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Die Mauer der Erlösung

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16.08.2003
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Die Mauer der Erlösung

Der fünfte Tag nach Beginn der Aushubarbeiten geht langsam zu Ende. Die Mauer wirft bereits einen langen Schatten auf die andere Seite, ich entlasse meinen Körper für heute von seinem Dienst an ihr. Als ich einen Schritt zurücktrete, entweicht die Anspannung aus mir wie Luft aus einem Ballon. Ich spüre meine weichen Knie, sie zittern, ich kann kaum noch stehen. Meine trockenen Lippen erinnern mich daran, dass ich seit heute Morgen nichts mehr getrunken habe. Kraftlos sacke ich auf der Wiese zusammen und starre auf die aufeinander geschichteten Steine. Die Leere in mir wird von etwas Warmen eingenommen. Die Freude über dieses einwandfreie Bauwerk spült meine Erschöpfung davon und richtet mich auf. Ich nehme wahr, wie das Blut in mir pulsiert und die Wärme sich in meinem ganzen Körper ausbreitet.

Es ist so wichtig, dass sie schön wird. Nicht meinetwegen, ich brauche sie nicht, ob schön oder hässlich. Aber die anderen, sie müssen sie mögen. Das ist einfacher, wenn sie schön ist. Ich mustere sie von oben bis unten. Ich muss meinen Kopf weit nach links und rechts drehen, um sie in ihrer vollen Länge zu erfassen. Gibt es etwas, was mehr Ordnung ausstrahlt, als eine im Halbstein-Verband gebaute Mauer? Jeder der gleichförmigen Quader liegt exakt mittig über den beiden unter ihm, Kante auf Kante, millimetergenau ausgemessen. Die Gliederung dieser Mauer wird auch wieder Ordnung in das Leben der anderen bringen, da bin ich mir sicher.

Ich löse meinen Blick von ihr und schaue suchend über die Wiese. Ich bin allein. Das ist gut so, sie würden es nicht verstehen. Die Wasserwaage, mit der Hanno mir heute assistiert hat, liegt zurück gelassen im Gras nahe dem Spachtel und den Steinhaufen. Überrascht sehe ich, dass neben dem Werkzeug noch eine angebrochene Flasche Wasser steht. Ich greife sie mir, nehme mehrere große Schlücke und lasse die Flüssigkeit genüsslich meine Kehle herablaufen. Den Rest gieße ich über mein Gesicht, mit ein paar Tropfen wische ich Sand von einem der Steine. Drei Tage lang haben wir das Fundament kaum aus den Augen gelassen, es vor Sonne, Sturm, Regen und anderen Gewalten beschützt und es regelmäßig mit einem Wasserstrahl besprüht. Wie oft haben wir die Plastikplane, die der Wind immer wieder herab geweht hat, vom Boden aufgehoben und sorgsam über das Fundament gebreitet. Und heute konnten wir mit den Mauerarbeiten beginnen, endlich. Ich lächle zufrieden, stehe auf, streiche mit meiner Hand sanft über die rauen, aber dennoch ebenen Steine und würde mich am liebsten auf die Mauer hocken. Ich lasse es bleiben, sie ist noch nicht stabil genug.

Erst jetzt merke ich, wie sehr es sich schon abgekühlt hat und ziehe mir meinen Pullover über. Ich begutachte meine Hände, sie haben Blasen, es schmerzt, wenn ich die Finger bewege, ich schließe sie zu einer Faust und strecke sie wieder. Sie sind schmutzig, unter den Nägeln haben sich Mörtelreste gesammelt. An meiner Hose kleben Zement, der Staub der Steine und Grashalme, mein Schweißgeruch verdrängt fast die Ausdünstungen der Baustoffe. Ich bin stolz auf all das. Es beweist, was für einen Einsatz ich bringe, um sie zu retten. Ich atme tief ein und aus, ich atme das Leben, ich atme die Mauer ein. Ich dehne meinen beanspruchten Körper, strecke mein Arme in Richtung Abendhimmel und spüre, dass ich da bin. So sehr, wie ich es selten war. Hier, in meinem Körper, und dort, manifestiert in den ersten Reihen unserer Mauer. Gibt es etwas Schöneres, als etwas uneigennützig zu schaffen, etwas unter seinen Händen wachsen zu sehen, was den Menschen zu Gute kommen wird? Es ist so befriedigend, etwas zu tun und die Ergebnisse unmittelbar vor Augen zu haben. Ein Spatz nähert sich und landet auf der Mauer. Ich klatsche in die Hände und er fliegt davon, ich mag sie nicht mit ihm teilen, die makellosen Steine durch Vogelkot besudelt sehen.

Ich habe nicht die geringste Lust, zu den anderen zu gehen, die den Geräuschen nach bereits beim Abendessen sind, also lasse ich es und setze mich wieder auf den Boden. Ich sehe die Sonne auf der anderen Seite sinken. Das sieht hübsch aus, sie segnet unsere Mauer mit ihrem rot-goldenen Schein. Dennoch ärgere ich mich. Ich kann selbst im Sitzen noch über die Mauer und auf das Feld schauen. Das wird sich bald ändern, hoffentlich morgen schon. Mir macht der Anblick des Bösen nichts aus, aber die anderen müssen vor ihm geschützt werden. Sie sind nicht stark genug. Die Schönheit der ockerfarbenen Kalksandsteine, so ebenmäßig, so perfekt, sie haben den besitzergreifenden Segen von oben gar nicht nötig. Als ich lange Zeit später in unsere Hütte zurückkehre, ist von den Jungs niemand mehr da, die Skatkarten liegen verlassen auf dem Tisch, auch in denen Hütten der anderen scheint kein Licht mehr. Ich bin dankbar, nicht aus meiner Euphorie gerissen zu werden und gehe ins Bett.

Am sechsten Tag nach Beginn der Verwirklichung des Plans rufen mich die ersten Sonnenstrahlen zu unserer Mauer. Von den Zehenspitzen krabbelt Tatkraft in mir hoch und die Gewissheit, dass es auf den heutigen Tag ankommen wird. Heute werden wir vorankommen müssen, bevor der erste Frost uns überraschen und sich gegen die Mauer stellen wird, vielleicht schon in wenigen Nächten. Bis dahin muss sie verfugt und abgedichtet sein. Ungeduldig strample ich die Decke von mir, schlüpfe in meine Arbeitskleidung und tapse über die kalten Holzpanelen in die Küche. Hanno liegt in seinem Bett und schläft, ich lasse ihn liegen, noch kann ich ihn nicht gebrauchen.

