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Die Pfützen schreien
Er liebt den Regen. Dann kann er in den Pfützen herumspringen. Wenn er danach die Wohnung betritt, nass und schmutzig, weicht er meinem Blick aus – er glaubt immer noch, dass ich ihn dann nicht sehen kann -, weil er davon überzeugt ist, dass er in meinen Augen Vorwürfe finden würde. So kann er nie sehen, dass ich lächle, wenn er in die Wohnung schleicht, nass und schmutzig. Und liebenswert. Er kennt mich nicht.
Er schläft nie gut. Dann wälzt er sich im Bett herum. Dabei verliert er sein Haarband. Einmal erzählte er mir, dass er in seinem ganzen Leben noch nie einen schönen Traum gehabt hätte. Ich glaube ihm. Er hat Angst vor dem Einschlafen, und er fürchtet sich vor dem Aufwachen. „Du machst mir den Morgen erträglich“, sagt er. Ich wünschte, ich könnte ihm glauben.
Er liebt Musik. Ich mag es, zuzuhören, wenn er mir neue Lieder vorspielt. Am Morgen bleibt die Anlage stumm. „Zu dieser Tageszeit gefällt mir nichts. Ich kann da keine Musik hören.“ Die Vorhänge bleiben den ganzen Tag zu. „Die Sonne bereitet mir Kopfschmerzen“, sagt er. Er geht gern aus, aber er tanzt nicht. „Geh allein“, sagt er. „Ich mag es, dir beim Tanzen zuzusehen.“ Ich mag es, aus den Augenwinkeln zu beobachten, wie er mich dabei ansieht.
Er spielt immer mit seinen Zigaretten. Minutenlang hält er sie in seinen Händen, bevor er sie anzündet. Ich muss mir dabei das Lachen verhalten, weil ihm selbst diese Eigenart noch nicht aufgefallen ist. Auch will ich immer neben ihm sitzen, denn seine Lippen sehen von der Seite so schön aus, wenn er den Rauch seiner Zigarette ausbläst. Manchmal habe ich das Gefühl, er bläst mich von sich weg.
Er lässt mich oft warten. Manchmal ein halbes Jahr. „Ich wartete ein ganzes Leben lang“, sagte er einst. Ja, ich auch, dachte ich. Aber das weiß er nicht. Er weiß so Vieles nicht.
Er hält immer meine Hand. Ich wünschte, ich hätte seine festgehalten. „Ich lass dich nie mehr los“, sagt er und ich kann ihm nicht glauben. Er hätte sich selbst halten sollen.
Es regnet. Die Pfützen schreien nach ihm, doch er hört nicht. Er ist müde. Er spielt nicht mit seiner Zigarette, er zündet sie sofort an. „Ich hab versucht, dich zu lieben“, sagt er und weicht meinem Blick aus, da er bis heute glaubt, ich kann ihn dann nicht sehen. Ich gehe neben ihm und sehe seine Lippen, die mich wegblasen...