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Die Pension

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03.11.2008
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Die Pension

Die Pension

Leise, leise läuft Stella durch die Pension. Ihre Finger schaben an der Wand entlang. Die Enge der Räume bedrückt sie. Die Zimmer sind Schattenzimmer, klein und dunkel. Von Zeit zu Zeit fliegt lautlos eine Motte vorbei und streift Stellas Gesicht mit ihren Staubflügeln. Sie verfängt sich in ihren Haaren und schwirrt dann wieder an einem anderen Ort um eine der trüben Lampen. Ein Geruch nach Mörtel zieht durch das Haus. Durch die Fenster blickt man auf graue Mauern. Es sind Mauern, die eine Grenze ziehen und kein Ende nehmen wollen. Sie sprechen mit Stella und es sind kleine, kalte Texte, die sie bestätig von sich geben.
Das Haus ist hellhörig und in seiner kleinlichen Gemeinheit speichert es jeden Laut. Auch das leise Stöhnen Stellas.

Der Keller

Im Keller ist ein Schwimmbecken. Das krokodilgrüne Wasser liegt im Halbdunkel eines niedrigen Kellerraumes. Die Fliesen sind angelaufen. Auf einer hat ein Kind einen bunten Fischaufkleber hinterlassen, der in die Leere schwimmt. Heizungsrohre ziehen sich durch den Keller, die von Zeit zu Zeit leise knacken.
Stella steigt lautlos, auf Zehenspitzen die Treppen hinunter. Unter dem Arm trägt sie eines der grauweißen Handtücher und ihren blauen Badeanzug. Überall lauern unsichtbare Augenpaare.
Bald hört sie Wasser plätschern. Das leise Geräusch entspannt sie so, als glitte sie zurück in einen anonymen Uterus.
In einer engen Kabine zieht sie sich um. Im Keller ist es angenehm warm. Er bietet Zuflucht vor der Hellhörigkeit der oberen Räume. Stella sieht ihre weiße Haut. Das fahle Licht verwandelt sie in eine Mondlandschaft. Ihre Beine fühlen sich schwer an. Ihre nackten Zehen wirken auf dem feldgrünen Teppich wie Fremdkörper.
Sie läuft aus der Kabine und biegt in den Badekeller ein. Die niedrige Decke bedrückt sie. Das Wasser liegt glatt vor ihr, undurchdringlich wie ein Krötenloch.

Feldhege

Ohne Überraschung sieht sie am Rand des Beckens Feldhege in einem Liegestuhl sitzen. Er sitzt dort und liest Zeitung und starrt durch seine runde Brille auf die Fliesen, als säße er nicht im Keller, sondern vor einem Strandpanorama. Neben ihm hockt seine junge Freundin in einem gestreiften Bikini und lehnt sich auf seinen Stuhl hinüber, als wollte sie etwas ausbrüten. Stella weiß, dass er seine magersüchtige Frau oben im Zimmer eingesperrt hat und dass sie in die Tiefe lauscht, um seine Sekunden zu zählen. Er sitzt in seinem Liegestuhl wie immer mit der Würde eines Königs und sein kahler Schädel schimmert im diesigen Licht. Die Luft ist schwül hier unten. Stella schiebt einen Liegestuhl neben den von Feldhege. Er sieht nicht nach links und nicht nach rechts. Seine Freundin streichelt seine Schulter und mit Entschiedenheit schiebt Stella ihren Liegestuhl noch näher an Feldheges heran. Die Lehnen der Stühle reiben sich aneinander.