Ich schaue aus dem Fenster, rüber zu den Hütten der anderen. Es ist noch niemand zu sehen, auch nicht zu hören. Die Kaffeemaschine ist leer, das Brot nicht aufgetaut, der Frühstückstisch nicht gedeckt. Ärgerlich öffne ich den Kühlschrank. Hatten wir nicht vor Beginn des Projekts die Aufgaben genau verteilt? Wenn sie schon zu dämlich sind, das Fundament zu legen und die Mauer zu bauen, können sie mir nicht wenigstens den Rücken frei halten von solchen Arbeiten? Ich meine, mich erinnern zu können, dass gestern Morgen Annetta den Kaffee gekocht und Luise mürrisch das Geschirr gespült hat, nachdem ich ihr, halb im Scherz, ein wenig Wasser ins schlafende Gesicht gespritzt hatte. Vielleicht war es auch vorgestern. Die Disziplin nimmt von Tag zu Tag ab, genau das hatte ich befürchtet. Sie haben immer noch nicht verstanden, warum wir diese Mauer brauchen. Zu dumm, dass ich auf sie angewiesen bin. Alleine würde ich es nie rechtzeitig schaffen. Es muss auch ohne Frühstück gehen, ich trinke nur ein Glas Orangensaft. Ich verlasse die Hütte und gehe mit großen Schritten auf die Wiese. Je näher ich der Mauer komme, umso leichter wird mein Gang. Andächtig stelle ich mich vor sie, begutachte erfreut die vollkommenen Proportionen und genieße es, etwas geleistet zu haben. Ich fühle mich so leicht, so schwerelos, mein Leben hat einen Sinn bekommen durch diese Mauer.

Ich kippe aus dem Eimer etwas Wasser zum Zement, füge Sand hinzu, verquirle alles zu einer glatten Masse und beginne mit der Arbeit. Mit Tom und Hans kann ich heute wohl nicht rechnen. Gestern hatten sie mir geholfen, sie wollten es zumindest. Die Folgen waren fatal. Die Dichtschlämme für den Sockel hatte die falsche Konsistenz, die Richtschnur war schief gespannt, die Fugenbreite zwischen den Steinen variierte zwischen 8 und 14 Millimetern. Zum Glück habe ich es rechtzeitig gesehen und konnte das Schlimmste verhindern. Ich habe sie von der Wiese gejagt, sie sind beleidigt abgezogen. Es hätte mich zuviel Zeit gekostet, mir etwas auszudenken, bei dem sie mit hundertprozentiger Sicherheit keine Fehler gemacht hätten. Nicht, weil sie es nicht können, einfach aus Nachlässigkeit, was es noch schlimmer macht. Ich rief ihnen noch hinterher, dass sie sich um das Essen kümmern, den Einkauf erledigen, die Frauen bei Laune halten sollten. Was auch immer. Ich konnte jedenfalls nicht zulassen, dass sie sich an unserer Mauer vergingen.

Hanno kommt zu mir, wenigstens er. Ich beauftrage ihn, die Schubkarre zu holen, mit ihr transportieren wir die Steine zur Mauer und schichten Stein auf Stein, immer versetzt, aufeinander. Sie wächst von Stunde zu Stunde, mehrmals rühren wir neuen Mörtel an. Als die Sonne bereits senkrecht auf die Mauer knallt und mir der Schweiß das Gesicht herunter rinnt, lasse ich mich zu einer kurzen Pause ins Gras sinken. Im selben Moment merke ich meine Verspannung im Nacken, rolle meine Schultern, spüre meinen Muskelkater in den Oberschenkeln und den Armen. Meine Hände sind rau wie Schmirgelpapier und zerkratzt. Hanno ist nicht mehr da. Die anderen habe ich vorhin an mir vorbei huschen gesehen, er ist wohl mit ihnen gegangen. Ich erinnere mich dunkel, dass sie mich angesprochen und aus meiner Konzentration gerissen haben. Als ob ich auch nur einen Funken meiner Aufmerksamkeit von unserer Mauer wenden könnte. Gut, dass sie weg sind, so brauche ich ihnen nicht lang und breit zu erklären, was sie wie zu tun haben. Überhaupt verstehe ich ihre Skepsis nicht. Ich habe tagelang versucht, sie von der Notwendigkeit der Mauer zu überzeugen, umsonst. Wie soll man etwas bauen, von dessen Existenz man nicht überzeugt ist? Am besten gar nicht, das hat die Erfahrung mit Tom und Hans mir gezeigt. Neben mir steht ein Tablett mit etwas Obst und Brot, das wird eine der Frauen für mich hingestellt haben.

Ich schäle mir eine Banane und lasse meinen Blick auf ihr ruhen. Erstaunlich, was für eine Kraft hier freigesetzt wurde. Ich glaube nicht, dass am Anfang das Wort war, wie im Buch Genesis behauptet wird. Worte, was richten Worte schon aus. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen das Feld hinter der Wiese nicht betreten, und mein Wort hatte keine Konsequenz. Worte setzen immer voraus, dass es ein Gegenüber gibt, das willens und fähig ist, sie aufzunehmen, zu verstehen und in Handlungen umzuwandeln. Andernfalls ist jede Silbe umsonst. Die Gefahr überstieg ihren Horizont, sie begriffen es nicht, also übertraten sie immer wieder die Grenze. Am Anfang war nicht das Wort, am Anfang war die Kraft. Die Kraft und ihre Transformation in Handlung. So muss auch ich jetzt Tatsachen schaffen, die sie nicht länger leugnen können. Ich muss das Böse von ihnen fernhalten. Sie werden mir dankbar sein, später. Ich werde immer derjenige sein, der ihnen diese Mauer geschenkt und sie damit vor ihrer Schwachheit geschützt hat.

Von dieser Aussicht mit neuem Elan erfüllt, raffe ich mich auf und verschwinde kurz auf der Toilette. Meine Gefühle überschlagen sich, als ich mich aus der Entfernung wieder der Mauer annähere. Aus der Distanz kann ich das ganze Szenario erst richtig aufnehmen. Sie zieht mich in ihren Bann, ihr Anblick erfüllt mich mit Heil, sie ist ein Teil von mir und ein großer Teil von mir, meinen Zielen, steckt in ihr. Mit ihrer Hilfe wird es mir endlich gelingen. Sie ist bereits einen Meter hoch und etliche Meter lang, jeder einzelne Stein hat seinen Platz im Gefüge. Eine eindeutige Begrenzung, die sie an das Verbot erinnern wird, viel höher muss sie nicht werden. Als ich vor ihr stehe und gerade die nächste Schicht Mörtel auftragen will, halte ich irritiert in der Bewegung inne. Es sind Spuren auf der Wiese, auf der Mauer und auf dem Feld hinter ihr. Schuhabdrücke, in unterschiedlichen Größen. Sie sind frisch, ich kann es nicht fassen. Während der letzten drei Minuten müssen sie sich über die Mauer davon gestohlen haben. Sie haben tatsächlich das Feld betreten, schon wieder. Ich habe ihre Dummheit unterschätzt. Ärgerlich schmeiße ich den Spachtel ins Gras und laufe mit großen Schritten an der Mauer entlang, auf und ab. Es hat keinen Sinn, es bei der Höhe zu belassen, ein Symbol des Verbots reicht nicht aus. Wie gedankenlos von mir, das nicht berücksichtigt zu haben. Ich muss es ihnen unmöglich machen, das Hindernis zu überwinden. Die Mauer muss höher werden, viel höher, so hoch, dass sie sie nicht bezwingen können. Eine Festung, eine Festung gegen das Böse. Ich mache mich an die Arbeit, ich muss sie retten und schichte eine Reihe über die andere, Stunde um Stunde, ich forme mit meinen Händen ihre Erlösung. Es wird Nachmittag, es wird Abend, mittlerweile wird jede einzelne Bewegung zum Kampf, meine Mauer zieht meine gesamte Kraft in sich ein. Aufgezehrt überzeuge ich mich davon, dass man im Sitzen den Sonnenuntergang nicht mehr sieht, mache mir in der Küche ein Brot, trinke ein Glas Milch und schleiche mich ins Bett, um Hanno nicht zu wecken. Ich schlafe augenblicklich ein.

