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Die nächste Haltestelle

Team-Bossy a.D.
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23.02.2005
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Die nächste Haltestelle

„In was bin ich denn hineingeraten?“ Breitbeinig versuchte sie, das Gleichgewicht zu halten.
Der kleine Raum war unangenehm warm und roch leicht nach Urin.
Ihr Spiegelbild zeigte durch die Schlieren eine krause Stirn. Sie starrte auf ihren Mund.

„Deine Oberlippe... so schön...wie ein breites u....zwei Kamelhöckerchen....“.
Dieser Vergleich ging ihr durch den Kopf, während sie feststellen mußte, dass er mit seinen Worten, die er vor ein paar Minuten mit leiser Stimme sprach, in ihr etwas bewegte, mit dem sie nicht umzugehen wußte.
Es kam nur ein Stammeln aus ihr heraus: „Ich muss mal, entschuldige“. Nun starrte sie in diesen Spiegel.
Es klopfte vehement gegen die Türe. Sie mußte sich aus ihrem Versteck bewegen.

Als sie sich in das Abteil zurückzwang, saß er erwartungsvoll mit offenem Blick da.
„Wenn wir Glück haben, bleiben wir alleine. Es ist Mittwoch, da reisen nicht soviele“, mutmaßte er als vielversprechende Prophezeiung in die neubegonnene Unterhaltung.

„Ich betrachte immer sehr genau das Gesicht der Menschen, die mich interessieren. Du hast eben diese wahnsinnigen Wellen in deinen Oberlippen, das lockt so....so...“ , murmelte er wie beiläufig, während er mit seinem Gesicht so nahe an ihres kam, dass sie seinen Kaffee ausdünstenden Atem wahrnahm. Sie roch das gerne.
Er strich mit seiner Zungenspitze die senkrechte Furche zwischen den Höckern nach. Kurz vor den Lippen hielt er inne.
Stumm saß sie da. Er kniete vor ihr und hielt mit seinen Händen ihre Arme, damit er im Gleichgewicht blieb. Sie konnte sich nicht rühren. Dafür zog und rumorte es in ihrem Schoß, der immer weicher und weiter wurde.
Sie glühte; Schweißperlen sammelten sich auf ihrer Oberlippe.
Mit seiner Zunge tupfte er eine nach der anderen ab.
„Komm, küss mich, berühre meinen Mund“, schrie sie innerlich, aber die Stimme folgte nicht.

Die Tür wurde mit einem Ruck aufgerissen. „Die Fahrkarten bitte“, sang der Schaffner mit einer Melodie, die an eine Litanei erinnerte.
Er ließ sie widerwillig los, um seine Fahrkarte hervorzukramen; in dieser Zeit konnte sie sich etwas ordnen.

„Du weißt doch nichts von mir“, sagte sie mit belegter Stimme, als der Schaffner seine Pflicht hinter sich gebracht hatte , „was hast du mit mir vor?“.
„Muß man denn immer ein Ziel haben?“ fragte er sie und strich sich dabei seine dunklen Locken aus der Stirn. „Mir reicht deine wunderschöne Oberlippe, mit der werde ich mich nun vergnügen, das ist mein Ziel.“

Ihr kam plötzlich ein Satz von Markus, ihrem Mann, in den Sinn: „ Immer eine glückliche Familie sein, das ist mein Ziel.“

Sie saß ruhig da. „Wohin fährst du eigentlich?“ fragte er in ihre Gedanken hinein.
„Die nächste Haltestelle muß ich raus“, antwortete sie spontan, ohne zu wissen, welche Stadt das sein würde.

 

Hallo Bernadette,

deine Prot. begegnet im Zug einen Mann, der ihr sinnliche Komplimente macht, die etwas in ihr erwecken. Fast möchte sie diesem Verlangen nachgeben. Vielleicht, weil es ihr gut tut, wieder einmal begehrt zu werden. Vielleicht, weil sie den Mann ihrerseits sehr attraktiv findet. Vielleicht, wegen dem Reiz des Verbotenen.

Dann allerdings kommt ihr ein Ausspruch ihres Mannes in den Sinn und sie kommt wieder zur Vernunft. Sie möchte an der nächsten Haltestelle raus, ohne zu wissen, welche das sein wird. Sie weiß also, dass sie dem Mann nachgeben wird, wenn sie im Zug sitzen bleibt, weil sie es wohl nicht schafft ihn abzulehnen.

