Die Massagekralle von Berlin
Ich war schon mal wilder drauf als heute. Zwar wusste ich damals noch nicht, dass Berlin die Hauptstadt Deutschlands ist, dennoch besuchte ich es zusammen mit zwei Kumpels. Die einzigen Erinnerungen, die mir von Berlin geblieben sind, erscheinen mir heute als relativ schnöd.
Wir hatten uns über das Internet nach einer Wohngelegenheit erkundigt. Ein berliner Student war für zwei Wochen verreist und wir konnten seine Bude benutzen. Einzige Bedingung seinerseits: „Verlasst sie bitte, wie ihr sie vorgefunden habt.“ Das steht auch an jeder berliner Toilette. Der gute Knabe wusste nicht, auf was er sich einließ. Wir bekamen ihn kein einziges Mal zu Gesicht. Das war vielleicht auch besser so.
Der bemitleidenswürdige Student, der die Dummheit begangen hatte, seine werte Hütte an uns Drei zu verleihen, war stolzer Besitzer einer Massagekralle. Dieses wundersame kleine Gerätchen bestand aus kreisförmig angeordneten, dicken Drähten mit Gumminoppen an den Enden. An einem Griff konnte man dieses erheiternde Massagegerät festhalten und sich über den Kopf stülpen. Bewegte man es auf und ab, kam man in den Genuss einer wohltuenden Massage. Das ganze sah von außen betrachtet ziemlich wahnsinnig aus. Ich erlaube mir an dieser Stelle nicht, von der Massagekralle Rückschlüsse auf das Seelenleben des Studenten zu ziehen. Ich wills gar nicht wissen.
Als Dörfler war ich prinzipiell eher schockiert vom berliner Nachtleben. Nicht nur, dass im Bahnhofs-Mac-Donald’s mit Abstand die größte Party geboten war, auch fanden wir ausschließlich Absturzläden mit zerbrochenen Bierflaschen auf dem Boden und grotesken Gepiercten in den Ecken. Egal in welche Bar wir uns setzten, alle naselang kam ein dichter Punk angestolpert und fragte: „Hey, wollter Space-Cookies koofen?“
Natürlich wollten wir. Zaghaft knusperten wir unsere Kekse. Eine Stunde verging, zwei Stunden vergingen, nichts. Wir stopften die Kekse nur so in uns rein. Rein gar nichts. Keine bunten Bäume, keine blinkenden Pudel, keine Menschen mit abwegigen Gesichtsverfärbungen, kein Punk, der abgeht.
Wie sich später herausstellte, waren wir an einen stadtbekannten schlimmen Finger mit Namen Inge geraten. Inge hieß eigentlich Ingolf, hatte ein Glasauge, weil er sich als Kind einen Schaschlik-Spieß reingerammt hatte, und verhökerte die völlig harmlosen Kekse seiner Oma an gutgläubige Berlin-Touristen wie uns, der Schundhold. Oma wusste nichts von alledem. Einerseits war sie schwerhörig, andererseits würde der gute Inge sowieso nichts über seine Kekskriminalität verlauten lassen. Das Problem an der Sache war, dass wir uns in vermeintlich weiser Voraussicht gleich eine Zweiwochenration an Keksen besorgt hatten. Eine ganze Schachtel. Wir wollten es so richtig knallen lassen.
Nach einigen Flaschen Rotwein haben meine Freunde und ich uns übrigens überlegt, ob wir Inge anzeigen sollten, wegen Etikettenschwindel oder Ähnlichem. Ob wir Rechtsanspruch auf halluzinogene Stoffe in Inges Pilzen erheben sollten. Wir nahmen noch ein paar Schlucke und ließen es dann doch bleiben.
Wir entschlossen uns dazu, alle Beweise zu vernichten, die uns selbst belasten könnten, und verbrachten die verbleibenden eineinhalb Wochen unseres Berlinaufenthalts damit, die restlichen Kekse zu knuspern. Von Kultur war keine Spur. Einzig an unsere Besichtigung des Bundestages kann ich mich noch erinnern. Hängen geblieben ist die Tatsache, dass es dort mehr Japaner gab als erwartet. Diese hätte ich eher in München erwartet. Dort ist es deutscher. Wir mussten während unseres Ausflugs in die Politik im Übrigen dermaßen von Rotweinkonsum gekennzeichnet gewesen sein, dass die Japaner uns für Attraktionen hielten. Für irgendeine kranke, mitteleuropäische Kunstform, von denen in ihren billigen Berliner Reiseführern die Rede war. Zumindest wurden wir ständig auf allerlei Filme gebannt.
Kein Wunder, dass wir nach unserer Bundestagsbesichtigung etwas gebeutelt zurückkehrten. Das erste, was meine Kumpels meinten bewerkstelligen zu müssen war, unsere Leihwohnung zum Abschied noch mal richtig zuzurichten. Schwupps, ein Rotweinfleck auf dem weißen Sofa des Studenten. Als ob es nicht genug wäre, seine Nichtraucherwohnung über zwei Wochen hinweg mit allerlei Dämpfen vollzustinken. Wir erinnerten uns an die letzten Worte unseres Lieblingsstudenten. Uns war angst und bange. Meine Kollegen suchten panisch den Staubsauger, bis ich sie darauf hinwies, dass kein Mensch je imstande gewesen war, mit einem Staubsauger einen Rotweinfleck zu entfernen. Ich begann, mit einem feuchten Schwamm nervös auf dem Fleck herumzurubbeln. Das geschändete Sofa wurde anschließend mit Speisesalz behandelt, dann mit Waschmittel, da kein Fleckenentferner vorhanden, schlussendlich war der Rotweinfleck von einem noch größeren, gelblichen Fleck umrahmt. Immerhin. Aus rein ästhetischer Sicht beachtlich.
Wir gaben es auf und begannen, uns um die Massagekralle zu streiten.