Am nächsten Morgen spüre ich meinen geschundenen Körper bereits beim wach werden, ich fühle mich, als wäre ich in den letzten Tagen um Jahre gealtert. Meine Glieder schmerzen, meine Schultergelenke lassen sich kaum bewegen, die Blasen in meinen Händen sind aufgeplatzt, ich werde Probleme haben, den Spachtel zu greifen. Außerdem friere ich. Aber ich habe keine Wahl, mein kostbarstes Werkzeug wird in den nächsten Tag gebraucht, trotz seiner Verschleißerscheinungen werde ich ihm Höchstleistungen abverlangen. Langsam bewege ich meine schweren Beine aus dem Bett und stehe auf. Während des Anziehens erinnere ich mich an meinen Traum von heute Nacht. Ich träumte, die Kinder würden meine Mauer anmalen, mit bunten Blumen, blauem Himmel, gelber Sonne. Alle zusammen tanzten wir anschließend Hand in Hand auf der Wiese. Ich danke Gott für diese Eingebung. Eine bunte Mauer würde sie tatsächlich fröhlicher machen. Ich werde den Kindern nachher vorschlagen, die Mauer zu bemalen, natürlich erst nach ihrer endgültigen Verfugung. Nicht, dass ich eine bunte Mauer bräuchte. Wenn ich es mir genau überlege, ekelt es mich fast davor, die vollkommene Maserung der Steine zu zerstören. Aber wenn es der Sache dient, soll es mir recht sein. Ich gehe in die Küche, das Feuer ist noch nicht angemacht, in der Spüle stapelt sich das Geschirr der letzten Tage, vom Frühstück natürlich keine Spur. Es war eine schlechte Idee, die gemeinsame Küche in unserer Hütte einzurichten, eine sehr schlechte Idee. Frühstück hätte mich allerdings heute eh nur wertvolle Zeit gekostet.

Auf meinem Weg zur Mauer treffe ich niemanden. Ich weiß gar nicht, wann ich zuletzt jemanden zu Gesicht bekommen habe, außer Hanno natürlich. Ich kann weder sagen, was für ein Datum wir haben, noch, was für einen Wochentag. Es ist der siebte Tag nach Beginn des Mauerbaus. Bereits auf der Mitte der Wiese frage ich mich beunruhigt, ob ich mir die Verfärbungen auf einigen Steinen nur einbilde. Ich überwinde die letzten Meter im Laufschritt. Gelbe Flecken, weiße Kleckse, beides scheint eine merkwürdige Konsistenz zu haben. Vorsichtig fahre ich mit einem Finger über die Stellen. Sie sind klebrig. Als meine Augen auf den Boden gleiten, entdecke ich die weißen Schalen im Gras. Ich knie mich hin und hebe sie auf. Eierschalen. Was war das? Wer war das? Und was wollten sie damit bezwecken? Ungläubig starre ich auf die Mauer. Wie in Trance beginne ich, den Bau fortzusetzen. Mein Körper funktioniert, ohne dass ich es ihm sagen muss. Kurz treibt mich Wut an, aber nach einigen Steinen ist sie verebbt. Sie sind zu beschränkt, um das große Ziel zu begreifen, sie können nichts dafür. Mitleid muss ich mit ihnen haben, mehr nicht. Es ist meine Aufgabe, stärker zu sein als ihre Torheit. Und schneller, vor allen Dingen schneller. Ihre Sabotage spornt mich in meiner Arbeit an und setzt weitere Kräfte frei, ich nähere mich dem Optimum meiner Leistungskraft. Nach wenigen Minuten halte ich inne, um die Eierflecken von den Steinen zu entfernen, sie lenken mich ab. Ich rufe nach Annetta und Luisa, sie sollen mir helfen, aber sie hören mich nicht. Auch die Kinder, denen ich meine Malaktion vorschlagen will, reagieren nicht auf meine Rufe.

Gegen Mittag registriere ich, dass meine Arbeit von Musik begleitet wird. Nach einer Weile erkenne ich erfreut, dass es Pink Floyd ist. Ein Lied zu Ehren meiner Mauer - vielleicht haben sie es doch endlich verstanden. Ich beeile mich, sie hochzuziehen, unter Darbietung all meiner Anstrengung, schleppe Steine, trage Mörtel auf, positioniere die Steine akkurat, Stein auf Stein, Reihe um Reihe, stundenlang. Jeder einzelne Handschlag ist ihr gewidmet. Wir verschmelzen miteinander, ich schenke ihr meinen Körper, sie gewinnt immer mehr Profil und wird zum Abbild meines Ichs. Meine Energie verteilt sich zusammen mit dem Mörtel zwischen den Steinen, meine Hände bewegen sich automatisch, ich existiere in einer Intensität wie niemals zuvor. Wenn einer der anderen zumindest die Steine vornässen würde, dann müsste ich sie nicht selbst in den Wassereimer tunken, aber es ist niemand da. Und feucht müssen sie gemacht werden, damit sie den Mörtel nicht aufbrennen, das hatte mir Tom vor einigen Tagen erläutert. Gut, dass ich seine Erklärungen jetzt nicht mehr brauche. Wenn die Steine so saugfähig sind, vielleicht saugen sie dann nicht nur meine Arbeitskraft und das Wasser, sondern auch das Böse auf der anderen Seite auf. Ich schmunzle, der Gedanke gefällt mir. Mein Rücken wehrt sich gegen jedes Bücken, mein ganzer Körper schmerzt. Ich sage mir immer wieder, dass er ein Mittel zur Überwindung des Bösen ist und in den Dienst der Mauer gestellt werden muss. Meine physischen Grenzen müssen nochmals erweitert werden. Ich bin zornig. Die Qualen sind nicht schlimm, schlimm ist nur, dass sie den Fortschritt der Arbeiten beeinträchtigen und ich langsamer werde. Im Gegenteil: Leiden ist wundervoll, wenn man weiß, dass man es für etwas Großes tut. Meine Schmerzen sind Zeugnis für das Gute in dieser Welt, ein Opfer für die Überlegenheit des Guten und die Überwindung des Bösen. Die Mauer ist größer als all meine profanen Gebrechen, die in wenigen Tagen Geschichte sein werden.