Deine kleine Geschichte hat mir gefallen. Ich bin froh, dass sich deine Prot. doch noch besonnen hat und ihre Ehe nicht wegen eines flüchtigen Abenteuers in den Sand setzt.

LG
Bella

 

Hallo Bella,

Das ist schön, als erste Kritik hier in R/E Positives zu lesen, da ich mir selbst (nach dem x-ten mal durchlesen) nicht mehr sicher war, wie dieses Zusammentreffen der zwei rüberkommt.

Ich bin froh, dass sich deine Prot. doch noch besonnen hat und ihre Ehe nicht wegen eines flüchtigen Abenteuers in den Sand setzt.

Es freut mich, dass du mit dem Prot so "mitlebst" :). Zwar würde ich einen Seitensprung (oder auch was immer das werden würde) nicht von vorneherein als ehezerstörend ansehen, aber das ist ja bei jedem anders, was die Ansichten über Moral, Eifersucht und Treue betreffen ;) .

Lieber Gruß
bernadette

 

Hallo bernadette!

Mmmm..... schön schwül..... :-)
Hat mir sehr gut gefallen! Auch oder vielleicht sogar gerade weil ich als Leserin so wenig von den beiden Handelnden weiß. Es ist wirklich so, als würde ich im Vorbeigehen die Szene beobachten und mir meine Gedanken darüber machen. Sehr schön in seiner Ungewöhnlichkeit auch die schmuddelige Zugtoilette als Ausgangsszenerie.

Übrigens habe ich bedauernd geseufzt über das tugendhafte Verhalten der Prot. Sie wird sich ihr Leben lang ärgern, in dieser ungewöhnlichen Situation "gekniffen" zu haben. Sie bekommt eine dieser seltenen Chancen, aus dem Korsett der sozialen Konventionen herauszuplatzen, und verschenkt sie. Wider ihren Wunsch, so meine Interpretation. Aber ich mag Happy-End sowieso nicht sehr. ;)

Grüße!
Chica

 

hello bernadette,

Schweißperlen sammelten sich auf ihrer Oberlippe, sehr schön!

Aber - ich glaube die Geschichte keinen Zentimeter! Die Frau hat sie erzählt, um als anständig zu gelten, um nicht als Flittchen dazustehen, das dumpfen Trieben folgt. In Wirklichkeit aber hat sie... :D :D :D

'...und weiter wurde. Ihr wurde...'

Viele Grüsse vom gox

 

Doch, ich glaube sie!

gox schrieb:
Aber - ich glaube die Geschichte keinen Zentimeter! Die Frau hat sie erzählt, um als anständig zu gelten, um nicht als Flittchen dazustehen, das dumpfen Trieben folgt. In Wirklichkeit aber hat sie...

Versuch' mal, wie das ist, wenn du fremdgehen willst und kannst nicht, weil du nun mal total darauf konditioniert bist, die Erwartungen anderer (und deiner selbst) an dich zu erfüllen!

Sehr schöne Geschichte! Und ich möchte ein Zitat hinzufügen, das mir heute zugeschickt wurde, weil die Geschichte es erfüllt:

"Bewahre mich vor der Aufzählung endloser Einzelheiten und verleihe mir Schwingen, zur Pointe zu gelangen."

Theresia von Avila (1515-82), eigtl. Teresa de Cepeda y Ahumada, span. Mystikerin u. Klostergründerin

Gruß, Aleysha

 

Hallo bernadette!

Kleinigkeit:

murmelte er wie beiläufig, während er sein mit seinem Gesicht so nahe an ihres kam
Das sein ist zuviel.
dass sie seinen nach Kaffee ausdünstenden Atem wahrnahm
nach Kaffee riechenden oder Kaffee ausdünstenden würde ich meinen.

Sie gibt dem Verlangen ihres Körpers nicht nach - ob unbewußt, weil sie nun so erzogen ist oder bewußt, weil glückliche Familie für sie auch eheliche Treue beinhaltet (das muss ja nicht sein). Unverfülltes begehren kann wehtun, aber es kann auch seine Erfüllung in den erlaubten Bahnen finden (Appetit darf man sich anderswo holen, aber gegessen wird zuhause).
Hat mir gefallen.

Lieben Gruß

Jo

 

Versuch' mal, wie das ist, wenn du fremdgehen willst und kannst nicht...

Ich kann immer! :D
Du hast schon recht - mir hat die Geschichte ja auch gut gefallen.

