sind alles nur Kinkerlitzchen....

Lieben Gruß

lakita

 

@lakita

danke für deinen erneuten Input. Hab die Doppler raus gemacht (Schuldiger/Raunen) und noch was angepasst.

Die andere Stelle, wo man es mit dem Alter des Jungen einflechten könnte, hast du ja verändert, aber wie wäre jetzt hier die Möglichkeit? Der Enkel antwortet auf "Giftig" schlicht "Ich weiß".
Und Opa antwortet: "Ja, bist ja auch schon vierzehn."
Das finde ich irgendwie unschön gelöst. Ich finde es in meiner Version einfach besser. Ich mag auch das Bild, wie der Vater das tonlos sagt, und er nur die Lippenbewegungen sieht. Das finde ich geheimnisvoller, es ist irgendwie verschwörerischer, das passt besser in die Atmosphäre.

geworden ist, klingt nicht so ideal, finde ich. Wie wäre es, auch wenn du ein Substantiv verwendest?
"...aber ich spüre seine Müdigkeit."
Ist wie hier: ich spüre, wie müde er geworden ist, das ist einfach etwas anderes, als ich spüre seine Müdigkeit. Das ist ein anderer Klang, auch eine andere Intention.

Gruss, Jimmy

 

Hm @jimmysalaryman ,

reden wir grad aneinander vorbei?
Die Stelle, wo die Männer zum Auto blicken ist perfekt, da käme mir nicht in den Sinn, an der auch nur einen Buchstaben zu verändern.

Nein, ich finde es so gewollt, dass der Großvater fragt, wie alt sein Enkel ist. Der Mann ist nicht senil!
Diese beiden Sätze würde ich verändern wollen. Mehr nicht.
Aber natürlich respektiere ich deine Sturheit, wir ringen bei dieser guten Geschichte hier grad nur um ein paar Silben sozusagen.

Und das mit der Müdigkeit versteh ich, es ist ein deutlich anderer Sound.

Grüße
lakita

 

Die Stelle, wo die Männer zum Auto blicken ist perfekt, da käme mir nicht in den Sinn, an der auch nur einen Buchstaben zu verändern.
Die beiden Szenen fügen sich ja zusammen, bauen aufeinander auf. Da wo sie zusammenstehen, reden sie ja über den Jungen, sie sehen ihn an, der Vater sagt, er sei alt genug. Dann fragt der Großvater, wie alt er tatsächlich ist in der nächsten Szene, wie um sich noch einmal zu vergewissern, vielleicht weiß er selbst nicht, oder er will sich noch einmal vergewissern, für den Leser ist das ja ein Spannungsmoment. Bist du auch wirklich alt genug? Ich will es aus deinem Mund hören? Das steckt da ja drin. Natürlich kann man sogar darüber nachdenken, das Alter ganz wegzulassen, Das ist ja eine Abfolge, die ja eben verhindern soll, dass die Konstruktion zu offensichtlich wird - dazu gehören ja beide Szenen, die bilden eine Einheit. Und ich finde auch nicht, dass es etwas mit Sturheit zu tun hat, wenn ich eine Szene so lassen will, wie sie ist, oder?

Gruss, Jimmy

 

Hi Jimmy,

ich kann Texte inhaltlich nicht besprechen. Das überlasse ich kompetenteren Stimmen. Aber ich hab deine Story jedenfalls gerne gelesen! :)

Weil wir grade bei Kinkerlitzchen sind:

Mein Großvater fuhr auf der schmalen, nicht asphaltierten Straße langsamer, schaltete das Fernlicht ein.
Das muss man nicht negativ konstruieren. Würde vorschlagen: unbefestigt oder Schotterstraße.

 

Hallo Jimmy,
Ich habe mehrere Anläufe gemacht, einen Kommentar zur "Freigabe" zu schreiben und vielleicht liegt es daran, dass mir diese Geschichte ein bisschen wie die Vorgeschichte von Emmas Vater vorkommt. Hier gibt es keine Spannung zwischen den Generationen. Das ist eine klare Initiation in die Männerwelt, in der jeder seinen Platz hat und der Junge wird eingeführt. Die "neue" korrupte Welt zeigt sich am Ende, der Vater setzt dem eine Rechtschaffenheit entgegen, die ohne weitere Folgen bleibt. Die Stimmung nach der Katastrophe, diese Art der Betäubung, diese extrem genaue sinnliche Wahrnehmung, der Rhythmus, das bringt mich beim Lesen geradezu in Trance.

