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Die Parkbank-Katastrophe

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15.04.2002
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Die Parkbank-Katastrophe

Tshregsornuc war Reporter, und sein Name war seltsam. Nun, Leute mit seltsamen Namen werden noch lange nicht automatisch von Zeitungen angestellt. Aber sie eignen sich hervorragend, um die Menschheit bedrohende Katastrophen zu entdecken.
Dass der Menschheit nach AIDS und Ozonloch noch weitere, sogar schlimmere Katastrophen ins Haus stehen würden, hätte eigentlich doch jedem klar sein müssen.
Jedenfalls begann alles damit, dass Tshregsornuc von seinem Chefredakteur den Auftrag erhielt, einen Wissenschaftler zu interviewen, der irgendetwas seltsames entdeckt haben wollte. Nun, Tshregsornuc kannte Wissenschaftler. Sie waren grau- bis weißhaarig, zittrig und zerstreut, alt, liebenswert und verrückt. Daher fragte er Doktor Matt auch zunächst, ob er Doktor Matt sei, als er ihn zum ersten Mal sah.
Doktor Matt war nämlich groß, füllte seine Kleidung sehr gut aus, trug eine Brille und zitterte keineswegs. Seine Stimme hätte man, wenn man sie vorher am Telefon gehört hätte, oder in einer Radiosendung vielleicht, sofort seiner Person zugeordnet. Dazu kam, dass Matt keineswegs alt war oder grauhaarig. Sein Haar war pechschwarz und ordentlich frisiert. Erst jetzt fiel Tshregsornuc auf, dass Doktor Matt auch der legendäre weiße Bart fehlte, den eigentlich jeder Wissenschaftler trug.
Nun, das Schild an der Türe draußen hatte bekanntgegeben, dass Doktor Matt Diplom-Biochemiker war.
»Also, Doktor, lassen Sie uns gleich zur Sache kommen«, begann Tshregsornuc. Dann musste er einige Sekunden warten, bis Matt zu Atem gekommen war. Je mehr Kilogramm, desto weniger Schritte bis zur Atemnot.
»Nun gut«, antwortete er endlich, »haben Sie jemals auf einer Parkbank gesessen?«
Tatsächlich war das der Fall. Jedoch hörte Tshregsornuc nur mit einem Ohr hin, wenn überhaupt. Der mittlerweile angeschaltete Rekorder tat das für ihn. Daher murmelte er nur etwas unbestimmtes. Man konnte nie wissen, worauf solche Wissenschaftler hinauswollten. Vor allem solche, die nicht so aussahen, wie es sich gehörte.
»Ich habe festgestellt«, erklärte Matt, »dass Parkbänke einen sehr gefährlichen Einfluss auf Menschen ausüben.« Er wartete die Wirkung seiner Worte ab. Es trat keine ein, daher fuhr er fort, jetzt etwas weniger leidenschaftlich. »Parkbänke nehmen Einfluss auf Menschen, die darauf sitzen. Nicht alle, natürlich.«
»Nicht alle Bänke, oder nicht alle Menschen?« versuchte Tshregsornuc eine vernünftige Frage zu stellen.
»Nicht alle Bänke.« Matt wertete die Zwischenfrage einerseits als Zeichen für Interesse, andererseits als Zeichen für Unwissen. »Nur solche, die gewissermaßen infiziert sind. Es sind bestimmte Strahlungen, die die biophysikalischen Vorgänge in den Zellen verändern können.«
»Tatsächlich.« Tshregsornuc betrachtete mit geheucheltem Interesse die Glasgefäße auf der Werkbank, die laut Aufschrift - soweit er sie entziffern konnte - hauptsächlich gelöste Parkbänke enthielten. »Und wie machen sie das?«
Matt lehnte sich zurück. »Das untersuche ich gerade. Aber die momentane Vorstellung ist folgende. Sie wissen sicherlich, dass unter gewissen Umständen in Pyramiden aufbewahrtes Fleisch nicht verwest. Ähnlich ist es mit Parkbänken. Aufgrund ihrer Symmetrie können sie Menschen verändern.«
»Aber es gibt doch verschiedene Parkbänke?«
»In der Tat, das ist genau der Punkt.« Matt konnte beobachten, dass seine Entgegnung den Reporter sehr befriedigte. »Nur solche Parkbänke mit bestimmten Proportionen sind gefährlich, wir nennen sie infiziert, in Ermangelung eines passenderen Wortes.«
»Wie wirken sie sich denn nun aus?«
»Ziemlich schlimm. Sie kennen sicher nicht die Statistik, die die Verkehrstoten in Zusammenhang mit den Parkbänken darstellt?«
»Ich fürchte nein.«
»Sehen Sie.« Der Doktor holte von einem Tisch einige Papiere. Auf ihnen waren komplizierte Diagramme dargestellt. »Sie werden diese Grafiken nicht gut lesen können. Aber ich kann Ihnen ihre Bedeutung leicht erklären. Sehen Sie hier. 78 Prozent aller Verkehrstoten im Monat Mai haben laut Aussage ihrer Angehörigen innerhalb der letzten zehn Tage vor ihrem Unfall auf einer Parkbank gesessen. Wir haben genau diese Bänke unter die Lupe genommen.« Er machte eine bedeutungsschwangere Pause. »Sie wiesen alle die gleichen Proportionen auf. Sie waren infiziert.«
»Das ist ja erstaunlich.« Tshregsornuc sah auf die Uhr. Er hatte seine Zeit noch nie so verschwendet.
»Es geht noch weiter. Ich habe eindeutige Hinweise darauf, dass eine deutsche Firma wissentlich infizierte Parkbänke nach Österreich verkauft hat«, ergänzte der Doktor wichtigtuerisch.
»Tatsächlich.«
»Aber es wird noch besser.«
»Was Sie nicht sagen.« Der Reporter zeigte jetzt sein ganzes Desinteresse. Er dachte, der Doktor wäre so in Fahrt, daß er sowieso alles erzählen würde, ob Tshregsornuc es nun hören wollte oder nicht. Er irrte. Stattdessen warf Matt ihn hinaus.

