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Die neuen Schuhe
Während des Auspackens kam Stefan auf die Idee, mit diesen Schuhen am anderen Tag in den Wald zu gehen und sich vor den knospenden Birken auf bestimmte Weise zu erleichtern.
„Gefallen sie dir, mein Junge?“
Erschrocken drehte sich Stefan um.
„Ja Großvater. Vielen Dank dafür.“
„Weißt du“, sagte er, „deine Mutter sagte mir, dass ihr jungen Leute heute alle diese neuen Schuhe wollt und deshalb ... Siehst du?“, er tippte mit dem Finger auf das Firmenlogo: „Echt amerikanisch. Established in Beaverton, you see.“
“Yes sir!“, parierte Stefan.
Das Gesicht des Großvaters sprühte vor Entzücken.
„Guter Junge, aus dir wird mal was.“, sagte er, während er sich mit Schwung in einen Sessel fallen ließ. „Die Amerikaner mein Junge, sind und waren schon immer Patrioten. Mit dem Herz am richtigen Fleck stehen sie dort, wo Little Big Horn einst und ... Ich habe nichts mehr zu trinken. Bist du so freundlich mein Junge und holst mir noch einen Schluck?“
„Klar Großvater. Was soll’s sein? Ein Sherry oder ein Brandy?“
„Ein Brandy, mein Junge.“
Stefan lief zu einem Tisch, an dem die meisten Geburtstagsgäste saßen. Eine Tante fragte ihn, ob der Großvater aus Connecticut noch wach sei, oder ob er bereits die ewigen Jagdgründe durchforsche.
„Nein.“, erwiderte Stefan, „Er spricht noch.“
„Gut.“, sagte die Tante, „Dann gieß ihm einen Doppelten ein. Bestimmt will er Brandy, oder?“
Stefan nickte und er bekam von ihr eine ungeöffnete Flasche mit silbernem Etikett gereicht. Mit einer kurzen Handbewegung deutete sie ihm wieder umzukehren. Stefan drehte sich wie mechanisch um seine eigene Achse und flitzte die wenigen Schritte zum Großvater zurück, der ihm bereits das leere Glas in Erwartung entgegenhielt.
„Du willst doch bestimmt auch so ein Held werden, wie unsere Jungs in Bagdad, oder?“, wandte er sich an Stefan, der das Glas auf vier Zentiliter eingoss. „Aber eure Regierung lässt euch nicht. Brücken sollt ihr bauen. So ein Kinderkram, sag ich dir. Soldaten sind zum Kämpfen ausgebildet und nicht zum Äpfel pflücken. Nein mein Junge ... der alte Donald hatte Recht. Europa ist und bleibt das alte Europa.“
Stefan setzte sich in einen nebenstehenden Sessel und legte die Hände in den Schoß. Er blickte stumm vor sich hin.
„Weißt du noch, als du bei mir warst vor Jahren? Du warst gerade mal zwölf und du wolltest unbedingt ein Gewehr haben. So eins wie die Soldaten im Fernsehen. Du wolltest unbedingt zur Fremdenlegion. Aber ich musste dir das ausreden, weil ich dir sagte, dass die Legion nur erwachsene Männer aufnehmen kann und keine kleinen Buben wie dich. Da hast du mit den Füßen gestampft und geschrieen. Es sah aus wie Napoleon bei Waterloo.“
Stefan machte ein missmutiges Gesicht.
„Ja ich weiß, aber das ist lange her.“
„Sei nicht so verlegen, mein Junge. Du hast so einen trüben Blick. ... Hörst du? Lass das!“
Mit einem Ruck hatte der Großvater Stefan an sich herangezogen. Seine gegerbte Hand klebte im Nacken des Jungen.
„Die große weite Welt liegt da draußen vor dir. Nur du kannst sie erobern. Wirf deinen Traum nicht weg und denk an deinen Großvater, der es geschafft hat von hier in die Staaten. Und ich hab’s geschafft. Verstehst du? Und jetzt trinken wir einen.“
Stefan schob die Hand aus dem Nacken und schüttelte den Kopf.
„Ich kann nicht. Ich muss morgen früh raus zur Schule. Wir schreiben eine Arbeit.“
„Heute ist dein Geburtstag, mein Junge und da trinkt man was.“, sagte der Alte mit scharfer Zunge.
„Ich hab keine Lust mit dir zu trinken. Verstehst du das?“, zischte Stefan. „Und außerdem ist das hier Europa und was damals war ist mir scheißegal.“
Der Großvater erhob sich aus seinem Sessel und stellte das Glas zurück auf den Tisch. „Was fällt dir denn ein, so mit mir zu reden?“, entrüstete sich der alte Mann. „Dir fehlt der Respekt, glaub ich.“
„Kann sein Opa.“
„Ja was ist das denn?“, schrie der Alte.
„Was meinst du?“
„Na so wie du mit mir sprichst. Ich bin dein Großvater.“
„Na und. Großmutter hat doch auch so geredet.“
„Ja deine Großmutter.“, rief der Alte. „Aber die ist doch schon längst tot.“