Blaugraues, klares Wasser, nur eine dünne Schicht Schlick treibt dicht unter der Oberfläche, die Lichter kommen näher, blenden mich, das kalte, grelle Licht schmerzt in meinen Augen, alles löst sich ein einem pulsierenden Weiß auf, irgendwann ist da mein Vater, er legt seine Hand auf meine Schulter, das ist sein Geruch, ich erkenne ihn am Geruch, Algen und Fischgedärme und Schweiß, es musste mein Vater sein.
Das als Beispiel. Großartig.

„Hier“, sagte er und zeigte auf das Regal in der Diele. „Und nimm dir meine Gummistiefel.“
„Was ist denn los?“
Ich habe seinen Blick bis heute nicht vergessen.
„Komm jetzt.“
Klar, da geht es jetzt nicht um Pädagogik. Aber: Die reißen einen Vierzehnjährigen nachts aus dem Bett und erklären ihm erst, als er schon im Auto sitzt, was überhaupt los ist. Es hat seine Wirkung, diese Wortkargheit, dieses Geheimnisvolle, hat auch was sehr klassisch männliches, aber ein bisschen skeptisch bin ich doch. Eigentlich würde ich doch erwarten, dass der Junge hier auf seine Frage eine vernünftige Antwort kriegt.
„Nach was suchen wir?“
„Nach allem.“ Er blieb stehen, bewegte den Lichtkegel seiner Taschenlampe langsam und kreisförmig, verharrte einen Moment. „Einfach nach allem.“
Ja, und hier komme ich zu dem einzigen Punkt, der mich an der Geschichte nach wie vor wirklich irritiert. Sie suchen nach allem. Aber als sie etwas finden, gucken sie weg.

Ein Rascheln im Gebüsch. Zwei, drei, vier Krähen erhoben sich, ich hörte ihre Flügelschläge über mir, dann verschwanden sie aus meinem Blickfeld. Seine Haut war glatt wie ein Stein aus dem Fluss, ganz weiß, da war nur eine dünne, blaue Ader neben der Schläfe. Ein Strampler aus gestreifter Wolle, in dem sich ein paar Laubblätter verfangen hatten. Die Augen offen, ich blickte in starre, dunkle Pupillen und wollte meine Hand ausstrecken, um es zu berühren.
„Was ist da?“, fragte mein Vater und blieb neben mir stehen. „Ist da was?“
Ich ließ meine Hand sinken. Er nickte. Sein Atem dampfte.
„Das ist nichts", sagte er. „Nur `ne alte Hemdchentüte."
Es war die Art, wie er mich ansah. Er sah mich so an, wie er die anderen Männer angesehen hatte, als gäbe es da einen Bund zwischen ihnen, als seien sie alle Teil einer großen, gemeinsamen Sache.
„Komm weiter. Wir sammeln uns am Südend.“
Die Szene mit dem Baby verstehe ich einfach nicht. Da bricht für mich das ganze Männerbild zusammen, diese Welt, in der getan wird, was getan werden muss. Warum tun sie so, als wäre da nichts? Warum bergen sie das Baby nicht? Verleugnen es sogar? Nennen es eine "alte Hemdchentüte"? Durch das Fettgedruckte wirkt das aber, als sei das jetzt der Moment der Initiation.

Das erstmal von mir.

Liebe Grüße von Chutney

 

Aber ich hab deine Story jedenfalls gerne gelesen! :)

Vielen Dank fürs Lesen!

Aber: Die reißen einen Vierzehnjährigen nachts aus dem Bett und erklären ihm erst, als er schon im Auto sitzt, was überhaupt los ist. Es hat seine Wirkung, diese Wortkargheit, dieses Geheimnisvolle, hat auch was sehr klassisch männliches, aber ein bisschen skeptisch bin ich doch.

Danke dir für deinen Kommentar, @Chutney. Skeptisch sein ist total okay. Ist natürlich eine Konstruktion, klassische Suspense, was ist passiert?, das erzeugt ja Spannung - hatte ich schon mal erwähnt. Ich weiß gar nicht, ob es da eine Antwort braucht, ich finde, der Leser kann das ruhig durch die Augen des Protagonisten mitentdecken, und ich fürchte, die Geschichte würde schon auch an Drive verlieren, wenn dieser Effekt früher wegfällt. Außerdem sagt der Großvater ja, das Wasser sei gekommen, er erklärt nur nicht deutlich und ausführlich, was genau passiert ist. Mir würde das reichen.