*

»Nein, nicht, Nuc, nicht jetzt! Die Leute, alle können doch sehen, oh!«
Tshregsornuc war gerade damit beschäftigt, seine dritte Freundin dieses Monates systematisch und nach allen Regeln der Kunst zu verführen. Und zwar in aller Öffentlichkeit, im Park, unter einem Baum, auf einer Parkbank. Man konnte zwar nicht behaupten, dass viele Passanten unterwegs waren, aber immerhin könnte jederzeit einer kommen. Oder mehrere.
»Nicht, du kannst doch nicht einfach, oh!« Gerade hatte der vielbeschäftigte Liebhaber seine Hand unter die Oberbekleidung seiner halbwegs gut aussehenden Begleiterin geschoben. Seinen anderen Grabscher konnte man zur Zeit nicht sehen, aber der Stellung des dazugehörigen Armes nach zu urteilen befand er sich unter dem Rock der Frau. Dies ist ein Nachteil von Röcken, oder ein Vorteil, je nach Sichtweise. Hosen waren sicherer. Tshregsornuc fand Röcke viel attraktiver.
Nun, es war ein warmer Sommertag, früher Nachmittag und die Vögel hätten, falls sie hingeschaut hätten, gesehen, nun – wir können es getrost der Fantasie des Lesers überlassen, was sie gesehen hätten.
Wie es sich für solche Momente gehört, bleiben sie nicht ungestört. Allerdings kam die Störung nicht in Form von Passanten, sondern in Form eines energischen, elektronischen Klingelns eines Funktelefons.
Vor Schreck schrie die Frau wie am Spieß, und Tshregsornuc fluchte unabdruckbar. Er rappelte sich hoch, griff in seine Jackentasche und holte das Telefon hervor. Dann drückte er auf eine Taste. »Ja? - Oh. - Ja, natürlich. - Sofort. Ich komme gleich.«
»Was war denn?« fragte die Frau, während sie ihre Kleidung korrigierte.
Mit Bedauern beobachtete Tshregsornuc, wie die Objekte seiner Begierde unter viel zu dicken Stoffschichten verschwanden. Dann antwortete er: »Mein Chef. Äh. Ich soll sofort in die Redaktion kommen. Wir haben also noch ein paar Minuten Zeit. Gib dir keine Mühe mit diesen Knöpfen. Ich mach sie dir sowieso jetzt wieder auf.«
»Nein«, sagte sie einfach. Sie stand auf und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Egal, dachte Tshregsornuc. In ein paar Tagen würde er ihre Brust und ihren Namen vergessen haben. Andere würden ihren Platz einnehmen. Der Reporter ging zum Ausgang des Parks und stieg in sein Auto, das er dort im Halteverbot geparkt hatte. Mit Kavalierstart fuhr er los. Vielleicht sieht das ja ein süße Braut und winkt.
Niemand winkte ihm zu, und so kam er ohne Verzögerung in der Redaktion an.
»Was ist denn los?« fragte er den Chefredakteur.
»Was los ist«, brüllte dieser. »Das ist los!« Er warf Tshregsornuc eine Konkurrenzzeitung ins Gesicht. »Sie haben es vermasselt! Eine Riesensache! Es war ihre Story! Und Sie haben nichts daraus gemacht!«
Tshregsornuc las die Schlagzeile auf der ersten Seite. Etwas übertrieben dick, wie üblich. »Tödliche Parkbänke«, stand da. Geringfügig kleiner, aber immer noch fett, stand darunter: »Forscher beweist: Bänke verursachen Prostatakrebs«.
»Ähm«, sagte Tshregsornuc noch, bevor er erbleichte.