Viele Grüsse vom gox

 

Unverfülltes begehren kann wehtun, aber es kann auch seine Erfüllung in den erlaubten Bahnen finden
Kann es nicht in jedem Fall, bitte enschuldige, aber das ist mir zu sehr Predigtton. Es gibt ein archaisches, anarchisches Begehren, das tief im animalischen Bodensatz wurzelt und sich einen Dreck um das Korsett aus Sitte und Moral schert. Natürlich kannst du diesen Bodensatz gut unter Verschluss halten, dann schläfst du ruhiger, aber dein Leben ist langweiliger.

 

Hallo chica!

Natürlich kann es das - aber bei der Prot tut es das ja gerade nicht. Sie entscheidet sich fürs Bravsein - und nur auf diese Grundentscheidung bezog sich meine Aussage.

Davon abgesehen, führt die Erfüllung animalischen Begehrens nicht unbedingt zu unruhigerem Schlaf. Und ich denke manchmal, dass das Leben eines überschäumenden von allem Korsetts befreiten Urmenschen auch ganz schön langweilig sein kann (wenn ich mir so die Paviane im Zoo anschaue).

LG

Jo

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Ihr!

Es freut mich sehr, dass die KG auf solche Zustimmung stößt :).
Interessant finde ich auch die daraus enstandene Diskussion über die außereheliche Begierde und wie man(n)/frau damit umgeht :D

Einen lieben Gruß an alle
bernadette


@ sue:

Danke für dein kurzes Statement, das mich sehr gefreut hat.

@ Chica:

Vielleicht reizt mich dein Seufzen zu einer anderen Variante- aber in einer anderen KG, dieser Schluß bleibt hier- ...mal sehen ;)

@ gox:

die 2x wurde: okay, nicht besonders toll, aber solange ich keine bessere Alternative habe, lasse ich sie stehen.
Deine Mutmaßung, dass sie doch hätte...hmmm...das Wunschdenken eines Mannes ;).

Ich verstehe das ja auch: In Erotik will man Erotisches von Menschen lesen, die ihre Grundsätze über Bord werfen ;). Ich fange hier in KG ja auch erst an. Mal sehen, was die Zeit bringt.

@jobär:

Danke für deine Verbesserungsvorschläge. Das werde ich ändern. :)

 

Hi bernadette,

deine Begegnung im Zug, hat mir sehr gut gefallen. :)

Mein Bedauern, teile ich mit chica.
Natürlich kommt es darauf an, welche Einstellung deine Prot hat.
Obwohl, die hast du ja sehr schön beschrieben :D
Und darum bin ich mir sicher, dass sie diesen, nicht gegangenen Schritt irgendwann bedauern wird.
Ein Seitensprung (oder zwei, oder drei) ;) führt nicht gleich zum Ende einer Ehe. Im Gegenteil es kann beleben. Und der Mann muß ja nicht alles wissen, gelle. Wenn es ihr gut getan hätte, sie sich dadurch wieder begehrenswerter findet, kann das nur ein Vorteil für den Ehemann sein.

Aber egal, was nicht ist, kann ja noch werden.
Nette Geschichte :)

lieben Gruß, coleratio

 

hallo coleratio,

Mein Bedauern, teile ich mit chica.
Natürlich kommt es darauf an, welche Einstellung deine Prot hat.

Wenn es für mich nicht so furchtbar schwer wäre, die richtigen Worte zu finden, um einen Akt so zu beschreiben, dass ich damit zufrieden wäre...tja dann hätte es vielleicht auch ein anderes Ende gegeben :D :D

Lieber Gruß und danke für deine Worte :)
bernadette

 

Hallo Lundegaard,

etwas gehakt hat, als ich es gelesen habe, es handelt sich dabei um den "Choral":

Jo, du hast natürlich recht :D, Ich meinte Litanei :Pfeif:
Das änder ich doch gleich.

(* ich schreibe "erscheint" und nicht "kommt", da es in diesem Zusammenhang eventuell etwas verwirrend wäre

Es hätte wohl nur die zu einem Lächeln gebracht, die deinen Wortwitz verstanden hätten ;).

Danke für deine äußerst wohlwollende Kritik. Das tut gut :).

Es grüßt dich
bernadette

 

Hallo bernadette!

Chica meint:

Es gibt ein archaisches, anarchisches Begehren, das tief im animalischen Bodensatz wurzelt und sich einen Dreck um das Korsett aus Sitte und Moral schert.