Die Szene mit dem Baby verstehe ich einfach nicht. Da bricht für mich das ganze Männerbild zusammen, diese Welt, in der getan wird, was getan werden muss. Warum tun sie so, als wäre da nichts? Warum bergen sie das Baby nicht? Verleugnen es sogar? Nennen es eine "alte Hemdchentüte"? Durch das Fettgedruckte wirkt das aber, als sei das jetzt der Moment der Initiation.
Das ist in der Tat problematisch. Den Zusammenhang zwischen dem Initiationszitat und dem Finden des Säuglings, also eher dem bewussten Ignorieren, passt hier natürlich nicht. Das ist mir gar nicht aufgefallen. Ich denke, the grand scheme ist hier, dass die Männer in der Geschichte zwar alle mehr oder weniger aktionistisch sind, sich in etwas stürzen, aber gar nicht genau erfassen, was das für Konsequenzen haben könnte. Sie finden den Tod, aber es besteht kein Verhältnis dazu; sie ignorieren ihn. Vielleicht wollen sie es auch nicht wahrhaben. Vielleicht wird dem Vater auch erst hier bewusst, in welche Zusammenhänge er seinen Sohn gebracht hat. Man kann es auch verknappen und lakonisch sagen, sie suchen nur nach Überlebenden. Ich denke, da gibt es keine einfachen Antworten, für mich stand dieses tote Kind als das absolut unheilsvolle Symbol, wie ein Schatten, der auch nachträglich und für immer über allen Beteiligten hängt. Das Kind stirbt, aber der alte Mann und seine Frau überleben. Das ist also mehr oder weniger Zufall. Ich denke, man darf diesen Text nicht als reine Männlichkeitsfolie lesen, das ist ja eben kein Text, in dem es um Heldenverehrung oder so geht, sondern eher um die Stumpfsinnigkeit eben dieser vollkommen hohlen Rituale und Initiationen, das ist ja nur vordergründig einen Applaus wert, eigentlich verhalten die sich ziemlich übergriffig.

Ich hatte sogar schon darüber nachgedacht, diese Szene ganz herauszunehmen, aber dann würde mir vermutlich etwas fehlen. Das ist für mich so ein Kulminationspunkt, an dem sich alles entscheidet.

Danke dir für deine Zeit und deinen Kommentar!

Gruss Jimmy

 

@jimmysalaryman ,

so wie du es darstellst, kann ich das nachvollziehen. Alles gut.
Aber bitte sieh nicht hinter jedem Baum einen Räuber.
Ich finde eine gewisse Sturheit gegenüber dem eigenen Text durchaus angebracht.
Sie kann etwas sehr Sinnvolles darstellen. Und wenn ich das Wort stur verwende, ist es nicht immer als Angriff, gar noch Beleidigung gedacht. Peace!

 
Zuletzt bearbeitet:

Im nächsten Augenblick stieg ein Schwarm Rabenkrähen von einem der Felder auf. Ich hörte ihr Kra Kra über der Ebene verhallen, dann die kräftigen, schnellen Flügelschläge.
„Rabenkrähe“, „Corvus corone corone“

... Das ist eine Zusammenfassung der Ereignisse, ein Resümee. Und woher er das so genau weiß? Ich würde mal vermuten, eine solche Geschichte wird nach einer solchen Katastrophe relativ schnell zu einer Legende, die oft erzählt und auch oft auseinandergenommen wird; jeder Ort kennt doch solche Geschichten, Mythen fast. Und dieser Mann ist ja im Grunde auch schon so etwas wie ein Mythos im Text, eine Verkörperung des Überlebenswillens, gemeinsam mit der Frau und dem Distelfink, der ja ein christliches Symbol ist, da wird das zu einer mystischen Legierung, der ich nicht widerstehen konnte. Und ja, ist ausnahmsweise mal etwas mehr Tell, aber hey, ich finde das jetzt nicht übertrieben. Man erlaube mir das auch mal.
heißt es in einer Antwort an @Carlo Zwei

Ich noch mal, wenn ich darf,

denn solche Ereignisse werden rasch „legendär“ überhoben zu Mythen, nur dass in der scheinbar „aufgeklärten“ Welt nicht ein Gott wie in den Sintflutsagen

„Das Wasser ist gekommen.“
lapidar feststellt (wobei da „Gott“ buchstäblich durch „Mutter“ Natur ersetzt werden kann – es erzählt ja nicht nur die mosaische Schöpfungsgeschichte davon), sondern menschliche Schwächen wie Korruption, Habgier oder – um da wieder in die unfromme Legende zurückzufallen - die unsichtbare Hand des sich vermeintlich selbststeuernden Marktes (als moderner Religionsersatz) und dem schnellen pekuniären Verdienst.