 

Moin Uwe,

Eine sehr schöne skurrile Geschichte hast du da geschrieben. Viele hervorragende und zum Teil lustige Ideen und ein guter, lockerer Stil. Das hat mir wirklich sehr gefallen. Schon der erste Satz ist eine Granate und hat mich sofort für die Geschichte eingenommen.

Nicht so toll fand ich dagegen das Ende. Irgendwie hab ich beim Lesen eine große Pointe erwartet. Du läßt erst den Wissenschaftler großartig seine Entdeckung ankündigen und brichst das Interview genau dann ab, wenn es interessant wird. Fand ich gut, weil es Spannung aufbaut.
Dann kommt die Episode mit dem Reporter und seiner Frau. Ich hatte irgendwie gehofft, daß er nun selbst Opfer dieser Entdeckung wird (du hast was von Konservieren angedeutet). Stattdessen kriegt er nur Ärger von seinem Chef, weil die von ihm als nichtig abgetane Story wohl doch gut war. Vielleicht hab ich was überlesen, aber irgendwie fehlt mir da am Ende ein gewisser Kick, wenn du weißt, was ich meine.

Ein paar kleine Anmerkungen:

Aber sie eignen sich aus beiden Gründen hervorragend für die Entdeckung von menschheitsbedrohenden Katastrophen.
Welche beiden Gründe? Also, der komische Name ist klar, aber was ist der andere Grund? Irgendwas paßt da nicht, finde ich.

Nun, es war ein warmer Sommertag, früher Nachmittag und die Vögel sangen, und sie, die Vögel, hätten, falls sie hingeschaut hätten, gesehen, wie, nun – wir können es getrost der Fantasie des Lesers überlassen, was sie gesehen hätten.
Hui... ansonsten fand ich deine Kettensätze ziemlich gelungen und passend zum Stil der Geschichte. Aber ich finde, hier hast du es ein wenig übertrieben. Ich hab mich beim Lesen total zwischen den Kommas verlaufen...

Vielleicht sieht das ja eine und winkt.
Eine was? Frau? In Verbindung mit dem nächsten Satz ein guter Gag, aber ich würde ihn vielleicht ein wenig klarer rausarbeiten.

Fazit: eine sehr gelungene, weil lustige Geschichte mit interessanter Thematik, deren Pointe mich aber leider nicht überzeugt hat.

 

Hi gnoebel!

Die Pointe ist in der Tat kein Hammer. Man könnte jedoch denken, dass Tshregsornuc, da er öfters auf Parkbänken Mädels vernascht, Angst um seine Gesundheit bekommt. Andererseits mag die Entdeckung des Wissenschaftlers genau der Schwachsinn sein, für den Tshregsornuc ihn hält... zentrale Bedeutung hat hier eigentlich das überzeichnete Aufbrechen des Standard-Plots aus der Mitte des letzten Jahrhunderts "Reporter klärt Entdeckung eines Wissenschaftlers auf" - Inspiration war übrigens "Der Tag, an dem die Erde Feuer fing". Ach ja, die Story selbst ist auch aus dem vergangenen Jahrhundert, ich habe sie wieder ausgegraben und fand sie gut genug zum posten.

Zu Deinen Anmerkungen:

"beides" - der Reporter und der seltsame Name. Du hast Recht, der Bezug ist zu weit weg, das funktioniert so nicht.

Das mit den Vögeln kann ich sicher einfacher formulieren, ohne den Gag rauszuschreiben. Mal sehen.

Ja, er hofft, dass eine Frau winkt, aber das könnte ich in der Tat klarer bringen.