Es wird viel zu früh dunkel, ich bin eigentlich noch nicht fertig. Meine Schmerzen spüre ich nicht mehr, meine Aufgabe stärkt mich von innen und gibt mir den Halt, den mein Körper mir nicht mehr geben kann, ich bin eins mit der Energie. Ich versuche, mir mit der linken Hand zu leuchten und mit der rechten zu arbeiten, aber es funktioniert nicht. Ich werde die anderen nicht bitten, mir zu helfen, ganz bestimmt nicht. Sie sind der Arbeit an meiner Mauer nicht würdig. Aufgebracht werfe ich die Lampe von mir und sehe ein, dass es das war für heute. Wenigstens kann man jetzt kaum noch über die Mauer schauen. Sie wären auch zu schwach, um noch länger dieser Versuchung standzuhalten. Wie herrlich, dass ich sie ausgerechnet durch so etwas Schönes vom Bösen trennen kann. Vielleicht kann das Böse angesichts dieser makellosen Mauer gar nicht mehr existieren? Das wäre wunderbar. Die Mauer wird sie erziehen. Menschen müssen ein Leben lang erzogen werden, das war mir schon immer klar. Es reicht nicht, ihnen zu sagen, sie sollen dieses oder jenes unterlassen. Sie müssen daran gehindert werden, das Falsche zu tun. Das Verhalten der Menschen lässt sich nur regulieren, wenn man die äußere Realität verändert und sie darauf reagieren müssen, notgedrungen. Ich habe nie verstanden, warum Gott den Menschen ihren freien Willen gelassen hat, auch nach dem Sündenfall noch. Der Mensch, so wie er ihn geschaffen hat, ist gar nicht in der Lage, mit seiner Freiheit verantwortlich umzugehen. Ständig macht er sich schuldig, weil er vom Weg abkommt. Nun, einige wenige Menschen gedenke ich mit Hilfe dieser Mauer auf die richtige Spur zu bringen. Was für eine erhabene Mission. Erschöpft schleppe ich mich in die Hütte zurück und schlafe ein mit der Sicherheit, der Rettung heute ein gutes Stück näher gekommen zu sein und der Menschheit gedient zu haben.

In der Nacht vom siebten auf den achten Tag werde ich durch ungewöhnliche Geräusche geweckt. Ich integriere sie in meinen Traum, mein entkräfteter Körper weigert sich einige Sekunden lang, seinen erholsamen Schlaf zu beenden. Langsam werde ich wach und lausche irritiert den Klängen, die von der Wiese hereindringen. Ein Schlagen und Klopfen, wie von Metall auf Stein, dann immer wieder lautes Gepolter. Zwischendurch Töne, die mir irgendwie bekannt vorkommen. Sie kommen eindeutig von meiner Mauer. Sie erinnern mich an einen Bohrhammer. Von einem Moment auf den anderen bin ich munter und sitze senkrecht im Bett. Ein Bohrhammer? Alarmiert springe ich hoch, verheddere mich beim Losrennen mit den Füßen in meiner Decke, falle auf den Boden, raffe mich wieder auf. Hanno ist nicht in seinem Bett. Ich laufe im Pyjama aus der Hütte, blicke auf die Wiese und sehe Menschen vor der Mauer. Ich bleibe wie erstarrt stehen. Eine Frau hangelt sich an ihr hoch, ein Mann reicht ihr Kinder an.
„Schnell! Kommt schnell her, die Mauer! Helft mir!“, brülle ich, um sie aus ihren Hütten hervorzuholen. Niemand rührt sich, ich renne weiter Richtung Mauer, Gesichter zeichnen sich in der Dunkelheit ab. Ich erkenne die anderen, Annetta, Luise, Tom. Ich habe sie seit Tagen nicht mehr gesehen, das fällt mir jetzt auf. Ich erblicke nur noch Annettas linkes Bein, und auch das verschwindet hinter der Mauer. Ungläubig starre ich es an. Was tut sie da bloß? Nun sehe ich auch den Grund für die Geräusche. Hanno und Hans bearbeiten meine Mauer mit einem Bohrhammer. Hanno. Stein um Stein kracht zusammen, Brocken um Brocken fällt zu Boden. Tom hilft mit seinen Händen nach, ich höre die Musik von gestern Mittag wieder. Annetta tanzt mit den Kindern bereits auf dem Feld, als der letzte Stein fällt und die anderen in Jubelschreie ausbrechen. Ich stehe immer noch bewegungslos ein paar Meter entfernt und bin nicht in der Lage zu handeln. Dann sinke ich langsam auf die Knie und bitte um Vergebung für ihr Vergehen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Während die anderen ihrem Untergang entgegen laufen, dringt ein markerschütternder Schrei aus meinem Mund.

 

Hallo Juschi,

ob sie nun der antikapitalistische Schutzwall ist oder vor anderem fantasiertem Unbill behüten soll, deine Geschcihte über den Wahn eines missionarischen und unverstandenen Weltverbesserers hat mich beeindruckt. Schön, wie du ihn entlarvst, ohne ihn zu denunzieren, wie du ihn voller Liebe beschreibst in seiner erhlichen Haltung zu seinem Tun. Eine sehr menschliche, liebevolle und doch böse Geschichte. Ich wünschte, es hätten schon viel mehr Menschen diese Geschichte gelesen und vor allem kommentiert.

Ich jedenfals werde sie sofort empfehlen.

Ein paar Kleinigkeiten noch.

Ich fühle mich so leicht, so schwerelos, mein Leben hat einen Sinn bekommen durch diese Mauer, es ist unglaublich.
Diese hemmenden "so" hast du noch häufiger im Text.
Ich finde, der letzte Nebensatz zerstört mehr von der Unglaublichkeit, als er aufbaut.
ich näher mich dem Optimum meiner Leistungskraft.
ich nähere
Ein Lied zu Ehren meiner Mauer - vielleicht haben sie es doch endlich verstanden.
An "Tear down the wall" ist eigentlich auf seiner Seite ncihts misszuverstehen :) Schön, wie du so die fanatische Wahrnehmungsstörung deines Prot beschreibst. :)


Dir einen lieben Gruß, sim

 

Hallo Juschi,


da bin ich der Empfehlung meines Namensvetters doch glatt mal gefolgt und habe deine Geschichte gelesen. Ich muss echt sagen: Kompliment! Warum hat die Geschichte erst einen Kommentar von Sim?