Feldhege damals

Stella erinnert sich, dass sie mitten in München eine vierspurige Straße überquerte, um möglichst schnell zu einem Termin zu kommen, den sie mit ihm vereinbart hatte. Es war einer von Münchens renovierten Prachtbauten, der in einem Straßenkessel lag. Steinerne Löwen ruhten erhaben vor grauen verschnörkelten Fassaden. Sobald sie das Haus betreten hatte, wurde alles unübersichtlich. Sie irrte durch das Treppenhaus, von dem unzählige Gänge abzweigten. Stufen mit polierten Nussholzgeländern führten auf Emporen und wieder hinunter. Staubkörner tanzten im Licht, das sich in düsteren Ecken verlor. Sie wartete in einem der zahlreichen Winkel, sah hinter Frauen her, die vorbeiliefen. Ein Unbehagen griff nach ihr. Feldhege war nicht greifbar für sie, verschanzt hinter Begegnungen, von denen sie nicht wusste, welches Gewicht ihnen zukam. Eine Frau in einem engen lila Rock kam lächelnd auf sie zu und sagte, dass Feldhege sie einschieben würde.
Ein Gefühl der Verlorenheit beschlich sie zwischen den vielen Leuten, die geschäftig an ihr vorüber eilten. Sie stand herum wie ein Gegenstand, den keiner benötigte. Gegenüber von dem Winkel, in dem sie wartete, - sie war aufgestanden, um irgendwie beschäftigt zu wirken- stand ein Cello an der Wand. Sein Holz war rötlich poliert und es glänzte matt. Stella hielt ein Zwiegespräch mit dem Cello. Sie beschwerte sich bei dem Cello über die lange Wartezeit. Draußen dämmerte es bereits. Berufsverkehr drängte sich einem opernhaft verfärbten Himmel entgegen. Plötzlich erschien Feldhege auf der Treppe und wirkte kleiner, als sie es erwartet hatte. In seinem runden Raum hing ein grüner Parka. Er war förmlich wie immer. Hinter der Förmlichkeit war die intensive Spannung, die immer zwischen ihnen aufflammte, von der aber keiner zugab, dass sie vorhanden war. Er hatte wenig Zeit. Er reichte ihr eine Schachtel mit Tarotkarten, ein Deck mit Goldrand, wie es sich für einen steifen König gehörte. Stella war enttäuscht, sie hatte auf Worte gehofft. Das glaubte sie zumindest, als sie die Stufen wieder hinuntereilte mit fast nichts. Unten legte sie die Tarotkarten neben den steinernen Löwen, schob sie unter seinen Bauch. Sie hoffte, dass niemand sah, dass sie die Deutung ihrer Zukunft entsorgte.

Die Berührung

Stella starrt auf das Wasser, obwohl es da nichts zu sehen gibt. Niemand spricht. Sie sitzen zu dritt in dem kleinen Kellerraum und Stella schließt die Augen und wartet. Plötzlich spürt sie ein leichtes Kitzeln an ihrem Oberarm. Sie blinzelt und sieht, dass Feldhege mit einem silbernen Kugelschreiber Buchstaben auf ihren Arm malt. Er schreibt langsam und gleichmäßig Botschaften auf ihre Haut. Stella versinkt tiefer in sich selbst. Es ist höchste Zeit, dass diese Worte Gestalt annehmen. Sie braucht keines der Worte zu lesen. Es reicht, dass sie da sind. Das Blau hebt sich von ihrer weißen Haut deutlich ab. Es ist ihr gleichgültig, dass er zwischen zwei Frauen eingeklemmt ist. Sie blinzelt wieder und sieht in seinen blauen Augen, dass es ihn Anstrengung kostet, sie zu beschreiben.

Die Hexe

Vor Jahren hatte er ihr einen Roman geliehen. Er hatte ihn mit der Post geschickt. Er hatte gesagt, dass die Protagonistin ihn an sie erinnerte. Das Buch war in ödes Packpapier gewickelt und mit einer dicken Schnur zusammengebunden. Sie hatte es hastig aufgerissen.
Die Frau in dem Buch ging den Holunderweg. Er war steil und gefährlich. Irgendwie hatte sie kein Gesicht, nur sehr lange Haare. Ihr Gesicht blieb eine weiße Fläche. Sie missbrauchte Macht, sie brach zusammen. Stella empfand nichts für die Frau. Sie wunderte sich über das Bild, das er von ihr hatte. Die Hexe passte nicht in sie hinein. Oder doch?

Die geheime Hand

Er hört auf zu schreiben. Stella achtet nicht mehr auf die Umgebung. Ihre Arme berühren sich an den Sehnen. Sie kann sogar die feinen Härchen spüren. Ganz langsam lässt sie ihre Finger auf seine Hand hinüber wandern und fährt über die Landschaft dieser Hand. Sie spürt die Fingerknöchel, die Mulden dazwischen. Sie fürchtet die ganze Zeit über, dass er seine Hand wegziehen könnte. Aber es geschieht nicht. Lautlos erobert sie seine Hand. Plötzlich spürt sie, dass er ihre Liebkosung erwidert. Finger berühren Finger. Ein geheimer Fingertanz findet statt, ohne dass die Freundin etwas davon mitbekommt. Die Bewegungen der Finger rieseln durch Stellas ganzen Körper. Ihre Haut gibt nach, wird weit und empfänglich. Sie will ihn in sich hineinsaugen, in ihren Schoß. Auch als sie aufstehen, lässt er ihre Hand nicht los. Sie steigen die Treppen hinauf, laufen durch den engen Gang. Stella triumphiert. Nun werden sie es endlich zuende bringen. Er ist über die Schwelle in sie hinein getreten. Endlich.
Doch plötzlich an der Türe zu seinem Zimmer, lässt er ihre Hand los und geht ohne ein Wort dort hinein. Stella starrt ernüchtert auf die Türe. Dann sieht sie auf die blauen Buchstaben, die sich um ihren Arm ranken. Die Geschichte ist nicht zuende, das weiß sie.