Danke fürs Lesen

Uwe
:cool:

 

Hallo Uwe,

mich hat der Titel deiner Geschichte angelockt. Leider hat die Story dann nicht ganz das gehalten, was ich mir davon versprochen hatte.

Angefangen hast du sehr gut. Nach dem Titel und dem ersten Wort war mir klar, dass etwas wirklich Seltsames folgen muss - bei dem Namen. :D
Die Einleitung über die Reporter und die Wissenschaftler fand ich ganz nett, aber das Interview mit dem Wissenschaftler war mir dann zu „unspektakulär“. Trotz der Ankündigung der „Katastrophe“ verlief es mir zu harmlos, fast etwas uninspiriert. Lag vielleicht ein bisschen an dem Desinteresse des Reporters. Dadurch ging die Wirkung verloren, die der Titel eigentlich angekündigt hatte.
Wenn diese Textpassage länger gewesen wäre, hätte bei mir die Gefahr bestanden, dass ich beim Lesen ins Überfliegen komme, weil mich zwar interessiert hat, was hinten rauskommt, aber das Gespräch an sich fand ich etwas zu langweilig. :dozey:

Wie du selbst schon angemerkt hast, ist die Pointe dann nicht gerade der Reißer, der bei dieser Story schon hätte kommen müssen, um einen durchweg positiven Eindruck zu hinterlassen. Zu dem guten, „seltsamen“ Einstieg hätte ich mir ein wahrlich seltsames Ende gewünscht, das ruhig hätte (maßlos) übertrieben sein dürfen – für mich verlangt die Story geradezu danach. Kannst es dir ja mal durch den Kopf gehen lassen.
Mein Tipp wäre: Mittelteil straffen und neues Ende, das einen wirklichen Höhepunkt bietet, dann könnte es eine gute Geschichte werden.

Sprachlich gibt es aus meiner Sicht nur wenig auszusetzen. Mit dem „Nun“ hast du es am Anfang aber vielleicht ein bisschen übertrieben:

Nun, Leute mit seltsamen Namen werden noch lange nicht automatisch von Zeitungen angestellt. ... Nun, Tshregsornuc kannte Wissenschaftler. Sie waren grau- bis weißhaarig, zittrig und zerstreut, alt, liebenswert und verrückt. ... Nun, das Schild an der Türe draußen hatte bekanntgegeben, dass Doktor Matt Diplom-Biochemiker war.
»Nun gut«, antwortete er endlich, »haben Sie jemals auf einer Parkbank gesessen?«

Nach „etwas“ geht es groß weiter:

„der irgendetwas seltsames entdeckt haben wollte“
>>> Seltsames

„Daher murmelte er nur etwas unbestimmtes.“
>>> Unbestimmtes

Ansonsten hat mir die sprachliche Ausgestaltung gefallen. Der Stil ist flüssig und rund. Überlange und schwer lesbare Sätze sind mir nicht aufgefallen.

Viele Grüße
Christian

 

Danke für eure Kommentare!

Der Dialog hat wohl das Problem, dass der Reporter ihn zum gähnen findet, und das übernimmt der Leser. Vielleicht sollte Tshregsornuc den Forscher ironisch verarschen.

Das Ende - nun, da könnte man eigentlich etwas beliebiges nehmen. "Bänke verursachen Erektionsstörungen", "Parkbänke übernehmen Weltherrschaft" oder "Parkbänke fressen Omas". Im Grunde ist es aber wirklich beliebig. Mehr als ein Gag ist da nicht drin, das gibt der Rest der Geschichte nicht her.

 
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Hallo Lieblings-Uwe ;),

hm. Nee, so ganz vom Hocker hat mich diese Geschichte nicht gerissen. Das Interview könntest Du - obwohl es den Journalisten langweilt - trotzdem so gestalten, dass der Leser sich dafür interessiert.
Und das Ende - was haben denn Erektionsstörungen mit Verkehrsunfällen... aua, jetzt hab ich ihn. Okay, der Joke hat was, wenn man ihn denn dann endlich mal mitnimmt. Wer sammelt jetzt die Centstücke vom Boden auf, die bei mir grad in Zeitlupentempo gefallen sind? :D
Beliebig ist der Joke dann aber nicht.
Irgendwie fehlt mir da noch ein bisschen der Pfiff, den Deine Geschichten sonst definitiv haben.

:kuss:

chaosqueen

 

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