Fanatismus ist ein Messer mit zwei Schneiden. Auf der einen Seite bringt er Schwung in die Welt, Veränderung, Erschütterung alter Strukturen. Auf der anderen Seite verändert Fanatismus langfristig überhaupt nichts. Ein Fanatiker durchschaut zwar die äußere Welt, aber nicht seine eigene, die Welt seiner ganz neuen Ideologie. Schafft er es, die eigene innere Welt nach außen zu tragen, so dass idealerweise alle Menschen an seiner Version des "Paradieses" teilhaben können (bzw. müssen sie das, durch die Mauer), ist diese eben auf einmal die äußere Welt. Wegen Unstimmigkeiten mit der traditionellen Ethik der Menschen, die vielleicht noch an die "alte Welt" gewöhnt sind, werden sich wieder Fanatismen und revolutionäre Ideologien herausbilden, die wiederum sich gegen Strukturen dieser "neuen" äußeren Welt aufbegehrt. Fanatismen sind wie natürliche Organismen, sie pflanzen sich fort, wobei sich jedesmal die Mutter auflösen muss, um ihren Töchtern das Leben zu schenken.
Übertragen auf diese Geschichte ist die Mauer für mich ein Symbol des Lebens. Der Fanatiker baut, indem er alte Mauern (das "Böse") zu überwinden sucht, eine neue wieder auf. Die aus seiner Sicht zu bekehrenden "Konservativen", die zum Ende deiner Geschichte seine Mauer ja wieder einreißen, bauen, neben den alten, ihrerseits wieder eine Mauer auf, und zwar gegen die "böse Ideologie" des jetzt gebrochenen Fanatikers, der sich gegen das "Gute" verschanzt.
Ich sehe sehr deutlich Parallelen zu den Neonazis und unserem "Kampf" gegen sie. Aber das führe ich nicht weiter aus, sonst hast du am Ende eine politische Diskussion an deiner Geschichte hängen ;).

Deine Geschichte wäre in diesem Sinne auch in "Philosophie" gut aufgehoben, aber hier entfaltet sie wahrscheinlich mehr agitative Wirkung.

Fazit meiner Darlegung: Konservative zeugen Revolutionäre, Revolutionäre zeugen Konservative. Ein ewiger Kreislauf, der die menschliche Gesellschaft am Leben, also dynamisch erhält und so ihren Bestand sichert. Wiederum ist dies nur meine persönliche Sicht auf die Dinge*, und sollte daher keinen Anstoß erwecken.

Sprach- und erzähltechnische Fehler sind mir keine aufgefallen. Das ist immer so, wenn mich eine Geschichte fesselt. Die Orthografie-Arbeit möchte ich anderen überlassen.


FLoH.

PS: *) Ehrlichgesagt ist dies Teil meiner eigenen Philosophie, Weltanschauung, Ideologie, was weiß ich. An der arbeite ich gerade und werde sie irgendwann im Internet publizieren. Umsomehr hat mich deine Geschichte davor gewarnt, Mauern zu bauen, und dies, auch wenn diese Philosophie Gut und Böse als gleichberechtigte Extreme betrachtet, und auch wenn sie ihre Vergängnis ganz bewusst im Keim trägt. Mauern können überall stehen (nicht nur zwischen Gut und Böse). Jeder sieht sie, außer ihre Erbauer/Ideologen und Materiallieferaten/Anhänger.

 

Eine wirklich ausgezeichnete Kurzgeschichte ! Und vorallem ist sie jetzt gerade, aufgrund des Datums, sehr aktuell in Bezug auf die Berliner Mauer.

Der Fanatismus der Hauptperson wirkte auf mich lächerlich.
Dadurch führst du mir wunderbar den wahren Zweck von Mauern in ihrer hübschen Sinnlosigkeit vor Augen. Ihre Errichtung entspringt rein aus der Umsetzung des Territorialverhalten und des Starrsinns der Menschen, mit moderneren Mittel. Und was bedeutet schon modern ? In dem Zusammenhang sollte man auch nicht die Steinmauern des Hadrian's in Schottland vergessen, die vor Jahrhunderten entstanden sind.

Ferner beeindrucken mich deine fachmännischen Erläuterungen bei der Beschreibung der Mauer ("Halbstein-Verband"). Sie zeichnen das Bild des Besessenen meiner Meinung nach noch genauer.

Dass er obwohl er recht durstig ist, immer noch einige Tropfen Wasser für sie übrig hat, verdeutlicht noch mehr seine Affinität zu ihr. Dabei übersieht er in seiner Kleinherzigkeit völlig, dass sie sich erst im Bau befindet, und noch gar nicht die von ihm gepriesene Wirkung auf seine Mitmenschen hat.

Zum Ende war durch dein minutiöses Erzählen abzusehen, dass er durch seine hybride Selbsterhebung mit seinem Ziel kläglich scheitern wird.

Noch eine Textstelle, die mir besonders gefallen hat :

Juschi schrieb:
Worte setzen immer voraus, dass es ein Gegenüber gibt, der willens und fähig ist, sie aufzunehmen, zu verstehen und in Handlungen umzuwandeln. Andernfalls ist jede Silbe umsonst.

Sehr schön geschlußfolgert, Hut ab !

Liebe Grüße,
moonaY

 

Hallo sim, hallo floh, hallo moonaY,

vielen Dank an euch für´s Lesen und euer Lob - ich war mal wieder mehr als unsicher, ob die Geschichte funktioniert. Schön, dass sie euch gefällt.

@ sim:

Schön, wie du ihn entlarvst, ohne ihn zu denunzieren, wie du ihn voller Liebe beschreibst in seiner erhlichen Haltung zu seinem Tun.
Das freut mich wirklich, dass das so angekommen ist. Darum ging es mir: einen Menschen zu beschreiben, der nichts anderes tut als seiner Überzeugung zu folgen - natürlich blind, aber mit großem Einsatz.
Die von dir genannten Textstellen schau ich mir in den nächsten Tagen nochmal an, dafür reicht´s heute nicht mehr. Bezüglich der "so"s und anderer Füllwörter werd ich mir überlegen, ob ich die hier brauche um die distanzierte Haltung und seine Verwunderung zu verdeutlichen, oder sie (was wahrscheinlicher ist) überflüssig sind.
An "Tear down the wall" ist eigentlich auf seiner Seite ncihts misszuverstehen
Ach, schön, dass diese Stelle ihren Test bestanden hat, auch ohne Angabe des Titels (wie es ursprünglich war) :)
Ich wünschte, es hätten schon viel mehr Menschen diese Geschichte gelesen und vor allem kommentiert.
Nun, ich denke, dazu hast du nun beigetragen. Danke.

@ floh: danke für deine ausführlichen Gedanken. Einige treffen in etwa das, was ich im Kopf hatte. Ich hatte die Mauer durchaus symbolisch, gesellschaftlich-politisch gemeint. Jedes Engagement, jede Weltanschauung ist gefährlich, wenn es zur Ideologie ausartet und neben ihm nichts anderes mehr existieren kann. Dann wird es Fanatismus, ist es auch noch so gut gemeinter, frei nach dem Motto "Ich mache mir die Welt, so wie sie mir gefällt". Wir alle können uns denke ich nur davor schützen, indem wir die Gefahr kennen und uns dementsprechend hinterfragen.