Ein Seitensprung kann eine Ehe ja stabilisieren. Das Ventil wird geöffnet, das archaische,animalische Begehren, das ja in Chica eine leidenschaftliche Fürsprecherin hat, wird befriedigt, so dass es wieder für eine Zeitlang Ruhe gibt und die Ehe nicht beeinträchtigt.

Aber in deiner Geschichte scheint die Prot instinktiv zu spüren, dass ihr die Sache aus dem Ruder laufen, dass sie sich in den Schmeichler mit Haut und Haar verlieben könnte, so dass es nicht bei einem Seitensprung bleibt und die Ehe nicht stabilisiert, sondern zerstört wird.

Sie merkt es instinktiv, dass es gefährlich werden könnte, dass der Typ "in ihr etwas bewegte, mit dem sie nicht umzugehen wusste".

Die Kontrolle über sich selbst verlieren, das macht uns Angst. Deshalb ihre Flucht.

Grüße gerthans

 

...Deine Mutmaßung, dass sie doch hätte...hmmm...das Wunschdenken eines Mannes ;)

neinnein, bernadette,
schlichte Lebenserfahrung - Frauen sind so! :D

Grüsse vom gox

 

Ich finde die Situation wundervoll beschrieben. Erotisch, spannend, sehr weiblich. Und trotzdem bin ich irgendwie unbefriedigt, was ich jetzt wirklich nicht eindimensional zu deuten bitte. Ist mir die Geschichte zu moralisch? (Die gute Ehefrau rekapituliert die Ansichten des Mannes zu guter Eheführung und findet auf den Weg der Treue zurück?) Oder finde ich sie unglaubwürdig? (Die Frau scheuert ihm schon 30 km früher eine, weil der Fremde unvermittelt anfängt an ihrer Oberlippe zu lecken. Falls nicht, wird sie jedenfalls ncht aussteigen, sondern darauf hinweisen, dass sie von Mann und Kindern in Gütersloh am Bahnhof abgeholt wird). Oder fehlt mir einfach ein Einstieg in die Situation? Ich weiß es nicht und bin irgendwie hin- und hergerissen.

 

Hi Labude,

danke für deine Kritik :).

Ich weiß es nicht und bin irgendwie hin- und hergerissen.

Na, das ist doch prima :D. Soll es dir doch so gehen wie der Prot ;):

Lieber Gruß
ber

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Bernadette!

Ich finde diese Geschichte sehr schön. Die Sprache hat mir wirklich gut gefallen, und du hast es geschafft, dass ich die Situation bildhaft vor mir gesehen habe. Nicht nur die Art, wie der Text formuliert ist, hat mich "in der Geschichte gehalten", ich habe sie insgesamt sehr gerne gelesen.

Zudem wirkt sie auf mich in hohem Maße glaubwürdig und ich denke noch jetzt darüber nach. Es gibt eben Menschen im Leben, die lassen durch ihr Auftreten alleine schon alle Grenzen der Vernunft verschwimmen. Urplötzlich treten sie in das eigene, ruhig dahinplätschernde Leben und bringen alles in Aufruhr. Sodass es wirklich den Zufall in Form eines Schaffners, einer Bemerkung, die einen an etwas erinnert, braucht, um das logische Denken wieder einzuschalten. Was wäre wohl passiert... ?

Eine Kleinigkeit hat mich irritiert, aber ich mag mich täuschen:

bernadette schrieb:
Dieser Vergleich ging ihr durch den Kopf, während sie feststellen mußte, dass er mit seinen Worten, die er vor ein paar Minuten mit leiser Stimme sprach, in ihr etwas bewegte, mit dem sie nicht umzugehen wußte.

Sollte es da nicht heißen: "gesprochen hatte", statt "sprach"? Und vielleicht auch "bewegt hatte" statt "bewegte"?

Dass er die Worte gesprochen hat und damit etwas ausgelöst hat, war vor ein paar Minuten, ist also vorbei. Der Vergleich von ihm geht ihr durch den Kopf, während sie feststellt, dass sie nicht damit umgehen kann. Das letztere sind zwei zeitgleiche Handlungen, die noch nicht vorbei sind, sondern jetzt in diesem Moment passieren.

Wie gesagt, ich bin mir jetzt nicht sicher, es ist mir nur während des Lesens aufgefallen.

Soll aber dem Kompliment zu der schönen Geschichte keinen Abbruch tun. Ich bin nur deswegen während des Lesens eine kurze Zeit an der Stelle hängen geblieben. :)

Lieben Gruß,
Epona

 

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