Das absurdeste in der Beziehung und eigentlich kabarettreif durfte ich durch die Sendung mit der Maus mitnehmen, in der unsere lieben Kleinen den Untergang des Mythos zum öffentlichem Schienenverkehr erfahren durften, dass die Deutsche Bahn Waggons für den ICE in Österreich bauen und dann zur weiteren Bearbeitung jeden einzelnen Waggon per LKW an den Niederrhein transportieren lässt …
Aber zurück zum Mythos, der auch einzelne Personen glorifiziert - wie etwa aktuell unser „Helden des Alltags“ und die Männer Deines Epos’ – denn wie die glänzende Seite der Älterngeneration die nachfolgende erleuchtet, so wird die dunkle des/der Vorfahren ihren Schatten auf die Nachkommen werfen – egal, ob sie geläutert sind oder nicht.
Natürlich wird mancher Mythos als eine Täuschung angesehen (s. aktuell in der Rezension “Mythos Bildung“) und manche Mythe beginnt mit einem Traum – wie hier

Ich träumte. Ich lag auf kaltem, feuchten Grund, es war dunkel, über mir der Himmel. Den Griff spürte ich zuerst im Nacken - große, grobe Finger, die kräftig zupackten und mich in die Dunkelheit schleiften, in eine absolute, tiefe Schwärze, von der ich ahnte, dass sie der Tod war, das Ende.
Und dann – vllt. beabsichtigt oder sonst aus dem Sprachschatz in unserem Unbewussten gelagert vorauseilender Unheil verkündend

Was ich aber immer noch nicht begreife und mir mal ein Psychologe erklären muss – warum darf der Großvater des Erzählers nicht schlicht der Großvater sein und stattdessen 27 (wenn mich mein Gerät nicht getäuscht hat) mal „mein“ Großvater – der zudem als der einzige Großvater in den geschilderten Ereignissen zu identifizieren ist …

„Mein Gott“, flüsterte mein Vater.
wird nicht die Lösung sein …

Aber jede Änderung birgt Gefahren - und da soll die Flusenlese ein wenig helfen

„Was ist denn los?“
Ich habe seinen Blick bis heute nicht vergessen.
„Komm jetzt.“
sollte da dem Imperativ nicht das ureigene Satzzeichen zugestanden werden wie der zuvor der Frage?
Und nochmals weiter unten hier
„Du bleibst sitzen.“

Immerhin versteht der Großvater, Imperative als Frage zu tarnen – wie hier
„Du gehst nur da, wo ich auch gehe, verstanden?“

Er hatte beim Bau des Damms mitgearbeitet, Grauwacke für die Schüttung aus den umliegenden Gemarkungen transportiert. Das war Jahrzehnte her gewesen.
Weg mit dem Gewese – „Jahrzehnte her“ sagt alles ...

Dazwischen entwurzelte Bäume, Kiefern mit langen Stämmen, wie nebeneinanderliege Rippen, unterbrochen von Furten, in denen Wasser stand.
Da fehlt was, mutmaßlich „liegende Rippen“

Hier

Aufsteigender Dampf, die Dinge ihrem Zweck entledigt, Ruinen
schlägt mal die Fälle-Falle zu, denn m. E. herscht da weniger der Dativ als der Genitiv „die Dinge ihres Zwecks erledigt“, denn im Umkehrschluss ist es der Zweck der Dinge, deutlicher im Singular "des Dings"

..., alles löst sich ein einem pulsierenden Weiß auf, irgendwann …
„in“

... - da waren Linien in der Tiefe, lange Geraden, so gleichmäßig, als seien sie mit sicherer Hand gezeichnet worden.
Als-ob-Situation immer Konjunktiv irrealis – hier „als wären sie ...“
kommt öfter vor, wie gleich hier zunächst korrekt, aber dann
Er sah mich so an, wie er die anderen Männer angesehen hatte, als gäbe es da einen Bund zwischen ihnen, als seien sie alle Teil einer großen, gemeinsamen Sache.
als konjunktiefe Mischpoke der Familie "sein", „als wären sie …“, als-ob-…) -
das Jiddische ist übrigens nix anderes als konservierter Dialekt aus dem MIttelhochdeutschen infolge Ostkolonisierung seit den Tagen Heinrich des Löwen, an deren Anfang die Gründung der Stadt Lübeck steht - vergleichbar dem Deutsch der Siebenbürgen Schwaben. MIr sind diese alten urdeutschen Dialekte allemal ein Genuss ... Im " Rattenfänger von Hameln" ist der Beginn der Auswanderung märchenhaft aufgearbeitet.

Wie dem auch sei - ein modernes Heldenepos hastu da geschaffen,

findet zumindest der

Friedel

 

Sehr ernste Charaktere. Es ist zwar eine schreckliche Nacht, aber irgendwie habe ich damit gerechnet, dass sie danach auch einen dunklen Humor entwickeln oder ähnliches. Ansonsten sind sie sehr glaubhaft, finde ich. Mir gefiel die Ähnlichkeit zwischen dem Opa und dem Vater, obwohl man merkt, dass sie zwei verschiedene Personen sind.

 

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