@ moonaY: ich habe damit gerechnet, dass Leser den Bezug zur Berliner Mauer sehen, war er von mir auch nicht so gemeint. Aber natürlich passt er. Wenn ich die Mauer symbolisch für Grenzen (keine territorialen) im allgemeinen sehe, glaube ich schon, dass wir Menschen welche brauchen. Aber die, die nicht unseren Bedürfnissen und Wünschen entspringen und nicht variabel sind, haben keine Chance.

Ferner beeindrucken mich deine fachmännischen Erläuterungen bei der Beschreibung der Mauer
:D moonaY, bitte sag mir jetzt, dass du wirklich schonmal eine Mauer gebaut hast und die Erklärungen nicht nur fachmännisch wirken, sondern auch sind. Ich selbst musste mir nämlich dieses Wissen erst aneignen.

Ganz liebe Grüße an euch,
Juschi

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Juschi,
bei all dem Lob doch ein wenig Kritik.
Ich finde deine Figur des Ichs auf eine gewisse Art unrealistisch und viel zu realistisch für ein abstraktes Ich. Du schilderst wirklich sehr viele gute Eindrücke, die leider zum Teil voller "Pseudophilosophie" stecken. Und man fragt sich doch, ob du wirklich ernsthaft über all diese schwerwiegenden und zum Teil abstrakten Thematiken wie (ich nenne da nur eingie) "das Böse", "der Sündenfall", "freier Wille", "Gott", "Realität" und das Spüren des eigenen Körpers nachgedacht hast. Vielleicht solltest du nur eine dieser Thematiken ergreifen, denn anderenfalls klingt es wirklich wie eine Aneinanderreihung von Begriffen die nett klingen, weil sie so schwerwiegend/abstrakt sind.
Und wenn du die Gedanken und Gefühle deiner Figur darstellen möchtest, schlage ich dir eine Form des Erzählens vor, die eine starke Gedankenstruktur aufweist. Dadurch ist deine Figur besser und intensiver nachzuvollziehen. Schreib nicht als Ich-Erähler, sondern als erzählendes Ich (es mag komisch klingen, doch es besteht zwischen diesen beiden Formen ein großer Unterschied).

Das wollte ich nur zur Sprache anmerken. Inhaltlich war sie wunder-, wunderschön.

 

Hallo anubis737,

Tut mir Leid, aber irgendwie kann ich deine Kritik nicht verstehen. Alles Tiefgründige, was der Ich-Erzähler mit seinen Handeln und Gedanken verbindet, ergibt in meinen Augen ein wunderbares Ganzes. Angenommen, er würde sich ständig auf das Böse fixieren, dann wären seine Geschicke stets auf diese Thematik einseitig ausgerichtet.
Indem Juschi ihn aber "frei Dahindenken" lässt, erscheint er glaubwürdiger, da er für alles, was er tut, eine mögliche Rechtfertigung sucht (Gewissen beruhigen etc.); Und dies nicht immer aus der selben Schublade hervorholen würde. Ich hoffe ich konnte mich damit verständlich machen. :)

Liebe Grüße,
moonaY

 

moonaY,

es ergibt ein Ganzes, aber lediglich ein inhaltliches. Man muss sich ja nicht streng auf ein Thema fixieren, doch wirkt eine solche Ausbreitung auf zig Thematiken "schwammig" und wie eine Art Aufzählung. Das macht die Figur des Ichs unglaubwürdig.
Wenn man allerdings nur an der Oberfläche des Textes krazt, dann ergibt es ein wunderbares Ganzes.

...zwischen den Zeilen lesen!

Das soll aber ja nicht hart klingen, Juschi. Nimm das nicht falsch auf.

 

Für mich sind Wirkung und Inhalt einer Geschichte untrennbar miteinander vereint. Ohne die Wirkung kann man den Inhalt nicht intentionsgemäß vermitteln, andersherum nützt auch der hintergründigste Inhalt nichts, wenn er ohne ansprechende Wirkung ("Bildern") präsentiert wird. Aber ich möchte mich da auch nicht unbedingt festlegen, und einen Streit provozieren. Ich akzeptiere deine Meinung, schließlich lässt sich über Geschmack streiten.

LG

 

moonaY,

Ich trenne die einzelnen Bestandteile einer (Kurz-)Geschichte immer.
Schließlich sind es doch auch die unterschiedlichen Bestandteile, die einen Film erst auszeichnen (Schauspieler, Drehbuch, Regisseur,...) [spätestens bei einer Preisverleihung ;)]. Aber was wäre ein Schauspieler nur ohne Drehbuch? Deshalb verstehe ich es voll und ganz, dass du eine Geschichte als Ganzes siehst.

Und da muss ich mich gar nicht mit dir streiten...
So unterschiedlich sind unsere Meinungen nun doch nicht, nicht wahr? ;)

 

Hallo anubis737, hallo moonaY,

so, dann schalt ich mich auch mal ein ;)

@ anubis 737: Danke für´s Lesen und deinen Kommentar. Und bezüglich deiner kritischen Worte - ich weiß sie zu schätzen, das hilft meist mehr weiter als Lob. Wie du erkannt hast, war die Gratwanderung zwischen dem zu abstrakten und dem zu realistischen in der Tat schwierig. Einerseits sollte die Situation und sein Handeln konkret sein, andererseits sollte die Geschichte Raum lassen für Assoziationen. Mich wundert´s, dass du die Figur zu unrealistisch fandest. Eher hätte ich das von der gesamten Situation erwartet. Vielleicht hast du Lust, das zu konkretisieren? Das würde mir helfen. Und bezüglich der philosophischen Inputs - ich habe über sie nachgedacht, und mein Prot auch. Natürlich nicht in dem Moment des Bauens, es sind seine grundsätzlichen EInstellungne, die er in dem Moment aktiviert weil´s passt. Ich schau mir die Geschichte nochmal daraufhin an, ob ich mit den philosophischen Teilen übertrieben habe, danke. Eigentlich sollte jedes dieser Elemente ein Baustein sein, um sein Denken und sein Weltbild zu erklären. Und zu deinem Vorschlag des strukturierten, erzählenden Ichs: wenn ich dich richtig verstehe, bräuchte diese Erzählform eine gewisse Distanz zum Erleben, die so glaube ich nicht gegeben ist. Er ist nicht wirklich strukturiert in seinen Gedanken, er erzählt nicht neutral, er ist viel zu sehr involviert. Vielleicht hast du auch das mit unrealistisch gemeint?

@ moonaY: schön, dass du dich nochmal zu Wort gemeldet und dir die Geschichte so gefallen hat.

Liebe Grüße
Juschi

 

Juschi, mit der Gedankenstruktur meinte ich keine strukturierten Gedanken, sondern eine Struktur in Gedankenform.
Ich selbst baue Sätze, die vom personalen Erzähler stammen, so auf, wie man sie denken würde. Also in Bruch-Satzform.