 

Hallo Rueganerin,

danke für dein Lob und dein Lesen. Du machst mir Mut in düsteren Zeiten, durchzuhalten und weiter zu schreiben.

Viele Grüße

Kiot

 
Zuletzt bearbeitet:

Guten Tag, Kiot!

Das ist ein phantastisches Debut.
Was mir sofort aufgefallen ist: Es ist nahezu lautlos. Nicht nur fehlt jede wörtliche Rede, es ist nichts zu hören außer einmal leisem Stöhnen, Wasserplätschern und dem Knacken der Heizungsrohre.

Als später Berufsverkehr vorkommt, der Lärm machen könnte, läßt Du ihn in den Opernhimmel fahren, so daß er auch schweigen muß. Das Cello führt ein stummes Zwiegespräch mit der Heldin, seine eigentliche Funktion ist dabei sowas von egal.
Sogar die Zwischenüberschriften passen dazu, dabei kann ich Zwischenüberschriften eigentlich nicht leiden.

Dann diese Höhlenbilder, Tümpelbilder, grünes Wasser, Molch- und Mörtelgeruch, Holz und Staub, gegen Ende war ich davon überzeugt, daß die Stille der Hauptzweck der gesamten Geschichte ist, und es lief mir kalt den Rücken herunter, weil unmerklich sprachlose Endzeitstimmung aufgekommen war.
Ich gebe zu, daß die Handlung mir neben diesem Kunstwerk aus Schweigen ziemlich nebensächlich vorkam, obwohl da zweifellos Handlung ist, lautlose, unvollendete und schwebende Handlung.

Die Geschichte ist federleicht und gleichzeitig bleischwer, trotzdem ist sie derartig tadellos aus einem Stück, daß ich mich verneigen will. Läse ich allerdings ein ganzes Buch in diesem Stil, würde ich danach drei Wochen vernebelt rumlaufen und die Welt nicht mehr verstehen.

Hier sind noch ein paar Sachen:

Stella steigt lautlos, auf Zehenspitzen die Treppen hinunter.
entweder Du machst das Komma raus oder noch eins nach Zehenspitzen rein.
Er sitzt in seinem Liegestuhl, wie immer mit der Würde eines Königs, und sein kahler Schädel schimmert im diesigen Licht.
Die beiden Kommata empfehle ich für die Gliederung, auch wenn sie nicht müssen.
Sein Holz war rötlich poliert und es glänzte matt.
es könntest Du streichen.
Plötzlich erschien Feldhege auf der Treppe und wirkte kleiner, als sie es erwartet hatte.
Das liest sich, als habe sie gewußt, wie groß er ist, aber erwartet, er werde größer wirken. Hast Du gemeint: Er war kleiner?
Sie sitzen zu dritt in dem kleinen Kellerraum und Stella schließt die Augen und wartet.
Auch hier würde ich entweder ein und streichen oder ein Komma setzen.
Ihre Arme berühren sich an den Sehnen
krasses Bild, wie geht das? Innenseite an Innenseite? Mein einziger Stolperstein, da das Bild für mich eine krampfige Haltung impliziert.
Er ist über die Schwelle in sie hineingetreten. Endlich.
Das endlich wäre im Satz besser aufgehoben. So nachgeschoben ist es etwas melodramatisch, fast macht es ein Geräusch, bedenk.
Doch plötzlich an der Türe zu seinem Zimmer, lässt er ihre Hand los
entweder Komma raus oder noch ein Komma vor an.

Zum Thema durchhalten und weiterschreiben: Unbedingt.

Liebe Grüße!
Makita.

 

Hallo Makita, ich danke auch dir für deine Anregungen und werde den Text überarbeiten.

Ich bin hier sehr ermutigt worden, was ja in der Lit.Szene nur selten der Fall ist.

Ich bedanke mich sehr dafür.

Viele Grüße
Kiot

 

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