Beispiel:
Ich sah das Haus und den Garten. Ich ertappte mich wie ich darauf zuging. ("Normalform")
Ich sah das Haus, den Garten. Ertappte mich wie ich ging. Zum Haus, zum Garten.
("Bruchsatzform")

Für viele Menschen klingt diese Form zwar komisch, doch ist sie Teil der von mir geliebten reinsten Form der Kurzgeschichte. Diese Bruchform klingt einfach mehr nach wirklichen Gedanken.

Ich löse meinen Blick von ihr und schaue suchend über die Wiese.

Dieser Satz klingt z.B. wie eine Art Mischung aus Entspannungstherapie und Pseudophilosophie. Dieser Satz klingt ein wenig "schwülstig". Viele Menschen würden soetwas für Poesie halten, andere wie ich etwas mit starker literatischer Hüller und einem Kern aus Luft. Solche Sätze erinnern mich immer an irgend welche Romantik-Kitsch-Bücher oder Rosemunde-Pilcher-Verfilmungen.
Entweder abstrahierst du die Gedanken deiner Figur noch weiter, sodass dieses leicht kitschige entfällt, oder du machst deine Figur menschlicher, d.h. du simplifizierst die Wortwahl und den Aufbau der Sätze so, dass es klingt, als wäre deine Figur direkt aus der menschlichen Allgemeinheit gegriffen. Sie muss nicht glaich zu einer Wie-du-und-ich-Person werden, doch zu einer Person, dessen Gedanken nicht (scheinbar) zu "abgehoben" klingen, sodass man zweifeln muss, dass soetwas ein normal denkender Mensch überhaupt vollbringen kann.
Es liegt einzig und allein an der Figur. Abstrakte Thematiken kann man (wenn man es richtig beherrscht) so viele wie nur möglich behandeln. Deine Figur oder deine Figuren müssen sie nur richtig verkaufen können. Deine Handlung steht und fällt mit der Figur.
Also mach sie einfach sehr abstrakt oder sehr realistisch.
Oder wenn du gerne Gradwanderungen unternimmst. Wechsel einfach die Erzählhaltung. Gestalte die Figur anfangs sehr realistisch und mache sie dann plötzlich oder auch langsam zu einer abstrakten Figur. So kann man sich mit der realistischen Figur identifizieren und von der abstrakten etwas erfahren, lernen etc.

Änderst du deine Gradwanderung also ein wenig, ist deine Kurzgeschichte wirklich einwandfrei.

 

Ok, schön, dass du es mir nochmal erläuterst hast, denn das hatte ich in der Tat falsch verstanden.

Solche Sätze erinnern mich immer an irgend welche Romantik-Kitsch-Bücher oder Rosemunde-Pilcher-Verfilmungen.
Das verstehe ich, auch wenn ich inständig hoffe, dass es bei WEitem nicht den Ausmaß wie in besagten Büchern und Filmen hat. Es ist nicht meine Sprache, sondern die des ERzählers, der in der Tat sehr pathetisch ist - was denke ich zu seiner Einstellung, seiner Mission passt. Womit ich zu deinem anderen kritikpunkt komme: er ist in der Tat etwas abgehoben. Teilweise kommen seine Gedanken aber auch etwas bruchstückhaft und grammatikalisch unvollständig rüber, so wie du es wohl meintest. Verstärken möchte ich das allerdings nicht, denn das ist eigentlich die Mitte zwischen Distanziertheit und bewertenden Gedanken einerseits und ohne Reflektion benannte, unstrukturierte Gedanken andererseits. Eine Entwicklung gibt es allerdings in seinen Gedanken schon, die immer weniger konkret und immer abstrakter werden. Ich hoffe, dass ist deutlich geworden und werde mich bemühen, diese Entwicklung auch sprachlich noch zu verdeutlichen.

So, aber bevor ich zuviel sage - ich schau´s mir morgen nochmal in Ruhe an, zusammen mit den sprachlichen Anregungen von sim. Danke für deine Mühe, ich weiß das zu schätzen!

Liebe Grüße
Juschi

 

Friedvolle Grüße

Die Geschichte ist ziemlich gut und läßt sich einfach lesen. Der Erzähler wird einem nahegebracht, und durch die einseitige Erzählweise wird man als Leser gezwungen, sich seine eigenen Gedanken zu machen.

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich anubis737s ersten Kommentar richtig verstanden habe, doch ich würde ebenfalls den Ich-Erzähler kritisieren. Reine Handlung, wie den Aufbau der Mauer, erzählst Du zwar aus der Ich-Perspektive, doch es ließt sich wie von einem unbeteiligten dritten geschrieben. Zwei Beispiele:

Ich kippe aus dem Eimer etwas Wasser zum Zement, füge Sand hinzu, verquirle alles zu einer glatten Masse und beginne mit der Arbeit.

Ich beeile mich, sie hochzuziehen, unter Darbietung all meiner Anstrengung, schleppe Steine, trage Mörtel auf, positioniere die Steine akkurat, Stein auf Stein, Reihe um Reihe, stundenlang.

Dafür, das der Erzähler so sehr an seiner Mauer hängt, so sehr in dem Geschehen vertieft ist, sind diese Sätze zu distanziert. Für den ersten Satz des Beispiels würde es für mein Verständnis besser klingen, wenn Du vielleicht so etwas schreibst:

Noch etwas Wasser zum Zement, Sand dazu und vermischen. Nun aber an die Arbeit!

Ist allerdings nur meine Meinung und mein Vorschlag.

Kane

 

Hallo Zusammen,

gut, in einem wacheren Zustand als gestern Abend habe ich es jetzt verstanden, was ihr mit der Erzählperspektive meint - das bestimmt auch dank deiner Ergänzungen, Brother Kane, danke dafür.

Dafür, dass er so sehr involviert ist, ist die Sprache sehr distanziert. Das nimmt denke ich zwar ab zum Ende hin (was beabsichtigt ist, da auch seine Kontrolle abnimmt), aber offenbar nicht genug. Diese Figurensicht fällt mir grundsätzlich schwer, weil immer die Frage ist, wieviel Reflektion und wie viel Distanz man in die Person legt, in wieweit der Person die eigenen Gefühle wirklich bewusst sind oder nur dem Leser bewusst werden sollen. Ich habe schon einen eher verkopften Menschen vor Augen, die Frage ist wirklich, wenn er so involviert und begeistert ist, ob er sich derart distanziert und reflektiert beschreiben kann. Das hat in den Momenten seine Richtigkeit, in denen er Pause macht und sich und sein Tun vielleicht wirklich reflektiert, aber nicht wenn er sich bei der Arbeit beschreibt. Das verstehe ich jetzt, wobei das Pathetische der Sprache für mich immer noch passt. Aber sie passt wohl nicht zum eindeutigen Fokus auf die körperliche Arbeit. Nun – ich ihr seht, das Problem ist erkannt, eine Lösung ist noch nicht in Sicht ;) Vielleicht versuche mich mal an einer zweiten Version mit einer anderen sprachlichen Umsetzung und einer stärkeren Entwicklung, ich denk nochmal einen Tag drüber nach.

Danke für eure Anregungen, das hilft mir immer sehr!

Liebe Grüße
Juschi

 

Keine Erlösung für diese Unverständigen ...

Hallo Juschi

Während die anderen ihrem Untergang entgegen laufen, dringt ein markerschütternder Schrei aus meinem Mund.

Wie schrecklich ...
...der arme Prot. ... fühlt denn hier wirklich n i e m a n d mit dem Protagonisten !?!
Diese Unverständigen...wahrscheinlich werden sie demnächst von jener dunklen Macht jenseits der Mauer verschlungen !

Sorry :cool:
...hatte irgendwie das Gefühl, daß das hier auch mal gesagt werden musste.

Nun - das Ganze ist wirklich kein leichtes Thema.
Mir gefällt, wie du den Prot. bescheibst, wie er sich diesem Projekt hingibt, wie er sich in seiner Arbeit findet und verliert.

Zur Gesellschaftskritik ( zum Philosophischen ):

Eine Geschichte, die von Grenzziehungen und dem Bau von Mauern handelt spricht sehr viel an - was hier ja auch schon bemerkt wurde.

Mit Sicherheit kann manches Handeln/ mancher Wahn - verbunden mit dem Bedürfnis sich selbst Sinn geben zu wollen ( womöglich auch noch mit fragwürdigem Missionseifer ) eine existenzielle Tragik sein. Und leider - so scheint es mir - ist dies auch gerade in unserer so 'freien und aufgeklärten' Gesellschaft ein größeres Problem als es viele wahrhaben wollen ...
A l l e r d i n g s kann auch die Vorstellung der grenzenlosen Freiheit für alle, wie es uns oft vorgemacht/verkauft wird ( in dieser "modernen" Gesellschaft ) eine große Gefahr sein [ v.a., weil sie nunmal unrealistisch und, weil Freiheit eben gerade auch dazu führen kann, daß sich Menschen selbst verlieren ].
Nun dies mag für diese Geschichte vielleicht ein wenig zu weit gegangen sein... :hmm:

Zum Erzählstil:
Ja. Die Sprache ist mir auch tw. zu distanziert.
Allerdings finde ich dein Anliegen gut, hier auch diesen verkopften Typen rüberbringen zu wollen. Und der darf ruhig auch mal gelegentlich reflektiert sein und so ein bißchen in seine theoretische Gedankenwelt einsteigen - finde ich ;)

Schönen Gruß
rockz

 

Hi rockz,

danke für´s Lesen und deine Gedanken zur Geschichte.
Im Detail:
Dein Mitleid mit dem Protagonisten nehme ich jetzt mal als Bestätigung, dass er symphatisch rüberkommt und man sich zumindest zeitweise mit ihm identifizieren kann ;)

Mit Sicherheit kann manches Handeln/ mancher Wahn - verbunden mit dem Bedürfnis sich selbst Sinn geben zu wollen ( womöglich auch noch mit fragwürdigem Missionseifer ) eine existenzielle Tragik sein.
Ja, sicher. Insofern ist auch dein Mitleid gerechtfertigt - gerade, weil er es gut meint, ist es umso tragischer. Gut meinen reicht eben nicht. Und du hast aus meiner Sicht auch Recht, dass das insbesondere in einer Gesellschaft die der Vorstellung nach eher ohne Mauern und Grenzen existiert ein Problem ist, da genau dieses fanatische Handeln Orientierung und Sinn gibt. Einziger Ausweg: sich kontinuierlich mit anderen Vorstellungen konfrontieren, um sich zu hinterfragen. Du siehst also, ich denke keinesfalls, dass deine Gedanken zu weit gegangen sind. Es war durchaus gesellschaftlich und politisch gemeint.
Bezüglich der Sprache hab ich leider noch keine Lösung gefunden. Einerseits ist der Widerspruch zwischen reflektiert-überlegt und diesem Mauerbauwahn beabsichtigt, andererseits sehe ich ein, dass es so nicht funktioniert...

Liebe Grüße
Juschi

 

Hallo Juschi,
gut gefiel mir, wie sicher du die Perspektive beibehalten hast - so wirkt der Text autentisch, so entsteht hier überhaupt erst deine Geschichte. Großes Lob dafür, dass du der Versuchung widerstanden hast, die Erzählperspektive teilweise allwissend zu gestalten.
Die länge hat mich ein bisschen gestört - ich habe mich während dem lesen oft gefragt, ob man die Geschichte nicht etwas kürzen könnte. Sie wirkte etwas gestreckt, etwas verloren in den Details und Einzelheiten, und vielleicht auch mit etwas zu großem Erzählzeitrahmern.
Insgesamt aber gut zu lesen und schön erzählt.

@ rockz: Jaja, Hauptsache Contra geben. :D Kennen wir ja.

lg Anera

 

Hallo Anea,

schön, dass du auch diese Geschichte gelesen und für gut befunden hast.
Ja, das mit der Perspektive war mir wichtig. Deshalb hab ich es trotz zahlreicher Versuche auch nicht unter dieser Länge geschafft - weil ich eben z.B. nicht einfach sagen konnte "sie mochten seine Mauer nicht", sondern es durch Details verdeutlichen musste. Außerdem sollte durch die längere Erzählzeit eine Entwicklung verdeutlicht werden, äußerlich natürlich das Entstehen der Mauer, indirekt aber sein wachsender Wahn und der ebenfalls wachsende Widerstand der anderen. Wichtig waren mir auch die philosophischen Elemente, die in einer kürzeren Geschichte zu sehr dominiert hätten. Wie auch immer: ich hadere ja immer noch mit mir, was die sprachliche Umsetzung angeht, in dem Zusammenhang hab ich mit Sicherheit auch nochmal einen Blick auf die Länge und die Fülle der Details. Danke für deine Anregungen!

Liebe Grüße
Juschi

 

Hi Juschi,

okay, die ganze Zeit hatte ich auf eine Auflösung gehofft, wenn ich ehrlich bin ...

Na gut, obwohl offene Enden ja auch was haben mögen, mein Fall sind sie nun mal nicht :)

Dafür, dass es keine Auflösung gibt, ist mir die Geschichte auch viel zu lang, die Hälfte hätts auch getan. Es ist mir mittendrin einfach zu viel Geschwafel, weisch wie ich mein?

Ansonsten ist der Schreibstil jedoch klasse :thumbsup:

Yeahboyyy!

Fehlerliste:

Es ist so wichtig, dass sie schön wird. Nicht wegen mir, ich brauche sie nicht, ob schön oder hässlich.
meinetwegen
Worte setzen immer voraus, dass es ein Gegenüber gibt, der willens und fähig ist, sie aufzunehmen, zu verstehen
das
Stein um Stein kracht zusammen, Brocken um Brocken fallen zu Boden.
fällt

 

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